Jakob und Esau

1. Mose 25,24-34

Diese Zwillinge waren sehr verschieden. «Esau wurde ein jagdkundiger Mann, ein Mann des Feldes; Jakob aber war ein sanfter Mann, der in den Zelten blieb» (1. Mo 25,27)

Das an sich gab weder dem einen noch dem andern vor Gott einen Vorzug. Soll nicht jeder die Beschaffenheit seines Körpers, seiner natürlichen Gaben und Verstandeskräfte ohne Murren oder Selbstruhm aus der Hand seines Schöpfers annehmen? Vor Menschen, die auf das Äussere schauen, bestimmen diese Dinge den Wert einer Persönlichkeit, vor Gott aber gelten andere Massstäbe. Ohne Glauben ist es einem Menschen sowieso unmöglich, Ihm wohlzugefallen (Heb 11,6). Und wenn jemand durch den Glauben an Jesus Leben aus Gott empfangen hat, so ist er als sein Knecht vor Ihm für einen möglichst nutzbringenden Gebrauch der empfangenen Talente verantwortlich. Die Belohnung wird sich einst nach der Treue richten und nicht nach der Anzahl oder Beschaffenheit der empfangenen Talente.

Nein, wenn Gott sagt: «Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst» (Röm 9,13; Mal 1,2.3), so ist das nicht eine Anerkennung für festgestellte äusserliche Vorzüge oder Nachteile und nicht eine Bewertung der verschiedenartigen natürlichen Charaktereigenschaften dieser beiden Männer. Dieser Ausspruch führt uns zu ganz anderen Feststellungen:

  • Erstens ist Gott in seiner unumschränkten Machtvollkommenheit über sein Tun keinem Geschöpf gegenüber Rechenschaft schuldig. Er ist durchaus frei, aus der Mitte der Menschen zu erwählen, zu berufen und zu segnen, wen Er will. Gar keiner von uns hat ja ein natürliches Anrecht auf Gnade und Segen; auch nicht, wenn wir die eigenen Söhne Abrahams und Isaaks wären. Es ist keine Ungerechtigkeit bei Gott, wenn Er dem einen schon vor der Geburt durch Verheissung ein Geschenk macht und dem anderen nicht. Von Natur haben wir kein Anrecht auf Lohn, ausser auf den Lohn der Sünde, auf den Tod (Röm 6,23).
  • Zweitens aber hat Gott jenen Ausspruch über Jakob und Esau in Vorkenntnis ihres Verhaltens gegenüber seinen Gaben getan, das sie im gegebenen Augenblick an den Tag legen würden. Esau verachtete das Erstgeburtsrecht; für Jakob aber war es sehr begehrenswert, weil es den ganzen wunderbaren göttlichen Segen enthielt, den Gott dem Abraham und seinen Nachkommen gab und der folgende Dinge umschloss:
    • den Besitz des verheissenen Landes;
    • die Verheissung, eine grosse Nation zu werden;
    • von Gott gesegnet zu werden und ein Segen zu sein;
    • und schliesslich einen Nachkommen zu haben – das heisst Christus (Gal 3,16) – in dem alle Geschlechter der Erde gesegnet würden (1. Mo 12,2.3).

Als Esau eines Tages hungrig und matt vom Feld kam, da war Jakob gerade daran, ein Gericht Linsen zu kochen. Um nun sein augenblickliches, leibliches Bedürfnis unverzüglich stillen zu können, verkaufte er Jakob dieses einzigartige Erstgeburtsrecht mit seinen unfassbar grossen Segnungen «um eine Speise», um ein Linsengericht!

Damit kennzeichnete sich Esau als ein «Ungöttlicher» (Heb 12,16), deren es heute in den christlichen Ländern so viele gibt. Sie verachten das Evangelium mit seinen unendlichen, heilbringenden Segnungen und sagen, ähnlich wie jener: «Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir» (1. Kor 15,32). Dem kurzen Leben hier auf der Erde und seinen «Erfolgen», den vorübergehenden und oft so fragwürdigen Genüssen ihres Erdendaseins opfern sie ein ewiges Heil, ewige himmlische Segnungen und den ganzen Reichtum der Gnade und Güte Gottes, der ihnen im Evangelium angeboten wird.

Diese Seelen alle werden es am Ort der Qual, in der «äusseren Finsternis» einmal tief bereuen, alle diese wunderbaren Gaben Gottes ausgeschlagen zu haben (vgl. Lk 16,19-31). Da wird sein «das Weinen und das Zähneknirschen», denn sie werden, wie einst Esau, keinen Raum für die Buße mehr finden (Heb 12,17).

Aber auch wir Gläubige müssen uns fragen: Gleiche ich Jakob, dem das Erstgeburtsrecht so viel galt? Lasse ich hier auf der Erde alles fahren, was mich hindert, Christus in der Herrlichkeit zu «gewinnen»? Freue ich mich täglich an den himmlischen Segnungen? Oder neige ich dazu, den praktischen Genuss davon für ein «Linsengericht», für kurze und vielleicht unreine irdische Freuden dranzugeben? Ein solches Verhalten würde Gott betrüben, ja, wie wir dem Beispiel Esaus entnehmen müssen, es wäre Ihm «verhasst».