Psalm 22 (8)

Psalm 22,23-32

Verse 23-32

Nun öffnet der Herr, der sich unter den Fluch gestellt und ihn getragen hat, allen denen, die Er hinter sich her auf den Boden der Auferstehung zieht, die Tore des Lobes. Ein Volk von Anbetern ist nun gebildet.

Lasst uns nie vergessen, dass die Anbetung der erhabenste Teil des jetzigen Dienstes der Christen darstellt, und einzig dieser Teil des Dienstes wird in der Ewigkeit fortgesetzt. Wir dürfen wiederholen: Es gibt kein Zeugnis für den Herrn nach seinen Gedanken, nach seinem Herzen und zu seiner Verherrlichung, wenn nicht in erster Linie der Dienst des Lobes dargebracht wird. Die erste Person, und man kann sagen die einzige, der alle Rechte zustehen, ist Gott. Jesus hat die Menschen, die die Seinen geworden sind, zu Gott geführt. Somit ist nichts Geringeres als dies unser Teil: Wir dürfen die in dem Wort offenbarte Herrlichkeit Gottes betrachten und geniessen, mit ganzer Seele Gott anbeten, für das, was Er ist und getan hat, und Jesus lobpreisen, gemäss der Herrlichkeit seiner Person und seines Werkes. Wie ist doch das so etwas ganz anderes, als nur ein zusammenkommen im Bewusstsein, gerechtfertigt zu sein! Unsere Segnungen sind unzählbar und unermesslich, aber wir sind nicht versammelt, um davon zu reden. Vor jedem anderen Gedankengang soll die Herrlichkeit Gottes uns beschäftigen. Gott ist dann vor der Seele und erfüllt sie, Christus erfüllt dann das Herz seiner Kirche, die Herrlichkeit Gottes und des Herrn nimmt dann die Gedanken und Empfindungen in Anspruch.

Und worin besteht diese Herrlichkeit Gottes, die man preist und anbetet? In seiner Person! Man betet nicht nur Eigenschaften und Merkmale an, man betet eine Person an, das vollkommene Wesen, den, der Licht und Liebe ist. Wir loben Gott, weil Er Liebe ist und nicht nur, weil wir die Gegenstände seiner Liebe sind; wir beten Ihn an, weil Er Licht ist und keine Finsternis in Ihm ist, und wir tun es in dem Mass, wie unser Herz voll Licht ist. Wir preisen Gott wegen seiner Eigenschaften: Er ist gerecht, heilig, langmütig, mächtig, majestätisch, weise, treu und unwandelbar, aber über das alles hinaus preisen wir Ihn in seiner eigenen Natur der Liebe und des Lichts.

Alle Handlungen, alle Worte, aller Dienst und alle Leiden Christi haben zu dem Endziel geführt, das Er immer vor sich gestellt und für das Er das Kreuz erduldet hat: die Verherrlichung Gottes. Er ist für die Ehre Gottes eingetreten, und nun preist Er dessen Herrlichkeit und die Heiligen mit Ihm. Aller christliche Dienst, sowohl der Einzelnen als auch der Kirche, sollte gleicherweise diesen einen und einzigen Zweck verfolgen: Gottes Verherrlichung. Denn jeder Dienst, der nicht die Verherrlichung Gottes zum Endziel hat, ist nicht ein Dienst, wie der Herr ihn versteht.

In den letzten Versen des Psalms werden mehrere Kategorien von Erlösten erwähnt, die in unterschiedlichem Mass Gott verherrlichen. Sie bilden einen dreifachen Kreis, in dem Christus die zentrale Stellung einnimmt.

  • Der erste Kreis, die «Versammlung» (Vers 23), wurde zuerst in dem völlig jüdischen Überrest verwirklicht, der den Herrn nach seiner Auferstehung umgab (Joh 20). Dieser treue jüdische Kern wurde dann mit der Kirche verschmolzen, in der dieses erste Lob in erweiterter Weise fortgesetzt wird und eine bestimmtere und tiefere Form annimmt. Bei den anderen Kategorien finden wir nichts, was dem 25. Vers, d.h. der Darstellung des tiefen, mit der Befreiung Christi verknüpften Grundes zum Lobpreis gleichkäme, wie in diesem ersten Kreis. Das auf diesen Grund bezogene Lob ist der Versammlung eigentümlich, denn in der Anführung in Hebräer 2,12 werden diese Verse auf die Versammlung angewendet.
  • Im zweiten Kreis, dem der «grossen Versammlung» (Verse 26-27), dürfen wir die Vereinigung des ganzen wiederhergestellten Volkes Israel sehen. Dieses zum Ruhm Gottes gebildete Volk (Jes 43,21) wird zu jenem Zeitpunkt im erforderlichen Zustand sein, um diesen Lobgesang anzustimmen; es wird darin von dem angeführt werden, der «seine Gelübde bezahlen» wird. Im Augenblick einer Drangsal konnte ein Israelit dem gegenüber Gelübde tun, von dem er Befreiung erwartete; und wenn diese Befreiung eingetreten war, bezahlte er seine Gelübde, indem er das tat, wozu er sich verpflichtet hatte. Das ist es, was wir in Psalm 66,13-14 finden.
  • Der dritte Kreis endlich (Verse 28-32) ist der des weltumfassenden Lobes, das während des tausendjährigen Reiches die Erde erfüllen wird. Auch dieses Lob ist die Folge des Werkes am Kreuz.

Diese drei Kreise sind auch durch eine verschiedenartige Beziehung zu der Person des Herrn gekennzeichnet. Im ersten Kreis – so kann man sagen – erscheint Er als das Haupt des Leibes, als der Bräutigam der Kirche, im zweiten als der Messias seines Volkes, und im dritten schliesslich als der Sohn des Menschen, dessen Herrschaft sich über die ganze Erde erstreckt.

Diese drei Kategorien findet man übrigens auch an anderen Stellen, insbesondere in Johannes 12: Dort wird uns die erste Klasse in Maria vorgestellt, die ihre Narde darbringt. In der folgenden Szene sehen wir den von seinem Volk mit Beifall aufgenommenen Messias, der in Jerusalem einzieht; und schliesslich sind es die Griechen, Menschen aus den Nationen, die Ihn zu sehen wünschen. In diesem Zusammenhang sagt Jesus: «Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.» Alle Auserwählten sind die Frucht seines Werkes.

Kommen wir wieder auf unseren Gegenstand der Lobpreisung, in Verbindung mit der Erdenzeit, zurück! Wir sehen in der Schrift, dass der jüdische Gottesdienst sein Ende gefunden hat, denn die Gläubigen unter dem Volk, der gläubige jüdische Überrest, bildete den Urkern der «Versammlung», so dass es heute im Blick auf Christus in der Welt kein anderes Lob gibt, als das christliche. Gott hat keinen Altar, keine irdische Religion mehr. Jenes Lob des irdischen Volkes, wovon die Apostel für eine Zeit die Repräsentanten waren, ist zu Ende gegangen, um einem himmlischen Lob Platz zu machen, das zwar auf der Erde verwirklicht wird. Aber Gott gibt jenen Gedanken eines irdischen Gottesdienstes inmitten des auserwählten Volkes nicht auf, und wenn die Zeit gekommen ist, wird jenes Lob wieder beginnen. Dann werden sich auf der ganzen Erde, die heute kein Lob für Gott hat und sich wenig um das Werk Christi kümmert, die Stimmen zum Preise Gottes vereinigen, dann; wenn seine Herrlichkeit die ganze Erde erfüllen (Ps 72,19) und sie voll sein wird der Erkenntnis des HERRN, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken (Jes 11,9).

Das ist ein kostbarer Gedanke. Die Stimme Israels ist wegen des Verbrechens der Juden im Blut verstummt. Aber die Gnade wird alles ändern. Wir dürfen in jene Zukunft blicken, wo die Stimme Israels wieder gehört werden wird, und zwar gerade aufgrund des Blutes Christi, das die Juden vergossen haben. Da, wo die Sünde und das Verbrechen überströmend waren, wird die Gnade noch überreichlicher sein. Und der, der dann inmitten des Volkes seine Gelübde bezahlen wird, wird der sein, den sein Volk einst umgebracht hat. Man kann sich angesichts jener armen, oft in Finsternis und Gottesfeindschaft stehenden Juden in dem Gedanken freuen, dass es einen Überrest geben wird. Jene Juden, denen sich der Überrest der zehn Stämme anschliessen wird, werden aufs Neue erscheinen, um den HERRN, den Gott der Juden, den Gott Israels zu loben. Dies wird uns noch stärker beeindrucken, wenn wir uns daran erinnern, dass sich die Juden vor dieser Zeit als Volk unter die Herrschaft und Führung des Antichristen gestellt und eine grössere Krisis durchgemacht haben werden als zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer früheren Geschichte.

Die Stelle in Hebräer 12, in der die Stellung der bekehrten Juden bezeichnet wird, bringt zum Ausdruck, dass sie nicht zum Sinai, sondern «zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abel» (Heb 12,24) gekommen seien. Wir sehen also, dass das Blut Jesu für alle Klassen von Auserwählten die Stimme des Gerichts zum Schweigen gebracht und die Stimme des Lobes erweckt hat. Aber die drei Formen des Lobes werden in ihrer Höhe verschieden sein und dem Kreis entsprechen, aus dem sie kommen, obwohl sie alle drei echt sind.

Die Gläubigen im Tausendjährigen Reich werden wohl wissen, dass nach vollendetem Werk am Kreuz der Scheidevorhang zerrissen worden ist, aber die darin vorgebildete Wahrheit wird nicht ihre Stellung kennzeichnen. Der zerrissene Vorhang ist das den Christen geschenkte Symbol und besondere Vorrecht; ihr Lob ist im Allerheiligsten. Wir wissen im Übrigen, dass es in der Zeit der «grossen Versammlung» einen neuen Tempel geben wird, worin Opfer dargebracht werden, zum Gedächtnis an das Opfer Christi. Die Vorrechte jener Gläubigen werden demnach nicht so erhaben sein, wie die, die den Christen gegeben sind. Die Gläubigen der «grossen Versammlung» werden wohl den Heiligen Geist empfangen, es wird der «Spätregen» sein, aber sie werden Ihn nicht als den Geist der Sohnschaft empfangen und er wird sie nicht zu «einem Leib» taufen. Diese Vorrechte gehören ausschliesslich der Kirche.

Auch darf man nicht vergessen: Wenn sich diese «grosse Versammlung» in Gott und in ihrem Messias freuen soll, so wird sie sich dabei auch, und mit ebenso viel Recht, in den irdischen Dingen freuen. Die Fetten der Erde werden hier erwähnt. Es wird dann irdische Freuden und Segnungen, die ebenfalls zu der Frucht der Leiden Christi gehören, in Fülle geben. In den Psalmen und Propheten finden sich viele solcher Anspielungen. Aber wir sind uns dabei bewusst, dass das ein ganz anderer Boden ist als der, auf den wir gestellt sind. Keine Segnung der Kirche ist irdisch. Gott bewahrt den Gläubigen und ist ihm in seinem Leben behilflich; doch sind die der Kirche geschenkten Segnungen und die ihr eigenen Beweggründe des Lobes rein himmlischer Natur. Wir fühlen, dass es im Gottesdienst unangebracht wäre, Gott für seine Hilfe in unseren materiellen Geschäften zu danken; im jüdischen Gottesdienst dagegen wird es ganz am Platz sein, das alles in das Loben und Danken einzuschliessen.

«Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben», sagt der Herr in Matthäus 5,5. Diese Sanftmütigen, Juden, die den Charakter des Überrests haben, finden wir im 26. Vers sowie in anderen Psalmen. Sie werden kein Kreuz mehr zu tragen haben; sie werden die tausendjährige Herrlichkeit und das Land und darüber hinaus noch eine geistliche Segnung besitzen, doch nicht von derselben Ordnung wie die Segnung, die wir geniessen dürfen. Dies alles werden sie schmecken, nachdem sie den Messias bei seiner Erscheinung gesehen haben. Sie werden, schon ehe der Herr erscheint, Übungen haben und ein Leben des Glaubens führen, aber die tiefsten Herzensübungen und die darauf folgende Glückseligkeit werden sie erst erleben, wenn sie «gesehen» haben. Die Kirche dagegen liebt den Herrn, den sie nicht gesehen hat.

Das sorgfältige Erforschen des Wortes und der Psalmen im Besonderen wird uns davor bewahren, die verschiedenen Gedankengänge und Gnadenströme zu vermischen, die uns darin offenbart werden und die alle zur Verherrlichung Christi und Gottes, des Vaters, sind.