6. Psalm 45
Die herrliche Erscheinung des Messias, der die Befreiung bringt
Psalm 16 antwortet auf eine Bitte; Psalm 45 auf einen Schrei, den Schrei des jüdischen Überrests1 am Schluss von Psalm 44: «Warum verbirgst du dein Angesicht? … Steh auf, uns zur Hilfe, und erlöse uns um deiner Güte willen!» (Verse 25 und 27). Als Antwort wird der Geliebte vorgestellt, der König, den sie so sehnlichst erwartet haben. Ihre Lage war erschütternd gewesen: «zermalmt am Ort der Schakale … bedeckt mit dem Schatten des Todes» (Ps 44,20). Die Erscheinung des Königs der Herrlichkeit ist die Antwort auf ihren Schrei.
Zuallererst wird seine Person vorgestellt, keine Titel, sondern Er selbst: «Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen», das bringt alles zum Ausdruck, was der Herr auf seinem Weg hier auf der Erde war. In dieser Weise wird Er zuerst vom Überrest gesehen, der auf die Befreiung wartet.
Und wenn wir zur Anbetungsstunde kommen, was ist das erste, das der Geist Gottes «dieser geübte Schreiber» (V. 2) – vor unsere Herzen stellt? Die Person des Geliebten. Indem der Gläubige Ihn betrachtet, hat er in einem gewissen Mass Gemeinschaft mit Gott selbst, dessen Blick auf derselben Person ruht. Dass wir die Schönheit des Herrn bewundern dürfen, bildet dies nicht die Grundlage unserer Anbetung? Seine Schönheit in seiner moralischen Herrlichkeit hier auf der Erde, in seinem Opfer, seine Schönheit, die wir jetzt in der Herrlichkeit sehen, wo Er immer noch die Zeichen seiner Leiden trägt.
Wir betrachten auch sein ganzes Werk. Hier hat der Überrest den wahren David vor sich, der für ihre Befreiung und die Aufrichtung des Reiches kämpft. Im Blick auf uns handelt es sich um einen anderen Kampf. Es war der Kampf gegen die Mächte der Finsternis und den Feind unserer Seelen: «Durch den Tod hat er den zunichtegemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel» (Heb 2,14). Welch ein Lob wird aus den Herzen des Überrests aufsteigen, wenn den Juden bewusst wird, was für einen Kampf Er ausgefochten hat, um sie aus ihrer verzweifelten Lage zu befreien. Noch inbrünstiger wird sich das Lob aus unseren Herzen erheben, wenn wir uns an die Leiden erinnern, die Er erduldet hat, wie sie uns in den betrachteten Psalmen vorgestellt wurden: «die Mühsal seiner Seele», um dem Satan alle jene zu entreissen, die das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren.
Dann folgen die Herrlichkeiten des wahren Salomo, seine Pracht und seine Majestät, aber auch das «Furchtbare», das zum Reich der Gerechtigkeit und zum Zepter der Aufrichtigkeit führen wird. Fehlt nicht diese Note vielleicht allzu oft in unserem Lob, weil wir zu wenig sehen, wie der Herr in seiner Herrlichkeit in Macht herrschen wird, wenn Er den Frieden und die Gerechtigkeit gebracht haben wird?
Das Lob des einzelnen steigt zu Ihm empor; daneben gibt es auch das gemeinsame Lob. Im Blick auf uns ist es das der Versammlung. Zweifellos stellt die «Tochter» in Vers 11 in erster Linie Jerusalem dar, aber man kann diesen Gedanken auch auf die Versammlung von heute anwenden. Für sie gilt: «Höre … sieh … neige dein Ohr … vergiss.» Und Er sieht ihre «Schönheit», die Schönheit derjenigen, für die Er so viel gelitten hat. Die Hochzeit des Königs wird für den Überrest stattfinden, aber die Hochzeit des Lammes geht uns direkt an: «So huldige ihm!» In unserer Anbetung, wenn die Versammlung die Schönheit ihres Bräutigams betrachtet, wird sie nicht alles vergessen, was sie ihrer irdischen Herkunft nach ist? Wenn wir während des Gottesdienstes die Herrlichkeit des Herrn und seine Leiden betrachten, ist es dann nicht schon unser Vorrecht, alles zu vergessen, was uns beunruhigen könnte? Wir dürfen sogar unsere Schwachheiten und alles, was wir sind und was wir nicht sind, vergessen, um der Aufforderung nachzukommen: «Er ist dein Herr: so huldige ihm!»
Haben wir angesichts alles dessen, was der Geist uns von dem Geliebten in Erinnerung gerufen hat, nicht eine Verantwortung? In Psalm 16 haben wir unter anderem die moralische Herrlichkeit des Herrn Jesus, die Vollkommenheit seines Lebens als des von Gott abhängigen Menschen auf dieser Erde gesehen. Ohne Zweifel ein unübertreffliches Vorbild, das uns vorgestellt wird, besonders in den Evangelien und, was seine Empfindungen betrifft, auch in den Psalmen, «damit ihr seinen Fussstapfen nachfolgt» (1. Pet 2,21), und vor allem, damit wir «wachsen in der Gnade und Erkenntnis» seiner Person (2. Pet 3,18).
Unser Psalm hat uns seine öffentlich anerkannte Herrlichkeit vorgestellt, die Herrlichkeit des Messias, der in seiner Macht erscheint, des siegreichen Königs, der Frieden und Gerechtigkeit auf der Erde einführt. Diese Herrlichkeit werden wir mit Ihm teilen, wie wir in Offenbarung 5,10; 2. Timotheus 2,12 und in manchen anderen Stellen sehen. Wenn Er in Offenbarung 19,11-16 als «König der Könige und Herr der Herren» in seiner Herrlichkeit erscheint, folgen Ihm die Kriegsheere, die im Himmel sind. Dazu gehören zweifellos die Erlösten, die zuvor in den Himmel aufgenommen wurden. Er selbst nennt sich: «Das Wort Gottes». Er wird «Treu und Wahrhaftig» genannt. Und Er trägt zudem einen anderen Namen geschrieben, «den niemand kennt, als nur er selbst». Das ist seine persönliche Herrlichkeit, die für uns unerforschlich bleibt: «Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.» Diese Herrlichkeit werden wir nicht mit Ihm teilen. Aber wir werden sie, gemäss seinem Gebet, anschauen: «Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast» (Joh 17,5.24). In der Person des Sohnes bleibt ein Geheimnis verborgen, das allein der Vater kennt: «Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater» (Mt 11,27).
- 1Mit dem Ausdruck «Überrest» werden die Juden bezeichnet, die nach der Entrückung der Versammlung an Christus glauben und den Messias und sein Reich erwarten werden. Sie werden schreckliche Verfolgungen durchzumachen haben.