Die Wüstenwanderung (10)

4. Mose 19; 4. Mose 21,7-9; Johannes 3,14-15

4. Die Opfer

Die Verordnung der Opfer befindet sich im Wesentlichen in den ersten Kapiteln des 3. Buches Mose. Im 4. Buch Mose begegnen wir deren zwei, die charakteristisch sind für die Wüste und die wir sonst nirgends finden:

  • Die rote junge Kuh (Kap. 19) und
  • die kupferne Schlange (Kap. 21)

a) Die rote junge Kuh 1

(4. Mose 19)

Die Sünde wird uns in der Schrift unter einem zweifachen Gesichtspunkt vorgestellt:

  • als Vergehen, als Schuld im Blick auf die Gerechtigkeit Gottes, worauf die Vergebung antwortet (3. Mo 4 und 5);
  • anderseits, im Blick auf die Heiligkeit Gottes, als Befleckung, die eine Reinigung nötig hat.

Unser Kapitel, so wie auch Johannes 13, stellen diesen zweiten Fall vor. Was den Wandel des Gläubigen betrifft, gilt in Bezug auf die Wiederherstellung unter der Gnade: «Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit» (1. Joh 1,9).

Es handelt sich hier nicht um die Grundlage unserer Beziehungen zu Gott, wie in 3. Mose 16, damit der Herr inmitten seines Volkes wohnen kann, sondern um die Fehltritte, die auf dem Weg durch die Wüste leider so oft vorkommen. Hier werden sie dargestellt als Berührung mit dem Tod. Die Gesinnung des Fleisches ist der Tod; der Lohn der Sünde ist der Tod; wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben: Jede Äusserung des Fleisches anstelle des Lebens Christi in uns, ist sozusagen eine Berührung mit dem Tod. Die Sünden werden uns nicht mehr zugerechnet, uns, den Gläubigen, von denen Gott aufgrund «des ein für alle Mal geschehenen Opfers des Leibes Jesu Christi» sagen kann: «Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken» (Heb 10,10.17).Aber die Gemeinschaft mit dem Herrn wird dadurch unterbrochen; und wenn wir die Sünden nicht richten, setzen wir uns durch unser Versäumnis den Züchtigungen der Regierungswege Gottes aus (1. Kor 11,31.32).

Das Fleisch äussert sich in unserem persönlichen Verhalten (Vers 11); in der Familie, «im Zelt» (Vers 14); in unserer Arbeit und in unseren Beziehungen gegen aussen, «auf freiem Feld» (Vers 16). Obwohl unterschiedlich betont, behält es doch immer sein leidenschaftliches Wesen (Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei, Lästerung; Eph 4,31), oder seinen unreinen, verdorbenen Charakter (Hurerei, Unreinheit, Leidenschaft, böse Lust … Kol 3,5). Das Verschulden wird vielleicht nur ein einfaches «Gebein» sein (Vers 16): diese kleinen Dinge, auf die man nicht genügend achtgibt: Fehlende Geradheit oder Ehrlichkeit, unangebrachte Worte. Der Fehltritt kann auch die Art eines Grabes annehmen: Heuchelei, die die Sünde in einen anständigen Mantel kleidet. Erinnern wir uns im Blick auf «das Zelt», dass die Unreinheit alles befleckte, was sich darin befand, besonders auch «jedes offene Gefäss». Eine ernste Lektion für uns Eltern, oder ältere Brüder und Schwestern! Wenn wir uns streiten, wenn wir unsere nahen Verwandten in Misskredit bringen oder schlecht von ihnen oder von der Versammlung reden, werden die jüngeren, die Kinder, die jungen Gläubigen in der Familie uns hören und – als offene Gefässe – auch verunreinigt.

Alle diese Dinge verunreinigen, unterbrechen die Gemeinschaft mit dem Herrn und erfordern, dass die Seele unverzüglich gereinigt und wiederhergestellt werde. Das ist es, wofür die Asche des Opfers sorgt, die Erinnerung an die sühnenden Leiden des Christus.

Die Opfergabe der jungen Kuh

Sie wird uns vorgestellt als «ein für alle Mal» dargebracht. Bezogen auf den Tod Christi finden wir diesen Ausdruck in den Briefen verschiedene Male wieder. Die Asche stellt sodann das Zeugnis eines vollbrachten Werkes dar, dessen Anwendung auf Herz und Gewissen nötig ist und das zur Reinigung völlig genügt. Die junge Kuh selbst musste

  • ohne Fehl sein,
  • sie durfte kein Gebrechen haben und
  • kein Joch durfte auf sie gekommen sein.

Sie ist ein Vorbild von Christus,

  • der keine Sünde getan hat,
  • in dem keine Sünde war und
  • der Sünde nicht kannte.

Sie wurde vor das Lager hinausgeführt, wie der Herr Jesus, der hinausging, sein Kreuz tragend, um ausserhalb des Tores gekreuzigt zu werden. Ihr Blut musste siebenmal gegen die Vorderseite des Zeltes der Zusammenkunft hin gesprengt werden, d.h. zum Zeugnis für den Menschen, der herzunahte und nicht vor Gott im Allerheiligsten wie am grossen Versöhnungstag.

Eleasar, der Priester, opfert die Gabe nicht selbst: «Man soll sie vor ihm schlachten … man soll die junge Kuh vor seinen Augen verbrennen.» Das Feuer des Gerichts verzehrt alles: die Haut, das Fleisch, das Blut, den Mist. Der Priester nimmt Zedernholz, Ysop und Karmesin und wirft es mitten in den Brand des Opfers: Der Gläubige wird dahin geführt, alles, was die Welt anbieten kann, vom Höchsten bis zum Bescheidensten, alle menschliche Herrlichkeit, alles, was der natürliche Mensch sich auf dieser sündigen Erde wünschen könnte, unter den Tod Christi gestellt zu betrachten (Gal 6,14). Für den Glauben verschwindet die Herrlichkeit dieser Welt im Gericht des Kreuzes.

Anschliessend wird die Asche gesammelt und ausserhalb des Lagers an einem reinen Ort niedergelegt, um aufbewahrt zu werden zum Wasser der Reinigung, zur Entsündigung. Das Opfer der jungen Kuh wird nicht erneuert werden, aber das lebendige Wasser – der Heilige Geist – wird die Asche anwenden – die Erinnerung an die Leiden Christi und an das Zeugnis eines wirksamen Werkes – auf den, der unrein wird.

Wie vollzieht sich diese Reinigung?

Nachdem sich der Schuldige seines Fehltrittes bewusst wurde, hatte er sich einem reinen Mann anzuvertrauen, der am dritten Tag (nicht sofort, das Empfinden des Fehlers musste vertieft werden) von dem Wasser, das die Asche enthielt, auf ihn, den Unreinen, sprengte. Wie wir gesehen haben, bezieht sich die Unreinheit in diesem Kapitel auf die Beschmutzung der Wüste, obwohl sie durch jede Sünde bewirkt wird. In der Praxis sind das für uns vor allem die schwachen Seiten und Mängel unseres Charakters und Verhaltens, diese häufigen Äusserungen des Fleisches in unserem Wandel. über die wir oft zu leicht hinweggehen, ohne sie überhaupt zu bemerken. Doch ist es wichtig, sich darüber Rechenschaft zu geben, sie zu bereuen und zu bekennen. Das ist eine Übung des Gewissens, die sich bis zum dritten Tag vertieft, an dem der Heilige Geist, um die Seele wieder zu beleben, sie an die Leiden Christi erinnert. Er lässt sie aufs Neue fassen, dass der Herr Jesus auch für diese bestimmte Sünde sterben musste.

Die Übung muss noch weiter gehen. Der unreine Mensch in Israel musste bis zum siebten Tag warten, damit der reine Mann ein zweites Mal von diesem Wasser mit der Asche auf ihn sprenge. Dann wusch er seine Kleider und badete sich im Wasser «und am Abend wird er rein sein». Dieses Werk des Gewissens vom dritten bis zum siebten Tag entspricht dem Selbstgericht, diesem Suchen der tieferen Gründe unseres Fehlens im göttlichen Licht. Das Gedenken an das vollkommene Werk Christi erstreckt sich dann nicht nur bis zu einem bestimmten Fehltritt, sondern bis zur eigentlichen Wurzel des Bösen. Gerade dies machte es nötig, dass Er für uns zur Sünde gemacht wurde. Wenn ich zum Beispiel zu jemandem böse Worte gesagt habe, geziemt es sich, sobald es mir bewusst wird, die Sache dem Herrn zu bekennen. Dann ist es wichtig, im Stillen, allein mit Gott, die begangene Sünde wirklich zu verurteilen, vor Ihm geübt zu sein, nicht nur bezüglich der ausgesprochenen Worte, sondern auch über das, was dazu geführt hat: die Gedanken, die ich vielleicht schon lange gegen die betreffende Person in meinem Herzen genährt habe. Man wird so dahin geführt – im Bewusstsein dessen, was es den Herrn gekostet hat, dafür an unserer Stelle zu leiden – nicht nur die Worte zu verurteilen, sondern auch den Zustand des Geistes und des Herzens, der dazu geführt hat. Man wird sein Vergehen gegenüber dem Betroffenen eingestehen und sich bemühen, es wiedergutzumachen.

Das Wort muss nachher das Zeugnis gegen aussen (Kleider) und die Person selbst (sich im Wasser baden) in Ordnung bringen. In den Sprüchen wird uns gesagt: Wer seine Übertretungen bekennt und lässt, wird Barmherzigkeit erlangen (Spr 28,13). Dazu ist Wachsamkeit und Nüchternheit (wörtlich: Selbstkontrolle) nötig, ohne von der Hand oder dem Fuss zu reden, die es vielleicht «abzuhauen» gilt (Mt 18,8).

Ein Mann der priesterlichen Familie, der sich einmal verunreinigt hatte, blieb es «bis an den Abend». Während all dieser Zeit, bis die Sonne untergegangen war, durfte er nicht von den heiligen Dingen essen. Dann erst konnte er sein Fasten beendigen (3. Mo 22,6.7). Gibt es darin nicht auch eine Belehrung für uns, sei es im geistlichen oder täglichen Leben? Die Gemeinschaft mit dem Herrn kann nicht wiederhergestellt werden, ohne dass die Reinigung erfüllt ist. Vorher kann man sich nicht wirklich von «den heiligen Dingen» nähren. Das Fasten, das der Schuldige beachten musste, redet es nicht in ganz praktischer Weise zu uns von einer gewissen persönlichen Selbstdisziplin, die zu einer wahren Wiederherstellung gehört?

Der reine Mann

«Der reine Mann», der das lebendige, mit der Asche gemischte Wasser sprengen musste, erinnert an den, der dem Beispiel des Meisters folgend, die Füsse seiner Brüder wäscht (Joh 13,14). Er selbst wurde dadurch unrein bis an den Abend (Vers 21). Ein Mensch, so gottesfürchtig er sein mag, wird sich nicht mit dem Bösen beschäftigen können, auch nicht bei seinem Nächsten, ohne dadurch irgendwie in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Das gegenseitige Bekennen nach Jakobus 5,16, um füreinander beten zu können, kommt diesem nahe. Nicht zu vergessen ist, dass ein solches Bekenntnis absolute Verschwiegenheit verlangt: Der, der einen Sünder von seinen Verirrungen zurückführt, «bedeckt eine Menge von Sünden», d.h. er bewahrt völliges Stillschweigen darüber (Jak 5,20).

Erinnern wir uns auch an Galater 6,1: «wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, wobei du auf dich selbst siehst, dass nicht auch du versucht werdest.» Wer geistlich ist und berufen, seinen Bruder in einem Geist der Sanftmut zurechtzubringen, muss sich indes, aus Furcht, seinerseits zu fallen, selbst in Acht nehmen. Macht nicht gerade das einen Teil der Übung des Mannes aus, der das Wasser auf seinen unreinen Bruder sprengt?

Wir wollen aber hervorheben, dass im Neuen Testament jeder Gläubige direkten Zugang zu Gott hat und keinen Mittler auf der Erde benötigt, weder um Ihm seine Sünden zu bekennen, noch zu Ihm zu beten oder Ihn anzubeten. Aber diese Grundwahrheit schliesst diesen brüderlichen Beistand in Gnade nicht aus, den die Geschwister einander in der Furcht des Herrn und in der Sanftmut der Liebe leisten können.

Übersehen wir zum Schluss den Ernst des 20. Verses nicht: «Wenn jemand unrein wird und sich nicht entsündigt, diese Seele soll ausgerottet werden aus der Mitte der Versammlung; denn er hat das Heiligtum des HERRN verunreinigt.» Wenn sich ungerichtete und nicht bekannte Sünden auf dem Gewissen ansammeln, wird die Gemeinschaft mit dem Herrn getrübt, der Klang des geistlichen Lebens wird gedämpft, und dies kann den Schuldigen von Fall zu Fall bis zum Ausschluss führen, der unumgänglich ist, weil der Herr in der Mitte seines Volkes wohnt (vgl. 4. Mose 5,2; 1. Kor 5,11.13).

b) Die kupferne Schlange

(4. Mose 21,7-9; Joh 3,14.15)

Zum ersten Mal in der dunklen Geschichte des 4. Buches Mose sagt das Volk mit Aufrichtigkeit: «Wir haben gesündigt, dass wir gegen den HERRN und gegen dich geredet haben» (21,7). Es brauchte den Biss der Schlange, das Bewusstwerden der ganzen Bosheit des Feindes, des Giftes, das dem Fleisch mit seinem satanischen Ursprung in uns entspricht, um das Volk soweit zu bringen.

Mose betet für das Volk; der HERR beauftragt ihn, eine kupferne Schlange auf eine Stange zu tun, damit jeder, der sie anschaute, am Leben blieb.

«Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden …» (Joh 3,14), sagte der Herr Jesus in der denkwürdigen Nacht, da Nikodemus zu Ihm gekommen war. Aus dem Mund des Heilandes haben wir die Gewissheit, dass gerade Er es ist, auf den die Schlange hindeutete. Wie ist es möglich, dass hier eine Schlange und nicht ein Lamm ein Bild des Herrn Jesus sein kann? In der ganzen Schrift stellt die Schlange den Teufel dar (Off 20,2). Der junge Stier, der Widder, die Turteltaube, reine Tiere, sind ein Bild des makellosen Opfers für unsere Sünden. Der Abgrund, in den der Herr der Herrlichkeit herabsteigen musste, war viel tiefer als seine physischen Leiden oder die Erniedrigung, die Er in seinem Leben erfuhr: «Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht» (2. Kor 5,21). «Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist» (Gal 3,13). In den drei Stunden der Finsternis, o unergründliches Geheimnis, wurde der Sohn Gottes, der vollkommene Mensch, das makellose Opfer, wie zu einer «Schlange» gemacht, und unter dem unendlichen Gewicht des göttlichen Fluches wie die Sünde selbst behandelt. Einen solchen Christus muss man anschauen, um gerettet zu werden, nicht nur als das Vorbild, das Er in seinem Leben und sogar in seiner Hingabe bis in den Tod war: «… so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.»