4. Die Liebe des Vaters
Der Blick zum Vater und zu seiner Liebe (V. 1)
Mit dem Ausruf «Seht!» in Vers 1 richtet Johannes die Augen der Kinder Gottes auf den Vater. Viel zu oft blicken wir auf uns und denken über uns selbst nach. Wir nehmen unsere schwankenden Stimmungen – einmal oben, dann wieder unten – so wichtig. Aber nicht wir sind wichtig. Auch das, was wir für den Vater sind, ist nicht so bedeutsam. Viel wichtiger ist das, was der Vater für uns ist. Deshalb schreibt der Apostel: Seht von euch weg auf den Vater, dann werdet ihr glückliche Christen!
Wenn wir in uns hineinsehen, beschäftigen wir uns mit unseren Veranlagungen. Dann bekommt der eine Komplexe, der andere wird überheblich. Wenn wir jedoch unser Auge auf den himmlischen Vater richten, erblicken wir eine wunderbare Liebe. «Seht, welch eine Liebe!» Damit ist nicht der Umfang der Liebe gemeint, die wir empfangen haben, sondern ihre besondere Art.
Schon im natürlichen Leben gibt es unterschiedliche Arten von Beziehungen der Liebe. Es gibt die eheliche Liebe, die Liebe der Eltern zu ihren Kindern, die Freundesliebe, Liebe unter Kameraden. Die Liebe in der Ehe geht tiefer als die Freundesliebe oder die Liebe unter Kameraden.
Auch Gott zeigt seine Liebe in seiner Beziehung zu den Menschen nicht immer in der gleichen Art. Wir kennen die Liebe des HERRN zu seinem irdischen Volk. Sie ist wunderbar und göttlich. Dennoch unterscheidet sie sich von der Liebe des himmlischen Vaters zu seinen Kindern. Da offenbart sich seine Liebe in der vertrauten Beziehung der göttlichen Familie. Die Ursache dafür liegt nicht darin, dass wir besser wären als die Gläubigen des Alten Testaments. Keineswegs! Nein, dieser wunderbare Strom der Liebe, der jetzt zu uns fliesst, ist die verherrlichte Gnade des Vaters. «Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat!»
Was meint Johannes mit dem Vater?
In der Bibel finden wir Gott als Vater in dreierlei Hinsicht:
- Gott als Vater ist in der Bibel häufig der Ursprung von etwas. So wird Er «Vater der Lichter», «Vater der Herrlichkeit» oder «Vater der Erbarmungen» genannt (Jak 1,17; Eph 1,17; 2. Kor 1,3). Das hat folgende Bedeutung: Wenn es Licht oder Herrlichkeit oder Erbarmen gibt, dann hat dies seinen Ursprung in Gott.
- Die Bezeichnung «Vater» wird zudem benutzt, um Gott, den Vater, von Gott, dem Sohn, zu unterscheiden. So hat der Herr Jesus oft vom Vater gesprochen, z.B. in der sogenannten Bergpredigt. Auch bei der christlichen Taufe finden wir den Ausdruck Vater auf diese Weise. So lautet der Taufauftrag: «Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes» (Mt 28,19). Da werden die Personen in der Gottheit unterschieden.
Die Dreieinheit Gottes ist erst im Christentum bekannt geworden. Obwohl sie schon immer bestanden hat, kannten sie die Gläubigen des Alten Testaments nicht. Sie wurde erst durch das Kommen des Sohnes offenbart. Wenn man also bei der Taufe sagt: «Ich taufe dich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes», drückt man dadurch aus, dass es eine christliche Taufe ist. - Der Ausdruck «Vater» wird auch benutzt, wenn es um Beziehungen und Gemeinschaft geht. Das ist besonders das Thema von Johannes, wenn er vom Vater spricht. Wir dürfen Kinder Gottes heissen und in einer täglichen Beziehung zum Vater leben und so die Gemeinschaft mit Ihm geniessen. Daran denkt der Apostel hier, wenn er sagt: «Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat!»
Diese unterschiedliche Bedeutung von «Vater» möchte ich an einem Beispiel klarmachen:
- Wenn es meinen Vater nicht gegeben hätte, dann würde es mich auch nicht geben, denn er ist mein Ursprung.
- Wir lebten viele Jahre in zwei Häusern nebeneinander. Da mein Vater und ich den gleichen Vornamen hatten, war es für den Postboten recht schwierig, die Briefe am richtigen Ort einzuwerfen. Deshalb musste die Adresse eine unterschiedliche Bezeichnung haben: entweder «Max Billeter Senior» oder «Max Billeter Junior». Nur so konnte der Briefträger uns unterscheiden.
- Ich habe mehr als 20 Jahre mit meinem Vater auf unserem Bauernhof zusammengearbeitet. Dabei ist eine Beziehung entstanden, von der weder der Postbote noch die Dorfbewohner etwas wussten. Wenn z.B. ein Viehhändler kam, mussten wir manchmal nicht einmal miteinander sprechen, um uns zu verständigen. Wir brauchten nur mit den Augen zu zwinkern, damit der eine wusste, was der andere meinte.
Die Welt erkennt uns nicht (V. 1)
Mit «Welt» sind hier die unbußfertigen Menschen gemeint, die sich auf der Erde organisieren, um ihre Ziele zu erreichen, um glücklich zu sein und Sicherheit zu haben – aber alles ohne Gott. Diese Gesellschaft erkennt uns nicht, d.h. sie kann uns als Kinder Gottes nicht verstehen. Sie kann unsere neue Natur nicht ergründen und unser Verhalten nicht begreifen.
Es gibt viele Kinder Gottes, die den Beifall der Welt suchen. Für sie ist es das Höchste, wenn ein Ungläubiger positiv über sie spricht. Das kommt natürlich manchmal vor, wenn wir uns anständig benehmen. Dann sagen die Leute: «Eins muss man den Frommen lassen, sie sind ordentlich.»
Doch Johannes erklärt uns hier, dass die Ungläubigen uns im Grund nie verstehen. Diese Tatsache muss uns klar werden, weil wir – wie jeder Mensch – wünschen, von den anderen verstanden zu werden. Es geht hier noch nicht um Hass. Bereits das Nichtverstanden-Werden macht uns Mühe. Nun dürfen wir wissen: Genauso haben sie unseren Herrn nicht erkannt (1. Kor 2,8). Das war auch für Ihn nicht leicht. Denken wir daran!
Wenn wir als Glaubende von den ungläubigen Mitmenschen nicht verstanden werden, weil wir ihre Ideen nicht teilen und uns anders verhalten als sie, dann dürfen wir wissen, dass sie auch unseren Heiland nicht erkannt haben. Dieser Gedanke tröstet uns und hilft uns, seine Schmach für Ihn zu tragen.
Nicht verstanden zu werden ist bereits unangenehm. Doch in Kapitel 3,13 schreibt Johannes: «Wundert euch nicht, wenn die Welt euch hasst.» Das liegt zwar auf derselben Linie, geht aber noch einen Schritt weiter. Auch das hat der Herr erfahren. Darum sagt Er prophetisch: «Für meine Liebe feindeten sie mich an» (Ps 109,4).
Wir sind Geliebte (V. 2)
In Vers 2 redet Johannes die Empfänger mit «Geliebte» an. Diese Anrede benutzt er wiederholt. Hier bedeutet sie: Die Sonne der Liebe des Vaters scheint alle Tage auf die Seinen. Aus Kapitel 2,1 wissen wir, dass sich durch unsere Sünden Wolken vor diese Sonne der Liebe schieben können. Das heisst aber nicht, dass der Vater uns nicht mehr liebt, wenn wir gesündigt haben. Aber die Strahlen seiner Liebe erreichen uns nicht mehr, bis die Sache geordnet ist. Dennoch bleibt es jeden Tag wahr: Gott, der Vater, liebt uns!
Wir sind Kinder Gottes (V. 2)
«Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes.» Diese Beziehung zu Gott gab es im Alten Testament noch nicht. Die gläubigen Menschen wurden damals noch nicht als Kinder Gottes bezeichnet. Viele von ihnen – treue Männer und treue Frauen – werden uns als Vorbilder vorgestellt. Denken wir an Hebräer 11! Abraham wird sogar Freund Gottes genannt. Trotzdem kannten sie die Gemeinschaft in der Familie Gottes nicht. Erst seitdem der Sohn Gottes auf die Erde gekommen, am Kreuz gestorben und auferstanden ist, gibt es Kinder Gottes. Seither empfangen glaubende Menschen ewiges Leben. Dieses Leben in Überfluss bringt sie als Kinder in Beziehung zum himmlischen Vater und schenkt ihnen eine neue Heimat.
In der ersten Schöpfung bildete Gott die Erde und Er schuf den Menschen, damit dieser ewig auf der Erde lebe. Er machte auch die Himmel und schuf die Engel, die in diesem geschaffenen himmlischen Bereich leben sollten. Trotz des Sündenfalls wird Er zu seinem Ziel kommen: Es wird Menschen geben, die in alle Ewigkeit in wunderbarer Freude auf der neuen Erde leben werden. Das sind die Gläubigen des Alten Testaments und die Menschen, die nach der Entrückung und im Tausendjährigen Reich zum Glauben kommen. Gottes Plan mit der ersten Schöpfung wird also in Erfüllung gehen.
Doch der ewige Ratschluss Gottes beinhaltet, dass ein Teil der Menschen ein neues Zuhause bekommt. Die Menschen, die in der Zeit der Gnade leben und die Versammlung Gottes bilden, haben eine himmlische Heimat. Nicht die neue Erde, sondern das Haus des Vaters wird ihr ewiges Zuhause sein.
Wenn wir unsere himmlische Berufung verstehen, werden wir hier zu Fremden, weil die Erde nicht unsere Heimat ist. Wir werden zudem zu Pilgern, weil wir dem himmlischen Ziel entgegengehen.
Manchmal warnen wir die jungen Gläubigen vor der gefährlichen Welt, damit sie sich von ihr absondern. Doch das gibt ihnen keine Kraft, nicht in die Welt zu gehen. Erst das Bewusstsein, dass unser ewiges Zuhause im Himmel ist, trennt uns von der Welt und löst unser Herz von der Erde.
Das «jetzt» in Vers 2 sagt, dass wir heute schon Kinder Gottes sind. Das ist ein bekanntes, gesichertes und gegenwärtiges Teil. Wir besitzen jetzt als Fremde auf der Erde das ewige Leben und eine Beziehung zum Vater im Himmel. Aber wir sind noch nicht im Haus des Vaters, in der Heimat des ewigen Lebens angelangt. Darum spricht der Apostel in der Folge von unserer Zukunft.
Wir kennen unsere Zukunft (V. 2)
«Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden.» Dieser Satz wird oft falsch verstanden. Man meint, die Kinder Gottes wüssten noch nicht, was sie in der Zukunft erwartet. Diese Aussage bedeutet jedoch: Das, was wir als Kinder Gottes sein werden, ist heute vor den Menschen noch nicht sichtbar. Wir wissen sehr wohl, wie unsere Zukunft aussieht. Aber die Welt sieht es noch nicht. Die Ungläubigen behaupten, wir hätten es ja gar nicht besser als sie. Sie sagen: Ihr werdet alt und krank, müsst im Schweiss eures Angesichts arbeiten; es geht euch kein bisschen besser als uns. Sie sehen nicht, welche Vorrechte wir besitzen, weil unsere herrliche Zukunft noch nicht sichtbar ist.
Aber wenn sie offenbar werden wird, werden wir erstens unserem Herrn gleich sein und zweitens Ihn sehen, wie Er ist. Das sind die beiden grossen Aspekte der Zukunft der Kinder Gottes: «Wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.» Das «Denn» leitet hier nicht eine Erklärung des vorhergehenden Satzes ein, sondern führt zu einem neuen Gedanken.
Wir werden Ihm gleich sein (V. 2)
Das ist die eine Seite unserer Zukunft. Ihm gleich zu sein, wird bei der Erscheinung des Herrn Jesus wahr werden. Wenn wir mit Ihm in Herrlichkeit auf die Erde kommen, werden die Menschen sehen, dass wir Ihm gleich sind. In Johannes 17,22.23 wird das noch deutlicher ausgeführt: «Die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind; ich in ihnen und du in mir, damit sie in eins vollendet seien und damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast.» Wir werden mit dem Herrn Jesus erscheinen und die Menschen werden sehen, dass die Liebe des Vaters, die zum Sohn fliesst, auch zu uns fliesst.
Beim Kommen des Herrn Jesus in Macht und Herrlichkeit werden die dann auf der Erde lebenden Gläubigen sehen, wie die Glaubenden der Gnadenzeit mit Christus in seiner öffentlichen Herrlichkeit verbunden sind. Paulus schreibt dazu in Römer 8,29: «Denn welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein». Das wird wahr werden, wenn wir mit dem Herrn Jesus in Herrlichkeit erscheinen werden.
Wir werden ihn sehen, wie er ist (V. 2)
Das ist die zweite Seite unserer Zukunft. Diese Wahrheit ist noch höher als die erste. Hier geht es um das Haus des Vaters. In Johannes 17,24 finden wir eine Beschreibung dieser Tatsache. Dort wird uns etwas vom Inhalt des Vaterhauses gezeigt: «Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast, denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.» Wenn es um das Vaterhaus geht, steht also nicht der Ausdruck «ihm gleich sein» im Vordergrund, sondern der Satz: «Wir werden ihn sehen, wie er ist.»
«Ihn sehen, wie Er ist» bedeutet nicht, dass wir Ihn sehen werden, wie Er war. So haben die Jünger Ihn gesehen. Es bedeutet auch nicht, dass wir Ihn sehen werden, wie Er als der verherrlichte Mensch im Himmel geworden ist. So hat Ihn Stephanus gesehen. Die Aussage in unserem Vers geht noch ein wenig weiter.
Als ewiger Sohn besass Er eine Herrlichkeit, ehe die Welt war. Es ist die Liebe des Vaters zum Sohn vor Grundlegung der Welt. In Johannes 17,5 bittet der Herr Jesus, dass Er als Mensch mit dieser Herrlichkeit bekleidet werde. Warum will Er das? Damit wir sie sehen können. Am Menschen Jesus Christus werden wir die Herrlichkeit des ewigen Sohnes sehen. Wir werden uns in der intimen Atmosphäre des Hauses des Vaters aufhalten und dort den ewigen Strom der Liebe vom Vater zum Sohn betrachten.
Nach Römer 8,29 sind wir dazu bestimmt, «dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein». Wir haben bereits gesehen, dass dies wahr werden wird, wenn wir öffentlich mit Christus erscheinen. Aber die Fortsetzung des Verses weist auf das Vaterhaus hin: Dort wird Er «der Erstgeborene unter vielen Brüdern» sein. Er wird aus allen Menschen, die sich im Vaterhaus befinden, herausragen. Er schämt sich zwar nicht, uns Brüder zu nennen (Heb 2,11). Aber Er ist allezeit der Erstgeborene unter vielen Brüdern, d.h. der Vornehmste von allen. Denn Er ist als verherrlichter Mensch gleichzeitig der Sohn Gottes, der ewig vom Vater geliebt ist.
Wenn wir mit Ihm in Herrlichkeit erscheinen, werden wir uns sozusagen an unserem «Arbeitsplatz» befinden. Es wird unsere Aufgabe sein, auf der Erde die Herrlichkeit des Herrn Jesus sichtbar zu machen.
Aber unser «Daheim» ist im Haus des Vaters. Dort haben wir keine Aufgaben mehr. Wenn wir dort den Strom der Liebe des Vaters zum Sohn sehen, werden wir völlig zur Ruhe kommen. Voll Bewunderung werden wir aus freien Stücken den Vater und den Sohn anbeten.
Die reinigende Wirkung der Hoffnung (V. 3)
Vers 3 ist keine Ermahnung, sondern eine Feststellung. Trotzdem hat sie mit der Praxis unseres Lebens als Kinder Gottes auf der Erde zu tun: Je mehr wir mit unserer Zukunft beschäftigt sind, desto mehr werden wir uns von allem reinigen, was nicht in Übereinstimmung damit ist.
Beachten wir die Genauigkeit der Heiligen Schrift! Es steht hier nicht: Jeder, der diese Hoffnung hat, ist rein, wie Er rein ist. Das wäre von uns nicht wahr, denn wir alle straucheln oft. Aber es heisst auch nicht: Jeder reinigt sich selbst, wie Er sich gereinigt hat. Das würde die Herrlichkeit des Herrn Jesus antasten. Er musste sich nie reinigen. Aber es heisst: «Jeder, der diese Hoffnung hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist.»
Der Herr Jesus ist rein. Das erfüllt uns mit tiefer Freude. Drei Apostel zeugen von dieser Tatsache:
- Petrus als Mann des Verhaltens und der Taten schreibt: «Der keine Sünde tat.» Der Herr Jesus hat in seinem ganzen Leben keine Sünde getan.
- Paulus als Mann der Grundsätze, der Lehre und der Erkenntnis schreibt: «Der Sünde nicht kannte.» Der Herr Jesus wusste natürlich, was Sünde war. Er kannte auch ihre Schrecklichkeit. Aber in allen Lehren des Herrn Jesus war kein Grundsatz der Sünde.
- Johannes als der Mann der Gemeinschaft schreibt mit innerer Herzensüberzeugung: «Sünde ist nicht in ihm.» Nie hat eine Sünde seine Gemeinschaft mit dem Vater unterbrochen.
Wir neigen uns vor unserem Herrn und Heiland. Er ist heilig und rein.