Das Evangelium nach Markus (24)

Markus 15,22-47

Das Kreuz (2)

Verse 22-32

Dem Herrn wird keine Beleidigung oder Demütigung erspart. Nachdem die Soldaten Ihn an der Schädelstätte gekreuzigt haben, werfen sie das Los über seine Kleider. Mit der Überschrift seiner Beschuldigung «Der König der Juden» machen sie in ihrem Spott die jüdische Nation verächtlich und kreuzigen Ihn gleichzeitig zwischen zwei Räubern.

Man könnte denken, dass wenigstens die Vorübergehenden sich von dieser schrecklichen Szene abwendeten, aber selbst sie schütteln ihre Köpfe, beschimpfen Ihn, treiben Missbrauch mit seinen Worten und fordern Ihn heraus: «Rette dich selbst und steige herab vom Kreuz.»

Die Hohenpriester und Schriftgelehrten stimmen in den Spott mit ein, indem sie untereinander sagen: «Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten.» Wie wenig war ihnen bewusst, dass dies tatsächlich der Wahrheit entsprach. Aber was sie hinzufügen, ist total falsch, denn sie sagen: «Der Christus, der König Israels, steige jetzt vom Kreuz herab, damit wir sehen und glauben.» Der Glaube kommt durch Hören, nicht durch Sehen. Ausserdem wäre der Glaube vergeblich gewesen, wenn Er vom Kreuz herabgestiegen wäre. Wir wären noch in unseren Sünden.

Schliesslich wird der Christus Gottes von den gemeinsten Verbrechern abgelehnt und verspottet, denn wir lesen: «Auch die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn.»

Verse 33-36

Wir haben gesehen, wie der Herr von allen Menschen, vom höchsten bis zum niedrigsten, verworfen und von seinen Jüngern verlassen wurde. Nun ist es uns erlaubt, von seinen viel tieferen Leiden zu hören, als Er von Gott verlassen wurde. Es sind nicht mehr länger der Neid, die Bosheit und die Grausamkeit der Menschen, die Er zu erdulden hat, sondern es ist die Strafe der Sünde, als Er von einem heiligen Gott dem Tod überliefert wurde. In diese feierliche Szene kann oder soll kein Mensch eindringen. Finsternis war über dem Land. Christus hatte es allein mit Gott zu tun, als Er, der keine Sünde kannte, zur Sünde gemacht wurde, und war deshalb vor jedem Auge verborgen. Zur Sünde gemacht, musste Er das Verlassensein von Gott erdulden. Aber dürfen wir nicht sagen, dass Er für Gott nie kostbarer war als in diesen Stunden, da Er in vollkommenem Gehorsam das Verlassensein von Gott erduldete? Er verherrlichte den Vater zu aller Zeit, aber nie in grösserem Mass als hier, da Er zur Sünde gemacht und verlassen wurde. Dass ein solches Opfer notwendig war, verherrlicht die heilige Natur Gottes; dass solch ein Opfer gegeben werden konnte, verherrlicht die Liebe Gottes. Kein geringeres Opfer konnte die Verherrlichung Gottes sicherstellen oder das Heil der Menschen bewirken.

Aber was muss es für seine heilige Natur gewesen sein, zur Sünde gemacht zu werden? Als Er in diese Welt kam, wurde von Ihm als dem «Heiligen» gesprochen; als Er sie verliess, wurde Er «zur Sünde gemacht». Der, der von Ewigkeit her der Gegenstand der Wonne des Vaters war, ist verlassen. Aus dem 22. Psalm lernen wir, dass der Eine, der ausrief: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?», allein die Antwort darauf geben kann. «Du bist heilig, der du wohnst bei den Lobgesängen Israels.» Wenn der Vorsatz Gottes, inmitten eines lobpreisenden Volkes zu wohnen, erfüllt werden soll, dann muss zuerst die Heiligkeit Gottes befriedigt werden. Nichts anderes als das Opfer Christi, des Lammes ohne Fehl und ohne Flecken, kann den heiligen Ansprüchen eines heiligen Gottes in Bezug auf die Sünde genügen.

Verse 37,38

Als alles vollbracht war, «gab Jesus einen lauten Schrei von sich und verschied». Sein Schrei mit lauter Stimme war tatsächlich der Beweis, dass sein Tod nicht die Folge der Erschöpfung und des Versagens der natürlichen Kräfte war. Jemand hat gesagt: «Jesus starb nicht, weil Er nicht mehr lebensfähig war, wie das sonst bei allen der Fall ist.» Wenn die Heiligkeit Gottes befriedigt und die Errettung von Sündern möglich gemacht werden sollte, dann musste Er sterben; aber niemand nahm sein Leben von Ihm. Er selbst liess sein Leben.

Und sogleich zerriss der Vorhang des Tempels in zwei Stücke, von oben bis unten. Der Vorhang trennte das Heiligtum vom Allerheiligsten. Dieser Ort redete von der Gegenwart Gottes, aber der Mensch war davon ausgeschlossen. Das war das Kennzeichen der Zeitperiode des Gesetzes. Gott war gegenwärtig, aber der Mensch unfähig, Gott zu nahen. Der Riss durch den Vorhang verkündigte, dass das Judentum vorbei war. Aber nicht nur das, er verkündigt auch, dass Gott jetzt gerechterweise in Gnade mit der guten Botschaft der Vergebung für die Menschen hervortreten kann, und dass der Mensch auf der Grundlage des kostbaren Blutes Gott nahen kann.

Vers 39

Als das grosse Werk am Kreuz vollbracht war, erhob sich als erstes Zeugnis zur Verherrlichung der Person Christi die Stimme eines Heiden. Er ist der Vorbote des neuen Tages, an dem eine grosse Schar aus den Nationen den Heiland als den Sohn Gottes bekennen wird. Dieser Hauptmann hatte zweifellos manch einen auf dem Schlachtfeld sterben sehen, aber nie ein Sterben wie das Sterben Christi. Er erkennt, dass der, der mit einem lauten Schrei seinen Geist übergeben kann, mehr als ein Mensch sein muss. So kann er sagen: «Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!»

Verse 40,41

Dann werden gewisse Frauen, die dem Herrn in den Tagen seines Fleisches hingebungsvoll gefolgt waren und Ihm mit ihrer Habe gedient hatten, ehrenhaft erwähnt. In Liebe waren sie dem Herrn in seinem Leben des Dienstes nachgefolgt, sie blieben Ihm treu, als Er den Tod am Kreuz erduldete, und dann sahen sie zu, als sein Leib in die Gruft gelegt wurde. Es ist leicht, bei ihrem Mangel an Verständnis zu verweilen, während man im Blick auf ihre hingebungsvolle Liebe weit hinter ihnen zurückbleibt.

Verse 42-47

Wenn zur Zeit der Gefahr, als die Jünger flohen, diese hingebungsvollen Frauen hervorleuchten, so findet auch ein ehrbarer Ratsherr den Mut, kühn hervorzutreten und um den Leib Jesu zu bitten, um ihn zu begraben. Obwohl ein wahrer Gläubiger, der das Reich Gottes erwartete, mag seine hohe soziale Stellung ihn daran gehindert haben, sich zu dem niedriggesinnten Jesus und seinen bescheidenen Jüngern zu bekennen. Doch, wie so oft, zwingt das Mass des Bösen den Glauben, sich zu offenbaren, und jene, von denen wir urteilen, dass bei ihnen geistlich nicht viel vorhanden sei, stellen sich klar auf die Seite des Herrn, während andere, von denen wir die Führung erwarten, gänzlich versagen.

So geht das Wort Gottes aus Jesaja 53,9 in Erfüllung: «Und man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod.» Wenn es den Menschen gewährt wurde, unter allen erdenklichen Beleidigungen Christus ans Kreuz zu nageln, damit der Ratschluss Gottes zur Ausführung komme, so wird nun – nachdem das grosse Werk vollendet ist – Sorge getragen, dass sein Leib mit gebührender Ehrfurcht, und ohne weitere Beleidigungen vonseiten böser Menschen, begraben wird.