Das Evangelium nach Markus (17)

Markus 12,18-44

Die Verwerfung seitens der Führer (2)

Verse 18-27

Die Pharisäer sind im Licht der Gegenwart des Herrn blossgestellt und zum Schweigen gebracht worden. Jetzt nähern sich die Sadduzäer, aber nur, damit auch ihre Unwissenheit und ihr Unglaube enthüllt werden. Die Sadduzäer waren die Materialisten und Rationalisten jener Tage und verkörperten den Unglauben des Fleisches. In Wahrheit ist gesagt worden: Die Stärke des Unglaubens liegt darin, Schwierigkeiten aufzustellen, fingierte Fälle vorzubringen, die nicht zutreffen, und von den Dingen der Menschen Schlüsse auf die Dinge Gottes zu ziehen. In diesem Fall suchen diese bösen Menschen der Wahrheit dadurch zu widerstehen, dass sie sie ins Lächerliche ziehen. Sie bringen einen gestellten Fall vor, von dem sie glauben, dass er die Unsinnigkeit der Auferstehung zeige. Aber es ist hier wie gewöhnlich mit den Ungläubigen: Sie verraten eine grobe Unkenntnis der Schrift und übersehen die Kraft Gottes. Wenn die Schrift gesagt hätte, dass die Menschen in ihrem Auferstehungszustand heiraten würden, hätte dieser fingierte Fall tatsächlich eine Schwierigkeit geboten. Und wenn Gott keine Kraft hätte, wäre die Auferstehung eine Sache der Unmöglichkeit.

Es gibt keine Stelle in der Schrift, die sagt, dass die Beziehungen der Erde im Himmel fortgesetzt würden. Wir werden nicht als Eheleute, als Eltern und Kinder, als Herren und Knechte auferstehen, sondern in dieser Hinsicht wie Engel sein. Wir werden keine Engel sein, wie sich das gewisse Leute fälschlicherweise vorstellen, sondern nur wie sie frei von irdischen Beziehungen. Der Gläubige wird Vorrechte und himmlische Beziehungen geniessen, die weit über denen der Engel und den vorübergehenden Beziehungen dieser Zeit stehen.

Im Blick auf die Auferstehung zeigt der Herr noch einmal ihre Unkenntnis der Schriften. Sie hatten Mose zitiert und versuchten damit zu beweisen, dass die Lehre des Herrn im Widerspruch zu Mose stehe. Deshalb erwähnt Er Mose, um ihre Unwissenheit über das, was Er gesagt hatte, aufzudecken. Stand nicht in dem Buch Moses, «von dem Dornbusch», geschrieben, «wie Gott zu ihm redete und sprach: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs»? Als sich das Ereignis beim Dornbusch abspielte, waren Abraham, Isaak und Jakob längst gestorben, und doch bezeichnete sich Gott immer noch als ihr Gott. Er ist also nicht der Gott der Toten, sondern der Lebenden. Obwohl tot für diese Welt, leben sie doch und werden auferstehen, um sich der Verheissungen Gottes zu erfreuen. Denn diese können, nachdem die Sünde eingetreten ist, nur auf dem Boden der Auferstehung erfüllt werden. Deshalb kann der Herr zu den Ungläubigen jener Tage und unserer Zeit sagen: «Ihr irrt sehr.»

Verse 28-34

Nach den Sadduzäern kommt ein Vertreter der Schriftgelehrten, die das Gesetz auslegten und glaubten, gewisse Gesetze seien wichtiger als andere. Er bat den Herrn, sein Urteil darüber abzugeben, welches Gebot das erste von allen sei. In seiner vollkommenen Weisheit übergeht der Herr die zehn Gebote, an die man natürlicherweise zuerst denken könnte, und wählt gewisse wichtige Ermahnungen aus den fünf Büchern Mose, die das Gesetz zusammenfassen und die ganze Schuldigkeit des Menschen gegenüber Gott und Menschen zum Ausdruck bringen.

Die erste Verantwortlichkeit des Menschen ist die Einheit der Gottheit, entsprechend der Schrift, die sagt: «Höre, Israel: Der Herr, unser Gott, ist ein Herr», aufrechtzuhalten. Dann folgt, dass der Mensch verantwortlich ist, Gott mehr zu lieben als sich selbst und dies unter Ausschaltung alles dessen, was Gott den ersten Platz rauben könnte. Und zweitens soll er seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Dies ist die Zusammenfassung des ganzen Gesetzes und stellt die ganze Verantwortlichkeit nach dem Gesetz für den Menschen auf der Erde dar. Wenn diese beiden Gebote gehalten würden, würde keines der andern übertreten werden.

Der Schriftgelehrte bezeugt die Vollkommenheit der Antwort des Herrn. Sein Gewissen sagt ihm, dass der Herr die Wahrheit ausgedrückt habe. Er anerkennt, dass es von grösserem Wert ist, Gott das Ihm Gebührende zu geben und gegenüber dem Nächsten recht zu handeln, als alle äusserlichen Formen und Zeremonien des Gesetzes zu halten. Es ist immer so: In den Augen Gottes ist der moralische Zustand der Seele viel wichtiger als die äusserliche Schau von Frömmigkeit.

Der Herr anerkennt die Zurückhaltung dieses Schriftgelehrten. Soweit es das Verständnis und die ehrliche Anerkennung der Wahrheit betraf, war er nicht weit vom Reich Gottes. Aber leider stand er noch ausserhalb. Er sah die Wahrheit von dem, was Christus sagte, aber er konnte die Herrlichkeit Christi nicht erkennen und beugte sich nicht in Anerkennung vor der Wahrheit über seine Person. Wie ein anderer gesagt hat: Ob jemand näher oder ferner vom Reich Gottes steht, ist nicht ausschlaggebend. Solange er nicht in dasselbe eintritt, sind beide Fälle gleich gefährlich. Der Schriftgelehrte sah, wie viele andere, was im Gesetz war. Aber er übersah seine eigene tiefe Not als eines Menschen, der völlig versagt hatte, den Forderungen des Gesetzes zu entsprechen. Und deshalb erkannte er auch nicht die Herrlichkeit der Person Christi und die Gnade, die in Ihm war, um den Bedürfnissen derer zu begegnen, die in ihrer Verantwortlichkeit gänzlich versagt hatten.

Nach diesem wagte niemand mehr, den Herrn irgendetwas zu fragen. Vertreter aller Klassen – Priester, Gesetzgelehrte, Pharisäer, Herodianer, Sadduzäer und Schriftgelehrte – waren mit ihren Fragen gekommen, um den Herrn zu versuchen. Aber alle wurden blossgestellt und zum Schweigen gebracht. Der Pharisäer, der bekannte, die Religion aufrechtzuhalten, hatte Gott nicht das gegeben, was Ihm zustand. Der Herodianer, der behauptete, die politischen Interessen des Kaisers wahrzunehmen, hatte dem Kaiser nicht gegeben, was des Kaisers war. Der Sadduzäer, der sich seines Verstandes rühmte, fiel durch seine Unkenntnis auf. Und der Schriftgelehrte, der das Gesetz auslegte, hatte das Gesetz nicht gehalten. So gegensätzlich sie untereinander waren, vereinigten sie sich doch alle in ihrem Widerstand gegen Christus und offenbarten das vollständige Verderben des verantwortlichen Menschen.

Verse 35-37

Nachdem jede Frage beantwortet und jeder Gegner zum Schweigen gebracht ist, stellt der Herr selbst eine Frage von höchster Wichtigkeit; denn sie berührt die Herrlichkeit seiner Person, von der aller Segen für die Menschen abhängt. «Wie sagen die Schriftgelehrten, dass der Christus Davids Sohn sei? David selbst hat in dem Heiligen Geist gesagt: ‹Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel deiner Füsse.›» Die Fragen seiner Widersacher gründeten sich auf Folgerungen und Vorstellungen ihrer eigenen Gedanken. Die Frage des Herrn gründet sich auf die Schrift und zielt auf die Wurzel ihrer ernsten Lage; denn sie bringt das Geheimnis seiner Person, die sie nicht annehmen wollten, ans Licht. Die Schriftgelehrten sahen wirklich, dass der Messias Davids Sohn sein würde. Aber sie erkannten nicht, dass der Heilige Geist in ihren eigenen Schriften klar feststellte, dass Er nicht nur der Sohn Davids sein würde, sondern auch sein Herr ist. Wie kann Er gleichzeitig Davids Sohn und Davids Herr sein? Es gibt nur eine Antwort. Er ist wahrer Mensch und dennoch eine wahrhaft göttliche Person. Indem sie es ablehnten, die Wahrheit über seine Person anzuerkennen, entging ihnen der Segen. Der, den sie verwarfen, würde sich zur Rechten Gottes setzen und dort auf die Zeit warten, in der Er mit allen seinen Widersachern im Gericht handeln wird.

Verse 38-40

Der Blossstellung der Führer folgen die warnenden Worte des Herrn an solche, die ein grosses religiöses Bekenntnis ablegen, aber nur mit dem einen Beweggrund, sich selbst zu verherrlichen. Solche lieben:

  • eine Schaustellung – «lange Gewänder»;
  • öffentliche Anerkennung – «Begrüssungen auf den Märkten»;
  • eine religiöse Vorrangstellung – «die ersten Sitze in den Synagogen»;
  • soziale Auszeichnung – «die ersten Plätze bei den Gastmählern»;
  • eigene Bereicherung, sogar auf Kosten von Witwen;
  • und religiöse Prahlerei, wenn sie «zum Schein lange Gebete halten».

Wie ernst sind die Worte des Herrn: «Diese werden ein schwereres Gericht empfangen.» Je grösser die Anmassung desto grösser das Gericht.

Verse 41-44

Im Gegensatz zu denen, die als religiöse Heuchler entlarvt worden sind, zeigt der Herr uns jetzt, dass es unter dem Volk solche gab, über die Er sich freut, sie anzuerkennen. Sie werden uns durch diese arme Witwe dargestellt. Der gottesfürchtige Überrest, der in den Tagen Esras aus Babylon zurückkehrte, um das Haus Gottes wiederaufzubauen, wird immer noch in dieser hingebenden Seele gesehen. Sie gab ihren ganzen Lebensunterhalt zum Unterhalt des Hauses Gottes. Sie mag unwissend darüber gewesen sein, dass dieses Haus durch die Menschen verdorben worden war und im Begriff stand, zerstört zu werden. Aber ihr Herz war in Ordnung mit Gott und ihre Beweggründe waren rein. Sie legte nur zwei Scherflein ein. Aber in den Augen Gottes war dies mehr, als was alle andern gaben, obwohl diese viel einlegten. Sie gaben von ihrem Überfluss; «diese aber hat von ihrem Mangel, alles, was sie hatte, eingelegt, ihren ganzen Lebensunterhalt». Gott bewertet eine Gabe nicht nach der Grösse der gegebenen Summe, sondern nach dem, was man für sich selbst zurückbehält.