Das Evangelium nach Markus (13)

Markus 10,1-22

Leiden und Herrlichkeit (1)

In diesem Teil des Evangeliums werden uns drei wichtige Grundsätze vorgestellt: Zuerst lernen wir, dass der Herr die natürlichen Beziehungen, wie Gott sie ursprünglich eingerichtet hat, anerkannte und angeborene Güte nicht übersah. Die Ehe wird geehrt (Verse 2-12); Kinder werden anerkannt (Verse 13-16); und natürliche Aufrichtigkeit und Liebenswürdigkeit werden ebenfalls beachtet (Verse 17-22). Zweitens sehen wir, dass die natürlichen Beziehungen, die von Gott eingerichtet wurden und von Ihm anerkannt sind, durch den Menschen verdorben worden sind. Die Eheverbindung ist durch die Härte des menschlichen Herzens ruiniert worden (Vers 5). Kinder werden geringgeschätzt, da ihnen nicht viel Wert beigemessen wird (Vers 13), und natürliche Rechtschaffenheit und irdischer Besitz werden benützt, um die Seele von Gott zu trennen und die Leute am Eintritt in das Reich Gottes zu hindern (Verse 22,23). Drittens müssen jene, die Christus in das Reich nachfolgen wollen, aufgrund des Versagens des natürlichen Menschen bereit sein, in dieser Welt Leiden auf sich zu nehmen. Die irdischen Reichtümer mögen noch so gross sein, wer Christus nachfolgen will, muss das Kreuz aufnehmen (Vers 21). Es wird ihm Verfolgung begegnen (Vers 30), und er muss bereit sein, zwar mit dem Blick auf die zukünftige Welt, einen Platz der Niedrigkeit in dieser Welt einzunehmen (Vers 44). Christus als der demütige Diener ist das vollkommene Beispiel für einen solchen Weg (Verse 33,34,45).

Verse 1-12

Durch die Pharisäer wird das Gespräch auf die ehelichen Beziehungen gelenkt. Sie kommen zum Herrn mit der Frage: «Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau zu entlassen?» Offensichtlich hatten sie kein wirkliches Verlangen, die Wahrheit kennenzulernen, denn wir lesen, dass «sie ihn versuchten». Anscheinend hofften sie durch die Antwort des Herrn in der Lage zu sein, Ihn entweder der Missachtung dessen anzuklagen, was Mose geboten hatte, oder Ihm vorzuwerfen, Er billige die losen Sitten, die unter dem Volk herrschten. Wie gewöhnlich, wenn Menschen in ihrer Torheit den Herrn versuchen wollen, werden sie selbst durch und durch blossgestellt.

Der Herr begegnet der Frage: «Ist es erlaubt?», indem Er das Gesetz anwendet. «Was hat euch Mose geboten?» In ihrer Antwort suchten sie die Frage des Herrn abzuschwächen, indem sie nicht von dem sprachen, was Mose geboten, sondern was er erlaubt hatte. Damit offenbarten sie unabsichtlich die Verhärtung ihrer Herzen. Sie vernachlässigten die positiven Gebote Moses und redeten nur von der besonderen Vorschrift, die erlassen worden war, um ihrer eigenen Herzenshärte zu begegnen. Die Gebote entsprachen dem Herzen Gottes im Blick auf die Menschen; die Anweisungen über das Scheiden dienten nur, um ihren Herzen zu begegnen.

Nachdem der Herr die Herzenshärte der Menschen aufgedeckt hat, legt Er die Wahrheit über die ehelichen Beziehungen gemäss der Schöpfungsordnung dar. Diese hat Gott von Anfang an eingesetzt. Damit erklärt der Herr die Ehe als bindend und befähigt den Christen, diese Bindung auf der Grundlage der Schöpfungsordnung einzugehen und nicht nach den Vorschriften der Menschen.

In dem Haus belehrt der Herr seine Jünger weiter über den Ernst der Auflösung des Ehebundes, um den fleischlichen Wünschen nach einer anderen Frau nachzugeben. In den Augen Gottes bedeutet dies, in eine überaus entwürdigende Sünde zu fallen.

Verse 13-16

In der nächsten Begebenheit sehen wir, dass sogar den Jüngern die Gedanken des Herrn über kleine Kinder fremd waren. Offensichtlich dachten sie, der Herr sei zu gross, um von diesen Kleinen Notiz zu nehmen, und diese seien auch zu unbedeutend, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Indem sie es denen verwiesen, die ihre kleinen Kinder zum Herrn bringen wollten, damit Er sie segne, entstellten sie das Wesen ihres Meisters völlig. Sie versäumten, das wahrhaft Schöne in einem Kind zu sehen und verleugneten die Grundsätze des Reiches, das sie eigentlich predigen wollten.

Das Handeln der Jünger ruft den gerechten Unwillen des Herrn hervor. Er begegnet ihren armseligen Gedanken mit den Worten: «Lasst die Kinder zu mir kommen, wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes.» In seinem Herzen gibt es ein herzliches Willkommen für die Schwachen und Einfachen. Obwohl die Wurzel der Sünde auch in ihnen ist, sind doch ihre Einfalt und ihr Vertrauen die hervorstechendsten Merkmale derer, die in das Reich Gottes eingehen. Und gerade so, wie Er diese Kleinen in die Arme nahm und sie segnete, so sind die ewigen Arme unter allen denen, die in aller Einfalt und im Vertrauen ihre Zuversicht auf Ihn gesetzt haben. Und seine Hände sind segnend über sie gehalten (5. Mo 33,27; Lk 24,50).

Verse 17-22

In dem folgenden Ereignis lernen wir, dass die Vorzüglichkeit des Geschöpfes und der irdische Besitz, so richtig sie an ihrem Platz sein mögen, keinen Zugang zum Reich Gottes verschaffen können, sondern eher ein echtes Hindernis für den Segen darstellen. Die Natur hat in ihrem besten Fall kein Empfinden dafür, dass sie Christus nötig hat. Ebenso wenig kann sie die Herrlichkeit Christi wahrhaft begreifen.

Bei diesem reichen Mann gab es vieles, das vorzüglich war. Er war voll jugendlichen Eifers, denn er «lief herzu». Er war bereit, die Überlegenheit Christi anzuerkennen, denn er fiel ehrfürchtig vor Ihm auf die Knie. Er wünschte, das Rechte zu tun, denn er fragte: «Was soll ich tun?» Äusserlich gesehen hatte er einen vorzüglichen Charakter. Er war noch nicht verdorben durch die Befriedigung der Sünde. Er hatte äusserlich das Gesetz gehalten. Es gab viel Liebenswürdiges in seinem Charakter – eine Frucht der Schöpfung –, was die Wertschätzung und Liebe des Herrn hervorrief. Wie ein anderer gesagt hat: «Er war liebenswürdig, gut gesinnt und bereit, das Gute zu lernen. Er hatte die Vortrefflichkeit des Lebens und der Werke des Herrn Jesus bezeugt, und sein Herz war von dem, was er gesehen hatte, berührt worden.»

Und doch liessen ihn alle diese natürlichen Vorzüge ohne wahre Wertschätzung der Person und Herrlichkeit Christi und ohne wirkliches Empfinden für den Zustand und die Bedürfnisse seines Herzens. Er konnte die überragende Vortrefflichkeit Christi als Mensch erkennen, aber er konnte die Herrlichkeit seiner Person als Sohn Gottes nicht sehen. Die Natur, so vorzüglich sie sein mag, kann Gott in Christus nicht erkennen. So sagte der Herr bei einer anderen Gelegenheit zu Petrus: «Glückselig bist du … denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist» (Mt 16,17). Der Herr, der sich mit dem jungen Mann auf seinem eigenen Boden einlässt, will nicht gelten lassen, dass der Mensch gut ist. «Niemand ist gut als nur einer, Gott.» Christus war tatsächlich gut, aber Er war Gott. Er blieb immer Gott. Gott wurde Mensch, ohne je aufzuhören Gott zu sein, ja, Er hätte nicht aufhören können, Gott zu sein.

Weil der junge Mann kein Empfinden für seine Bedürfnisse hatte, fragte er nicht: «Was muss ich tun, um errettet zu werden?», sondern: «Was soll ich tun, um ewiges Leben zu erben?» Seine guten natürlichen Veranlagungen machten ihn blind für die Tatsache, dass er trotz seiner guten Eigenschaften ein verlorener Sünder war, der das Heil nötig hatte. Der Herr zieht den Vorhang zur Seite und enthüllt den wahren Zustand seines Herzens, und zwar indem Er ihm sagt: «Geh hin, verkaufe, was du hast … und komm, folge mir nach!» Dieses Wort bringt die Tatsache ans Licht, dass der Mann trotz seines liebenswürdigen und vorzüglichen Charakters ein Herz hatte, das das Geld dem Herrn Jesus vorzog. So lesen wir: «Er aber wurde traurig über das Wort und ging betrübt weg.» Wie vollständig beweist dieses doch, dass es im Menschen nichts Gutes für Gott gibt! Ein vorzüglicher Charakter ist kein Anzeiger für den geistlichen Zustand des Herzens. So hat jemand richtig geschrieben: «Die Beweggründe und alles, was das Herz regiert, das ist der wahre Massstab für den moralischen Zustand des Menschen, und nicht die Eigenschaften, die er von Geburt aus besitzt, so angenehm diese auch sein mögen.» Gute Eigenschaften findet man sogar bei Tieren. Wir sollen sie wertschätzen, aber sie offenbaren auf keinen Fall den Herzenszustand.

Christus selbst war das vollkommene Vorbild für den Weg, den Er diesem jungen Mann vorschlug. «Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, dass er, da er reich war, um euretwillen arm wurde, damit ihr durch seine Armut reich würdet» (2. Kor 8,9). Weil dieser junge Mann die Herrlichkeit des Herrn nicht erkannte, sah er auch seine Gnade nicht. Wir sehen niemals seine Gnade, bevor wir nicht seine Herrlichkeit gesehen haben.