Verse 17-19
Die Zeit der Verheissung, an die in den Versen 6-7 erinnert wurde, nahte heran. Das Volk, das dazu ausersehen war, eine grosse Nation zu werden, wuchs und vermehrte sich in Ägypten. Ein anderer König war aufgestanden, der Joseph nicht kannte. Beunruhigt über das Wachstum des Volkes, suchte er Wege, um es zu vernichten. Das Volk Gottes kann sich auf dem Gebiet des Feindes nicht vermehren, ohne dessen Hass und Widerstand hervorzurufen. Gleichzeitig treten auch die Anstrengungen Satans zu Tage, den Nachkommen der Frau zu vernichten, der seine Macht zermalmen soll. Diese Anstrengungen hat er im Lauf der Geschichte des irdischen Volkes Gottes immer wieder erneuert. Bei seinem letzten Anlauf aber hat Christus «durch den Tod den zunichtegemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel».
Der Fürst dieser Welt greift nicht immer offen als Löwe an; gegen das Geschlecht Israels handelte er «mit List». Dadurch wird er nur umso gefährlicher. So tritt er auch am Ende der gegenwärtigen Heilszeit auf: Satan widersteht den Gläubigen mit äusserster List, indem er das Böse in ihre Mitte einführt, um so – wenn möglich – das Zeugnis des Herrn zu zerstören.
Verse 20-22
Aber Gott wacht über sein Volk und gibt ihm zur rechten Zeit den Retter. «In dieser Zeit wurde Mose geboren.» Gott, der ihn erwählt hatte, gab ihm ein göttliches Merkmal, das nur der Glaube seiner Eltern zu entdecken vermochte: Er war ausnehmend schön, «schön für Gott». «Durch Glauben», heisst es in Hebräer 11,23, «sahen sie, dass das Kind schön war; und sie fürchteten das Gebot des Königs nicht.» Der Glaube handelt nach den Gedanken Gottes und fürchtet sich nicht vor den widerstreitenden Mächten.
Die Tochter des Pharaos nahm ihn zu sich und zog ihn auf, sich zum Sohn. In Wirklichkeit aber zog sie ihn, ohne es zu wissen, für Gott selbst auf, und das sogar im Haus dessen, der ihn vernichten wollte. Die Wege Gottes nehmen ihren Lauf, trotz des Feindes, der sich durch seine Machenschaften nur selbst betrügt.
Mose wurde in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen: «Er war aber mächtig in seinen Worten und Werken.» Man möge beachten, dass die Worte hier vor die Werke gestellt werden. Das ist die Weise des natürlichen Menschen. Bei denen die von Gott belehrt sind, ist es anders. Unser Herr ist der beste Beweis dafür. In Lukas 24,19 lesen wir: «Jesus … der ein Prophet war, mächtig im Werk und Wort vor Gott und dem ganzen Volk.» In 2. Thessalonicher 2,17: Gott aber «tröste eure Herzen und befestige euch in jedem guten Werk und Wort». In 1. Johannes 3,18: «Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit.» Am Saum des hohenpriesterlichen Kleides hatte es ebenso viele Granatäpfel wie Schellen von Gold. Bei uns aber gibt es leider oft mehr Gerede als Früchte! Als Mose in der Schule Gottes gewesen war, wollte er nicht mehr reden; Gott musste ihn dazu zwingen.
Verse 23-28
Die Menschen und die Reichtümer am Hof des Pharaos vermochten Mose nicht daran zu hindern, an sein Volk zu denken. «Als er aber ein Alter von vierzig Jahren erreicht hatte, kam es in seinem Herzen auf, sich nach seinen Brüdern, den Söhnen Israels, umzusehen.» Er hatte sie nicht aus den Augen verloren. Mit dem Herzen und durch Glauben mit ihnen verbunden, mochte er gedacht haben, Gott habe ihn an diesen Platz gesetzt, damit er ihnen von seiner hohen Stellung aus zu Hilfe eilen und sie befreien könne. Aber seinem Glauben musste jede menschliche Stütze genommen werden, um sich völlig auf die Hand Gottes stützen zu lernen. Daher hatte sein fleischliches Eingreifen, das zwar aus dem Glauben hervorging, nur zur Folge, dass er in die Wüste floh, wo alle Energie des Fleisches vernichtet werden musste. Um einen seiner unterdrückten Brüder zu befreien, tötete er einen Ägypter. Er meinte, seine Brüder würden verstehen, dass Gott ihnen durch seine Hand Rettung gebe. Das beweist uns, dass er tatsächlich der Überzeugung war, Gott werde ihn zu diesem Zweck gebrauchen. Als er aber zwei sich streitende Israeliten zum Frieden treiben wollte, stiess ihn der Schuldige zurück und sagte: «Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt? Willst du mich etwa umbringen, wie du gestern den Ägypter umgebracht hast?» Durch die Erwähnung dieser Tatsachen machte der Heilige Geist das Synedrium auf die Übereinstimmung der Gesinnung der Israeliten in Ägypten gegenüber Mose mit dem Verhalten der Juden in Jerusalem gegenüber Christus, ihrem grossen Befreier, aufmerksam.
In der Rede des Stephanus lassen sich sieben grosse Tatsachen feststellen, die das eigentliche Wesen des Volkes und seine Schuld kennzeichnen:
- Joseph wurde durch seine Brüder verkauft, ein Vorbild von Christus, der in die Hände der Nationen überliefert worden ist.
- Mose wurde zugerufen: «Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt?» Er ist darin ein Vorbild von Christus, dem die Autorität und die Rechte mit den Worten abgesprochen worden sind: «In welchem Recht tust du diese Dinge?» und «Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche!» Der Geist Gottes beweist durch diese Beispiele, dass ihre eigene Geschichte im Voraus von der Gesinnung Zeugnis gab, in der sie später ihren Messias verwerfen sollten.
- Sie waren Götzendiener.
- Sie widerstritten allezeit dem Heiligen Geist.
- Sie haben die Propheten, die die Ankunft des Gerechten zuvor verkündigten, verfolgt und getötet.
- Sie waren Verräter und Mörder dieses Gerechten geworden.
- Sie haben das Gesetz nicht beachtet.
Der Zustand der Israeliten in Ägypten ist zudem ein Bild jedes Menschen unter der Macht Satans. Misshandelt von den Ägyptern, sind sie auch mit sich selbst im Streit: «einander hassend». Ist es nicht auffallend, dass der, der seinem Bruder Unrecht tat, es war, der Mose mit den Worten zurückstiess: «Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt?» Und war das nicht auch das Verhalten der schuldbeladenen Juden gegenüber dem Herrn? Als Mose seinen Bruder vor dem Ägypter verteidigte, wurde seine Hilfe nicht abgewiesen. Aber als die Israeliten sich stritten, da begehrte der Schuldige laut auf und stiess Mose zurück. Die Juden hätten den Herrn wohl aufgenommen, wenn Er sich damit begnügt hätte, sie vom Joch der Römer zu befreien. Sobald Er aber ihren verdorbenen Zustand ans Licht brachte, verwarfen sie Ihn.
Vers 29
Als Mose erkannte, dass der Tod des Ägypters bekannt geworden war, entfloh er in das Land Midian. Hier wird seine Flucht als eine Folge der Tötung des Ägypters dargestellt. In Hebräer 11 jedoch schreibt Gott seine Handlungen dem Glauben zu. Er kennt die Beweggründe und misst sie nach seinem Mass, da wo der oberflächliche Blick nur Beweggründe und Werke des Fleisches wahrnimmt. Mose weigerte sich, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heissen, und wählte, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden; er hielt die Schmach des Christus für grösseren Reichtum als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung. Das alles erblickte Gott in Mose, als es in dessen Herzen aufkam, nach seinen Brüdern zu sehen. Welche Gnade ist es doch, dass Gott selbst unsere Handlungen und die unserer Brüder nach ihrem wahren Wert einschätzt und nicht wir selbst es tun müssen! Mose gab sich über den Wert seiner Handlungen keine Rechenschaft, aber Gott wusste sie zu schätzen. Er setzte die Erziehung seines Knechtes im Land Midian fort, damit dieser bis zum letzten Augenblick seiner Berufung weiterfahren könne, im Glauben voranzugehen.
Stephanus erklärte, Mose sei in Midian ein Fremder geworden und habe dort zwei Söhne gezeugt. Von Joseph, dem in Ägypten ebenfalls zwei Söhne geboren wurden, wird das nicht gesagt. Der eine hiess:
- Manasse = der vergessen macht,
- der andere: Ephraim = doppelte Fruchtbarkeit.
Die Umstände Josephs und die Moses, die beide Vorbilder von Christus sind, waren nicht dieselben. Mose war nicht in einer Stellung der Herrlichkeit wie Joseph. Die Namen, die er seinen beiden Söhnen gab, lassen seine Empfindungen erkennen: Er fühlte sich in einem fremden Land, dachte mitfühlend an die Bedrückung seiner Brüder in Ägypten und hatte den Wunsch, sie zu befreien. Die Zeit verstrich, und er wurde alt, ohne dass irgendeine Veränderung der Umstände eingetreten wäre. Seinen ersten Sohn nannte er
- Gersom = Fremder dort, den anderen
- Elieser = mein Gott ist Hilfe.
Er brauchte die Hilfe Gottes, um sich, in Erwartung der Erfüllung seiner Verheissungen, in diesem Land aufzuhalten. Sein Glaube wurde während dieser vierzig Jahre auf die Probe gestellt, damit er in der Hand Gottes der Befreier seines Volkes werde, unbehindert durch das, was er am Hof des Pharaos erworben hatte. Dieser Grundsatz gilt für alle, die Gott in seinem Dienst verwenden will. Jeder muss in der Zurückgezogenheit und Stille seine Schule durchlaufen, vielleicht von allen unbeachtet, um im Verborgenen der Gegenwart Gottes zu lernen, dass dem Fleisch in seinem Werk kein anderes Teil zukommt als der Tod. Jeder muss lernen, mit gebrochenem Willen von Gott allein abhängig zu dienen.
In 4. Mose 12,3 finden wir das Ergebnis der Erziehungswege Gottes mit Mose: «Der Mann Mose aber war sehr sanftmütig, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren.»