Die ersten Jahrzehnte des Christentums (21)

Apostelgeschichte 9,1-17

Kapitel 9

Verse 1 und 2

Seit dem Augenblick, da die Zeugen, die Stephanus gesteinigt hatten, ihre Kleider zu seinen Füssen niedergelegt hatten, war der Hass des Saulus gegenüber den Gläubigen immer grösser geworden. Sofort fing er an, die Versammlung zugrunde zu richten und sowohl Männer als Frauen fortzuschleppen und sie ins Gefängnis zu überliefern (Apg 8,3). Die daraus hervorgegangene Ausbreitung des Werkes gab seinem Hass neue Nahrung. Er machte sich nun zum Diener der feindseligen religiösen Führer und verfolgte die Gläubigen über Jerusalem hinaus. Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn schnaubend, ging er selbst zum Hohenpriester und erbat sich von ihm Briefe nach Damaskus an die Synagogen, um sowohl Männer als Frauen, die sich zu Jesus bekannten, gebunden nach Jerusalem führen zu können. Es ist erschreckend zu sehen, wie das Böse so rasch fortschreitet und wie unversöhnlich der Hass religiöser Menschen sein kann. Aber gegen die Ratschlüsse Gottes vermag er nichts auszurichten.

Wir haben schon festgestellt, dass Saulus gerade zu dem Zeitpunkt auf den Schauplatz trat, als die Nation der Juden durch die Verwerfung des Zeugnisses des Heiligen Geistes vom verherrlichten Christus jede Beziehung zu Gott abgebrochen hatte und durch die Ermordung des Stephanus zu verstehen gab: «Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche.» Nun konnten die Ratschlüsse Gottes hinsichtlich seiner Versammlung offenbart werden. Aber Gott bediente sich dazu nicht der zwölf Apostel. Zu diesem Dienst berief Er den grossen Verfolger der Versammlung, die seit dem Herabkommen des Heiligen Geistes neu gebildet worden war. Saulus sollte der Versammlung ihre himmlische Stellung und ihre Vereinigung mit einem Christus kundtun, der auf der Erde verworfen, im Himmel aber verherrlicht worden ist und der in Herrlichkeit wiedererscheinen wird.

Was den Dienst der drei grossen Apostel kennzeichnet, ist die Art und Weise, wie sie den Herrn gesehen haben. Petrus und Johannes sahen Ihn auf der Erde, Paulus in der Herrlichkeit. Petrus hatte bis dahin gepredigt, dass Jesus der Christus sei. Saulus sollte Ihn jetzt als den Sohn Gottes verkündigen (Vers 20). Der Herr liess Saulus in seinem Hass fortschreiten, um an ihm desto deutlicher den Wechsel hervortreten zu lassen, der diesen überzeugten Juden zum Apostel der Nationen, zum Offenbarer des von den Zeitaltern her in Gott verborgenen Geheimnisses machen sollte.

Verse 3-9

Saulus war schon nahe bei Damaskus und war sich seiner eigenen Bedeutung wohl bewusst. Er betrachtete es als Gewinn, ein religiöser Jude vom Stamm Benjamin, Hebräer von Hebräern, ein nach dem Gesetz untadelig erfundener Pharisäer, ein Feind Christi und seiner Nachfolger zu sein. Aber da umstrahlte ihn plötzlich ein Licht aus dem Himmel. Er fiel auf die Erde, und eine Stimme sprach zu ihm: «Saul, Saul, was verfolgst du mich?» Auf seine Frage: «Wer bist du, Herr?» erhält er zur Antwort: «Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh aber auf und geh in die Stadt, und es wird dir gesagt werden, was du tun sollst.» Ein Unbekannter richtete sich an ihn mit einer Autorität, die sich mit Macht auf seine erschütterte Seele legte. Wer war er? Es war Jesus, der Nazaräer, den er tot geglaubt hatte, dessen Jünger aber die Welt mit seiner Lehre erfüllt hatten. Dieser Jesus war in der Herrlichkeit. Petrus hatte den Juden und dem ganzen Hause Israel feierlich zugerufen, dass Gott diesen Jesus, den sie gekreuzigt hatten, sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht habe. Saulus hatte es nicht geglaubt. Der Herr antwortete ihm mit Sanftmut, aber mit Worten, die in sein Gewissen drangen: Warum verfolgst du mich? Was habe ich dir Böses getan?

Zugleich enthüllten diese Worte aber auch die Verbindung der Gläubigen mit Christus in der Herrlichkeit. Diese Wahrheit, die der Apostel das «Evangelium der Herrlichkeit» nannte, entwickelte er später in seinem Dienst. Obwohl der Herr verherrlicht ist, trägt Er immer noch den Namen Jesus, in dem sich einst jedes Knie der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen beugen wird. Saulus verstand nun, dass er durch die Verfolgung der Gläubigen auch Jesus, den Herrn selbst, verfolgt hatte. Diese für sein Herz so schmerzliche Tatsache verlor er nie mehr aus den Augen. Er erinnert darin in Galater 1,13.14 und auch in 1. Tim 1,13. Je grösser das Bewusstsein der Gnade ist, deren Gegenstand wir sind, desto tiefer empfinden wir alle in unserem Leben verübten Sünden. Das bewahrt uns in einer demütigen Gesinnung und in der Dankbarkeit gegenüber dem Herrn.

Blind geworden durch das Licht, das ihn umstrahlt hatte, wurde Saulus in die Stadt geführt. Er konnte drei Tage nicht sehen und ass nicht und trank nicht. Der Herr hielt ihn völlig abgesondert von der Aussenwelt, um in ihm das Werk auszuführen, das ihn, den nach dem Gesetz unbescholtenen Juden und Feind Christi, in einen treuen Knecht umwandeln sollte. Alles was ihn als Menschen nach dem Fleisch kennzeichnete und worin er sich gefallen hatte, war in der Gegenwart der Herrlichkeit des Herrn dahingeschwunden. Er achtete alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu. Innerhalb weniger Tage geschah in ihm ein wunderbares Werk: Sowohl er selbst als auch seine Vergangenheit wurden durch den Tod zunichtegemacht, damit er als neuer Mensch zum anderen Ufer gelangen konnte, bereit zu dem Dienst, zu dem er berufen worden war. Von nun an konnte er sagen: «Wir vertrauen nicht auf Fleisch.» Und: «Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.» Bei der Bekehrung verwirklichte Saulus drei Tatsachen, von denen er in 1. Korinther 6,11 spricht: «Aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes.»

  1. Überzeugt von seiner Schuldhaftigkeit, war er durch die Wirksamkeit des Wortes Gottes in seinem Gewissen gewaschen worden.
  2. Als Geheiligter war er jetzt von einer gerichteten Welt abgesondert und befreit von den Einflüssen, die ihn auf den eingeschlagenen Weg geführt hatten.
  3. Durch die Erkenntnis des Werkes der Gnade gerechtfertigt, wurde ihm fortan die Gerechtigkeit zugerechnet, und er konnte jetzt mit dem Heiligen Geist versiegelt werden.

Verse 10-17

Nach drei Tagen aber gebot der Herr Ananias, einem einfachen Gläubigen, aber frommen Mann nach dem Gesetz, zu Saulus zu gehen und ihm die Hände aufzulegen, damit er wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werde. Der Herr redet in aller Vertrautheit mit Ananias und erklärt ihm, wo Saulus zu finden ist. Er antwortet auf seine Einwürfe betreffs dieses Verfolgers und teilt ihm dessen Berufung mit. Saulus betete. Er war nun ein vom Herrn abhängiger Mensch. Er hatte Ananias im Voraus bei ihm eintreten gesehen. Ananias gehorcht. Der Verfolger war nun ein Bruder geworden. Er legte ihm die Hände auf und sprach: «Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir erschienen ist auf dem Weg, den du kamst, damit du wieder siehst und mit Heiligem Geist erfüllt wirst.» Der Herr bediente sich zu diesem Dienst eines einfachen Werkzeuges. Der grosse Apostel Paulus hat den Heiligen Geist durch das Auflegen der Hände eines Gläubigen empfangen, von dem wir nichts Näheres wissen; aber der Herr hatte Ananias gesandt und ihm Vollmacht dazu gegeben. Im vorangegangenen Kapitel haben wir gesehen, dass, wenn der Heilige Geist durch Vermittlung von Menschen gegeben wurde, es nur durch das Auflegen der Hände der Apostel geschah. Paulus aber war in keiner Hinsicht von den Aposteln abhängig, die vor ihm gewesen waren (Galater 1 und 2).

In den Worten des Herrn an Ananias ist der Dienst des Apostels Paulus zusammengefasst. Er war ein auserwähltes Gefäss. – Es gibt sowohl eine Auserwählung für die Bekehrung als auch eine Auserwählung für den Dienst. – Saulus sollte den Namen des Herrn, diesen Namen, den er hatte zerstören wollen, erstens vor die Nationen und zweitens vor die Könige und Söhne Israels tragen. Als daher das Evangelium auch vor dem Kaiser Nero und seinem Hof verkündigt war, konnte der Apostel sagen: Ich habe den Lauf vollendet. Mit dem Dienst sind Leiden für den Namen des Herrn verbunden, und Paulus musste dies in besonderer Weise erfahren. Aber diese Leiden sind dem Herrn unendlich kostbar.

Die Augen des Saulus waren jetzt aufgetan. Er war nun in jeder Hinsicht sehend geworden. Er war aus der Finsternis ins Licht gekommen und konnte nicht nur den Heiligen Geist empfangen, sondern auch von Ihm erfüllt werden. Der Heilige Geist hat sich seiner Zuneigung, seiner Gedanken, seiner Intelligenz und seiner Energie bemächtigt, hatte – mit einem Wort – von diesem ganzen auserwählten Gefäss Besitz ergriffen. Er, der eine so grosse Energie gegen Christus an den Tag gelegt hatte, zeigte von nun an um seinetwillen eine noch grössere Tatkraft. Gott bedient sich der natürlichen Energie, die Er einem Menschen gegeben hat, indem Er sie der Kraft des Heiligen Geistes unterordnet und gleichzeitig jedes Vertrauen ins Fleisch zerstört.