Die ersten Jahrzehnte des Christentums (32)

Apostelgeschichte 14,19-28; Apostelgeschichte 15,1-5

Verse 19-28

Unter dem Einfluss der von Antiochien und Ikonium angekommenen Juden wurde Paulus von der Volksmenge, die den Aposteln soeben noch göttliche Verehrung erweisen wollte, gesteinigt und zur Stadt hinausgeschleift. Die Menschen ohne Gott sind unbeständig wie das bewegte Meer, jedem Einfluss zugänglich. «Die Gottlosen sind wie das aufgewühlte Meer, denn es kann nicht ruhig sein, und seine Wasser wühlen Schlamm und Kot auf» (Jes 57,20). Da Satan die Diener Gottes nicht zu verführen vermochte, wollte er sie umbringen. Aber Gott wachte über Paulus; nach der Steinigung hatte er die Kraft, aufzustehen, ruhig in die Stadt hineinzugehen und am folgenden Tag mit Barnabas nach Derbe zu reisen.

«Und als sie jener Stadt das Evangelium verkündigt und viele zu Jüngern gemacht hatten», kehrten sie nach Lystra, Ikonium und Antiochien in Pisidien zurück, wo das Werk der Evangelisation schon geschehen war. Die Apostel wollten sich jetzt mit der Auferbauung der Versammlungen beschäftigen. Zweifellos wurden noch andere Seelen errettet und zu der Versammlung hinzugetan, aber die Apostel widmeten sich jetzt besonders der Befestigung der Gläubigen.

Wer zum Herrn geführt worden ist, braucht Kraft, um seiner würdig wandeln und von Ihm Zeugnis ablegen zu können. Diese Kraft finden wir im Wort Gottes. Zu jener Zeit besassen die Gläubigen die Schriften des Neuen Testaments noch nicht; der Apostel Paulus, der allein die Offenbarungen über das Geheimnis der Versammlung empfangen hatte, unterwies mit seinen Gefährten die Neubekehrten und ermahnte sie, im Glauben zu verharren. In Zeiten der Verfolgung wie auch in ruhigen Tagen, ist der Feind sehr geschickt, uns Dinge auf den Weg zu stellen, die uns entmutigen können. Aber wir sollen im Glauben ausharren bis ans Ende der Reise und dabei «für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben kämpfen» (Judas 3).

Die Apostel kündigten den Heiligen an, dass sie durch «viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen» würden. Das Reich Gottes ist ein Zustand der Dinge, in dem seine Rechte Gültigkeit haben und anerkannt werden; wer daran teilhat, muss seine Wesenszüge tragen. Man kann nicht hineingehen und von Leiden verschont bleiben. Um inmitten der Feindschaft der Welt das Wesen des Reiches Gottes, nach dem wir zuerst trachten sollen, zu verwirklichen, benötigen wir vonseiten Gottes Kraft und Ermutigung.

Der Apostel selbst hatte einen grossen Anteil an diesen Leiden; aber er konnte den Kolossern sagen (Kol 1,24): «Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleisch das, was noch fehlt an den Drangsalen des Christus für seinen Leib, das ist die Versammlung.» Christus hatte gelitten, um sich die Versammlung zu erkaufen; Paulus litt, um sie zu sammeln und aufzuerbauen.

In jeder Versammlung wählten die Apostel Älteste, beteten mit Fasten und befahlen sie dem Herrn. Wie wir in Kapitel 13,3 gesehen haben, soll das Beten mit Fasten begleitet sein. Der Geist muss frei sein, um sich der wahren Bedürfnisse bewusst zu werden und sie Gott vorstellen zu können. Er darf dabei nicht unter dem Einfluss von Dingen stehen, die ihn erregen oder seine Urteilsfähigkeit erschweren, sonst wird es schwierig, die Weisungen zu erkennen, die Gott als Antwort auf die Gebete erteilt. Das buchstäbliche Fasten mochte zu einer solchen Geisteshaltung führen, aber man kann auch fasten, ohne in dem geistlichen Zustand zu sein, den das Fasten bewirken oder womit es begleitet sein soll. Solches wird dem Volk Israel in Jesaja 58,3-7 vorgeworfen: «Siehe, am Tag eures Fastens geht ihr euren Geschäften nach», usw.

Wenn der Apostel Älteste wählte, tat er es in seiner apostolischen Vollmacht, in der Abhängigkeit vom Herrn, dem er die Gläubigen anbefahl. Die Ältesten waren beauftragt, die Herde zu hüten, und sie sollten Vorbilder für sie sein (1. Pet 5,1-4). In 1. Timotheus 3,1-7 und Titus 1,5-11 werden die Eigenschaften aufgeführt, die zu einem solchen Dienst erforderlich waren. Die Ältesten konnten auch «arbeiten in Wort und Lehre», aber aus 1. Timotheus 5,17 geht hervor, dass es nicht alle taten. Keiner Stelle in den Belehrungen des Apostels kann man entnehmen, dass die Versammlungen Älteste ernennen sollten; der Apostel hat keine solche Weisung gegeben, weder für seine Zeit noch für die unsere.

Diesem Amt hat man in der Christenheit einen ganz anderen Sinn gegeben. Die Funktionen eines Bischofs (das gleiche Wort wie Ältester), stimmen mit der Tätigkeit der von den Aposteln oder ihren Abgeordneten, Timotheus und Titus, ernannten Ältesten keineswegs überein. Der gesamte Klerus und seine Rangordnung sind eine menschliche Erfindung. Der Apostel hat die Heiligen nicht den Ältesten anempfohlen, sondern «dem Herrn, an den sie geglaubt hatten», oder, wie wir in Apostelgeschichte 20,32 lesen, «Gott und dem Wort seiner Gnade».

Man darf die Gaben nicht mit den Ämtern verwechseln. Der Herr gibt bis zu seiner Wiederkunft Gaben zur Bildung und Auferbauung der Versammlung. Die Ältesten dagegen wurden von dem Apostel oder seinen Beauftragten bezeichnet, um in den örtlichen Versammlungen die Aufsicht zu führen. Auch heute noch stehen die Versammlungen im Genuss der gleichen Dienste, wie die, die damals von den Ältesten und Diakonen ausgeübt wurden. Jedoch geben sie den betreffenden Personen keinen Namen, aber anerkennen ihre Tätigkeit in dem Mass, wie diese in Übereinstimmung mit den Belehrungen der Schrift steht. Wenn die Versammlungen in der Abhängigkeit vom Herrn und im Gehorsam zu seinem Wort verharren, dem der Apostel die Heiligen damals anbefahl, werden sie in Ordnung und Frieden vorangehen können.

Die Apostel verkündigten das Wort auch in Perge, zogen durch Attalia und segelten ab «nach Antiochien, von wo aus sie der Gnade Gottes anbefohlen worden waren zu dem Werk, das sie erfüllt hatten», zu Beginn dieser ersten Reise. Sie erzählten der Versammlung alles, was Gott mit ihnen getan und dass Er den Nationen eine Tür des Glaubens aufgetan habe. Dabei schrieben sie sich selbst nichts zu; es war das Werk des Herrn, das «Gott mit ihnen getan» hatte, und bei ihrer Arbeit waren sie mit Heiligem Geist erfüllt.

Kapitel 15

Verse 1-5

«Und einige kamen von Judäa herab und lehrten die Brüder: Wenn ihr nicht beschnitten werdet nach der Weise Moses, so könnt ihr nicht errettet werden.» Selbstverständlich waren diese «einige» nicht, wie Paulus und Barnabas, vom Heiligen Geist gesandt. Satan war es, der gesetzliche Vorschriften in das Christentum hineinzubringen versuchte. Die Gebote fanden aber nur Anwendung auf den Menschen in Adam. Der Tod Christi, die Grundlage des Christentums, hat aber diesem Menschen gerichtlich ein Ende gesetzt, wie auch den Forderungen des Gesetzes, die ihn zum Tod verurteilten. Darum hat der Christ, da er das Leben des auferstandenen Christus lebt, nichts mit dem Gesetz zu tun. Denn «Christus ist das Ende des Gesetzes, jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit» (Röm 10,4).

Man begreift, dass «ein Zwiespalt und ein nicht geringer Wortwechsel» zwischen Paulus und jenen Leuten entstehen konnte; denn der Apostel erkannte deutlich, wie sein Brief an die Galater uns zeigt, dass mit solchen Lehren das Fundament des Christentums untergraben wurde.

Die Versammlung war noch einer anderen Gefahr ausgesetzt. Die Berufung des Paulus, den Nationen das Evangelium zu bringen, war nicht in Jerusalem, sondern in Antiochien erfolgt, und zwar unmittelbar von dem verherrlichten Herrn aus. Der Feind suchte nun zwischen den aus dem Judentum hervorgegangenen Christen, die noch die Vorschriften des Gesetzes beachteten, und den Brüdern aus den Nationen, die das von Paulus gelehrte reine Evangelium angenommen hatten, eine Spaltung hervorzurufen.

Um diese Spaltung zu verhindern, liess es Gott nicht zu, dass die Frage des Gesetzes, das man den Gläubigen aus den Nationen aufzwingen wollte – wodurch die Kirche dem Verfall entgegengetrieben worden wäre, wie es auch später geschah – in Antiochien geregelt wurde. Paulus hätte zu diesem Zweck seine Berufung in die Waagschale werfen und die Entscheidung selbst treffen können; denn er war weder von Jerusalem noch von denen, die vor ihm Apostel waren, berufen worden. Es wurde aber beschlossen, dass Paulus und Barnabas und noch einige Brüder mit ihnen zu den Aposteln und Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen sollten, um gemeinsam mit ihnen diese wichtige Streitfrage zu lösen. Das zweite Kapitel des Galaterbriefes teilt uns mit, dass Paulus «zufolge einer Offenbarung» hinaufzog. Zweifellos brauchte es eine solche Offenbarung, um ihn bereit zu machen, die Frage den Aposteln und Ältesten in Jerusalem vorzulegen, statt unabhängig von ihnen, inmitten einer Versammlung der Nationen, eine Entscheidung zu treffen. Auf diese Weise liess die göttliche Weisheit den Plan des Feindes zuschanden werden, «denn seine Gedanken sind uns nicht unbekannt» (2. Kor 2,11).

Alle diese Brüder brachen auf in voller Gemeinschaft mit der Versammlung in Antiochien. Als sie Phönizien und Samaria durchzogen, machten sie «allen Brüdern grosse Freude», indem sie «die Bekehrung derer aus den Nationen» erzählten. In Jerusalem angekommen, «wurden sie von der Versammlung und den Aposteln und den Ältesten aufgenommen, und sie berichteten alles, was Gott mit ihnen getan hatte.» In ihrem Bericht war weder von Beschneidung noch von Gesetz die Rede, sondern nur von der Gnade Gottes, die allein das Herz mit Freude zu erfüllen vermag.

In diesem Abschnitt sehen wir die überragende Stellung der Versammlung und ihre Autorität. Die Brüder hatten von der Versammlung, die sie vertraten, das Geleit erhalten; in Jerusalem angekommen, wurden sie von der Versammlung aufgenommen. Hier wird die Versammlung sogar vor den Aposteln und Ältesten genannt. Wir tun gut, dies zu beachten, und der Versammlung auch den Platz einzuräumen, der ihr zukommt. Auf der Versammlung ruht die Verantwortung und die Vollmacht zum Handeln. Beim Anhören des Berichtes der Apostel erhoben sich einige Gläubige von der Sekte der Pharisäer und sagten, man müsse diese Gläubigen aus den Nationen beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz Moses zu halten. Wohl schrieben sie die Beschneidung nicht als Mittel zur Errettung vor, wie das «einige» getan hatten, die von Judäa nach Antiochien herabgekommen waren; aber diese Gläubigen aus der Sekte der Pharisäer mussten noch aus ihrer Gebundenheit an eine Ordnung der Dinge gelöst werden, die Gott bis auf Christus hin auferlegt hatte, aber am Kreuz ihr Ende fand. Das Judentum konnte nicht mit dem Christentum vermischt werden, doch erlaubte Gott diese Bemühungen des Feindes, damit diese Frage erörtert und ins volle Tageslicht gerückt werde, und zwar im Herzen der Kirche der Anfangszeit selbst, mit ihrem jüdisch-christlichen Charakter.