Verse 16-21
«Und nun, was zögerst du? Steh auf, lass dich taufen und deine Sünden abwaschen, indem du seinen Namen anrufst.» Der Herr war da und breitete seine Arme aus, um seinen früheren Verfolger aufzunehmen. Weshalb sollte er zögern, wie so viele Seelen es tun, denen die Gnade angeboten wird? Er sollte alles dahinten lassen und durch die Taufe davon Ausdruck geben, dass er im Glauben durch den Tod hindurchgegangen war, in dem seine ganze Vergangenheit, alle seine Sünden verschwunden waren, und dass er sich nun in einer neuen Ordnung der Dinge befand, indem er den Namen des Herrn anrief, wie jene, die er verfolgt hatte (Apg 9,14). Saulus hatte die Gnade unverzüglich angenommen und erhob sich, um festen Schrittes den Weg des Zeugnisses zu betreten, in der Gewissheit, dass seine Sünden vergeben waren. Er ist darin das Muster einer wahren Bekehrung: Gott glauben, seinen Platz im Zeugnis einnehmen, den Namen des Herrn bekennen, dem Himmel entgegenwandeln und dabei Christus zum Lebensinhalt und Ziel haben, wie der Apostel dies in Philipper 3 zum Ausdruck bringt, wo er ebenfalls auf seine Bekehrung hinweist.
Im Bericht, den der Verfasser der Apostelgeschichte über die Bekehrung des Saulus gibt (Apg 9), bemerkt er, dass Saulus drei Tage blind war und weder ass noch trank. Während dieser kurzen Zeitspanne wirkte Gott in ihm das Werk der Buße, die notwendige Zubereitung jeder Seele, um eine wirkliche Befreiung erlangen zu können. Sobald dieses Werk geschehen ist, kann ihr das Heil vorgestellt werden durch jemand, den Gott zu diesem Zweck zu ihm sendet: Ananias zu Saulus, Philippus zum Kämmerer, Petrus zu Kornelius. Als der Kerkermeister in Philippi sagte: «Ihr Herren, was muss ich tun, um errettet zu werden?» konnte ihm Paulus antworten: «Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus.» – «Also ist der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort» (Röm 10,17).
Was Paulus in den Versen 17-21 erwähnt, fand drei Jahre nach seiner Bekehrung statt. Das geht aus Galater 1,17.18 deutlich hervor. Er ging fort nach Arabien, kehrte nach Damaskus zurück und ging von da nach Jerusalem hinauf (Apg 9,26-30). Damals war es, dass er beim Gebet im Tempel in Entzückung geriet. Das Wort schweigt über das, was sich während seines Aufenthaltes in Arabien zutrug; wie wir aber schon bei der Betrachtung des 13. Kapitels bemerkt haben, lässt der Herr die Gläubigen, die Er zu einem besonderen Dienst beruft, durch eine Zeit der Zubereitung hindurchgehen, die unbedingt nötig ist. So wurde zweifellos auch Saulus zu diesem Zweck dorthin geführt.
Wir kennen die Zuneigung des Paulus zu seinem Volk; als er damals in Jerusalem ankam, war es zweifellos sein Wunsch, unter den Juden zu arbeiten. Als er im Tempel betete, geriet er in Entzückung und sah den Herrn, wie Ananias ihm gesagt hatte. Wohl als Antwort auf sein Gebet sagte ihm der Herr: «Eile und geh schnell aus Jerusalem hinaus, denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen.» In voller Freimütigkeit durfte Saulus vor dem Herrn das geltend machen, was in seinen Augen sein Zeugnis gegenüber den Juden fruchtbar machen musste: Das Evangelium wurde ihnen durch den verkündigt, der die an Jesus Glaubenden ins Gefängnis warf und in den Synagogen schlug. Selbst als das Blut des Stephanus vergossen wurde, hatte er dazu eingewilligt und die Kleider derer, die ihn steinigten, verwahrt. Er hatte, wie der wiederhergestellte Petrus, Buße predigen und sich selbst als ein Beispiel hinstellen wollen von dem, was die Gnade zu tun imstande ist. Aber das war nicht der Wille Gottes für ihn. Jener Dienst war durch die Apostel vor ihm getan worden, ganz besonders durch Petrus, und die Juden hatten nichts davon wissen wollen. Saulus war zu einem anderen Dienst berufen; er sollte unter den Nationen die Gnade verkündigen: «Geh hin, denn ich werde dich weit weg zu den Nationen senden.» Ach, der teure Apostel musste nun schmerzliche Erfahrungen machen, weil er jene, vom Herrn empfangenen Weisungen, jetzt nicht beachtet hatte. Seine Zuneigung für sein Volk nach dem Fleisch hatte ihn nach Jerusalem gebracht; aber selbst die ausgezeichnetsten Wünsche unserer Herzen müssen dem Willen des Herrn untergeordnet werden. Vom vollkommenen Diener lesen wir das Wort: «Der Herr, HERR, hat mir das Ohr geöffnet, und ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen» (Jes 50,5). So sollten auch wir in völliger Abhängigkeit vom Herrn und seinem Wort vorangehen.
Verse 22-30
Die Juden hörten Paulus zu bis zu dem Wort, durch das er ihnen zu verstehen gab, dass die von ihnen zurückgewiesenen Segnungen nun das Teil der von ihnen im höchsten Grad verachteten Nationen sein würden. Der Oberste, der nichts verstand von den Ursachen, die das Volk jetzt so rasend machten, befahl, dass Paulus in das Festungslager gebracht und mit Geisselhieben ausgeforscht werde, damit er erführe, um was es sich handelte. Als sie ihn mit den Riemen ausspannten, fragte er, der die Römischen Gesetze kannte, den Hauptmann, ob es ihm erlaubt sei, einen Römer unverurteilt zu geisseln. Als der Oberste erfuhr, dass Paulus von Geburt Römer sei, bekam er es mit der Angst zu tun, und die, die ihn ausforschen sollten, standen von ihm ab. Der Herr benützte diese Berufung des Paulus auf sein Recht, um ihm die ungerechtfertigte Geisselung zu ersparen. Er hätte ihn auch auf eine andere Weise befreien können.
Seine Rechte geltend machen und auf seinen Rechten bestehen, ist nicht dasselbe. Die Obrigkeit ist von Gott eingesetzt, um der Gerechtigkeit gemäss zu handeln. Wenn sie es einem Christen gegenüber nicht tut, so darf dieser darauf aufmerksam machen, jedoch nicht auf seinen Rechten bestehen. Die Obrigkeit ist Gott gegenüber verantwortlich, und der Christ, der das Opfer einer Ungerechtigkeit ist, übergibt sich dem, «der gerecht richtet» (1. Pet 2,23).
Als der Oberste des folgenden Tages mit Gewissheit erfahren wollte, weshalb Paulus «von den Juden angeklagt sei, machte er ihn los und befahl, dass die Hohenpriester und das ganze Synedrium zusammenkommen sollten; und er führte Paulus hinab und stellte ihn vor sie».
Kapitel 23
Verse 1-5
Vor das Synedrium gestellt, konnte der Apostel Paulus sagen: «Brüder! Ich habe mit allem guten Gewissen mein Leben vor Gott geführt bis auf diesen Tag.» Nichts hinderte ihn, in vollem Frieden vor ihnen zu erscheinen, und sein ganzes Auftreten zeugte davon. Er hatte seinen Wandel in dem reinen Licht der Gegenwart Gottes geführt. Er bemühte sich, «allezeit ein Gewissen ohne Anstoss zu haben vor Gott und den Menschen» (Apg 24,16).
Das Gewissen ist die Fähigkeit, zwischen Gutem und Bösem zu unterscheiden; es ist aber nicht der Massstab für das Gute. Um nach göttlichem Mass Gutes und Böses zu unterscheiden, muss das Gewissen durch Gottes Wort erleuchtet werden. Durch das Werk Christi sind wir vom bösen Gewissen gereinigt worden, da alle unsere Sünden durch das Blut des Kreuzes getilgt worden sind. Das ist das Teil eines jeden Gläubigen. Fortan müssen wir uns bemühen, ein gutes Gewissen zu haben, indem wir jedes Böse im Licht Gottes, das heisst im Licht seines Wortes richten. In dieser Übung sollen wir Fortschritte machen. Es kann vorkommen, dass wir eine Zeitlang in Dingen leben, die das Gewissen nicht beschweren, aber nachher im Licht des Wortes entdecken, dass sie nicht Gott gemäss sind, und sie dann richten. Der Apostel sagt in 1. Korinther 4,4: «Denn ich bin mir selbst nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerechtfertigt. Der mich aber beurteilt, ist der Herr.» Er behauptete nicht, jetzt schon alles so zu sehen, wie der Herr es offenbaren wird an seinem Tag, auf den Paulus im nächsten Vers anspielt: «Bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Überlegungen der Herzen offenbaren wird.» – «Wenn unser Herz uns verurteilt, Gott ist grösser als unser Herz und kennt alles» (1. Joh 3,20). Zu den Hebräern konnte der Schreiber jenes Briefes sagen: «Betet für uns; denn wir sind überzeugt, dass wir ein gutes Gewissen haben …» (Heb 13,18).
Dass Paulus von einem guten Gewissen zeugen konnte, traf das Gewissen von Ananias, und er gab Befehl, ihn auf den Mund zu schlagen. Paulus, der nicht wusste, dass er es mit dem Hohenpriester zu tun hatte, konnte diesen Schimpf nicht ertragen, ohne zu antworten: «Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Und du sitzt da, um mich nach dem Gesetz zu richten, und gegen das Gesetz handelnd befiehlst du, mich zu schlagen?» Als Paulus erfuhr, dass es der Hohepriester war, bekannte er sich schuldig und zitierte in einem etwas veränderten Wortlaut die Stelle aus 2. Mose 22,28: «Von einem Fürsten deines Volkes sollst du nicht übel reden.» Der Ausdruck «getünchte Wand» war in der Sprache der Juden ein wohlbekannter Ausdruck, um die Heuchelei zu bezeichnen. Obwohl zu Recht ausgesprochen, standen ihm diese Worte doch nicht wohl an. Das erinnert an eine ähnliche Begebenheit, in der aber die Schönheit des einzigen vollkommenen Menschen zum Vorschein kam: Als man zu Jesus sagte: «Antwortest du so dem Hohenpriester?», gab Er zur Antwort: «Wenn ich übel geredet habe, so gib Zeugnis von dem Übel; wenn aber recht, warum schlägst du mich?» (Joh 18,22.23). Er sagte nicht wie Paulus: «Ich wusste nicht.» Bleibt man unter der Führung des Geistes Gottes, so wird man in jeder Hinsicht in der Wahrheit geleitet. Die Unvollkommenheiten der Männer Gottes heben die Vortrefflichkeiten des Herrn Jesus, des göttlichen Menschen, des vollkommenen Vorbildes, nur umso mehr hervor.
Verse 6-10
«Da Paulus aber wusste, dass der eine Teil von den Sadduzäern, der andere aber von den Pharisäern war, rief er in dem Synedrium: Brüder, ich bin ein Pharisäer, ein Sohn von Pharisäern; wegen der Hoffnung und Auferstehung der Toten werde ich gerichtet.» Gewiss, diese Worte entsprachen der Wahrheit. Doch ist man erstaunt, dass er aus der Zusammensetzung des Synedriums Nutzen zog und eine Spaltung verursachte: Er stellte sich als Pharisäer vor, der für eine Sache vor Gericht gezogen wurde, die die Pharisäer ja auch festhielten. Hatte er nicht, wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, alles, was ihm dem Fleisch nach Gewinn war, also auch sein Pharisäertum, für Verlust geachtet? Das Ergebnis seiner Diplomatie war ein Zwiespalt, ein grosses Geschrei. Die Pharisäer schienen ihn zu verteidigen, denn sie sagten: «Wir finden an diesem Menschen nichts Böses; wenn aber ein Geist oder ein Engel zu ihm geredet hat …» Das Ganze endete in einem grossen Tumult. Da der Oberste fürchtete, «Paulus könnte von ihnen zerrissen werden», liess er ihn aus ihrer Mitte wegreissen und in das Festungslager führen.
Vers 11
«In der folgenden Nacht aber trat der Herr zu ihm und sprach: Sei guten Mutes! Denn wie du von mir in Jerusalem gezeugt hast, so musst du auch in Rom zeugen.» Derselbe Herr, der einst auf dem sturmgepeitschten See zu seinen schwachen Jüngern gesagt hatte: «Seid guten Mutes, ich bin es; fürchtet euch nicht», wusste, dass jetzt sein treuer Diener in gleicher Weise eine Ermunterung nötig hatte. Wie viele Gedanken mussten sich in dessen Geist zusammendrängen; und der Feind verfehlte gewiss nicht, ihm die Veranlassung zu dieser Lage, in der er sich jetzt befand, vorzuhalten. Der Herr, der Grund gehabt hätte, ihm Vorwürfe zu machen, kam und ermunterte ihn! Er rechnete ihm das Zeugnis an, das er jetzt in Jerusalem abgelegt hatte, obwohl er ja gar nicht in diese Stadt hätte kommen sollen. Er war hier ein Zeugnis für den Herrn und die Dinge, die Ihn betrafen. Er hatte sich nicht auf Kosten der Treue zum Herrn geschont wie wir es so leicht tun. Vielmehr sagte der Apostel zu denen, die ihn zurückhalten wollten: «Ich bin bereit, nicht nur gebunden zu werden, sondern auch in Jerusalem für den Namen des Herrn Jesus zu sterben.» Und er hatte auch erklärt: «Ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben als teuer für mich selbst, damit ich meinen Lauf vollende und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesus empfangen habe, zu bezeugen das Evangelium der Gnade Gottes» (Apg 21,13; 20,24). Es mochte ihm zum Bewusstsein gekommen sein, dass die Erfüllung dieses Dienstes durch die Tatsache, dass er hierher kam, um sich in Jerusalem gefangen nehmen und den Nationen überliefern zu lassen, ernsthaft gefährdet worden war. Aber der Herr kam, um ihn zu ermuntern und ihm zu versichern, dass er nach Rom kommen würde. Und am Ende seines Laufes, in Rom, konnte er sagen: «Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Predigt vollbracht würde» (2. Tim 4,17). Gott hat sich der Gefangenschaft des Paulus bedient, um uns seine Briefe zu geben, die der Versammlung während der Zeit ihres Aufenthaltes hier auf der Erde dienen sollten. Und so schrieb er den Philippern: «Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder, dass meine Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums geraten sind» (Phil 1,12).