Petrus – Fischer, Jünger und Apostel (1)

Lukas 5,1-11; Johannes 1,35-42; Johannes 2,1-11

In den Tagen des Petrus geschahen ausserordentliche Dinge

Mehr als vierhundert Jahre lang hatte Gott geschwiegen. Er sandte keine Propheten mehr. Aber seine genaue prophetische Uhr tickte ununterbrochen weiter, und ihr Zeiger war nun an dem Punkt angelangt, wo sich gewaltig Grosses ereignen sollte, das für Himmel und Erde unabsehbare, ewige Folgen haben würde.

«Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz» (Gal 4,4).

Er war «zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel» gesandt (Mt 15,24), um «sein Volk zu erretten von ihren Sünden» (Mt 1,21) und – wenn sie Ihn aufnahmen – als Messias «für Israel das Reich wiederherzustellen» (Apg 1,6) und darüber zu herrschen.

Erste Bedingung für diese Wiederherstellung war nationale und persönliche Buße jedes einzelnen. Um diese herbeizuführen, wurde Johannes, «der grösste Prophet», von Gott als Herold dem König vorausgesandt. Er sollte durch seine Predigt im Herzen des Volkes bewirken, dass es seinen verdorbenen Zustand erkannte, durch wahres Sündenbekenntnis und Sinnesänderung jedes Hindernis wegräumte und so dem Messias den Weg bereitete (Lk 3,3-14).

Scheinbar war der Erfolg der Wirksamkeit von Johannes enorm: «Da ging zu ihm hinaus Jerusalem und ganz Judäa und die ganze Umgebung des Jordan; und sie wurden von ihm im Jordan getauft, indem sie ihre Sünden bekannten» (Mt 3,5.6). Das Stichwort «Wiederherstellung des Reiches» war es, das viele hinaustrieb, und nicht so sehr echte Umkehr zu Gott. Als Johannes sogar die ungläubigen Sadduzäer und die heuchlerischen Pharisäer zu seiner Taufe kommen sah, donnerte er ihnen entgegen: «Ihr Otternbrut! Wer hat euch gewiesen, dem kommenden Zorn zu entfliehen? Bringt nun der Buße würdige Frucht!» (Mt 3,7.8).

Doch gab es in Israel solche, «die auf Erlösung warteten» (Lk 2,38), nicht nur auf die Befreiung vom Joch der Römer, sondern auf das in der Schrift verheissene Heil, auf die Erlösung von der Knechtschaft der Sünde: ein Simeon, eine Anna und viele andere.

Andreas führt seinen Bruder Simon Petrus zu Jesus

Johannes 1,35-42

Zu der kleinen Minderheit derer, die bereit waren, den Messias aufzunehmen, zählten zweifellos auch Simon Petrus1 und Andreas, die beiden Brüder. Sie waren von Bethsaida (Joh 1,44) und wohnten in Kapernaum (Mk 1,29), beides Städte am nördlichen Ende des Sees Genezareth. Sie gingen dort täglich auf Fischfang aus; damit bestritten sie für sich und ihre Angehörigen den Lebensunterhalt.

Als die Kunde vom Auftreten Johannes des Täufers und seiner Botschaft in jene Gegend gelangte, da wünschten wohl beide, diesem Ruf Folge zu leisten. Aber durften sie gleichzeitig die Arbeit verlassen und für ein paar Tage nach Änon gehen, wo Johannes taufte? (Joh 3,23). Die Reise dorthin nahm allein schon mehr als einen Tag in Anspruch!

Wie dem auch war, Andreas ging hin und liess sich taufen. Dabei vernahm er von Johannes die Kunde vom unmittelbar bevorstehenden Erscheinen des Messias selbst und von den grossen Dingen, die dieser tun würde. Das fesselte Andreas so sehr, dass er sich gleich von Anfang an zu der kleinen Gruppe der Jünger des Johannes hielt.

Gerade in jenen Tagen geschah es, dass Johannes mit grosser innerer Bewegung seinen Blick auf einen Mann heftete, den er in der Volksmenge entdeckt hatte. Er wies mit seinem Finger auf Ihn und rief mit lauter Stimme: «Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!» (Joh 1,29).

Wie konnte er dies mit solcher Bestimmtheit sagen? Er bezeugt es selbst: «Ich kannte ihn nicht; aber damit er Israel offenbar werde, deswegen bin ich gekommen, mit Wasser taufend … Ich schaute den Geist wie eine Taube aus dem Himmel herniederfahren, und er blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht; aber der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Auf wen du den Geist herniederfahren und auf ihm bleiben siehst, dieser ist es, der mit Heiligem Geist tauft. Und ich habe gesehen und habe bezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist» (Joh 1,31-34).

Am folgenden Tag, als Andreas und ein anderer Jünger des Johannes in dessen Nähe standen, erblickte der Prophet wiederum Jesus, der da wandelte. Unverzüglich zeigte er auf Ihn und rief zum zweiten Male: «Siehe, das Lamm Gottes!»

Die beiden Jünger waren sogleich eines Sinnes: Wenn dieser der verheissene Messias ist – mehr konnten sie im Augenblick noch nicht erkennen – so wollen wir nun Ihm nachfolgen. Ihr Herz wurde von Ihm angezogen. Und ohne Zögern machten sie sich auf; sie wollten Ihn in der Menge nicht aus den Augen verlieren (Joh 1,35-37).

Wird Jesus, der erhabene Gesandte vom Himmel, sich der beiden bescheidenen Männer achten, die Ihm suchend nachfolgen? Oh, wenn Gott «denen, die ihn suchen, ein Belohner ist» (Heb 11,6), so wird sein Sohn, der gekommen ist, um die Gnade und die Wahrheit zu bringen, hier auf der Erde gerade diese göttliche Menschenfreundlichkeit und Liebe zum gefallenen Geschöpf in unvergleichlicher Weise zum Ausdruck bringen! Allen Menschen wird Er zurufen: «Kommt her zu mir», vornehmlich denen, die wissen, dass sie Sünder, mühselig und beladen sind. Keinen wird Er von sich stossen, keiner ist Ihm zu gering.

So weiss sein Herz auch jetzt, dass Ihm zwei suchende Menschen folgen. Im gegebenen Augenblick wendet Er sich um und fragt sie: «Was sucht ihr?» Sie gaben Ihm eine schöne Antwort. Sie suchten nicht materielle Vorteile, nichtige Ehre oder die äusserliche Wohlfahrt des Volkes. Seine wunderbare Person war es, die sie anzog. Sie sagten daher: «Rabbi, wo hältst du dich auf?» Und sogleich lädt Er sie ein: «Kommt und seht!»

«Sie kamen nun und sahen, wo er sich aufhielt, und blieben jenen Tag bei ihm. Es war um die zehnte Stunde» (Joh 1,38-40).

Zu Jesus kommen, sich Ihm übergeben, Ihn erkennen und bei Ihm bleiben – Anfang und Inhalt eines völlig neuen Lebens, reich an Frieden und Freude, reich an Wundem und kostbaren Erfahrungen, reich aber auch an hingebendem Dienst und stetem Kampf! Weshalb blieb Andreas nicht auch die folgenden Tage bei Jesua? Vermutlich rief ihn die Arbeit zurück, aber auch etwas anderes. Es ist, als ob man ihn sagen hörte: «Nun will ich es allen sagen, dass Jesus, der Retter, der Messias da ist! Aber zuerst soll Simon; mein Bruder, diese Kunde vernehmen!»

So geht er denn hin, von einem neuen Glück erfüllt und «findet zuerst seinen eigenen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden!» (Joh 1,41).  – Der Ausdruck «findet» scheint merkwürdig. Er wusste doch, wo sein Bruder wohnte! War anzunehmen, dass er inzwischen irgendwohin gegangen war? Kaum. Die Adresse der Menschen ist leichter zu finden, als der Zugang zu ihren Herzen. Auch muss uns das rechte Wort geschenkt werden, um die Botschaft auszurichten und die Menschen zu überzeugen.

Die Bemühungen von Andreas haben Erfolg: «Er führte ihn zu Jesus». – Welch ein Beispiel für uns! Wir vermögen keinen Menschen zu bekehren, aber wir können schlicht und einfach von Jesus zeugen, die Menschen im Gebet vor Ihn bringen, sie einladen und zu Ihm führen. Alles andere muss Er tun.

Was ereignet sich nun bei dieser ersten Begegnung Simons mit dem Herrn Jesus? (Joh 1,42). Der knappe biblische Text verrät nicht viel von dem, was in diesem Fischer vorgeht. Von Simon hören wir gar nichts und vom Herrn vernehmen wir nur zehn Worte. Doch zeigen diese Worte, dass der Herr seinen alten Namen kennt, seine ganze Vergangenheit, alles, was den Mann bis zu dieser Stunde kennzeichnete. Er kennt aber auch seinen neuen Namen, den Er ihm wird geben können, wenn er durch Glauben ein lebendiger Stein im Haus Gottes geworden ist (1. Pet 2,5) und ihm über die Person Christi eine kostbare Erkenntnis geschenkt wird (Mt 16,18).

Manch ein «Andreas», der eine Seele zum Herrn führt, ist vielleicht enttäuscht, dass das Werk Gottes in ihr nur langsame Fortschritte macht. Aber wie war es bei uns selbst? Brauchten nicht auch wir manchen Anstoss und mancherlei Hilfe vonseiten des Herrn durch allerlei Werkzeuge, bis es zu der wichtigsten Entscheidung unseres Lebens kam und wir «alles verliessen und ihm nachfolgten»? So lasst uns denn im Umgang mit Seelen von der Geduld des Herrn lernen. Wer einmal zu Ihm gekommen ist, den will Er immer weiter führen. Die Frage ist nur: Sind wir ausharrend in der Fürbitte, in unserem Dienst, und wollen die Seelen wirklich zu Ihm kommen?

Weitere Begegnungen Simons mit Jesus

Von den weiteren ersten Begegnungen Simons mit Jesus wird bald in diesem, bald in jenem Evangelium berichtet, und es ist daher wohl unmöglich, ihre chronologische Reihenfolge und damit auch die erste geistliche Entwicklung dieses Mannes genau zu verfolgen.

Zwei dieser Begegnungen wollen wir nur kurz andeuten.

Die Hochzeit in Kana

Johannes 2,1-11

In Kana in Galiläa war eine Hochzeit, zu der die Mutter Jesu, wie auch der Herr selbst mit seinen Jüngern geladen war. Es wird nicht ausdrücklich erwähnt, dass es die Zwölf waren, doch dürfen wir wohl annehmen, dass Simon Petrus mit dabei war.

Hier machte Jesus «einen Anfang der Zeichen» und offenbarte seine Herrlichkeit, indem Er, als sie keinen Wein mehr hatten, Wasser in Wein verwandelte: Ein Bild der Freude, die im Tausendjährigen Reich aufgrund des Todes und der Auferstehung von Jesus Christus das Teil des jüdischen Volkes sein wird, wenn es durch Buße und Glauben an Ihn gereinigt ist.

Die Jünger und Hochzeitsgäste, die den jüdischen Überrest darstellen, «glaubten an ihn». Hier konnte Petrus seine messianische Herrlichkeit mit eigenen Augen sehen und brauchte sich nicht mehr nur auf das Zeugnis Johannes des Täufers oder seines Bruders zu stützen.

Ein weiteres Zusammentreffen des Herrn mit Petrus finden wir in Lukas 4,38.39. Die Schwiegermutter des Petrus – er war also verheiratet (1. Kor 8,5) – wohnt in seinem Haus zu Kapernaum. Nun liegt sie fieberkrank danieder, ausserstande, irgendeine Tätigkeit auszuüben.

Da kommt Jesus von Nazareth nach Kapernaum herab, um auch da in der Synagoge zu lehren und Kranke zu heilen.

Was lag nun näher, als dass Ihm Simon die Not seiner Schwiegermutter gebracht hätte? Aber wir lesen in Markus 1,30: «Und sogleich sagen sie ihm von ihr»; und in Lukas 4,38: «Und sie baten ihn für sie.» Lässt sich daraus nicht schliessen, dass Simon selbst das persönliche Vertrauensverhältnis zum Herrn noch nicht kannte, das die Gläubigen doch kennzeichnet? Doch kann er hier aus nächster Nähe feststellen, wie ein Mensch gesegnet wird, wenn er mit Jesus in persönliche Berührung kommt.

Die Entscheidungsstunde Simons

Lukas 5,1-11

Es genügt nicht zu wissen, dass Jesus der verheissene Messias des Volkes ist und dass Er an anderen grosse Wunder tun kann. Jeder Mensch muss eine Einzelsprechstunde mit Ihm haben, in sein Licht kommen, Buße tun, Ihn im Glauben in sein eigenes Herz aufnehmen und seinem Wort gehorchen.

Der grosse Heiland, der mit der Seele des Menschen so behutsam umgeht, sieht jetzt den Augenblick gekommen, wo sein Zwiegespräch mit Simon stattfinden soll.

Jesus begibt sich an das Ufer des Sees, absichtlich unweit der Stelle, wo Simon und andere Fischer ihre Netze waschen. Der Heiland ist, wie fast immer, von einer grossen Volksmenge umgeben, die auf Ihn andrängt. Da Er aber das Volk lehren will, muss Er einige Meter Distanz von ihm haben. Und was tut Er? Er steigt in eines der Fischerboote, das Simon gehört, und bittet ihn, ein wenig hinauszufahren. Dann setzt Er sich und predigt vom Schiff aus.

Durch sein Tun sagt Er zu Petrus: «Simon, du meinst, allen Grund zu haben, mit aller Energie zu arbeiten und an nichts anderes zu denken. Aber lege einmal alles beiseite und komm, höre jetzt meinem Wort zu, ohne dich ablenken zu lassen. Für das andere werde Ich dann schon sorgen!» – Muss Er dies nicht auch uns immer wieder sagen?

So hört denn Simon das Wort, und dies ist überaus wichtig; denn «der Glaube ist aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort» (Röm 10,17).

Nach der Ansprache will Jesus Simon helfen, den «Zeitverlust» aufzuholen, nicht nur den dieser Stunde, sondern auch den der vergangenen Nacht. Ach, ist nicht das ganze Leben, solange es ohne Christus geführt wird, ein «Zeitverlust»? Immer wieder geht man «fischen», aber alles zerrinnt. Nichts bleibt im Netz zurück als nur Schlamm. So sagt auch der Prediger: «Was hat der Mensch von all seiner Mühe und vom Trachten seines Herzens, womit er sich abmüht unter der Sonne? Denn alle seine Tage sind Kummer, und seine Geschäftigkeit ist Verdruss; sogar bei Nacht ruht sein Herz nicht. Auch das ist Eitelkeit» (Pred 2,22.23).

Was Simon jetzt tut, ist sehr bedeutsam, und es wird ihm von heute an immer wichtiger. Er gehorcht dem Herrn. Er stützt sich in Glauben und Vertrauen auf sein Wort, auch wenn der Verstand anderer Meinung ist. Er sagt: «Meister, wir haben uns die ganze Nacht hindurch bemüht und nichts gefangen, aber auf dein Wort hin will ich die Netze hinablassen.» – Der Mensch muss lernen, seinen Verstand im Glauben dem Wort Gottes unterzuordnen.

Nur dem Glauben kann sich der Herr offenbaren, und Er tut es in einer Weise, die ganz der Seele angepasst ist, der Er sich kundtun will. Wie hätte Er diesem Fischer, der sich die ganze Nacht umsonst abgemüht hatte, seine göttliche Schöpferherrlichkeit besser zeigen können, als dadurch, dass Er gerade in seine besonderen Umstände eintrat und da, wo dieser versagt hatte, in einem wunderbaren Fischfang zur ungünstigsten Tageszeit seine unbegrenzte Macht bewies!

Der Segen, der dem Glauben geschenkt wird, ist so gross, dass der Mensch ihn nicht fassen kann; die Netze reissen. «Sie», wohl Simon und Andreas, müssen ihre Genossen Jakobus und Johannes zu Hilfe rufen, um die Beute zu bergen, die dann beide Schiffe füllte.

Simon wird, wie auch die anderen, von Entsetzen erfasst. Er sieht sich in die Gegenwart Gottes gestellt! Dass sich sogleich sein Gewissen meldet, ist der untrügliche Beweis dafür. Er fällt zu den Knien Jesu nieder und spricht: «Geh von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr!» Er hat das tiefe Empfinden dafür, dass er in seinem Zustand nicht in die Gegenwart Gottes passt.

Wenn ein Mensch bei diesem Punkt anlangt, wenn er mit keinem Fetzen eigener Gerechtigkeit mehr seine sündige Blösse zudecken will, sondern seine Schuldhaftigkeit schonungslos bekennt – dann kann ihm der Herr helfen. Er ist ja gekommen, «Sünder zu rufen» und um «zu erretten, was verloren ist».

Noch während Simon vor Ihm auf den Knien liegt, sagt der Herr zu ihm: «Fürchte dich nicht!» Mit anderen Worten: Sei getrost, Ich will hingehen, um für dich zu sterben und deine Sünden vor Gott zu sühnen!

Dieser Zuruf aus dem Mund dessen, der einst der Richter aller sein wird, hat dem Gewissen dieses Mannes völlige Ruhe gegeben und sein Herz für immer mit der Person seines Herrn verbunden: Als sie die Schiffe ans Land gebracht hatten, verliessen er und die anderen alles, und sie folgten Ihm nach. Die Verheissung Jesu: «Von nun an wirst du Menschen fangen», wird sich in seinem späteren Leben in reichem Mass erfüllen. Er wird nicht Fischer bleiben, sondern im Werk des Herrn unter den Menschen ein gesegneter Diener werden.

  • 1«Simon» war sein erster Name, er bedeutet. «Erhöhung»; den Namen «Petrus» (aramäisch «Kephas» = «Stein») gab ihm der Herr erst später (Mt 16,18); in den Evangelien wird er aber schon vorher Petrus genannt.