Petrus – Fischer, Jünger und Apostel (4)

Matthäus 16,13-19; Johannes 6,51-71

Der Glaube von Petrus in kritischer Stunde

(Johannes 6,51-71)

Johannes 6 berichtet uns von einem traurigen Geschehen, das für unseren Herrn überaus schmerzlich gewesen sein muss. «Von da an gingen viele seiner Jünger zurück und wandelten nicht mehr mit ihm» (Joh 6,66).

Auch für die Zwölf war es traurig, wahrnehmen zu müssen, wie die Zahl derer, die tags zuvor noch mit Begeisterung ihrem Meister nachgefolgt waren (Joh 6,14.15), ständig abnahm. Ach, sie durchschauten die Beweggründe wohl nicht, die jene vielen Menschen zur Nachfolge veranlasst hatten. Sie meinten, je grösser die Gefolgschaft, desto näher rücke der Tag der Erlösung Israels heran (Lk 24,21).

Auf welche Weise waren denn diese «vielen», die jetzt weggingen, zu Jüngern geworden?

Im 2. Vers lesen wir: «Eine grosse Volksmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.» Vor den Augen der Bewohner Galiläas und Judäas geschahen tagtäglich ausserordentliche Dinge. Der HERR selbst, der in Ägypten und in der Wüste gewaltige Wunder getan hatte, war jetzt in der Person Jesu, des Sohnes des Menschen, in der Mitte des Volkes. Er durchzog mit seinen Jüngern Dorf um Dorf und Stadt um Stadt und predigte ihnen das Evangelium vom Reich Gottes (Lk 4,40-44). Überall versammelte sich viel Volks zu Ihm; besonders wohl, weil sein Zeugnis der Worte von einem machtvollen Zeugnis der Werke begleitet war: Er tat Wunder und heilte Kranke in einem bis dahin noch nie gesehenen Ausmass (Mt 11,2-6; Lk 4,18.21). In Kapernaum zum Beispiel «brachten alle, die Kranke mit mancherlei Leiden hatten, diese zu ihm; er aber legte jedem von ihnen die Hände auf und heilte sie. Aber auch Dämonen fuhren von vielen aus …» (Lk 40.41). Diese Heilungen wiesen Ihn aus als den «Gesandten Gottes» und als den «kommenden» Messias.

Wenn durch diese Heilungen im ganzen Land in so vielen Häusern ein Feuer der Freude angezündet wurde, war es da verwunderlich, wenn das Volk Ihm nachlief und Ihm anhing?

Doch das sind nicht die «Jünger», die der Herr Jesus sucht. Jetzt, hier in Johannes 6, war der Augenblick gekommen, wo Er ihnen dies deutlich machen musste.

Eben hatte Er ein neues Wunder gewirkt: die Speisung der Fünftausend! Alle, die daran teilgenommen hatten, waren ganz erfüllt davon. «Dieser ist wahrhaftig der Prophet, der in die Welt kommen soll», so sagten sie zueinander und wurden eins, ihn zum König zu machen (Joh 6,14.15). Sie dachten: Das ist es, was wir brauchen: einen König, der in dieser Weise für unsere materiellen Bedürfnisse und für unsere Kranken besorgt ist.

Aber sie bedachten eines nicht: Christus konnte nicht über ein Volk regieren, das nicht von neuem geboren war. Darum rief Er ihnen zu: «Wirkt nicht für die Speise, die vergeht» (Joh 6,27). Kümmert euch nicht um die materiellen, sondern vor allem um die ewigen Bedürfnisse eurer Seele. Eure Väter, die in der Wüste Manna gegessen haben, um ihren leiblichen Hunger zu stillen, sind gestorben. Nun aber bin Ich da. «Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, wird er leben in Ewigkeit» (Joh 6,51). Mit anderen Worten: Der Mensch muss in einem wahrhaft bußfertigen Herzen den im Glauben aufnehmen, der vom Himmel herabgekommen ist, und zwar nicht nur als einen auf der Erde lebenden, sondern als einen für ihn gestorbenen und auferstandenen Heiland: «Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben» (Joh 6,54). Auf keiner anderen Grundlage gibt es eine wahre Lebensverbindung mit Gott und seinem Christus. Das war es, kurz zusammengefasst, was Er ihnen mit aller Deutlichkeit vorstellte.

Welches war nun die Reaktion auf diese Worte, unter den «vielen», die Jesus nachgefolgt waren? – Sie murrten und sprachen: «Diese Rede ist hart, wer kann sie hören?» Hören zu müssen, dass der Mensch, mit allem, was er im Fleisch ist und wirkt, vor Gott nichts ist, hören zu müssen, dass er nur auf der Grundlage der Gnade, in Verbindung mit dem Werk Christi Leben haben kann – das ist für die meisten eine demütigende, bittere Wahrheit, woran sie sich stossen und worunter sie sich nicht beugen wollen. Damals so wenig wie heute.

Versetzen wir uns nun einen Augenblick in jene Szene! Da stand der Herr mit den Zwölfen und ringsum die vielen Scheinjünger in der Volksmenge, die wegen irdischer Interessen dem Herrn als dem König hatten zujubeln wollen. Er hatte seine «harte Rede» vollendet, und nun sah man Gruppe um Gruppe sich enttäuscht von der Menge lösen, bis der Haufe immer kleiner und kleiner wurde. War das nun die Frucht der Predigt Jesu, die von einem überaus mächtigen Zeugnis der Werke begleitet war? Ach, diese Menschen waren die Kinder der Väter, die in der Wüste vierzig Jahre lang die Wunderwerke des HERRN gesehen hatten und doch nicht glaubten, sondern ihre Herzen verhärteten und nicht in die Ruhe Gottes eingehen konnten! (Heb 3,7-11).

Auch unsere heutige Generation, die dem Wort Gottes nicht glauben will, würde nicht überzeugt werden, wenn sie Wunder sähe oder wenn ein Prediger aus dem Totenreich zu ihnen käme (Lk 16,27-31). Es fehlt nicht an Wundern, sondern an Herzen, die sich vor Gott beugen und sich vom Vater zum Sohn ziehen lassen (Joh 6,44).

In dieser kritischen Stunde, wo sich die bösen Herzen des Volkes in solch trauriger Weise kundtaten, leuchtete hell auf, was Gott an den Seelen der Zwölf getan hatte. Judas ausgenommen (Joh 6,70.71). Als der Herr alle diese Menschen von Ihm weglaufen sah, fragte Er seine Jünger: «Wollt ihr etwa auch weggehen?» Da gab Ihm Petrus die schöne Antwort: «Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist» (Joh 6,67-69).

Wenn Petrus auch in mancher Hinsicht unwissend war und vieles nicht zu «tragen» vermochte, weil der Geist der Wahrheit noch nicht gekommen war, so hatte er doch die tiefe Überzeugung, dass nur Jesus das geben konnte, was seines Herzens grösster Besitz darstellte: Durch den Glauben an die Worte und an die Person des Herrn hatte er ewiges Leben empfangen. Durch den Glauben waren ihm die Augen über Ihn aufgegangen, und er hatte schon erkannt, dass Jesus der «Heilige Gottes» ist. Diesem Glauben sollten im Lauf seines Lebens noch viele herrliche Offenbarungen hinzugefügt werden. Der Glaube an Jesus Christus führte ihn immer mehr zum Frohlocken, «mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude» (1. Pet 1,8). Nein, diesen «kostbaren Glauben» (2. Pet 1,1), den er empfangen hatte, wollte er nie und nimmer preisgeben!

Was der Vater dem Petrus offenbarte

(Matthäus 16,13-17)

«Als aber Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger und sprach: «Wer sagen die Menschen, dass ich, der Sohn des Menschen, sei?»

Welch wichtige Frage! Die Antwort, die die Menschen darauf geben, bestimmt ihr zeitliches und ewiges Los. An der Person Jesu Christi scheiden sich ihre Wege.

Die Jünger hatten unter dem Volk vielerlei Stimmen vernommen und sagten: «Die einen: Johannes der Täufer; andere aber: Elia; und wieder andere: Jeremia oder sonst einer der Propheten.»

Keine dieser Antworten war richtig; wenn sie auch noch so wohlwollend klingen mochten. Keine stützte sich auf ein Zeugnis Gottes über Jesus. Hatte denn Johannes der Täufer nicht ausgerufen: «Siehe, das Lamm Gottes, dass die Sünde der Welt wegnimmt?» (Joh 1,29.36). Und war bei der Taufe am Jordan nicht eine Stimme aus den Himmeln gekommen, die gesagt hatte: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe?» (Mt 3,17). – Auch heute handeln die Menschen ähnlich. Die Frage: «Wer ist Jesus?» versuchen sie mit dem eigenen Verstand zu beantworten. Sie nennen Ihn Wohltäter, Religionsstifter etc., statt dass sie zu ihrem eigenen Heil in der Heiligen Schrift nachforschen, was Gott über Ihn sagt.

Dann aber fragte der Herr Jesus auch die Jünger: «Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?» Eine wichtige Frage an Gläubige. Das wird uns am Beispiel des Petrus klar.

Wie wir sahen, hat er als «sündiger Mensch» auf dem See Genezareth Jesus als Heiland kennen gelernt (Lk 5,1-11). Zur Nachfolge berufen, durfte er Ihn dann als Helfer in jeder Not erfahren, der seinen Jünger durch Sturm und Wellen, durch die widrigsten Umstände hindurch zu bewahren und aufrechtzuhalten vermag, wenn dieser nur seinen Blick im Glauben auf Ihn gerichtet hält (Mt 14,22-31). Er war auch ein Vorbild für Petrus geworden, im Umgang mit Gott und mit den Menschen, wie auch in seinem Dienst.

War das nun alles, was Jesus für Petrus sein konnte? Nein, o nein! Gott, der Vater, der von Ewigkeit zu Ewigkeit seine ganze Wonne an seinem Sohn findet, nimmt den Gläubigen sozusagen bei der Hand und will ihm an dessen Person eine Herrlichkeit um die andere zeigen, damit Er mit dem Gläubigen Gemeinschaft haben könne über seinen Geliebten.

Als daher Petrus im Namen der Zwölf dem Herrn die Antwort gab: «Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes», da erwiderte ihm Jesus: «Glückselig bist du Simon, Bar Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.» In die Erkenntnis der persönlichen Herrlichkeit des Herrn, also in die Quelle und den Mittelpunkt jeder Segnung eingeführt zu werden und darin zu bleiben, bedeutet für uns höchste Glückseligkeit.1

Petrus hat jetzt in Jesus, dem Sohn des Menschen, den Christus, den Träger aller Verheissungen erkannt, auf den sich alle Ratschlüsse Gottes beziehen. Und er durfte auch wissen, dass dieser Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist, der, wie der Vater, Leben in sich selbst hat, in seiner ganzen Fülle (Joh 5,26).

«Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?» Diese Frage stellt der Herr auch an uns. Möge Er unseren Herzen immer grösser und kostbarer werden!

Was der Sohn dem Petrus offenbart

(Matthäus 16,18.19)

Nun fährt der Herr fort: «Aber auch ich sage dir: Du bist Petrus; und auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Reiches der Himmel geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein.»

Kaum hat Petrus zum Ausdruck gebracht, was ihm der Vater von der persönlichen Herrlichkeit des Herrn kundgetan hat, so offenbart ihm der Sohn, in welcher Beziehung diese seine Herrlichkeit als Sohn des lebendigen Gottes fortan zum einzelnen Gläubigen wie auch zur Gesamtheit seiner Erlösten stehen wird. Wenn unser Herz seine Freude in Ihm findet, so teilt Er uns auch mit, was die Wonne seines Herzens ausmacht. Wir können die wichtigen Punkte seiner Mitteilungen hier nur ganz kurz zusammenfassen.

Nachdem der Herr sein Werk vollbracht hat, auferstanden und verherrlicht ist, wird folgendes geschehen:

  1. Petrus (Stein) wird, wie jeder an den Sohn Gottes Glaubende, als ein lebendiger Stein einem geistlichen Haus zugefügt (1. Pet 2,4-6).
  2. Dieses geistliche Haus ist die Versammlung. Sie besteht aus allen denen, die durch den Glauben Anteil haben an seinem Leben. Sie ist gegründet auf Ihn, den Sohn des lebendigen Gottes, den ewigen Felsen des Lebens selbst. Er ist es, der als der Auferstandene (Röm 1,4) diese Versammlung baut, Er, der sowohl den Tod (2. Tim 1,10) als auch den zunichtegemacht hat, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel (Heb 2,14). Die Pforten des Hades werden sie daher nicht überwältigen.
  3. Aufgrund der Offenbarung des Sohnes des lebendigen Gottes gibt es in dieser Welt nun anstelle Israels eine neue Haushaltung, das Reich der Himmel, einen Boden, auf den der Mensch treten und bekennen kann, Ihm anzugehören. Form und Ausdehnung dieses Reiches stimmen zur Zeit mit denen der bekennenden Christenheit überein, bis Christus kommt um seine Herrschaft in Macht aufzurichten.
    Die Schlüssel zu diesem Reich wird der Herr Petrus geben: In den ersten Tagen der Apostelgeschichte wird er das Werkzeug sein, um Juden und Heiden in diese neue Szene der Segnungen auf der Erde einzuführen. Es wird ihm sozusagen die Verwaltung dieses Reiches anvertraut, die Macht, auf der Erde zu binden und zu lösen.

Wie überaus wichtig ist doch die Erkenntnis der persönlichen Herrlichkeit des Herrn! Obwohl sie bei Petrus zu diesem Zeitpunkt noch recht schwach gewesen sein mochte, so öffnete sie ihm doch den Ausblick auf alle diese unendlichen Kreise der Segnungen, deren Mittelpunkt Christus ist. Und mit welchem Eifer ist er dann im gegebenen Augenblick in alle diese Dinge eingetreten!

Da wollen wir uns fragen: Nehmen auch wir Anteil an dem, was die Wonne des Herzens unseres teuren Herrn ausmacht – an seiner Versammlung? Sie nimmt in den Schriften des Neuen Testaments einen grossen Platz ein. Lasst sie uns mit seinen Augen betrachten und über alle diese Belehrungen viel nachsinnen; es werden für unsere Herzen kostbare Schätze der Erkenntnis sein. Auf diese Weise haben wir Interessengemeinschaft mit dem Sohn des lebendigen Gottes.

  • 1Die Tragweite dieser ihm offenbarten Wahrheiten erfasste Petrus allerdings erst, nachdem er die Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatte.