Etwas Neues

Apostelgeschichte 17,16-34

«Alle Athener aber und die Fremden, die sich da aufhielten, brachten ihre Zeit mit nichts anderem zu, als etwas Neues zu sagen und zu hören» (Apg 17,16-34).

Seit Jahrhunderten schon war in dieser Stadt unter denen, die sich zu den «Intellektuellen» zählten, das Debattieren und Diskutieren über alle möglichen Welt- und Lebensprobleme die Hauptbeschäftigung, wenn sie nicht dem Broterwerb nachgehen mussten. Immer wieder stand ein grosser Philosoph auf, der seine Ideen und Lehren mit überzeugender Beredsamkeit zu entwickeln wusste. Jeder hatte seine Anhänger, seine Schule; und wenn die jungen Leute der verschiedenen Schulen sich trafen, war das eine gesuchte Gelegenheit, gegenseitig die geistigen Kräfte zu messen und zu schärfen.

Was zu diesem freien Gedankenaustausch anreizte, war der Umstand, dass diese philosophischen Lehrgebäude nicht bis in alle Einzelheiten ausgebaut waren und keiner jener grossen Denker seine Ideen mit Recht als absolute Wahrheit hinstellen konnte. So blieb auch den kleineren Geistern ein grosser Spielraum zu eigenem Denken, was damals Ehre und Ansehen einbringen konnte.

Eines Tages stellte sich ein Unbekannter auf dem Markt hin und unterredete sich mit denen, die gerade herzukamen, wie man es sich in Athen gewohnt war. Aber er brachte nicht eine neue, unbekannte Philosophie, einen willkommenen Diskussionsstoff unter die Leute, sondern verkündigte ihnen das Evangelium, eine ganz andere, noch nie gehörte Botschaft. Es war Paulus, der grosse Apostel der Nationen.

Unvereinbare Gegensätze

Es ist für jeden von allergrösster Bedeutung, dass er den Unterschied zwischen Menschenweisheit und dem Evangelium Gottes völlig versteht. (Lies bitte 1. Korinther, Kapitel 1 und 2).

Menschenweisheit

Menschenweisheit ist ein Produkt des Verstandes und der Einbildungskraft des Menschen. Der geschätzteste Denker gleicht – wie jemand gesagt hat – der Spinne, die ihr Netz aus der Substanz webt, die sie aus ihrem eigenen Körper zieht.

Durch die Weisheit der Welt vermag der Mensch Gott nicht zu erkennen: Die Götter der weisen Griechen waren Fantasiegebilde mit menschlichen Überlegungen und Leidenschaften.

Und noch ein anderes wichtiges Kennzeichen der Menschenweisheit: Sie will die völlige Verdorbenheit des Menschen nicht anerkennen. Sie möchte wahrhaben, dass er durch Überlegung und Willensanstrengung dazu gelangen könne, sein Leben selber zu meistern. Sie hält also den Grundsatz der Selbsterlösung fest und geht somit von falschen Voraussetzungen aus, ganz abgesehen davon, dass sie auch zu einem falschen Ziel führen will. Für Gott, der den Menschen in seiner ganzen Sündhaftigkeit und Unfähigkeit zum wahrhaft Guten kennt, ist sie daher «Torheit».

Das Evangelium

Das Evangelium aber kommt nicht vom Menschen, sondern von dem allein wahren Gott, der diese Welt gemacht und alles, was darin ist. «Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz aufgekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.»

Es gründet sich auf die unerhörte, einmalige Tatsache, dass der Sohn Gottes Mensch geworden ist, nach Gottes ewigem Ratschluss sich selbst am Kreuz zum Opfer gab und dadurch das Werk der Erlösung vollbrachte.

Das Evangelium ist die Zusammenfassung der unendlichen Ergebnisse dieses Werkes für uns Menschen. Aber auch das Erkennen und Zusammenstellen dieser herrlichen Ergebnisse wurde nicht dem Geist des Menschen überlassen. Wie Gott sich in Christus kundgetan und was Er in Ihm «bereitet hat», hat Er den Aposteln und Propheten durch seinen Geist offenbart. Diese Offenbarung besitzen wir jetzt in ihren inspirierten Schriften, im Wort Gottes, das nun «vollendet» ist.

Paulus nennt das Evangelium «das Wort vom Kreuz». Am Kreuz wurden nicht nur die Sünden dessen, der dem Evangelium im Glauben gehorcht, gesühnt und getilgt, auch der Gläubige selbst hat dort, was den alten Menschen betrifft, sein Ende gefunden: Er ist «mitgekreuzigt» und «mitgestorben». Was hat er daher noch mit einer Menschenweisheit zu tun, die sich vergeblich an den alten, verdorbenen Menschen richtet, um aus ihm einen «Weisen», einen «Edlen» und «Starken» zu machen?

Ein unvermischtes Evangelium verkündigen

Paulus war daher sorgfältig darauf bedacht, das Evangelium rein und ohne jede Beimischung von Redeweisheit zu predigen. Nur so kann es Menschen erretten und sich als Gottes Kraft erweisen. Der Apostel hielt nicht dafür, unter den Weisen Griechenlands etwas zu wissen, als nur Jesus Christus, und Ihn als gekreuzigt. Unter jenen von sich eingenommenen Redegewaltigen war er selbst in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern. Es war für ihn ein Kampf; er wollte um keinen Preis auf ihren Boden treten. Seine Rede und seine Predigt waren nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern – und das ist das Wichtige bei der Verkündigung des Evangeliums – in Erweisung des Heiligen Geistes und der Kraft Gottes. Der echte Glaube beruht nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes-Kraft. Der Apostel, der sich immer wieder und mit so grosser Überzeugung gegen jede Vermischung von Gesetz und Gnade zur Wehr setzte, die von vielen falschen Lehrern aus den Juden angestrebt wurde, trat ebenso entschieden gegen die Einmischung der Menschenweisheit auf. Das Evangelium ist Weisheit Gottes. Ob es auch zweitausend Jahre lang verkündigt werde – es duldet keinerlei Zusätze oder Abstriche, von welcher Seite sie auch kommen mögen. Es ist endgültige, göttliche Wahrheit.

Der Christ und das Streben nach dem Neuen

Der Bote Gottes hielt also jenen Griechen, die von den Gedanken der Menschen so Grosses hielten, das Kreuz vor die Augen, das den natürlichen Menschen mit seiner Lebensweisheit und seinen Weltanschauungen, mit all seinem Tun verurteilt und richtet. Für sie war es eine Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes-Kraft. Es trennt uns von der Welt (Gal 6,14), befreit uns vom alten «Ich» (Gal 2,20), vom Gesetz (Gal 2,19) und von der Macht der Sünde (Röm 6,22). Aber es ist wichtig, dass wir diese Befreiung erkennen und sie in allen Belangen verwirklichen, also auch im Blick auf die «Weisheit dieser Welt», die sich so leicht hinter dem Neuen versteckt, das uns anziehen und von allen Seiten auf uns eindringen will.

Junge Menschen sind im Allgemeinen nicht geneigt, das Bisherige als eine unabänderliche Gegebenheit anzunehmen. Sie sind offen für das Neue. Und diesem Streben nach dem Neuen ist zum guten Teil der Fortschritt in Technik, Wissenschaft und Forschung zuzuschreiben. Aber seien wir auf der Hut, dass wir dieses Verlangen, «etwas Neues zu sagen und zu hören», nicht auf das geistliche Gebiet vorstossen lassen. Denn wenn die Wahrheit Gottes, wie wir sie in der Bibel, im «Wort der Wahrheit» besitzen, endgültig und unabänderlich ist, und wenn ihr Gott seit neunzehnhundert Jahren schon keine Neuoffenbarung mehr hinzugefügt hat, so könnte das Neue nur vom Menschen und von unten kommen.

Jeder, der einen Blick auf die Wege der Christenheit seit den Tagen der Apostel wirft, wird dies bestätigt finden. Das Neue, das der christlichen Lehre von Geschlecht zu Geschlecht in steigendem Mass hinzugefügt worden ist, hat die Grundlage der «Lehre der Apostel» mit einem Schutthaufen bedeckt, der das helle Licht der Wahrheit in erschreckender Weise verdunkelt hat. Bewegungen und Erweckungen dagegen, die von Gott her kamen, legitimierten sich dadurch, dass sie die Gläubigen zur unverfälschten Lehre des Wortes zurückführten.

Manche von uns sind ja die Urenkel von solchen, die über diese Zustände in der Christenheit getrauert und unter grossen Gewissens- und Herzensübungen das Lehrgebäude der Wahrheit Gottes in seiner ursprünglichen Form wieder freizulegen suchten, um sich ihr in allen Dingen zu unterwerfen. Der Herr hat sich zu ihnen bekannt und sie reiche Ströme des Segens für sich und viele Tausende finden lassen. Sie suchten nicht das Neue, sondern das, «was von Anfang war».

Wie verhalten wir uns nun? Lassen wir wiederum Schutt auf die Belehrungen des Wortes fallen, Staub auf die Schriften dieser Brüder?

Nein, wir sind ermahnt, «für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen» und uns selbst zu erbauen «im allerheiligsten Glauben» (Judas 3.20). Nicht nach neuen, menschlichen Gedanken wollen wir uns ausstrecken; die Freude des Gläubigen liegt nicht im Debattieren und Diskutieren, sondern er findet sie im Wort Gottes (Ps 119,111), im Heiligen Geist (Röm 14,17), im Herrn (Phil 4,4), in der Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus (1. Joh 1,3) und im Gehorsam (Joh 15,11).

Es soll uns daher von Herzen darum zu tun sein, täglich in die gleichen, aber unendlich erhabenen und ewig weiten Räume der Gedanken Gottes einzutreten und uns seinem Willen zu unterwerfen. Da können wir jeden Tag neue Herrlichkeiten entdecken und uns auch mit anderen darüber freuen. Uns in Ewigkeit in diesen heiligen Räumen aufzuhalten wird ja die immer neue Glückseligkeit des Himmels ausmachen!