«Die Worfschaufel ist in seiner Hand, und er wird seine Tenne durch und durch reinigen» (Lukas 3,17).1
Heute sind wir in der Zeit der «Tenne», noch nicht in der Zeit der «Scheune», wohin der Herr die Seinen bald versammeln wird.
Wie oft spricht der Herr im Evangelium von der Ernte! Als Er seine Augen auf die Felder richtete, sagte Er: «Sie sind schon weiss zur Ernte» (Joh 4,35). Er überblickte dabei im Geist all das, was die Gnade aufgrund seines Werkes am Kreuz wirken würde, um in dieser Welt Seelen für die Ewigkeit zu erretten. Als Er ein anderes Mal die Grösse dieser Ernte überschaute, forderte Er seine Jünger auf, den Herrn der Ernte zu bitten, «dass er Arbeiter aussende in seine Ernte». Wenn einerseits nur Gott allein das Heil einer Seele bewirken kann, so will Er anderseits die Seinen gebrauchen, um das Evangelium auszubreiten und Sünder zu sich zu ziehen. Das Wort im Urtext besagt nicht nur, dass wir den Herrn bitten sollen, Arbeiter in seine Ernte auszusenden, sondern hinauszustossen! Denn wenn sich die Berufung zum Dienst für den Herrn spürbar macht, erheben sich so viele Hindernisse, dass die ganze Wirksamkeit seines Geistes nötig ist, um «hinausgestossen» zu werden.
Der Herr nimmt die Seelen, die errettet worden sind, nicht unmittelbar zu sich heim. Fast immer lässt Er sie eine mehr oder weniger lange Zeit auf der Erde, um sie zu unterweisen und zu bilden, um sie – wenn nötig – zu züchtigen und so auf diese Herrlichkeit zuzubereiten. Es ist die Zeit der «Tenne».
Unter dem grossen hellblauen Himmel Südamerikas, in dem dann und wann Wolken dahinziehen, breiten sich die endlosen Erntefelder aus. Die grossen Erntemaschinen fahren hinein, schneiden zur Linken die Halme und lassen zur Rechten die vollen Kornsäcke zur Erde fallen, die sogleich ein Lastwagen aufnehmen wird. Als der Herr Jesus auf der Erde lebte, war es noch nicht so. Man brachte die Ernte mit der Sichel ein, und die auf die Tenne gelegten Ähren unterzog man dort einer doppelten Behandlung. Zuerst wurden sie gedroschen – ein Bild von der Züchtigung des Vaters, der wir alle unterworfen sind (Heb 12,6), und zwar «zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden». Es handelt sich dabei nicht so sehr um Strafen, sondern um verschiedenerlei Prüfungen, durch die der Vater seine Kinder hindurchgehen lässt, damit sie die Absonderung vom Bösen praktisch verwirklichen lernen und ihr Leben der Heiligkeit entspreche, womit sie schon bekleidet sind. Sie müssen nicht zur Heiligkeit gelangen; sie besitzen sie, jedoch sollen sie zeigen, dass sie heilig «sind». Das gedroschene Korn musste dann gesichtet werden. Die Tenne befand sich meistens auf einem Hügel, wo sie dem Wind ausgesetzt war. Die Körner wurden mit der Schaufel in die Luft geworfen, und der Luftzug nahm die Spreu mit sich fort. Von daher rührt der Ausdruck im ersten Psalm: «Die Gottlosen … sind wie die Spreu, die der Wind dahintreibt» (Ps 1,4). Wem käme es in den Sinn, die Weizenkörner mitsamt der sie umgebenden nutzlosen Spreu in die Scheune zu sammeln? Alles, was für Gott unbrauchbar ist, muss aus dem Leben des Gläubigen ausgeschieden werden. Das bewirkt der Heilige Geist, womit der Herr Jesus die an Ihn Glaubenden tauft, gemäss der Ankündigung des Johannes im 16. Vers, der unserem Text vorausgeht. Das Korn redet von Christus selbst. Die Spreu muss weggetan werden, damit Christus in den Seinen gesehen werde. Die «Täler» – so viele Mängel in unserem Wandel – müssen aufgefüllt, die «Berge und Hügel» – Hochmut und Eitelkeit – müssen erniedrigt, das «Krumme» – gibt es nicht allzu viel davon in unserem Leben? – muss gerade gemacht und die «unebenen Wege» auf denen die, für die wir so oft ein Stein des Anstosses sind, so leicht straucheln – müssen zu ebenen Wegen werden (Lk 3,5).
In der Tenne Ornans bekannte David, in Sacktuch gehüllt, seine Sünde: «Ich bin es, der gesündigt und sehr böse gehandelt hat … es sei doch deine Hand gegen mich» (1. Chr 21,17). Dort durfte er aber auch die ganze Gnade Gottes erfahren, in dessen Hand er zu «fallen» gewünscht hatte. Auf diesem Hügel Morija, wo Isaak geopfert und worauf der Tempel Salomos gebaut wurde, nicht weit von Golgatha entfernt, brachte David Brandopfer dar, auf die Feuer vom Himmel herabfiel.
In die Tenne des Boas kam Ruth in der Nacht, um sich «zu seinen Füssen» niederzulegen. Sie, die Fremde, fand dort die Erbarmungen dessen, der das Recht zum Lösen hatte und der sie später in sein Haus aufnahm.
In der Tenne Atads gab es eine sehr grosse Klage (1. Mo 50,10); bei der Tenne Nakons schlug der Tod den Mann nieder, der es gewagt hatte, die Lade Gottes anzufassen (2. Sam 6,6). Schliesslich war es ebenfalls in der Tenne, wo Gideon das Woll-Vlies ausbreitete – ein Vorbild vom Lamm Gottes, das, nachdem es Gott in seinem Leben vollkommen verherrlicht hatte, der Gegenstand seiner Gunst sein konnte: Auf Ihn kam der Tau herab (Richter 6,37-38). Aber in der Nacht, die darauf folgte, war auf dem Vlies Trockenheit: Das Gericht und das Verlassensein erreichten den, der für uns zur Sünde gemacht, in der Tenne den Zorn Gottes erdulden musste, damit sich der Segen Gottes über uns ausbreiten konnte «und auf dem ganzen Boden Tau sei.»
Die Tenne der Züchtigung, des Gerichts über das Böse, der Trennung von allem, was nach dem Fleisch ist, wird bald der «Scheune», der ewigen Glückseligkeit, Platz machen, die der, der mit Jubel heimkommt und seine Garben trägt (Ps 126,6), mehr als alle anderen geniessen wird.
- 1Diese Schriftstelle weist in erster Linie auf Israel hin, das hier Gottes «Tenne» genannt wird. Wer unter dem Volk auf Jesus hörte und ihn im Glauben aufnahm, war für ihn «Weizen», den Er in die «Scheune» sammelt. Der ungläubige Teil des Volkes aber glich der «Spreu», über die das Gericht kommen sollte. – im vorliegenden Aufsatz wird dieses Bild nun auch auf die Erziehungswege Gottes mit den Seinen angewandt.