Ein Bruder schreibt
Als ich vor mehr als fünfzig Jahren zum Herrn geführt wurde, las ich manche Biographie bekannter Gottesmänner und entdeckte dabei, dass sie Männer des Gebets waren. Besonders der Wert und die Bedeutung des verborgenen und anhaltenden Gebets haben dabei einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht. Es wurde mir klar, dass ich mir viel Zeit dafür nehmen sollte, und solche Stunden waren mir all die Jahre hindurch zur Freude und zu grossem Nutzen.
Mit zunehmenden Aufgaben und Anforderungen des Lebens konnte ich die Gebetszeiten nicht mehr so lange ausdehnen, aber während meines ganzen Christenlebens fühlte ich mich jedes Mal unglücklich und verurteilt, wenn ich das Gebet vernachlässigte. Und mehr noch, ich merkte, dass ich dabei selber viel verlor und mein eigenes geistliches Wohlergehen schädigte.
Ich bin Gott dankbar, dass ich jetzt wieder mehr ruhige Zeit finde und diese gesegnete Gewohnheit wieder länger ausüben kann. Früher pflegte ich zum Gebet sehr früh aufzustehen, aber meine physischen Kräfte lassen es jetzt nicht mehr zu. Nun sind die ruhigen Abendstunden für mich die günstigste Zeit. Ich gehe in einen stillen Raum und setze mich da zunächst eine Weile nieder, um mir der Gegenwart des Herrn so recht bewusst zu werden. Dann darf ich in aller Ehrfurcht, aber in grossem Vertrauen alles, was mir im Hinblick auf meine Verwandten und Freunde, Geschwister und Diener des Herrn auf dem Herzen liegt, in bestimmten und bis ins einzelne gehenden Bitten im Namen Jesu vor Gott hinlegen. Ich darf sie alle mit Namen nennen und auch meine persönlichen Bedürfnisse bringen. Ich bin mir wohl bewusst, dass wir Gläubige sowohl körperlich als geistig grundverschieden sind, und nicht alle in derselben Weise handeln können. Aber eines steht bei mir fest: das unvermeidliche Resultat der Vernachlässigung des persönlichen Gebets und der verborgenen Gemeinschaft mit Gott bringt geistlichen Niedergang.
Die spontanen Bitten, die wir tagsüber, aus unserem Leben heraus, zu Gott empor senden dürfen, sind wichtig, aber sie können die festgesetzten Gebetszeiten nicht ersetzen.
Der Wille Gottes im Herzen
Ein Polenkönig wurde einst gefragt, wie es komme, dass er so erfolgreich sei und von den Menschen so geschätzt werde. Er antwortete, das habe er einer Gewohnheit zu verdanken: er habe immer das Bild seines Vaters bei sich.
Weil der Wille seines Vaters, der ein echter Edelmann war, ihm so viel galt, nahm er jedes Mal, wenn er eine Entscheidung zu treffen hatte, das Bild hervor und betrachtete es, wie wenn er seinen Vater hätte fragen wollen, was er tun solle. Es war sein fester Entschluss: «Ich will nie etwas tun, das meinem Vater Unehre bereiten würde.»
Haben wir hierin nicht ein schwaches Bild von dem, was wir Christen tun sollten? Lasst auch uns den Willen Gottes in unserem Herzen herumtragen und bei allem, was wir tun, daran denken, diesen Willen zu suchen und auszuführen, umso Gott zu ehren und zu verherrlichen.
Anzeichen des Wachstums in der Gnade
«Wachst aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus.» (2. Pet 3,18)
Ein erfahrener Bruder sagte einmal: «Für einen Blick auf uns selbst sollten wir zehn Blicke auf Christus richten.» Das ist ein beherzigenswertes Wort. Aber lasst es uns nicht vergessen, diesen einen Blick hin und wieder auf unser Leben zu werfen! Eine gelegentliche geistliche «Inventur-Aufnahme» ist eine notwendige Übung. Zu diesem Zweck mögen einige kurze Hinweise auf Dinge, die ein Wachstum in der Gnade anzeigen, von Nutzen sein, besonders für solche, die noch am Anfang ihres Glaubenslebens stehen.
«In der Gnade wachsen» bedeutet einfach, in der praktischen Heiligung, in der Gleichförmigkeit mit dem Willen Gottes und in der praktischen Ähnlichkeit mit Christus zuzunehmen. Gott hat immer das Ziel, seine eigene Herrlichkeit in der Person Christi zu unserem Segen zu offenbaren; und sein Wille für uns besteht darin, dass auch wir in unserem Leben, während der Zeit und in der Ewigkeit, dieses selbe Ziel haben und seine Herrlichkeit kundtun.
Ein Zeichen wahren Wachstums in der Heiligung besteht darin, reinere Beweggründe zu haben. Am Anfang unseres Glaubenslebens sind wir geneigt, die Dinge aus gemischten Beweggründen zu tun. Wir mögen zum Beispiel eine Sonntagsschulklasse übernehmen
- weil wir gefragt werden und die Person, die uns dazu anregt, achten und sie nicht durch unsere Absage betrüben möchten
- weil wir denken, es sei gut, es andern gleichzutun, die ebenfalls Kinder im Wort Gottes unterrichten
- weil wir nicht wissen, was wir mit unserer Zeit beginnen sollen
- weil wir uns unbehaglich fühlen und unruhig sind, wenn nicht etwas läuft und wir nicht etwas zu tun haben
Einige dieser Motive mögen gleichzeitig vorhanden sein und auch der Wunsch, Gott zu verherrlichen. Bei dem Christen jedoch, der in der Gnade wächst, werden die ungeistlichen Beweggründe mehr und mehr schwinden, so dass seine wahre Triebfeder zum Dienst in zunehmendem Mass darin besteht, den Namen dessen zu verherrlichen, der ihn erlöst hat.
Je mehr Fortschritte in der Heiligung wir machen, desto weniger werden wir durch natürliche Gefühle und Impulse beherrscht, sondern durch Gottes Wort und seine Grundsätze.
Eine weitere und tiefere Liebe zu andern ist ein Höhepunkt der christlichen Gnade. Alle Menschen zu lieben und bereit zu sein, uns für alle Arten von Menschen im Dienst hinzugeben, ist in der Tat ein hohes, erstrebenswertes Ziel.
Im selben Mass, wie ein Christ in der Gnade wächst, wird die Welt aus seinem Blickfeld verschwinden und werden ihre Dinge für ihn an Anziehungskraft verlieren. Ihre Erbärmlichkeit wird ihm in zunehmendem Mass bewusst, und er wird ein wachsendes Interesse an den unsichtbaren, geistlichen und ewigen Dingen nehmen, die im Grund allein Bedeutung haben. Er mag es vielleicht gar nicht merken, dass seine Zuneigungen zu diesen geistlichen Dingen stärker werden, aber sie beschäftigen seine Gedanken, füllen sein Herz und bestimmen seinen Wandel.