Wesenszüge der göttlichen Natur im Gläubigen
Verse 1-2
Wir haben früher schon festgestellt, dass das Offenbarwerden der göttlichen Natur im Gläubigen einer der Hauptgegenstände dieses Briefes ist. Ein Wesenszug dieser Natur, also des göttlichen Lebens im Menschen, der in Vollkommenheit im Menschen Christus Jesus gesehen wurde, ist der Gehorsam. In Kapitel 2,29 lesen wir. «Wenn ihr wisst, dass er gerecht ist, so erkennt, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist.» Gerechtigkeit im Gegensatz zur Sünde, absoluter Gehorsam gegenüber Gott im Gegensatz zum Eigenwillen des Menschen, kennzeichnet den aus Gott Geborenen, also dasselbe Leben, dieselbe göttliche Natur, die in Christus, in vollkommenen Früchten für Gott, so völlig offenbart worden ist. «Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie er gerecht ist.» In uns ist das Offenbarwerden dieses göttlichen Lebens und seine Fruchtbarkeit gehindert durch das Fleisch, aber die Früchte sind von derselben Natur wie die, welche Christus hervorgebracht hat.
Hier finden wir noch einen anderen Wesenszug des göttlichen Lebens: «Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren.» Jesus, der Christus, ist in das Seine gekommen, und die Seinen nahmen Ihn nicht an; so viele Ihn aber aufnahmen und an seinen Namen glaubten, zeigten dadurch, dass sie aus Gott geboren waren.
«Und jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist.» Aus der göttlichen Natur in uns kommt eine Liebe hervor, die alle aus Gott Geborenen umfasst, eine Liebe zu allen Gliedern der Familie Gottes. Da gibt es Christen verschiedenen Charakters, die sich bis dahin nicht kannten – wenn sie sich auf der Reise begegnen und sich als Gläubige kennenlernen, so fühlen sie sich sogleich verbunden, durch viel innigere Bande als die der Natur. Welch schönes Zeugnis der wahren Jünger Jesu, wenn sich die göttliche Natur in ihnen vor allen Menschen in dieser Weise kundgibt!
Aber diese Liebe muss ihre Echtheit beweisen. «Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.» Gehorsam ist wichtiger als alles andere. Das ist es, was die Kindesbeziehung kennzeichnet. Wohl sind wir aus Gott geboren, um später zu erben; zu allererst aber, um zu gehorchen. Wir sind «auserwählt … durch Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi» (1. Pet 1,2). Wenn ich, statt danach zu fragen, was Gott in seinem Wort sagt, einen Weg meiner eigenen Wahl einschlage, so ist dieser Ungehorsam kein Beweis von Liebe zu Ihm. Eine sehr wichtige Feststellung, wohl zu beachten in diesen Zeiten des Verfalls und des Niedergangs, die an das düstere Bild des Zustandes Israels am Ende des Buches der Richter erinnern, wo «ein jeder tat, was recht war in seinen Augen», wie wenn Gott nicht gesprochen hätte! (Richter 17,6; 21,25). «Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt», sagt Jesus. Wenn wir uns mit den Äusserungen des Willens der Menschen nicht eins machen können, werden wir vielleicht gescholten und als engherzig bezeichnet. Aber was tut’s! Ein solcher «wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren», fügt der Herr bei. «Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen» (Joh 14,21.23). Das ist viel mehr wert als aller Beifall der Menschen; und durch meinen Gehorsam gegen Gott bin ich ihnen nützlicher, als wenn ich mich ihnen anpasse.
Verse 3-4
«Denn dies ist die Liebe Gottes, dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt.»
Die göttliche Liebe, die wir erkannt und geglaubt haben und die durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen ist, findet ihren Ausdruck im Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes und steigt wieder zu Dem empor, der ihre Quelle und ihr Gegenstand ist. Das lässt sich nicht voneinander trennen. Wir können nicht in der Liebe vollendet sein, ohne dass sich unsere Herzen zum Gehorsam gegen Gott und zur Unterwürfigkeit unter sein Wort beugen. «seine Gebote» sind nicht «das Gesetz». Dieses verhiess dem, der es hielt, das Leben, vermochte ihm aber weder eine neue Natur, noch Kraft zum Halten des Gesetzes zu geben. «seine Gebote» aber sind sowohl der Ausdruck des Lebens, das uns mitgeteilt worden ist und das wir in Christus besitzen als auch der Autorität Dessen, der jeden Anspruch auf unseren völligen Gehorsam besitzt. Sie entsprechen also den Wünschen der neuen Natur, und darum sind seine Gebote «nicht schwer». Um sie zu tun, haben wir daher im Geist, in der Kraft des neuen Lebens zu wandeln, wie geschrieben steht: «So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebend in Christus Jesus» (Röm 6,11).
Nur darin findet die Seele Glückseligkeit und wahre Freiheit, dass sie Gott lebt. «Ich bin mit Christus gekreuzigt», sagt Paulus, «und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir». Das ist von jedem Christen wahr; er besitzt vor Gott kein anderes Leben als Christus, aber der Apostel fügt hinzu: «Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat» (Gal 2,20). Das ist persönlich. Darin liegt die Kraft des Lebens und der Befreiung. Nicht indem wir mit uns selbst kämpfen, oder indem wir in uns selbst Christus sehen wollen, finden wir Befreiung und Kraft zum Wandeln, sondern nur im Bewusstsein, dass Gott uns als solche betrachtet, die der Sünde gestorben, aber in Christus Jesus lebend sind. In dieser Stellung haben wir Christus zum Gegenstand, einen Gegenstand, der ausserhalb von uns ist. Das Herz ist von Christus ergriffen, dem lebendigen Christus, der zur Rechten Gottes ist. Er ist «der Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat!» Welche Ruhe und welche Freude für das Herz! Welche Kraft auch, um mit einem freien und glücklichen Herzen in den Fussstapfen Dessen zu wandeln, für Den es eine Freude war, die Gebote seines Vaters zu halten und seinen Willen zu erfüllen! Wir sind als seine vielgeliebten Kinder verantwortlich, Gott zu lieben und seine Gebote zu halten, aber gerade darin liegt unsere Glückseligkeit. Nicht die Verantwortlichkeit eines Kindes seinem Vater gegenüber macht es unglücklich, sondern wenn es darin fehlt. Ein gehorsames Kind, welches das Herz seines Vaters erfreut, ist ein glückliches Kind. Nein wahrlich, «seine Gebote sind nicht schwer».
«Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt». Die Beeinflussung der Welt ist für das Kind Gottes das grosse Hindernis, im Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes voranzugehen. Diese Welt ist ein von Satan, ihrem Fürsten, errichtetes System zur Befriedigung des Fleisches und der Begierden des Menschen, ein System, das seine eigene Religion, seine eigene Moral, sein eigenes Vergnügen hat, aber völlig gottfeindlich ist. So erwies sie sich in der Verwerfung Christi. Als der Sohn Gottes in Gnade als Heiland erschien, spie Ihn die durch Satan angeführte Welt ins Angesicht und hängte Ihn ans Kreuz. Aber das Kreuz war der Sieg Christi über die Welt, die seither eine verworfene Welt ist. Das Kreuz ist das Gericht dieser Welt, wie auch des Menschen im Fleisch. Daraus ergibt sich jetzt für uns Gläubige, den Teilhabern des Lebens aus Gott in dem auferstandenen Christus, dass wir nicht von der Welt sind, wie Christus nicht von der Welt ist. Das Kreuz hat eine endgültige Trennung zwischen uns und ihr herbeigeführt. Durch das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus, sagt Paulus, ist mir die Welt gekreuzigt und ich der Welt (Gal 6,14).
Was kann also die Welt einem aus Gott Geborenen anbieten? Sie hat nichts für den neuen Menschen. Daher: «Alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt.» Das Fleisch ist in uns, ohne Zweifel, und es wird sich nie verändern; aber Gott hat es am Kreuz gerichtet, und wir haben es ständig für gekreuzigt zu halten, sonst würde die Welt wieder ihren Einfluss über uns ausüben und das Herz zu den Dingen Ägyptens zurückkehren.
Gott gebe uns, durch Glauben zu wandeln, in der Kraft der göttlichen Natur, die uns mitgeteilt worden ist! Wenn sich das Herz Ihm zuwendet und sich an Ihm und seiner Liebe erfreut, so werden wir mit Freude in dem Weg seiner Gebote, dem Weg Christi wandeln, und das Joch, das Jesus selbst getragen hat und das Er uns zu tragen einlädt, zur Ruhe unserer Seelen auf uns nehmen. Es gibt also nichts Kostbareres als sein Joch, nichts Leichteres als seine Last.
«Und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube.» Dieser Ausdruck: «Unser Glaube» ist bemerkenswert. Er ist, dem Grundsatz nach, der Sieg über die Welt; er hat in Christus, in seinem Sieg am Kreuz, wo sich der ganze Widerstand, die Feindschaft und die Macht der Welt gegen Ihn erhob, seinen höchsten Ausdruck gefunden. «Ich habe die Welt überwunden», sagt Jesus, und wir werden ermahnt, mit Ausharren zu «laufen den vor uns liegenden Wettlauf, hinschauend auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der, die Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes» (Heb 12,1.2).
Vers 5
«Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?»
Der Glaube ist der Sieg; er ist durch seinen Gegenstand, durch Jesus, den Sohn Gottes, gekennzeichnet, der die Welt überwunden hat und in die himmlische Herrlichkeit eingegangen ist. Ich habe einen Heiland, der sich für mich hingegeben und mich vom ewigen Verderben errettet hat, und dieser Heiland ist «der Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.» Er ist in die himmlische Herrlichkeit eingetreten, in der Kraft seines ewigen Sieges. Wo sind unsere Herzen? Wohin neigen sich unsere Wünsche und wohin richten wir unsere Blicke?
Wenn Christus für unsere Seelen kostbar ist, können wir dann unser Vergnügen da finden, wo die Welt das Ihre sucht, und uns an der Politik oder an der Religion einer Welt beteiligen, die den Sohn Gottes gekreuzigt hat? Gewiss nicht. Auch vermag uns dann ihr Widerstand auf dem Weg des Gehorsams nicht aufzuhalten. «Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hungersnot oder Blösse oder Gefahr oder Schwert?» Im Gegenteil: «In diesem allem sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat» (Röm 8,35.37). Indem wir auf Jesus, den Sohn Gottes, schauen und sein Wort bewahren, gehorcht der Glaube und überwindet alles.