Der erste Johannesbrief (7)

1. Johannes 3,4-24

Christus ist die vollkommene Darstellung des ewigen Lebens

Vers 4

Der Sinn des Wortes Gesetzlosigkeit ist: «ein Wandel ohne Gesetz». Der Gesetzlose unterwirft sich keiner Vorschrift, die ihm von aussen her auferlegt wird; die einzige Lebensregel, die er anerkennt, ist die, welche er sich selbst aufstellt. Eigenwille ist daher der dem Begriff Gesetzlosigkeit entsprechende Ausdruck. Wenn ich erkannt habe, dass der Eigenwille das Wesen der Gesetzlosigkeit ist, werde ich in meinem eigenen Leben eine Menge Dinge verurteilen, die ich bis dahin nicht für Sünde hielt. Der Eigenwille ist es, der Adam zum Verderben wurde, als die Versuchung an ihn herantrat; in treuer Abhängigkeit von Gott wäre er nicht gefallen.

Verse 5-6

Christus wird offenbar werden (vergleiche Vers 2), nachdem Er hier auf der Erde schon ein erstes Mal offenbart worden ist, «damit er unsere Sünden wegnehme; und Sünde ist nicht in ihm.» Der Heilige Geist führt uns immer wieder zu Christus, zu der Quelle zurück. Können wir die Sünde tun, wenn Er unsere Sünden weggetan hat? Wie klar ist doch das Wort! Unser Platz ist, in Ihm, der ohne Sünde ist, zu bleiben. Dann werden wir nicht sündigen.

«Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen, noch ihn erkannt.» Wie richtet uns dieses Wort! Wenn der Gläubige sündigt, so hat er den Herrn dabei weder gesehen, noch erkannt. Beachten wir, Er sagt nicht: «Jeder, der in der Sünde lebt.» Das widerlegt den Gedanken derer, die da meinen, diese Verse bezögen sich nicht auf Gläubige, sondern auf Unbekehrte, die «in der Sünde leben.»

Verse 7-8

«Kinder, dass niemand euch verführe! Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie er gerecht ist. Wer die Sünde tut, ist aus dem Teufel.» Die Ausdrucksweise wird immer unbedingter. In Kapitel 2,29 lasen wir: «Erkennt, dass jeder, der die Gerechtigkeit tut, aus ihm geboren ist», und im 4. Vers unseres Kapitels: «Jeder, der die Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit».

«Der Teufel sündigt von Anfang an». Wie es ein göttliches «von Anfang an» gibt, so gibt es auch ein teuflisches «von Anfang an». Der Anfang des Teufels, der sich in Hochmut gegen Gott erhob, war Sünde, und sobald er sich auf der Erde offenbarte, hatte dies Sünde zur Folge: die Gesetzlosigkeit Adams, den Hass Kains, usw. Der Anfang Christi hingegen ist Gerechtigkeit und Liebe. «Hierzu ist der Sohn Gottes offenbart worden, damit er die Werke des Teufels vernichte.» Als Christus auf die Erde kam, hatte seine Offenbarung zwei Beweggründe. Sie geschah erstens, um unsere Sünden wegzunehmen (Vers 5) und zweitens, um die Werke des Teufels zu vernichten (Vers 8). Das will nicht sagen, die Werke des Teufels seien schon vernichtet, oder die Sünde sei schon aus der Welt weggenommen. Aber die Grundlage dafür ist in seiner Offenbarung und durch das Werk am Kreuz gelegt. Das ist der Sinn jener Worte: «Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt» und: «Er ist … offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer» (Joh 1,29; Heb 9,26). Die Kinder Gottes besitzen schon den vollen Nutzen dieses Werkes; ihre Sünden sind weggetan und der Teufel ist ein besiegter Feind; sie sind in Christus eine neue Schöpfung, in der alles neu gemacht ist; sie sind in dem Leib seines Fleisches versöhnt; aber die Versöhnung aller Dinge ist noch nicht erfolgt, und das endgültige «es ist geschehen» der neuen Schöpfung ist noch nicht ausgesprochen (Off 21,5-6).

Vers 9

«Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist.» Hier ist unter «Same» nicht, wie in andern Stellen, das Wort Gottes gemeint, sondern das, was es in uns hervorgebracht hat: Die Natur Gottes, das ewige Leben, das in uns bleibt.

Das Wort lässt uns die Früchte der bösen Natur erkennen, damit wir sie in der Kraft eines neuen Lebens überwinden. Wir können den alten Menschen nicht zum Tod bringen, da er ja schon mit Christus gekreuzigt worden ist, aber wir können unsere Glieder töten, die auf der Erde sind, wie: «Hurerei, Unreinheit» usw. (vgl. Kol 3,5). Das grosse Ziel dieses Briefes: «Meine Kinder, ich schreibe euch dies, damit ihr nicht sündigt» (2,1).

Johannes stellt die unbedingte Trennung der beiden Naturen fest und fragt gewissermassen: Und nun, könnt ihr nach dieser alten Natur leben? Nein, «jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde». Er betrachtet uns losgelöst vom alten Zustand. Wir haben die neue Natur und können aus ihr unmöglich die Früchte der alten Natur hervorbringen. Christus sündigt nicht; sein Leben in uns kann nicht sündigen. Wer in Ihm bleibt, sündigt nicht.

Wenn unser Gewissen durch die Gewohnheit der Gemeinschaft mit dem Herrn zartfühlend geworden ist, werden wir, sobald diese Gemeinschaft getrübt ist, uns beeilen, die Sache vor Gott zu bringen, damit unsere Seelen wiederhergestellt werden. Unsere Kindesbeziehung zu Gott kann nicht zerstört werden, aber das geringste Böse unterbricht die Gemeinschaft mit Ihm. Man gewöhnt sich leicht an diesen Verlust, wenn die Gemeinschaft nicht der gewohnte Zustand der Seele ist. Man vegetiert dann mehr oder weniger gleichgültig dahin; das Herz ist trocken, man hat wenig Freude und gewöhnt sich daran; die Sorgen des Lebens bemächtigen sich der Seele; man verhärtet sich. Der Apostel möchte, dass die Gemeinschaft ununterbrochen sei; deshalb sagt er: «Und nun, Kinder, bleibt in ihm» (Kap. 2,28). Falls die Kinder Gottes sie verloren haben, will Er, dass sie die Gemeinschaft durch das Bekenntnis ihrer Sünden unverzüglich wieder finden (1,9).

Verse 10-12

Jetzt geht Johannes zur Liebe über, indem er sie mit der Gerechtigkeit verbindet: «Jeder, der nicht Gerechtigkeit tut, ist nicht aus Gott, und wer nicht seinen Bruder liebt.» So, wie die Liebe mit der Gerechtigkeit verbunden ist, so ist der Hass unlösbar mit der Ungerechtigkeit vereinigt. Ja, noch weit mehr: Die Gerechtigkeit ruft den Hass der Menschen hervor. Abel und Christus sind Beispiele hierfür (Vers 12).

In den Versen 10-12 spricht er nicht mehr von zwei Naturen im Gläubigen, sondern von zwei Familien in der Welt:

  • die Kinder Gottes und
  • die Kinder des Teufels

Die Liebe Gottes in uns wird sich durch die Liebe zu den Brüdern zeigen. So begegnet man auf Schritt und Tritt dem höchst praktischen Ziel dieses Briefes.

«Denn dies ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt) dass wir einander lieben sollen» (Vers 11). Es gibt zwei Botschaften in diesem Brief. Die erste: Gott ist Licht (Kapitel 1,5) und hier die zweite.

Vers 13

Die Natur des Gottes der Liebe in uns soll sich in der Bruderliebe nach aussen zeigen.

Was ist Erstaunliches daran, dass die Welt – gleichbedeutend mit den «Kindern des Teufels» – uns hasst? Der Herr sagte zu seinen Jüngern: «Wenn die Welt euch hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat» (Joh 15,18).

Verse 14-17

Die Liebe zu den Brüdern ist der Beweis, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, dass wir das Auferstehungsleben besitzen. Aber wir werden die Liebe nie durch ihre Offenbarung in uns kennen lernen; wir haben sie in Christus erkannt, in Ihm, der sein Leben für uns hingegeben hat. In Kapitel 2,29 lasen wir: «Ihr wisst, dass er gerecht ist», hier nun wird vom Beweis seiner Liebe gesprochen (Vers 16). Wir haben das unermessliche Vorrecht, in der Welt, in der wir zu leben haben, den Charakter Gottes in Christus darzustellen. Und dies ist sein Gebot: «dass ihr einander liebet, wie ich euch geliebt habe» (Joh 15,12). Auch wir sollen also unser Leben lassen für unsere Brüder. Unserer Aufopferung sind keine Grenzen gesetzt; als solche, die das gleiche Leben haben wie Christus, sollen wir in der Offenbarung der Liebe so weit gehen wie Er.

Aber diese Liebe wird sich nicht allein in aussergewöhnlichen Taten zeigen (Vers 17). Ich bin nicht jeden Tag berufen, mich für die Brüder der Lebensgefahr auszusetzen. Die Liebe aus Gott zeigt sich am häufigsten in den ganz alltäglichen Beziehungen des Lebens: «Wer aber irgend irdischen Besitz hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschliesst sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?»

Vers 18

«Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit.» Wie wichtig ist diese wohlbekannte Ermahnung, und wie oft handeln gerade jene gegen sie, die sie am besten kennen! Aus diesem Wort geht hervor, dass Gott die Wirklichkeit des göttlichen Lebens in uns sehen will; der blosse Schein hat für Ihn keinerlei Wert.

Vers 19

Hier werden zwei Folgen dieser Wirklichkeit in unserem christlichen Leben aufgezeigt: Dadurch, dass unser Wandel dem Leben in uns entspricht, erlangen wir

  • erstens die Gewissheit, aus der Wahrheit zu sein und
  • zweitens die Zuversicht unserer Herzen vor Ihm.

Steht es anders mit uns, so werden wir uns in seiner Gegenwart nicht wohl fühlen und werden nach Mitteln suchen, sie zu meiden oder ihr zu entfliehen.

Vers 20

Es kann vorkommen, dass unser Herz, statt von Gewissheit und Zuversicht erfüllt zu sein, uns verurteilt. Die Gemeinschaft ist unterbrochen; unserer Seele ist nicht wohl. Wir wissen vielleicht nicht, was zu diesem Zustand des Unbehagens oder des Leidens geführt hat. Wir dürfen aber gewiss sein, dass Gott den Zustand unserer eigenen Herzen kennt. Wir können, wie Petrus, zum Herrn sagen: «Du weisst alles.» Du bist grösser als unser so unwissendes, schwaches und untreues Herz; Du wirst uns belehren. Oder mit den Worten des 139. Psalms: «Du hast mich erforscht und erkannt … Erforsche mich … und erkenne mein Herz … Sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf dem ewigen Weg!»

Vers 21

«Wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott.» Ist Wirklichkeit in unserem Wandel, dann ist uns wohl vor Gott, und in den Beziehungen zu Ihm sind wir von Vertrauen erfüllt. Wir haben Freimütigkeit zu Ihm für den jetzigen Tag. In Kapitel 4,17 hingegen ist von unserer Freimütigkeit am Tag des Gerichts die Rede.

Verse 22-23

Nun fügt er hinzu: «Und was irgend wir bitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun.» Es gibt in diesen Versen drei Dinge, die voneinander abhängig und unzertrennbar miteinander verbunden sind: Ein Wandel in praktischer Gerechtigkeit, im Gehorsam und in der Liebe, der zum Ziel hat, in allen Dingen Ihm wohlgefällig zu sein, hat Freimütigkeit zum Ergebnis; unsere Beziehungen mit Ihm kennzeichnet ein glückliches Vertrauen. Ein solcher Wandel ist auch die Voraussetzung für die Erhörung unserer Gebete, wenn das, was wir erbitten, nicht die Frucht unseres Eigenwillens, sondern der neuen Natur ist, die immer von Ihm und von der Leitung seines Heiligen Geistes abhängig bleibt. Alle diese Gedanken sind tief, im Grund sehr einfach und für uns von unermesslicher Tragweite.

Vers 24

Der Gegenstand des dritten Kapitels endet eigentlich mit dem 23. Vers. Von Vers 24 an bis zum 6. Vers des 4. Kapitels haben wir einen zusätzlichen dritten Beweis des Lebens, das in Christus offenbart und uns mitgeteilt worden ist: Die Gegenwart des Heiligen Geistes, der uns gegeben worden ist. In Kapitel 4,7-21 ist sodann nicht nur vom Leben, sondern von Gott selbst die Rede, der in uns wohnt und wir in Ihm. In Kapitel 5 schliesslich wird gezeigt, dass der Glaube es ist, durch den diese Dinge unser Eigentum geworden sind, der Glaube, der vor allem das Zeugnis annimmt, das Gott über seinen Sohn abgelegt hat.