Vers 11
3. Glaube
Das dritte, wonach der Christ zu streben ermahnt wird, ist der Glaube, der mit Gott rechnet, der sich auf Ihn stützt und, was das Vertrauen und das Leben anbetrifft, das Herz praktisch mit Gott verbindet. Der Glaube begleitet somit die Gottseligkeit und die Gerechtigkeit; der Gerechte wird aus Glauben leben. Wenn wir Gott den Platz geben, der Ihm in unseren Herzen zukommt, können wir in praktischem und lebendigem Vertrauen mit Ihm rechnen. Das ist nicht nur das unbestimmte Bewusstsein, dass wir Gott kennen, dass Er sich um uns kümmert, sondern ein lebendiger Glaube, der bewirkt, dass wir uns Tag für Tag auf Gott allein stützen und uns nicht auf Dinge und Menschen verlassen. Der Glaube ehrt Gott, denn ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen.
4. Liebe
Die Liebe in uns ist die vierte Tugend, nach der zu streben wir aufgefordert werden (1. Kor 14,1; Eph 5,2; Kol 3,14). Nach Gottes Wort hat sie drei Wesenszüge, und es wird uns Gewinn bringen, über sie zu sinnen.
- Die Liebe ist zuallererst eine Frucht der Neugeburt, der neuen Natur in uns. Der Geist, der uns gegeben worden ist, hat sie in unsere Herzen ausgegossen. Weil wir von neuem geboren sind, können wir mit der Liebe lieben, die aus Gott ist.
- Die Liebe ist zweitens der Widerschein des sittlichen Charakters des Heiland-Gottes in denen, die auf der Erde seine Kinder und Zeugen sind.
- Drittens besteht die Liebe im Gehorsam dem Gebot Gottes gegenüber. Im Wort werden Liebe und Glauben oft miteinander erwähnt. So zum Beispiel in Philemon 5; diese Stelle wirft Licht auf diesen Punkt, weil der Herr uns darin als der Gegenstand des Glaubens und als der Hauptinhalt unserer Zuneigungen und Liebe vorgestellt wird.
Wenn die mit Glauben verbundene Liebe den Herrn vor Augen hat, kann sie auch den Erlösten gegenüber sichtbar werden. Sie ist es, die ein gutes Funktionieren der Organe des Leibes Christi ermöglicht; sie ist das Band der Vollkommenheit. Um die Liebe und ihre Ausübung praktisch kennen zu lernen, brauchen wir nur den Herrn in seiner Tätigkeit, seinem Dienst und seinem leidensvollen Opfer am Kreuz zu betrachten, das gewissermassen die Krönung seines Liebeswerkes ist.
In 1. Korinther 13 wird uns Tätigkeit der Liebe gezeigt. Wir werden mit dem Betrachten der Wesenszüge und den Wirkungen der Liebe Gottes nie zu Ende kommen, denn da sinnen wir ja über das nach, was Er in seinem tiefsten Wesen ist, und wir werden uns ewig daran erfreuen. Wir werden die Früchte des ewigen Sieges der Liebe Gottes über alle Hindernisse, denen sie begegnete, vollkommen geniessen.
Wenn wir nun unsererseits Liebe erweisen wollen, müssen wir in Gemeinschaft mit Gott leben und ein von seiner Liebe erfülltes Herz haben. Nicht wenn wir viel von der Liebe wissen, werden wir lieben; vielmehr lieben wir in dem Mass, wie wir die Liebe Gottes geniessen, nicht mehr und nicht weniger. Die Liebe lässt sich also nicht von der Gottseligkeit trennen. Wir sollten darum bitten, dass die Liebe Gottes fortwährend unsere Herzen erfülle, sonst werden die Schwierigkeiten für unsere Herzen zu mächtig.
Die Liebe ist nicht blind, wie ja auch die Liebe Gottes nie blind war; sie sah immer vollkommen klar, was wir wirklich sind. Die Liebe, im christlichen Sinn des Wortes, bleibt immer mit der Wahrheit verbunden: Wir sollen in der Wahrheit Gottes lieben (2. und 3. Johannesbrief). Gott ist Liebe und Licht. Er gibt in keinem dieser beiden Wesenszüge etwas preis. Das Werk seiner Gnade entsprach auch seinem Licht. Die Liebe freut sich mit der Wahrheit (1. Kor 13,6). Gesetzliche Belehrung wird nie die Frucht der Liebe hervorbringen. Wenn Gottes Liebe mit Kraft im Herzen wirksam ist, wird zum Handeln in jedem Augenblick ein Verständnis vorhanden sein, das nur die Liebe geben kann. Wir werden so handeln, wie keine Vorschrift, keine Unterweisung es uns zum Voraus beibringen könnte. Wenn unsere Herzen in die Liebe Gottes eingetaucht sind, werden wir die Bibelstellen verstehen, die von dieser Liebe reden, und werden sie auch praktizieren. Wenn unsere Herzen aber bei aller Erkenntnis des Wortes Gottes trocken bleiben, werden wir nicht fähig sein, in der Kraft seiner Liebe zu handeln. Ein Mensch mag nach 1. Korinther 13,3 sein Leben lassen; er kann jemanden nachahmen, der Liebe hat; er kann sogar den Herrn nachahmen, ohne dabei Liebe zu haben und Leben aus Gott zu besitzen.
Die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden. Man nimmt diese Stelle oft zur Grundlage, um zu behaupten, man müsse um jeden Preis alles zudecken. Gewiss, die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden, aber dies kann erst geschehen, wenn der, der sie begangen hat, sie vor Gott bekennt und Selbstgericht übt, sonst freut sich die Liebe nicht mit der Wahrheit. Schon im dritten Buch Mose wurden die Israeliten unterwiesen, ihren Bruder nicht sündigen zu lassen, ohne es ihm zu sagen und ihn zu ermahnen; sie sollten ihn auf diese Weise zurückführen.
Wir müssen in Gottes Nähe verharren, um unseren Geschwistern gegenüber die Gesinnung der Gnade zu bewahren. Niemand wird wohl behaupten, dass nicht auch andere Gefühle in ihm aufsteigen können.
Das Vorherrschen der Gottseligkeit besteht darin, dass die Liebe, die Gott im Herzen lebendig erhält, die anderen Gefühle vertreibt. Die Liebe Jesu war unergründlich und unbeschränkt; Er ertrug alle Prüfungen vonseiten der Sünder und auch der Seinen; Er wurde verlassen, in der übelsten Weise misshandelt, und doch war seine Liebe nie zu Ende. In der Praxis halten wir uns zu wenig in der Nähe Gottes auf, und so benötigen wir oft eine gewisse Anstrengung, damit unsere Liebe diesen oder jenen Schlag überwinden kann. Wenn wir uns jedoch nahe bei Gott aufhielten, wäre der Sieg im selben Augenblick errungen. Das «liebenswürdige» Fleisch hat bald einmal sein Fassungsvermögen erschöpft; wohl vermag es bis zu einem gewissen Grad Selbstverleugnung und Liebe nachzuahmen, aber es wird sich immer irgendwie verraten, währenddem die Liebe Gottes ohne Grenzen ist.
Wir müssen darauf achten, dass in unseren Beziehungen mit den Geschwistern unsere Gefühle frei von Egoismus bleiben, und dies kann nur sein, wenn wir vor Gott stehen (2. Kor 12,15). Wenn wir nur die lieben, die auch uns lieben, übersteigt unsere Gerechtigkeit die der Pharisäer nicht (Mt 5,20).
Oft scheint die Liebe gerade das Gegenteil von Liebe zu sein. Der Herr sagte zu Petrus: «Geh hinter mich, Satan», weil Er ihn liebte: Er achtete nicht auf die Reaktion des Petrus, sondern hatte die Ehre Gottes und das Wohl seines Jüngers im Auge. Die weltliche Liebe ist von Schmeichelei durchsetzt: Man will niemanden verletzen. Schmeichelei ist Lüge und das Gegenteil von Liebe; daher muss sie aus den Beziehungen unter Geschwistern verbannt werden. Die gottgemässe Liebe trägt immer einen Charakter der Würde und der sittlichen Autorität. In Sprüche 27,6 wird gesagt, dass die Wunden, die der zufügt, der liebt, treu gemeint sind. So war es, wenn der Herr einen seiner Jünger tadelte. Im Umgang mit unseren Geschwistern erinnert uns die Liebe daran, dass sie Gott und Christus angehören; sie lässt sie uns «in Christus» sehen. Die Quelle der Liebe ist im Herzen Gottes, im Herzen Christi, und je mehr wir aus dieser Quelle trinken, werden wir in der Wahrheit Liebe ausüben.
5. Ausharren
Die fünfte Tugend, nach der es zu streben gilt, ist das Ausharren. Keiner hat mehr Ausharren bewiesen, als Christus, der während seines ganzen Dienstes die Zielscheibe des Widerspruchs der Menschen war. In 2. Petrus 3,9 finden wir einen anderen Wesenszug des Ausharrens des Herrn: Er wartet geduldig auf den Augenblick, an dem Gott Ihn senden kann, die Seinen heimzuholen, um dann in den Heiligen verherrlicht zu werden. Lasst uns doch fortwährend auf unser göttliches Vorbild blicken, damit auch wir diese beiden Wesenszüge des Ausharrens beweisen können: Ausharren, um den Widerspruch der Welt zu ertragen, und Ausharren, um die Wiederkunft des Herrn zu erwarten.
In 2. Thessalonicher 3,5 wünschte der Apostel, dass die Herzen der Gläubigen zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Christus gerichtet würden. Jakobus 5,7 gibt uns die kostbare Ermahnung, Geduld zu haben und verbindet sie mit dem Bild des Ackerbauern, der auf die köstliche Frucht der Erde wartet und Geduld hat, bis sie den Früh- und Spätregen empfange. Er vermag nichts zu tun, um das Saatkorn zum Keimen zu bringen; es benötigt dazu Gottes Werk, es braucht Regen und muss, wenn das Korn zu sprossen beginnt, geduldig auf die Zeit der Reife warten. Seiner Weisheit gemäss beschleunigt oder hemmt Gott das Wachstum und den Reifeprozess der Ähre. Die Geduld soll also in der Glaubensprüfung ein vollkommenes Werk haben (Jak 1,4). Auch wir müssen mit Ausharren auf die Ankunft des Herrn warten. Welches auch der Charakter des Ausharrens und der Geduld sein mag – wir lernen sie nur in des Herrn Schule und in Gemeinschaft mit Ihm.
Im Neuen Testament nimmt das Wort Ausharren Schattierungen an, die es hervorzuheben und nicht zu verwechseln gilt. Im vorliegenden Text bedeutet Ausharren wie an einigen anderen Stellen Ausdauer und Beharrlichkeit (Heb 12,1; 2. Kor 6,4; Jak 5,11; 2. Pet 1,6; Römer 5,3; Kol 1,11). Es handelt sich dabei immer um das Ziel des Herrn, das im gegebenen Augenblick offenbar wird. In Hebräer 6,12 hat das Wort Ausharren den Sinn von «Langmut» oder «Standhaftigkeit». Welche Schattierung auch immer gemeint sein mag, immer ist der Herr darin unser Vorbild. Wir können das Ausharren nur lernen und ausüben, wenn wir in inniger Gemeinschaft mit Ihm leben.
Gott nennt sich im Wort den Gott des Ausharrens (Röm 15,5). Es ist einer seiner Wesenszüge. Der Herr in seiner heiligen Menschheit war und ist immer noch der Mensch des Ausharrens im vollen Sinn des Wortes. Es braucht das ganze Werk Gottes in jedem von uns, um diese verschiedenen und kostbaren Züge des Ausharrens in uns hervorzubringen, die ja unserer Natur so fremd und entgegengesetzt sind.
Welches auch immer ihr Wesenszug sein mag, das Ausharren steht immer in Verbindung mit Leiden. Darum sind wir von Natur aus nicht geduldig. Die Geduld oder das Ausharren ist eine Eigenschaft der neuen Natur. In 2. Petrus 1,6 ist sie ein Teil der goldenen Kette, und in Römer 5, wo der christliche Weg beschrieben ist, wird das Ausharren durch Trübsale bewirkt. Das Ausharren lernt man in der Schule Gottes. Man hat schon gesagt, dass sie die schwierigste christliche Tugend sei, die wir auf unseren Wegen nur mit Mühe lernen, bis wir bei Christus sein werden. Gott hat Geduld mit uns und so sollen wir sie auch mit den Menschen haben (siehe das Gleichnis in Matthäus 18,21-35). Wie dankbar werden wir sein, wenn wir droben beim Herrn einmal sehen werden, wie viel Geduld und Barmherzigkeit Er uns erwies!
6. Sanftmut des Geistes
Die Aufzählung der Dinge, nach denen es zu streben gilt, schliesst mit der «Sanftmut des Geistes». Diese Eigenschaft tritt bei dem Menschen hervor, der nicht auf seinem Recht beharrt (Phil 4,5). Das Ich wird beiseite geschoben, und die Gnade erfüllt das Herz – eine Frucht des Lebens Christi in unseren Herzen. In 2. Timotheus 2,24.25 legt Paulus den Nachdruck auf diesen Charakterzug der Sanftmut, und Petrus spricht in seinem ersten Brief vom «unvergänglichen Schmuck des sanften und stillen Geistes, der vor Gott sehr kostbar ist» (1. Pet 3,4). In Matthäus 11,2 sagt uns der Herr: «Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.» Auch die Sanftmut erwerben wir nur in der Nähe und Gemeinschaft des Herrn. Die Sanftmut des Geistes schliesst unbedingt auch die Demut ein.