Kapitel 1
Die Briefe an Timotheus und Titus haben einen besonders lieblichen und von Zuneigung geprägten Charakter. Hier richtet sich ein Diener des Herrn, der einen langen und ausserordentlich gesegneten Lauf hinter sich hat, an einen Empfänger, der auf dem Weg des Glaubens noch jung ist. Gott weiss, wie Er den Seinen die notwendige Unterstützung geben muss. Er gibt den Jungen durch die Bewährten, die schon einen Teil der Laufbahn durchlaufen haben, wertvolle Hilfe; deren Erfahrungen und Ratschläge sind ihnen sehr nützlich. Christus selbst hat den Charakter eines Vorläufers angenommen, der uns auf dem Pfad des Glaubens vorangeschritten ist. Zudem war Paulus Apostel, der sich der Grösse und Verantwortung des ihm anvertrauten Dienstes bewusst war; als solcher bestellte er sein Kind Timotheus zu einem Dienst und teilte ihm alles mit, was dazu nötig war.
Was dem Apostel dabei sehr am Herzen lag und was ihm Gott in besonderer Weise anvertraut hatte, war alles das, was sich auf die Versammlung Gottes bezog. Daher wird er jetzt mit Timotheus über diesen Leib, die Versammlung, reden und ihm die Vorrechte und auch die Verantwortlichkeit derer zeigen, die dazu gehören. In dieser Welt besteht das Haus Gottes, die Versammlung, die der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit ist, das heisst, der Ort, wo die Wahrheit gekannt und festgehalten wird. Wer diese Tatsache verwirklicht, empfindet das Bedürfnis, bewahrt zu werden, um in einer Weise zu wandeln, die den Herrn, das Haupt der Versammlung, ehrt.
Timotheus war jung, legte aber trotz seiner Jugend viel Ernst an den Tag. Von Anfang an hatte er bei den Brüdern ein gutes Zeugnis (Apg 16,2). Auch der Apostel bezeugte den Glauben, die Frömmigkeit und die Hingabe des jungen Bruders an den Herrn. Paulus liebte ihn und hatte Vertrauen in ihn. Er enthüllte ihm die Gedanken Gottes. Gott offenbart uns die Gedanken seines Herzens in dem Mass, wie Frömmigkeit und Glaube vorhanden sind.
Um den Brief gut zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass Timotheus ein Diener des Paulus war und somit ein Diener des Herrn. Er diente dem Herrn, wenn er Paulus diente. Der Herr hatte es so angeordnet. Darum sehen wir in gewissen Briefen, dass Paulus, wenn er nicht selbst hingehen konnte, Timotheus zu einer Versammlung sandte, wo es Schwierigkeiten gab.
Verse 1,2
Die Beziehungen zwischen Paulus und Timotheus waren solche von zwei Dienern, die in der Gegenwart Gottes lebten, im Bewusstsein der Berufung, womit sie berufen worden waren. Das eigentliche Band zwischen diesen beiden Männern war Christus. Das ist es, was aus den beiden ersten Versen des Briefes hervorgeht.
Die Berufung des Apostels kam von «Gott, unserem Heiland, und Christus Jesus, unserer Hoffnung.» Gott kann vom Heil reden, weil Er selbst alles Erforderliche dazu getan hat. Welche Ruhe gibt uns dies! Der Herr Jesus wird uns hier als unsere Hoffnung vorgestellt. Das lenkt unseren Blick zur Ewigkeit hin, wo unsere Herzen völlig befriedigt sein werden in der Erkenntnis und dem Genuss des Herrn. Diese kurzen Worte zeigen uns also das Christentum in seiner ganzen Einfachheit und Schönheit. Das sind die sicheren Grundlagen, auf die der Geist Gottes unsere Füsse stellt. Die Erkenntnis des Heiland-Gottes und seines Sohnes Christus Jesus (unserer Hoffnung) wird in Johannes 17,3 das ewige Leben genannt. Gott verlangt nichts vom Menschen; am Kreuz hat dieser ja den Beweis erbracht, dass es unmöglich ist, etwas Gutes von ihm zu erlangen. Darum gibt jetzt Gott, entsprechend seiner Gnade und seiner Liebe; zu diesem Zweck hat Er selbst in der Person seines Sohnes alles getan. Wie sollte uns dies mit dem Herrn Jesus verbinden!
Paulus wünschte seinem Kind im Glauben Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus. Man begreift die Inbrunst dieses Wunsches vonseiten eines Mannes, der durch den Pfad des Dienstes und des Leidens für Christus gegangen ist, dabei aber Erfahrungen von der Liebe und Treue des Herrn gemacht hat, die sein Herz mit Freude erfüllten. Er richtete sich da ja an einen jungen Mitknecht, der auf dem ähnlichen, mehr oder weniger einsamen Weg voranging.
Die Gnade ist die Liebe Gottes, die sich darin zeigt, dass sie den Sünder rettet, aber auch die Gläubigen in ihren verschiedenen Umständen umgibt, bewahrt und befreit.
Die Barmherzigkeit ist die Liebe Gottes, die sich in unserem Elend offenbart. Wir sind elend auf gar manche Weise. Die Barmherzigkeit wird immer einzelnen gegenüber erwähnt: Der Gläubige wird als ein Pilger gesehen, der hier auf der Erde Schwierigkeiten, Not, Leiden und Schwachheiten begegnen muss. Die Barmherzigkeit wird nicht einer Versammlung gewünscht; denn die Versammlung wird so betrachtet, wie sie nach Gottes Gedanken besteht; nicht, dass in ihr die Seite der Not nicht vorhanden wäre, aber sie wird im Gruss nicht in Betracht gezogen.
Diese drei Worte: Gnade, Barmherzigkeit und Friede hatten im Mund des Apostels grosses Gewicht; er hatte so manches Mal Gelegenheit, ihren Wert und ihre praktische Kraft zu erproben. Auch wir sollen diese drei Dinge praktisch geniessen. Ohne diese kann man weder festhalten noch dienen. Wir sollen uns bewusst sein, dass wir Gegenstände der Gnade sind und werden so die Liebe Gottes erkennen. Diese Dinge sind unentbehrlich, um auf dem Weg mit Gott voranzugehen. Nur wer sich von Gnade und Barmherzigkeit umgeben weiss, wird den Frieden Gottes geniessen. Diese drei Begleiter werden uns vorgestellt, damit wir mit ihnen den Weg des Glaubens verfolgen, ähnlich wie im 23. Psalm gesagt wird, dass Gnade und Huld den Gläubigen alle Tage seines Lebens umgeben werden.
Welch einen Verlust erleiden wir, wenn wir uns in uns selbst stark fühlen und unser Haupt erheben. Dann wissen wir nicht, dass wir durch die Gnade getragen werden und können sie nicht richtig schätzen. Es fehlt uns dann das Bewusstsein unseres Elends. Wir sind uns dann der Gefahren, die uns umgeben, nicht bewusst, noch was wir in uns selbst sind. Wir wissen dann auch nicht, was Barmherzigkeit ist und geniessen in unserem Herzen nichts von dem Frieden, der das Ergebnis der empfangenen Gnade und Barmherzigkeit ist.
Verse 3,4
Als Paulus nach Mazedonien ging, hatte er Timotheus gebeten, in Ephesus zu bleiben. Es war nötig, dass dieser in der Versammlung in Ephesus blieb, wo der Feind die Arbeit Gottes zu verderben trachtete (Apg 20,29). Timotheus hatte vom Apostel die erforderliche Autorität empfangen, um gewissen Personen zu gebieten, nicht andere Lehren zu lehren, noch mit Fabeln und endlosen Geschlechtsregistern sich abzugeben. Timotheus war mit dieser apostolischen Autorität bekleidet, um das wahre Wesen dieser Personen zu enthüllen, um ihnen zu widerstehen und zu zeigen, dass ihre Lehren menschliche Lehren waren. – Auch gegenwärtig ist es nötig, darüber zu wachen, dass die Lehre in der Versammlung nicht das Resultat menschlicher Aktivität und Eigenwillens sei.
Timotheus mochte vielleicht gewünscht haben, mit Paulus, den er liebte, auszuziehen. Aber der Apostel hatte ihn gebeten zu bleiben; und die Versammlung in Ephesus und deren gute Ordnung lag nicht nur dem Apostel, sondern auch ihm am Herzen, weil dies in den Augen und für das Herz des Herrn kostbar war. Daher entsprach er der Bitte des Apostels und blieb in Ephesus. Der Brief des Apostels war ihm nun eine grosse Hilfe; er fand darin die nützlichen Anweisungen zur Erfüllung der grossen Aufgabe, die vor ihm stand. – So sollte es auch jetzt in der Versammlung sein. Wer gegenüber Christus treu ist, kann im Blick auf das, was er wahrnimmt, nicht gleichgültig bleiben und das Böse seinen Lauf gehen lassen.
Die Haltung dieser beiden Diener Gottes ist eine Lehre für uns. So wie Paulus in Abhängigkeit und Liebe nach Mazedonien ging, verharrte auch Timotheus darin und blieb in Ephesus. Wie der empfangene Auftrag auch immer lauten mochte, ob für das Fleisch angenehm oder nicht, sie gehorchten und gaben ihrer Vorliebe, ihren persönlichen Wünschen und ihrem Eigenwillen keinen Raum.
Die Verse 3 und 4 stehen in Verbindung mit dem Schluss des Kapitels; die Verse 5-17 bilden einen eingeschobenen Abschnitt. Am Ende des Kapitels sehen wir, dass Paulus nicht gewartet hatte, bis Timotheus in der ihm verliehenen Autorität handelte. Schon hatte er Hymenäus und Alexander ihrer bösen Lehren und Lästerungen wegen dem Satan überliefert.
Heute haben wir weder die apostolische Autorität des Paulus noch die des Timotheus, die daraus hervorging. Aber auch wir sollen geübt sein über die Art und Weise des Vorgehens, zu dem die Gläubigen berufen sein können, um die Gedanken des Herrn gegenüber einer bösen Lehre oder jedes anderen Bösen zu verwirklichen. Die Lektüre der Briefe an Timotheus soll uns gerade auch deshalb interessieren, weil wir in diesem Gegenstand unterwiesen werden. In diesen Briefen finden wir nicht so sehr Lehre als vielmehr praktische Unterweisungen.
Zur Zeit des Apostels waren die Gedanken und die Fabeln der falschen Lehrer unter den Gläubigen wirksam; es gab viele apokryphe Schriften. Die Personen, die vorgaben, inspiriert zu sein, schrieben nieder, was aus ihrem eigenen Geist kam, wie es auch heute solche gibt, die über viele Fragen ihre eigenen Ideen haben. Wir haben das Vorrecht und die Pflicht zu prüfen, was uns als Wahrheit mitgeteilt wird; es gilt zu untersuchen, ob es auf das Wort gegründet und damit in Übereinstimmung ist, nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geist des Wortes nach. Die Behauptungen der falschen Lehrer haben unter den Gläubigen von jeher Streitigkeiten ausgelöst, während das Ergebnis der Lehre des Wortes des Herrn die Liebe ist.