Der erste Brief an Timotheus (6)

1. Timotheus 2,1-6

Kapitel 2

Verse 1-3

Gott gibt in seiner Gnade jedem Anweisungen, die seiner Lage und den damit verbundenen Übungen angepasst sind. Er sagt zu jedem: «So kannst du mich an deinem Posten verherrlichen.» Wir sind also alle in der Schule Gottes.

In Kapitel 2 beginnen die Ermahnungen. Die in Vers 2 hat eine allgemeine Bedeutung und betrifft die Verbindung der Seele mit Gott, ihre persönlichen und vertrauensvollen Beziehungen zu Ihm. Sie kann Ihm mit Gebeten, Flehen, Fürbitten und Danksagungen nahen. Das Gebet ist die erste Frucht der Bekehrung (Apg 9,11). Seine Merkmale sind mannigfaltig. Im vorliegenden Vers umfasst das Gebet alle Menschen. Gott will, dass wir ein weites Herz haben, entsprechend dem Vorbild des Herrn, das Er uns gab, als Er auf der Erde war. Die Erkenntnis der Liebe Gottes uns gegenüber bewirkt in unseren Herzen den Wunsch, dass auch unsere Mitmenschen von dieser Quelle der Liebe kosten möchten. Die göttlichen Dinge bewirken, dass das Herz überfliesst; es kann nie ausschöpfen, was im Herzen Gottes ist. Je mehr wir uns daher in brüderlicher Gemeinschaft darüber freuen, desto mehr Glück und Genuss empfinden wir. Die Quelle lässt sich nicht leer schöpfen.

Obwohl im Alten Testament die Güte Gottes gegen alle Menschen klar zutage tritt, kümmerten sich die Juden der alten Haushaltung nur um ihre eigenen Belange. Jetzt aber, in der Haushaltung der Gnade, ist alles anders. Wir sind Jünger und Zeugen des Heiland-Gottes, der sich für alle Menschen interessiert, und wir erhalten dementsprechende Ermahnungen. Es ist unendlich kostbar, dass wir dem Vorbild des Herrn gemäss für alle Menschen im Gebet einstehen und an das Heil und Wohl von jedem denken dürfen.

Die Ermahnung, für alle Menschen zu beten, war besonders wichtig zu einer Zeit, wo sich bei den Christen wegen der Verfolgungen die natürliche Neigung zeigen wollte, den Menschen zu zürnen. Darum werden wir in Vers 8 ermahnt, heilige Hände aufzuheben, ohne Zorn und zweifelnde Überlegung. Das war eine neue Geisteshaltung. Der Apostel wünscht, dass wir in einem Geist der Sanftmut und der Fürbitte für solche einstehen, die den Glauben verfolgen. Der Herr selbst hat uns darin unterwiesen und uns ein Beispiel gegeben. Das ist die christliche Geisteshaltung der Welt gegenüber, auch wenn diese feindlich ist und die Gläubigen verfolgt (vgl. Mt 5,44). Der Ausdruck «vor allen Dingen» bedeutet, dass wir, bevor wir uns mit den Menschen beschäftigen, für sie beten sollen. Gott hat sich in Christus allen Menschen offenbart, nicht nur teilweise wie im Alten Testament, sondern völlig. Er dachte an alle. Der Christ ist berufen, Gott darin nachzuahmen und an alle Menschen zu denken. Das macht unser Herz und unseren Sinn weit und beeinträchtigt in keiner Weise die Inbrunst und den Eifer im Gebet für alle Heiligen. Der Geist wird uns dazu leiten, an die einen wie an die anderen zu denken.

In Vers 2 werden besondere Gebete für Könige und alle, die in Hoheit sind, erwähnt. Diese haben von Gott Autorität bekommen, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, damit die Heiligen ein ruhiges und stilles Leben führen können, in aller Gottseligkeit und würdigem Ernst. Dieses besondere Gebet schliesst sich an das allgemeine Gebet vom ersten Vers an, das in enger Verbindung mit dem Heil aller Menschen steht, Könige und die in Hoheit sind, eingeschlossen. Wir haben für das Heil aller Menschen zu beten, auch wenn sie uns übel gesinnt sind oder uns geschadet haben. Desgleichen haben wir für die Obrigkeiten Fürbitte zu tun, selbst wenn sie ihre Macht den Gläubigen gegenüber missbrauchen. Wie aktuell ist doch diese Ermahnung (vgl. Lk 23,34) Wir haben uns nicht an der Einsetzung der Obrigkeiten zu beteiligen, sollen aber für sie beten, denn sie sind von Gott eingesetzt und zugelassen, selbst wenn sie uns ins Gefängnis würfen. Um wirklich in dieser Weise beten zu können, darf man natürlich an ihrer Tätigkeit nicht teilnehmen, nicht einmal dem Herzen nach. Wir können zwischen den Zeilen dieser Verse lesen, dass der Gläubige auch nicht berufen ist, Regierungsgewalt auszuüben. Der Herr hat uns hier unten weder einen Thron noch eine Krone verheissen, sondern ein Kreuz, denn unser Bürgertum ist in den Himmeln.

Könnte ein Christ, der im Wort unterwiesen ist, sein Vertrauen auf einen Menschen setzen? (siehe z.B. Jer 17,5). Stimmen heisst, jemandem Vertrauen schenken. Gott verlässt sich auf keinen Menschen, und auch wir können es nicht tun. Wir verlassen uns auf Gott. Wir anerkennen, was Gott anerkennt und unterstützt, ohne dass wir uns mit dem Herzen damit eins machen. Unsere einzige Verpflichtung besteht darin, für die Obrigkeit zu beten und ihr zu gehorchen, soweit als sie uns nicht zum Ungehorsam gegen Gott aufruft. Wir gehen möglicherweise Zeiten entgegen, die in dieser Beziehung schwieriger sein werden. Darum ist es gut, wachsam zu sein und unser Herz frei zu halten.

Gott verliert sein himmlisches Volk nicht aus dem Auge. Im Gebet für die Obrigkeit schliessen wir die Bitte ein, dass sein Volk gesegnet werde. Wenn die Gläubigen Politik machen, wird sich ihr Mund nicht öffnen können, um von Gott ein ruhiges Leben zu erbitten. Politik betreiben wäre weder Gottseligkeit noch würdiger Ernst, sondern der beste Weg, sich die Gunst eines ruhigen Lebens zu verscherzen. Sobald wir den Weg der Absonderung von der Welt verlassen, beginnen unüberwindliche Schwierigkeiten. Das Fleisch vermag uns nicht aus den Problemen herauszuführen, in die es uns gebracht hat. Der Weg Gottes ist für den Gläubigen vom Anfang bis zum Ende ein Weg abseits vom Getriebe dieser Welt. Ihn zu verlassen, ist verlorene Zeit.

Übrigens weiss die Welt genau, dass die Gläubigen nicht auf ihrer Seite stehen, auch wenn sie sich mit ihr einlassen. Sie weiss, dass die Gläubigen nicht von der Welt sind. Vermischen sie sich mit ihr, verlieren sie in ihren Augen an moralischem Gewicht. Lot hatte keine moralische Kraft in Sodom. Diese Wesenszüge des Glaubenslebens sind fest und unveränderlich, wenn wir sie abzuschwächen suchen, so geschieht dies sicher nicht im Namen des Herrn oder seines Wortes (Spr 24,21). Sobald man der zeitlichen Macht die Hand reicht, verschwindet die Schmach. Doch hat man dann Gott nicht mehr auf seiner Seite, ja man verleugnet den Herrn.

Gott sei gepriesen, dass es für den Gläubigen nicht zwei Pfade gibt, sondern nur einen, den Weg Christi. Je kleiner wir sind, desto leichter werden wir der eben erwähnten Gefahr entrinnen. Wir müssen darüber wachen, dass wir in unserem Leben keine Verbindungen eingehen, die Gott vielleicht nicht sofort, sondern erst ganz am Ende durchschneidet. Es mag sein, dass es Gläubige gibt oder gegeben hat, die solche öffentlichen Ämter bekleidet haben. Wir haben sie weder zu richten noch ihnen zu folgen. Der Einzige, dem wir zu folgen haben, ist der Herr. Ein ruhiges Leben ist ein Leben ohne Streit: «Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden» (Röm 12,18). Ein stilles Leben, frei von aller Unruhe der Welt, das ist der Boden, auf dem die Gottseligkeit wachsen kann. Sollten nicht Gottseligkeit und würdiger Ernst gerade heutzutage leuchten, in einer Welt, in der diese beiden Tugenden am Schwinden sind?

Verse 4-6

Nachdem alle früheren Wege zu Ende sind, macht sich Gott nach aussen hin in seinem Sohn kund. Er offenbart sich ganz, und zwar allen Menschen, nicht nur einer bestimmten Klasse oder einzelnen Personen. Gott ist wirklich ein Heiland-Gott für alle Menschen. Diese Wahrheit kennzeichnet das Christentum und ist von grosser Schönheit.

Vers 4 stellt die Wege des Heiland-Gottes mit allen Menschen vor unsere Blicke. Die Wege Gottes dürfen wir aber nicht mit seinen ewigen Ratschlüssen verwechseln. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Hier handelt es sich um die Wege Gottes, die alle Menschen betreffen und sich ausnahmslos und uneingeschränkt zu allen erstrecken. Die Ratschlüsse Gottes dagegen sind seinen Kindern vorbehalten, als den Gliedern der grossen Familie des Glaubens. In Verbindung mit Gottes Ratschlüssen steht der gesegnete Gegenstand der Auserwählung, die, wie ein Bruder sagte, die Welt nichts angeht, nicht alle Menschen betrifft, sondern wie ein Familiengeheimnis für die Kinder Gottes bestimmt ist.

Hier, im vierten Vers, handelt es sich um das Anrecht auf die Gnade, die wie ein Strom reichlich fliesst und ihre Wohltaten ausnahmslos allen Menschen zufliessen lässt. Die Wege Gottes bezwecken das Heil aller Menschen. Gott will, dass alle gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Aber wie können sie denn errettet werden? Indem sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, die im Wort offenbart ist, die Wahrheit über Gott und seinen Sohn, die Wahrheit über die Menschen und ihren elenden Zustand, in den die Sünde sie gebracht hat, die Wahrheit über alle Dinge.

Das Heil wird allen Menschen angeboten. Aber in ihren Herzen muss ein Werk geschehen, damit sie das Heil annehmen. Der Himmel steht offen, doch geht nicht jedermann ein. Das Heil ist für alle, doch wird es nicht von allen angenommen. Es braucht sowohl Glauben als auch ein Werk Gottes im Herzen. Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Christus ist die Wahrheit (Joh 14,6). Der Neubekehrte findet Christus und lernt Ihn immer besser kennen, aber im Augenblick, wo er Christus erkennt, ist das Ziel Gottes erreicht; er ist aus der Finsternis zum Licht, aus der Macht Satans zu Gott selbst übergegangen. Wir haben in der Erkenntnis der Wahrheit zu wachsen und sollen die Kraft des Ausdrucks: «zur Erkenntnis der Wahrheit kommen», verstehen lernen. Wir haben das Vorrecht, dem Wort, das die Wahrheit ist, geglaubt zu haben durch den Geist, der uns in alle Wahrheit leitet. Wir sind dadurch zu Christus gekommen, der die Wahrheit ist. So ist es denn die Verantwortung der Christen, das Wort, die Wahrheit, Gott und alle seine Anrechte auf den Menschen (Jer 10,10) zu verkündigen. Wir sollen Christus als Mittler kundtun, das heisst als den, der sich zwischen Gott und den Menschen gestellt hat, damit der Segen Gottes den Menschen gegeben werden kann.

Auf der einen Seite steht Gott in seiner erhabenen Grösse und Herrlichkeit und auf der anderen Seite der Mensch in seiner Schwachheit, seiner Gebrechlichkeit und in seinem Elend. Darum braucht es eine Mittlerschaft, und es gibt nur eine einzige; da besteht keine Notwendigkeit, eine andere zu suchen oder zu erfinden. Der Herr der Herrlichkeit selbst wurde Mensch, um unser Mittler zu sein, der uns in Verbindung mit dem lebendigen und wahren Gott bringt. Dazu gab Er sich selbst als Lösegeld für alle, als Sühnung für die ganze Welt (vgl. 1. Joh 2,2; 4,14; Joh 12,32). Aber um an der Gnade und an der Freude des Heils teilzuhaben, um in den Genuss der Sühnung zu kommen, braucht es seitens des Einzelnen einen Glaubensakt, ein «Ja» zu der Person und zum Werk Christi, des Mittlers (Röm 10,9). Der Mensch kann Gott nicht erkennen. Wir kennen Ihn nur soweit, als Er sich durch die heiligen Schriften und durch den Heiligen Geist offenbart hat. Die Wichtigkeit, Christus zu verkündigen, wird verständlich, wenn wir uns bewusst sind, dass Er Gott ist – Gott zu finden, die Quelle aller Segnungen für ihn, haben die Menschen ja nötig – und dass Er anderseits in vollkommener Weise Mensch ist. Der Sohn wurde Mensch, ohne seine Gottheit zu verlieren, und Er bleibt auf ewig Mensch, auch wenn Er Gott ist.