Der erste Brief an Timotheus (11)

1. Timotheus 4,1-6

Kapitel 4

Verse 1-6

Im ersten Kapitel werden wir ermahnt, den Glauben zu bewahren und ein gutes Gewissen. In diesem vierten Kapitel sehen wir nun, dass in den letzten Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden. Was sich hier abzeichnet, steht im Gegensatz zum Geheimnis der Gottseligkeit. Wohl ist es noch nicht das Geheimnis der Gottlosigkeit (2. Thes 2,7), aber es machen sich bei einigen schon die ersten Anzeichen des Abfalls bemerkbar. Dies entspricht der gegenwärtigen Lage. Der Endzustand des allgemeinen Abfalls ist noch nicht da, aber im «Haus» sind bereits Personen, die vom Glauben abgefallen sind. Dies hat sich schon in den Tagen der Apostel, am Anfang der Kirchengeschichte, in einer auffallenden und ernsten Weise gezeigt.

Wir werden hier vor dieser bösen und Verderben bringenden Gefahr gewarnt. Hängt man nicht der Wahrheit an, verfällt man der Lüge, den verführerischen Geistern, die nicht Christus zum Gegenstand ihrer Lehre haben; man hört auf den Mörder von Anfang, man beginnt sogar selbst «in Heuchelei Lügen zu reden», indem man sie mit einem gewissen Schein von Wahrheit umhüllt. Dann gewöhnt sich das Gewissen an das Böse und verhärtet sich; menschliche Gedanken ersetzen mehr und mehr die Gedanken Gottes.

Dass der Geist dieses anzeigt, ist feierlich ernst. Die Apostel haben das Böse aufkeimen sehen. Nachdem es einmal eingedrungen war, konnte es nicht mehr hinausgetan werden. Im Gegenteil, es hat sich schnell ausgebreitet und ist in der Christenheit geblieben.

Das Zölibat (Ehelosigkeit aus religiösen Gründen) und die Askese (ein Leben der Entsagung) fanden sich schon bei den Heiden; aber der Teufel hat es verstanden, diese Grundsätze in die Kirche einzuführen, und sie sind darin geblieben. Die Sicherheit besteht darin, gegenüber dem Bösen die Türe geschlossen zu halten. Wenn sie auch nur ein wenig geöffnet wird, so ist es überaus schwierig, sie wieder zu schliessen.

Wir können uns nicht grosser Dinge rühmen. Aber in unserer Kleinheit und unserer Schwäche haben wir in einem guten Gewissen den Glauben und das Wort zu bewahren. Es gab in der Kirche sehr früh regsame Geister, die, statt vom Herrn abhängig zu sein und sich vom Geist leiten zu lassen, ihre eigenen Gedanken in das Christentum einführten, dabei aber das Wort lasen. Es ist von grösster Wichtigkeit, davon überzeugt zu sein, dass wir auch nicht einen einzigen Gedanken Gottes aus uns selbst hervorbringen können. Der Geist allein vermag uns die Gedanken Gottes, das, was vom Herrn ist, mitzuteilen.

Dieser Anfang des vierten Kapitels ist eine Andeutung auf die sehr grosse intellektuelle Aktivität am Anfang des Christentums. Wir müssen vor solcher Aktivität auf der Hut sein und uns von allem Bösen abgesondert halten. Dies wird uns im Alten Testament in einem Bild vorgestellt: Zur Zeit Nehemias sollten die Mauer ausgebessert und die Tore mit Klammern und Riegeln versehen werden. Es brauchte Wachttürme und Vorsichtsmassnahmen; es musste ein Verteidigungswerk aufgebaut werden. Da war für jeden viel Arbeit zu tun; jeder war berufen, in seinem Mass zum Wohl des Ganzen mitzuwirken.

So ist es auch für uns. Wir sollen in Liebe voller Nachsicht sein gegenüber den Kundgebungen persönlicher Schwachheit; aber wenn es sich um die Wahrheit des Wortes handelt, die die Person, die Autorität und die Herrlichkeit des Herrn berühren, müssen wir wachsam sein, damit keine unrichtige Belehrung in die Versammlung eindringen kann.

Hier trat das Böse auf, weil gewisse Lehrer behaupteten – ähnlich wie heidnische Philosophen vor ihnen gesagt hatten – dass die Materie, der Stoff, böse sei, dass das Böse im Stoff liege, der Geist aber fleckenlos, ohne Unreinheit sei. Man solle sich also von der Materie befreien, um so einen höheren Grad der Heiligkeit zu erreichen. Man wollte also im Christentum das Hauptaugenmerk darauf richten, sich so rasch wie möglich von der Materie zu befreien. Daher erliess man Vorschriften über das Zölibat und die Askese.

Es ist gut, hier im Wort den schönen Zusammenhang zu beachten: Gleich nachdem er davon geredet hat, dass Gott im Fleisch offenbart wurde, geht der Geist weiter und spricht von den Irrtümern der von Satan irregeleiteten Menschen. Wenn man behauptet, dass das Böse in der Materie sei, so sagt man damit, dass sich Gott in der Erschaffung der Materie geirrt habe! Aber denken wir daran, dass Gott im Fleisch offenbart worden ist; und die Apostel, Johannes im Besonderen, machen mit göttlicher Energie auf diese Tatsache aufmerksam (1. Joh 4,1-6). Das Böse ist nicht in der Materie, sondern im Herzen des Menschen; daher zeigt uns das Wort die Haltung, die der Christ gegenüber der Materie und der Umgebung, in der er lebt, einzunehmen hat. Wir werden vor allen Lehren und allen Irrungen des menschlichen Geistes bewahrt, wenn wir dem Herrn der Herrlichkeit anhangen und Jesus Christus im Fleisch gekommen bekennen (Eph 4,13.14).

Wenn der Feind uns irrezuführen sucht, wollen wir daran denken, dass der Herr ihn am Kreuz ein für alle Mal überwunden hat; lasst uns ihm widerstehen, und er wird von uns fliehen. Die christliche Stellung ist unendlich kostbar und viel höher als die der Lehrer, die die Askese predigen, indem sie vorschreiben, kein Fleisch zu essen. «Unser Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes» (1. Kor 6,19); «Was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat» (Gal 2,20), die Kraft Gottes offenbart sich in unserem sterblichen Leib (Röm 6,12-14). Wir müssen alles mit der Lehre des Evangeliums verbinden, mit der Erlösung, mit der Rettung, die der Herr gewirkt hat. Wer Christus besitzt und diese Dinge geniesst, versteht die Torheit des Menschen und erkennt die Wirksamkeit des Feindes, der den Menschen diese Irrtümer einflösst, damit sie Christus nicht finden.

Später werden wir verherrlichte Körper haben, aber jetzt sind wir noch in der Welt, verbunden mit der Materie, so wie sie ist, und das Wort Gottes sagt uns: Seid auf der Hut, sündigt nicht, wacht; ihr habt das Fleisch in euch, haltet es für tot! Wenn aber der Feind kommt und uns auffordert, sich gewisser Dinge, die den Leib betreffen, zu enthalten, so sagt uns Gott im Gegensatz dazu: Ihr habt einen Leib, und ihr seid in dem Leib.

Wir sind also an die Materie gebunden. Gerade in dieser Schöpfung, so wie sie ist, verunreinigt durch die Sünde, offenbart Gott seine Gnade; hier hat Er das Christentum eingeführt, ohne die Gesetze der Schöpfung zu ändern. Gewisse Menschen wollen reine Geister sein, und sie bauen Philosophien darauf. Hinter dem allem aber ist Satan, dem es dadurch gelingt, die Menschen von Gott wegzuziehen. Der Apostel vergass nicht, dass er einen Leib hatte: «Allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend» (2. Kor 4,10). Satan sucht in unserem Leben immer das Band zwischen dem Menschen und Gott zu unterbrechen. Jedes Mal, wenn ein Bruder oder eine Schwester die Verbindung unterbrechen lässt, ist er in einem schlechten Zustand und zu allem fähig, selbst mit den besten Absichten. Er hat, ob freiwillig oder nicht, Gott verworfen, und ein sittlicher Abstand trennt ihn von Gott. Wie wichtig ist es für uns, darüber zu wachen, dass die Verbindung des Herzens und des Gewissens mit Gott aufrechterhalten bleibt.

Nachdem der Apostel die Grundlage der Frage berührt hat, geht er auf die Einzelheiten ein: Auf die Ehe und die Speise. Für den, der das Neue Testament aufrichtig liest, kann sich bezüglich der Verheiratung keine Frage stellen. Es gibt Diener, die sich Gott völlig weihen, vorab der Apostel Paulus; das ist aber eine Gnadengabe, eine besondere Berufung (1. Kor 7,7). Satan sucht immer das zu verderben, was Gott gemacht hat, und die Einrichtung der Ehe geht bis auf die Schöpfung zurück.

So ist es auch bezüglich der Speise. Gott hat den Menschen zur Zeit Noahs alles, was sich regt, was da lebt, wie auch das grüne Kraut zur Speise gegeben (1. Mo 9,3). Nur in Bezug auf das Essen von Blut hat Er ein Verbot erlassen und durch alle Haushaltungen hindurch aufrecht gehalten. Der Apostel sagt nun im vierten Vers, dass jedes Geschöpf Gottes gut sei, wenn es mit Danksagung genommen werde; denn es werde geheiligt durch Gottes Wort und durch Gebet. Durch das Wort und durch das Gebet bringen wir Gott hinein; es gibt dann hierüber eine Verbindung zwischen der Seele und Gott, und Gott wird dadurch geehrt. Wenn wir glücklich sind, Speise zu uns nehmen zu können, so ehren wir vor allem Gott dadurch. Es ist gerecht, dass wir Gott ehren und Ihm danken, bevor wir von dem Guten essen, das Er uns gibt. Das stimmt mit den Gedanken des Friedensopfers überein. Wenn wir aus den Händen Gottes materielle Güter empfangen, so haben wir darüber Gemeinschaft mit Gott, und Er ist es vor allem, der in den Freuden, die Er uns gewährt, geehrt wird (Apg 2,46). Welchen Wert gibt dies den Danksagungen bei den Mahlzeiten! Vom Brot, für das er gedankt hat, kann der Christ sagen: «Dies ist das Brot, das Gott mir gegeben hat, ich danke Ihm für dieses Brot, das ich aus der Hand meines Vaters nehme.»

Darin haben wir uns zu befleissigen: Erstens dass nichts unsere Verbindung mit Gott unterbrechen kann; zweitens dass dieses Band immer mehr gestärkt wird, indem wir das Leben Jesu in unserem Leib offenbaren; denn wo das Leben offenbart wird, besteht diese Verbindung immer, und in dem Mass, wie wir uns dessen bewusst sind, wandeln wir zur Ehre Gottes (1. Kor 10,31). Das Geheimnis des glücklichen Lebens ist der Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes; wir sollten uns darin gegenseitig behilflich sein.

Im sechsten Vers zeigt der Apostel, dass man, um ein guter Diener Christi Jesu zu sein, vom Wort und «der guten Lehre» genährt sein muss. Sich vom Wort nähren ist ein verborgener, innerer Vorgang; die Wahrheit muss aufgenommen sein, damit der Mensch zum Diener taugt. Dies ist auch schon nötig, um Leben zu haben (5. Mo 8,3; Jer 15,16). Das Herz muss seine Kraft und sein Leben wie auch seine Freude im Wort finden. Ein Diener braucht Kraft, Weisheit und Licht. Er findet dies alles, wenn er das Wort Gottes isst. Diese einfache Wahrheit ist das Geheimnis allen wahren Dienstes. Es geht darum, sein Leben praktisch aus dem heiligen Wort Gottes zu schöpfen.

Timotheus musste zuerst für sich selbst die Kraft dieser Worte erfahren, bevor er den Brüdern die vorgenannten Dinge vorstellen konnte. Auf die eine oder andere Weise sind aber alle Heiligen Diener (2. Kor 5,15). Es ist also nötig, dass wir uns alle vom Wort nähren. Das setzt eine tiefe und fortwährende Übung im Lesen und Erforschen der Bibel voraus, nicht bloss eine Übung des Verstandes und des Gedächtnisses, sondern eine Übung des Herzens und des Gewissens, damit sich das Wort mit dem Gläubigen verbindet und es zum eingepflanzten Wort wird. Wir sind genötigt, bei unserer täglichen Arbeit und unseren Beschäftigungen unseren Geist auf viele Dinge zu richten und sich mit ihnen abzugeben, aber wir sollten nur eine Speise haben: Das Wort Gottes. Wird das Wort aufgenommen, bewirkt es das Heranwachsen zum Zustand des erwachsenen Mannes. Ist kein Wachstum vorhanden, so deshalb, weil es an Speise fehlt.

Gott weiss uns in unserem Bibellesen zu lenken, damit die Speise, die Er uns gibt, dem Zustand unserer Seelen angepasst sei. Der Diener soll nicht essen, um anderen zu essen geben zu können; er soll für sich selbst schöpfen, um sich aufzuerbauen und zu wachsen; erst dann kann er gegebenenfalls, wenn sich die Gelegenheit zeigt, anderen das Wort vorstellen, das ihm selbst zum Segen war (Hes 3,1-3.10.11).

Der Diener soll sich nicht von Irrtümern oder falschen Lehren nähren, um sie so verurteilen und die gute Lehre vorstellen zu können. Ein guter Diener bildet sich dadurch, dass er sich von der Wahrheit nährt. Unter den «Worten des Glaubens» muss man die Gesamtheit der Wahrheiten verstehen, die Gegenstand des Glaubens sind, ähnlich wie im neunten Vers des dritten Kapitels. Die Theologie ist das, was der Mensch über die Bibel denkt; wir aber sollten in Demut und unter Gebet in diesem Wort suchen, was Gott gesagt hat, und nichts anderes, indem wir durch den Heiligen Geist von diesem Wort geniessen. Von der guten Lehre sprechend, fügt der Apostel hinzu: «der du genau gefolgt bist». Auch für uns ist es wichtig, dass wir die Wahrheit des Wortes gut verstehen, dass wir sie ergriffen haben und unser Herz von ihr durchtränkt ist. Das wird sich in unserem Leben zeigen, in dem diese Wahrheiten mit Kraft wirken. Haben wir die gute Lehre recht verstanden, sind viele Fragen beantwortet, die sonst immer wieder gestellt würden. Die gesunde Lehre zu verstehen ist für das Leben der Versammlung von grösster Wichtigkeit. Die Lehre umfasst die Gesamtheit der Wahrheiten betreffend Christus, die Versammlung, das Leben der Versammlung, das persönliche Leben, alle die Wahrheiten, die das Wort uns durch den Heiligen Geist mitteilt. Wären wir auf diese Weise gegründet und befestigt, so wären wir angesichts der Ereignisse nicht ratlos, wir liessen uns nicht mit fortreissen durch die mancherlei und fremden Lehren (Heb 13,9); ungöttliche und altweibische Fabeln fänden keinen Platz unter uns. Verständen wir gut, was die Versammlung ist und verwirklichten wir es auch, hätten wir den Himmel bei uns und wir liessen uns nicht von allem dem beeinflussen, was nicht Christus ist. Was wir brauchen, ist Christus, so wie das Wort Ihn uns vorstellt. Wir brauchen nicht nur vom Guten, sondern das Gute, nicht nur etwas von der Wahrheit, sondern die Wahrheit, die Wahrheit Gottes. Wir verlören dann nicht Zeit mit dem Schauen nach links und nach rechts, noch mit dem Lesen und Verfolgen von den vielen Dingen, die man uns vorstellt. Dabei aber erkennten wir an, was Gott überall an Gutem hervorbringt, wo irgend Er es tun will. Jemand hat gesagt: «Der Geist weht, wo er will; ich aber muss gehorchen.»