Abraham zieht nach Ägypten hinab
Oft erachtet es Gott für nötig, dass wir auf dem Glaubensweg in mancherlei Versuchungen oder Prüfungen kommen. Dadurch soll unser Glaube bewährt werden (1. Pet 1,6.7). Die Bewährung des Glaubens bewirkt Ausharren (Jak 1,3); denn die Erfahrungen mit Gott in den Proben geben Mut, sie zu ertragen und weitere Prüfungen zu erdulden.
Auch auf dem Weg Abrahams kam jetzt eine solche Probe (Kap. 12,9-20): Es entstand eine Hungersnot im Land, in das Gott ihn gerufen hatte. Und diese Hungersnot war schwer.
Können wir uns vorstellen, was dies für Abraham bedeuten musste? Nicht er allein, sondern auch Sarah, seine zahlreichen Knechte und Mägde wie auch seine grossen Viehherden waren davon betroffen. Für sich allein könnte man vielleicht manches ertragen; aber wenn wir dazu noch für das Wohl von Menschen verantwortlich sind, die noch nicht gelernt haben, Gott zu vertrauen, dann wird für uns die Not viel grösser.
Was tut Abraham in diesen schwierigen Umständen? Er hört auf, den Namen des HERRN anzurufen! Er verlässt den Altar in Bethel, den Platz der Gemeinschaft mit Gott, und zieht fort, «immer weiter ziehend, in den Süden»! Statt sich weiterhin auf den allmächtigen Arm des Gottes zu stützen, der ihn nach Kanaan gerufen hat, um ihn hier zu erhalten und zu segnen, macht er «Fleisch» zu seinem Arm und sucht sich irgendwie selbst zu helfen.
Wer sein eigenes Herz kennen gelernt hat und weiss, wie es oft so leicht von Gottes Gegenwart abgelenkt werden kann, wundert sich nicht über das Verhalten Abrahams. Auch andere Männer des Glaubens haben manchmal darin gefehlt. Denken wir nur an Mose in Meriba, an David auf der Flucht vor Saul, an Elia unter dem Ginsterstrauch. Wie erinnert uns dies daran, dass auch uns das Wort des Herrn an seine Jünger: «Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt!» jederzeit tief im Bewusstsein bleiben muss, um befolgt zu werden!
Auf dem Weg der Unabhängigkeit von Gott und des Ungehorsams gegenüber seinem Wort gerät der Gläubige von einer Schwierigkeit in die andere. An der Schwelle Ägyptens, in das er mit seiner grossen Karawane hinab ziehen will, wird es Abraham bewusst, dass ihnen dort eine grosse Gefahr lauert: Die heidnischen Könige haben keine Hemmungen, sich schöne Frauen zu nehmen, da wo sie sie finden, selbst wenn sie dabei morden müssen. Aber trotz dieses roten Signals setzt er seinen eigenen Weg fort. Lieber will er Sarah opfern, als umkehren.
Das Beispiel dieses sonst so treuen und gottesfürchtigen Mannes illustriert einen wichtigen Grundsatz: Böse Neigungen und Gedanken, denen wir in unserem Innern Gastrecht gewähren, statt sie entschieden und gründlich zu verurteilen, werden immer wieder böse Früchte hervorbringen, bis wir sie vorbehaltlos richten. Die Unwahrhaftigkeit Abrahams in Verbindung mit Sarah war schon in seinem Herzen bevor er in Kanaan einzog (1. Mo 20,13); sie trat hier in Ägypten zutage und später wieder beim König von Gerar (Kap. 20).
Wie gut, dass Gott die Seinen auch dann nicht verlässt, wenn sie Ihm davonlaufen! Er will seine Gnadenabsichten mit Abraham ausführen und lässt nicht zu, dass sie durchkreuzt werden. Er zwingt den Pharao, Sarah an Abraham zurückzugeben und bringt so den bösen Abweg des Patriarchen zum Abschluss.
Aber es ist traurig, wenn die Kinder der Welt, denen gegenüber wir ein Licht und ein Salz sein sollten, uns zurechtweisen müssen. Pharao, der Heide, wirft Abraham Unwahrhaftigkeit vor; er weiss, wohin dieser eigentlich gehört und lässt ihn eine Strecke Weges zum Land der Verheissung zurückgeleiten.
Wege des Fleisches, des Unglaubens, der Unabhängigkeit von Gott lohnen sich nicht. Sie bringen nur Verlust ein. In Ägypten verunehrte Abraham seinen Gott, dort konnte er keine Gemeinschaft mit Ihm geniessen, dort brachte er Sarah in Not und Gefahr, dort bildete sich bei Lot, seinem jüngeren Neffen, das Verlangen nach einem Land, das dem Land Ägypten glich (1. Mo 13,10). Dass ihm der Pharao seine Viehherden und die Zahl seiner Knechte und Mägde vergrösserte, wird ihn, wie wir noch sehen werden, vor neue Schwierigkeiten stellen.
Er kehrt nach Bethel zurück
Abraham ist zwar «sehr reich an Vieh, an Silber und an Gold» und spürt nichts mehr von der Hungersnot. Aber in seiner Seele ist Magerkeit. Du kannst einem Gläubigen, der sein «Bethel» verloren hat, alles geben, was die Welt zu bieten hat – Reichtum, Ehre, Genuss – nichts vermag die entstandene grosse Leere auszufüllen. Für einen Christen besteht dieses «Bethel» in der «Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus»; das macht seine «völlige Freude» aus. Was könnte ihm dies ersetzen?
Wenn nun Abraham umkehrt, bekennt er damit nicht: Ich bereue meinen eigenen Weg; es hat mir an Vertrauen in Gott gemangelt; ich habe gegen Sarah, gegen den Pharao gefehlt? Mancher Gläubige, der in ähnlicher Weise abgewichen ist, scheut sich umzukehren, weil er zu stolz ist, vor sich selbst, vor Gott und vor den Menschen sein Fiasko einzugestehen!
Der Patriarch macht die Sache nicht halb. «Er ging auf seinen Zügen vom Süden bis Bethel, bis zu dem Ort, wo im Anfang sein Zelt gewesen war, zwischen Bethel und Ai, zu der Stätte des Altars, den er dort zuvor gemacht hatte.» Er scheut keine Mühe und ruht nicht, bis er den Punkt erreicht hat, wo er wieder den Namen des HERRN anrufen und sich seiner Nähe erfreuen kann.
Und – o Wunder der Gnade! – wer bis zu Gott umkehrt und Worte der Buße und Reue mitnimmt, dessen wird Er sich erbarmen, denn Er ist reich an Vergebung. (Vgl. Hos 14,1.2; Jes 55,6.7.)
Abraham und Lot trennen sich
Doch auch in Bethel kann es Schwierigkeiten geben, sogar unter Brüdern! Vor dem Abweg nach Ägypten konnten Abraham und Lot beieinander wohnen, jetzt aber nicht mehr. Ihr materieller Besitz hatte sich dort vergrössert, und er erwies sich ihnen nicht als Segen, weil sie ihn nicht in Abhängigkeit von Gott erworben hatten. Es gab Zank zwischen den Hirten von Abrahams Vieh und den Hirten von Lots Vieh, denn die Weidefläche war zu klein und wurde auch von den Kanaanitern beansprucht.
Der wiederhergestellte Abraham will nicht, dass solche Dinge zwischen sie treten. «Denn wir sind Brüder», sagt er. Er will ein Segen in seiner Umgebung sein und sich nicht wie die Weltmenschen benehmen.
Er sagt zu Lot: «Trenne dich doch von mir!» Dieser Vorschlag war in Anbetracht der Umstände zweifellos in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes und wurde in friedlichem Einvernehmen durchgeführt. – Für die gegenseitigen Beziehungen der Kinder Gottes gelten heute ganz besondere Grundsätze. Dass sie «einander nicht mögen», sich «aneinander reiben» oder «miteinander nicht auskommen können», lässt die Heilige Schrift nicht gelten. Vielmehr sagt sie uns unter anderem: «Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben.» – «Auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben.» – «Seid gleich gesinnt, dieselbe Liebe habend, einmütig, eines Sinnes, nichts aus Streitsucht oder eitlem Ruhm tuend, sondern in der Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst; ein jeder nicht auf das seine sehend, sondern ein jeder auch auf das der anderen» (1. Joh 3,14.16; Phil 2,2-4). Oft sind es gerade die Menschen um uns her, ja sogar die Genossen auf dem Glaubensweg, die Gott zu unserer Erziehung und Läuterung benützt, denken wir nur an Laban oder an die Freunde Hiobs.
Abraham handelt nach diesen Grundsätzen und lässt Lot freie Wahl: «Willst du zur Linken, so will ich mich zur Rechten wenden, und willst du zur Rechten, so will ich mich zur Linken wenden.»
Lot «hebt seine Augen auf», blickt auf materielle Vorteile und zieht sodomwärts. Abraham hingegen steht fest im Glauben, schaut auf den Gott, der ihn berufen hat und bleibt im Land der Verheissung, obgleich er eben erfahren hat, dass das Land die grossen Herden «nicht ertrug».
Nach diesem Glaubensbeweis und diesem Vertrauen, durch das er Gott ehrte, heisst ihn der HERR seine Augen aufzuheben und nach allen Richtungen zu schauen. «Denn das ganze Land, das du siehst, dir will ich es geben und deiner Nachkommenschaft bis in Ewigkeit», bestätigt Er ihm. Und wieder fügt er eine neue Verheissung hinzu, deren Erfüllung Abraham zwar hier auf der Erde nicht erleben wird, die aber für seinen Glauben sehr kostbar ist: «Und ich will deine Nachkommenschaft machen wie den Staub der Erde, so dass, wenn jemand den Staub der Erde zu zählen vermag, auch deine Nachkommenschaft gezählt werden wird.»
Schliesslich fordert Gott ihn auf: «Mach dich auf und durchzieh das Land nach seiner Länge und nach seiner Breite; denn dir will ich es geben.» – Gilt diese Aufforderung in gewissem Sinn nicht auch uns? Gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern, sollen wir nicht müde werden, von diesem verheissenen Land im Glauben Besitz zu ergreifen, die Segnungen kennenzulernen und sie zu geniessen, bis wir im Leib der Herrlichkeit dort eingeführt werden. Damals waren die Kanaaniter im Land und heute noch sind die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern; wir brauchen die Waffenrüstung Gottes, um gegen sie bestehen zu können (Eph 6). Aber in kurzem wird der Gott des Friedens den Satan unter unsere Füsse zertreten (Röm 16,20) und wir werden für immer mit dem vereinigt sein, in dem uns alle Segnungen geschenkt sind.
Abraham gehorchte und durchzog das Land. Er «schlug Zelte auf und kam und wohnte unter den Terebinthen Mamres, die bei Hebron sind; und er baute dort dem HERRN einen Altar». Wie viel glücklicher war er doch als Lot!