Abraham lebte durch Glauben (5)

1. Mose 15

«Ich bin dir ein Schild, dein sehr grosser Lohn»

Bis dahin wurden uns aus der Geschichte Abrahams Ereignisse und Tatsachen berichtet, die öffentlich sichtbar waren: seine Berufung und sein Auszug aus Ur nach Haran, seine Umsiedlung ins verheissene Land, die Aufrichtung seines Zeltes und Altars, sein Hinabziehen nach Ägypten und seine Rückkehr, seine selbstlose Trennung von Lot, sein Einsatz für den Bruder, sein Sieg über die vier Könige, seine Begegnung mit Melchisedek und sein Verzicht auf das Angebot des Königs von Sodom. Die bisherigen Kapitel 12-14 begannen mit seiner Auserwählung und Absonderung von der Welt und enden in Herrlichkeit – ein Lebenslauf, der eigentlich jeden auserwählten Heiligen charakterisiert.

Am Anfang des 15. Kapitels aber finden wir die Worte: «nach diesen Dingen» Sie markieren einen neuen Abschnitt im Leben des Patriarchen. Gott geht es jetzt mehr um die verborgene Befestigung und das Wachstum seines persönlichen Glaubens. Fehlt diese innere Entwicklung, so wird das äussere Zeugnis kränkeln oder gar zusammen­brechen. Aber wie gut, Gott ist jedem einzelnen der seinen gegenüber treu. Er fängt sein Werk in uns nicht nur an; Er will es auch vollenden. So schreibt der Apostel den Philippern: «Ich bin darin guter Zuversicht, dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Jesu Christi» (Phil 1,6).

Nachdem Abraham die vier Könige besiegt und das Angebot des Königs von Sodom ausgeschlagen hat, will ihn Furcht beschleichen.

Wie gut können wir ihn da verstehen! Wollen nicht auch uns, wenn wir in Glaubensmut hinaus getreten sind und nach Gottes Willen gehandelt haben, nachher oft Einwände der Vernunft bedrängen, die alles nach dem Sichtbaren, nach menschlichen Überlegungen misst und das Tun des Glaubens kritisiert?

So mag sich jetzt Abraham vor der Rückkehr und der Rache der mächtigen Feinde gefürchtet haben, vielleicht aber auch vor den materiellen Folgen seiner radikalen Zurückweisung des Angebotes Sodoms.

Gott aber konnte in seinem Herzen lesen, und «nach diesen Dingen erging das Wort des HERRN an Abram in einem Gesicht, und er sprach: Fürchte dich nicht, Abram; ich bin dir ein Schild, dein sehr grosser Lohn.»

Wie wurde der Glaube Abrahams hier gestärkt? Das «Wort des HERRN» geschah zu ihm. Wohl ihm, wenn er darauf hörte und ihm glaubte! Auch wir werden auf diesem Weg von unseren Anfechtungen befreit.

Gott versprach ihm nicht zehn Legionen Engel zu seiner Verteidigung oder Brot für sein Haus und Futter für seine Herden, sondern sich selbst: «Ich bin dir ein Schild, dein sehr grosser Lohn.» Das ist unendlich viel mehr. Seine ganze göttliche Macht und Fülle verheisst Er dem, der auf Ihn vertraut und Ihm das Herz weiht.

«Ich gehe ja kinderlos dahin»

Doch beachten wir, der HERR neigt sich in seiner Herablassung hier auf den Boden der Bedürfnisse Abrahams herab, und das ist notgedrungen ein irdischer Boden. Abrahams Wunsch war noch nicht der, nur Gott im Himmel zu geniessen. Daher erklärt der HERR hier im 15. Kapitel, was Er für Abraham ist, im Gegensatz zum 17. Kapitel, wo Er einfach sagt, was Er ist. Sich in das vertiefen, was Gott ist, führt zu einer viel tieferen Gemeinschaft mit Ihm, setzt eine grössere Entfaltung der Gnade und eine völligere Erkenntnis seiner Gedanken voraus.

Er begegnet Abraham da, wo er jetzt steht, flösst ihm Vertrauen ein, so dass Ihm dieser das Herz öffnet. Die Kinder­losigkeit ist für Abraham noch manche Jahre eine grosse Prüfung. Aber gerade diese Not benützt Gott als Vorspann, um ihn zu einer tieferen Erkenntnis seiner selbst zu führen. Und in dieser Erkenntnis wird der Gläubige schliesslich seine eigene Kleinheit erkennen, in der er Gott solche irdischen Wünsche vorstellte; denn nun findet er seine Freude in Ihm selbst.

So kann sich also Abrahams Glaube noch nicht bis zum Geber erheben; er bleibt bei der Gabe, auf dem irdischen Boden, stehen: «Herr, HERR, was willst du mir geben? Ich gehe ja kinderlos dahin, und der Erbe meines Hauses, das ist Elieser von Damaskus.»

Dass er einen Sohn wünschte, um seinen Namen auf der Erde fortzusetzen und eine Nachkommenschaft, um die Ver­heis­sun­gen zu erben und zu geniessen, war jedoch ganz in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes. Hatte Er ihm nicht schon zweimal aufs bestimmteste einen Nachkommen verheissen, der das Land Kanaan besitzen würde (1. Mo 12,2.7; 13,15.16)? Gott liebt es, wenn wir Ihn beim Wort nehmen. Aber sowohl das Gebet Abrahams als auch die Antwort des HERRN tragen einen irdischen Charakter. Er beschreibt ihm in diesem Kapitel auf Jahrhunderte hinaus die Zukunft seiner Nachkommenschaft auf der Erde wie auch die Grenzen des verheissenen Landes.

Berührt es nicht unser Herz, zu sehen, wie Gott den Glauben seines Knechtes zu stärken weiss? Bei Bethel (1. Mo 13,16) hatte Gott die Nachkommenschaft Abrahams mit dem unzählbaren Staub der Erde verglichen, und hier, bei den Terebinthen Mamres (1. Mo 15,5), führt Er ihn unter den Sternenhimmel und sagt: «So wird deine Nachkommenschaft sein.» Später, auf dem Berg Morija, nimmt Er auf die Sterne des Himmels und den Sand am Ufer des Meeres zugleich Bezug (1. Mo 22,17, vgl. auch Heb 11,12). Wenn auch Abraham die Ausbreitung seiner Nachkommenschaft nicht erleben durfte, so wurde er doch jeden Tag – ob in der Wüste oder am Ufer des Meeres – und jede Nacht eindrücklich an die treuen Ver­heis­sun­gen Gottes erinnert.

Der Glaube wird Abraham zur Gerechtigkeit gerechnet

Zum ersten Mal in der Bibel wird hier bezeugt, dass ein Mensch vor Gott Gerechtigkeit erlangt hat. Wohl hatte es in den damals vergangenen 2000 Jahren eine Reihe von Gläubigen gegeben, die wie er Gott durch Glauben wohlgefallen haben (vgl. Heb 11). Aber erst Abraham gegenüber, in Verbindung mit dem Baum der Verheissung, der nun gepflanzt war, wurde diese grundlegende Wahrheit der Gerechtigkeit aus Glauben ausgesprochen. Mittelpunkt dieser Verheissung war ja der Nachkomme, durch den alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollten (1. Mo 12,3; 22,18; Gal 3,16). Christus hat durch seinen Sühnungstod und seine Auferstehung eine Gerechtigkeit begründet, die dem zuteilwird, der an Ihn glaubt (2. Kor 5,21).

Abrahams Glaube steht hier in Zusammenhang mit der Verheissung, die Gott ihm unter dem Sternenzelt gab: «So wird deine Nachkommenschaft sein.» Wie aus Römer 4 hervorgeht, glaubte er an die Macht der Auferstehung, die in Gott ist. Wohl wusste er, dass sein eigener Leib und der Mutterleib von Sara abgestorben waren, aber er glaubte dem Gott, «der die Toten lebendig macht» und daher zu tun vermag, was Er verheissen hat. Der Apostel zieht daraus den Schluss: «Es ist aber nicht allein seinetwegen geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden ist, sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, der unserer Übertretungen wegen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist» (Röm 4,23-25). Unser Glaube, der uns rechtfertigt, gründet sich also auf Gottes Macht, der Jesus aus den Toten auferweckt hat.

Gott macht mit Abraham einen Bund

Auf das Wort: «Ich bin der HERR, der dich herausgeführt hat aus Ur in Chaldäa, um dir dieses Land zum Besitz zu geben», wirft Abraham ein: «Herr, HERR, woran soll ich erkennen, dass ich es besitzen werde?»

Gott hätte darauf antworten können: «Genügt dir mein Wort nicht? Brauchst du darüber hinaus noch besondere Zusicherungen?» Stattdessen lässt Er sich in seiner Gnade herab, das schwache Herz des Patriarchen durch einen Bund zu stärken, den Er mit ihm eingehen will. Er weist ihn an, verschiedene Tiere zu töten, zu zerteilen und die Teile einander gegenüber zu legen. Menschen, die auf diese Weise miteinander einen Bund machten, gingen zwischen den Stücken hindurch. Das hatte zur Folge, dass der, der den Bund brach, das Schicksal dieser Tiere, also den Tod erleiden musste (Jer 34,18-20).

Wer aber geht hier zwischen den zerteilten Tieren hindurch? Nicht ein Mensch, nicht Abraham, sondern der HERR allein. Auf diese menschlich eindrückliche Weise verpflichtet Er sich gegenüber Abraham, seinen Nachkommen das in den Versen 18-21 genau umschriebene verheissene Land zu geben.

Diese Szene des Schreckens und der Finsternis mit dem rauchenden Ofen und der Feuerflamme redet einerseits von den Leiden und Trübsalen, die die Nachkommenschaft Abrahams, das Volk Israel, erfahren und von den Befreiungen, die Gott bewirken würde: Zunächst vor allem von der vierhundertjährigen Bedrückung in Ägypten und der schliesslichen Rückkehr nach Kanaan.

Sprechen aber diese Dinge anderseits nicht auch davon, dass der Segen des HERRN für die Nachkommenschaft Abrahams eigentlich erst dann wirksam sein kann, wenn er Christus zur sicheren Grundlage hat? Er hat für den Menschen den Platz in der tiefen Finsternis des Todes eingenommen, und wenn sich das irdische Volk einst durch Glauben mit Ihm darin einsmacht, wird es auch die belebende Auferstehungsmacht Gottes erfahren dürfen.