Abraham rettet seinen Bruder Lot
1. Mose 14,1-16
Seit Sünde in der Welt ist, gibt es unter den Menschen Hass und Feindschaft, Streit und Krieg. Die Gläubigen, die in den vom Krieg betroffenen Ländern leben, müssen ebenso sehr unter seinen schrecklichen Folgen leiden wie die Übrigen.
Aber hier, im ersten Kriegsgeschehen, das in der Bibel beschrieben wird, wurde der gerechte Lot in die Händel der Welt verstrickt, weil er die Trennung von ihr nicht aufrechthielt. Sie zog ihn vielmehr an, und er «schlug Zelte auf bis nach Sodom». Er musste leiden, weil er sich «in fremde Sachen gemischt» hatte (1. Pet 4,15). Die feindlichen Könige plünderten Sodom und Gomorra und nahmen auch «Lot, den Sohn von Abrams Bruder, und seine Habe und zogen davon; denn er wohnte in Sodom».
Unterdessen lebt Abraham in seinem Zelt unter den Terebinthen Mamres und darf aufgrund der Opfer, die er auf dem Altar darbringt, Gott nahen. Welch ein Gegensatz! Lot kostet die Unruhe, die Angst und die Leiden der Welt, in der er wohnt, Abraham dagegen die Freude und den tiefen Frieden, die sich in der Nähe Gottes finden, dessen Gegenwart er immer wieder aufsucht.
Ist aber der Umgang Abrahams mit Gott von der rechten Art, dann werden ihn nach menschlichem Mass auch Gottes Liebe, Gnade und Barmherzigkeit gegenüber dem Bruder erfüllen. Gemeinschaft mit Gott wird wohl genährt, wenn wir anbetend das Opfer betrachten, das für uns auf dem Altar verzehrt wurde, aber praktisch wird sie sich darin zeigen, dass wir uns mit Ihm um das Wohlergehen der Brüder kümmern, auch wenn es Opfer kostet. Abraham gibt uns hier ein schönes Beispiel.
Ein Entronnener von den Leuten Lots kommt atemlos dahergelaufen (Verse 13-16). Abraham, der Hebräer, vernimmt von ihm die böse Kunde, dass sein Bruder gefangen weggeführt sei.
Was tut er nun, nachdem er dies vernommen hat? Folgt jetzt ein endloses Gerede über das Warum und Wieso und Was-nun? Oder eine lange Erklärung über die begangenen Fehler und Charakterschwächen seines Neffen, womit Abraham eine bequeme Tatenlosigkeit hätte bemänteln können? Nein, wenn Gott Christus für Kraftlose, für Gottlose, Sünder und Feinde hingab – wir gehörten ja auch dazu – dann sollen auch wir in seiner Gesinnung Hilfe leisten. (Vgl. Eph 5,1-2.)
Es ist ermunternd zu sehen, wie Abraham einsatzbereit ist und sogleich im Glauben handelt. Es gilt Lot zu befreien! Er zählt die Feinde nicht. Mögen es auch vier Könige sein mit einer übermächtigen Schar von sieggewohnten Kriegern – sein Entschluss ist gefasst. Er ist mit Gott, und «mit Gott werden wir Mächtiges tun» (Ps 60,14).
Er lässt seine Geübten, seine Hausgeborenen ausrücken. (Möchten auch wir das «Schwert» zu gebrauchen wissen, damit wir andern zur Hilfe sein können.) Aner, Eskol und Mamre, Abrahams Bundesgenossen begleiten sie.
Um Lot zu befreien, nehmen sie anhaltende und grosse Mühen auf sich: Der Verfolgungsweg von Hebron bis Dan war – in Luftlinie gemessen – mehr als 200 Kilometer lang und führte über gebirgiges Gelände; dann mussten sie dem Feind von Dan bis Hoba eine weitere, fast gleichlange Strecke nachjagen. Zudem erforderte der Kampf selbst ganzen Einsatz und Bereitschaft zur Hingabe bis in den Tod. Aber Gott gab Abraham grosse Gnade, und schliesslich erreichte er sein Ziel: «Und er brachte alle Habe zurück; und auch Lot, seinen Bruder, und dessen Habe brachte er zurück, und auch die Frauen und das Volk.»
Um einen abgeirrten Bruder zurückführen oder zurechtbringen zu können, ist seitens dessen, der ihm helfen will, meist ein grosser Einsatzes an Zeit und geistlicher Kraft nötig. Da sind viele Schritte zu tun und manche Kämpfe auszufechten. Auch muss ein solcher Dienst von «ringendem Gebet» begleitet sein, wenn er erfolgreich sein soll. Wäre nicht mancher Bruder noch unter uns, wenn ihm einer der Mitverbundenen im Herrn im Geist eines Abraham «nachgejagt» wäre?
Welch ein Schmerz muss es für den Patriarchen gewesen sein, den befreiten Lot mit seiner Familie nach dieser überaus ernsten Warnung wieder in das gottlose Sodom zurückkehren zu sehen! Aber er gibt ihn nicht auf; auch dorthin folgt ihm, wie wir wissen, seine Fürbitte.
Eine grosse Versuchung
1. Mose 14,17-24
Abraham hat durch Glaubensmut, durch Vertrauen in Gott einen gewaltigen, weithin sichtbaren Sieg errungen.
Das ist sehr gefährlich. Der Sieger ist in einem solchen Augenblick gar zu leicht geneigt, die eigene Schwachheit zu vergessen und den sicheren Platz der demütigen Abhängigkeit von Gott zu verlassen.
Auf diesen Augenblick wartet der Feind. Gelang es ihm nicht als brüllender Löwe, so sucht er jetzt als listige Schlange Abraham zu Fall zu bringen.
Kaum sind die vier Könige in die Flucht geschlagen, kaum ist Abraham siegreich zurückgekehrt, sendet ihm Satan schon in der Gestalt des Königs von Sodom einen Versucher entgegen.
Aber auch Gott, der in Treue über den seinen wacht, ist auf dem Plan. Er kennt ihr Herz und weiss anderseits zum Voraus, was der Widersacher im Schild führt. Schon bevor dessen Abgesandter eintrifft, stärkt Gott den Glauben Abrahams in solch einsichtiger und wirksamer Weise, dass er auch in diesem Kampf Sieger wird.
Im Tal Schawe kommt ihm Melchisedek, König von Salem und Priester Gottes, des Höchsten, entgegen und bringt Brot und Wein heraus. Wie hat Abraham nach den vorangegangenen Tagen äusserster Anstrengung im Dienst für den Bruder diese Erquickung so nötig! – Nur wer sich immer wieder von Christus nährt und sich in Ihm freut, ist fähig, neue Kämpfe zu bestehen und in den unaufhörlichen Versuchungen zu überwinden.
Melchisedek segnet ihn auch und sagt: «Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt!» Er richtet seinen Blick auf den Gott der Herrlichkeit hin, der sich ihm offenbart, der ihn aus der Welt auserwählt und ihn für sich abgesondert hat und der ihm im verheissenen Land immer wieder neue Verheissungen gibt. Wahrlich, auf diesen Gott schauend, der Himmel und Erde besitzt und der ihn mit sich verbunden hat, kann Abraham sagen: «Alle meine Quellen sind in dir!» (Ps 87,7).
Machen wir uns eine richtige Vorstellung von der Szene, die sich jetzt vor den Augen Abrahams abspielt? Der «König von Salem» ist in den Hintergrund getreten. Stattdessen steht nun der «König von Sodom» da mit der ganzen Beute, die er und seine Verbündeten nach dem siegreichen Überfall Abrahams dem flüchtenden Heer der Feinde entrissen haben: Gefangene, Gross- und Kleinviehherden füllen den Schauplatz, und viele reiche Schätze liegen am Boden ausgebreitet.
Nach damals geltendem Kriegsrecht hat Abraham, der Sieger des Tages, den ersten Anspruch auf diese reiche Beute, die alles das enthielt, was die Welt jener Tage zu bieten hatte. Auf diese Schätze hinweisend, sagt nun der König von Sodom zu Abraham: «Gib mir die Seelen, und die Habe nimm für dich!»
Unter dem tiefen Eindruck des empfangenen Segens durch Melchisedek antwortet Abraham sogleich: «Ich hebe meine Hand auf zu dem HERRN, zu Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt: Wenn vom Faden bis zum Schuhriemen, ja, wenn ich irgendetwas nehme von dem, was dein ist! damit du nicht sagst: Ich habe Abram reich gemacht. Nichts für mich!» – Für den Gläubigen macht es einen grossen Unterschied aus, ob er von Gott reich gemacht wird oder vom Fürsten der Welt. Was er von Gott empfängt und aus seiner Hand nehmen kann, bindet sein Herz umso fester an Ihn. Was ihm aber die Welt gibt, und wäre es auch etwas ganz Geringes, kann sein Herz Gott entfremden. Ach, dass uns doch in diesem Stück auch diese Entschiedenheit Abrahams kennzeichnete und wir uns bei allem, das an uns herankommt, fragten: Ist es Gott, der mir dies gibt?
Welch ein schönes Zeugnis war doch Abraham gegenüber dem König von Sodom! Durch ihn wurde die Macht des HERRN, des lebendigen Gottes offenbar und in ihm sah er eine Bruderliebe, die für den Bruder alles aufs Spiel setzte, ohne dafür einen materiellen Gewinn einzukassieren!