Unterschiede zwischen Lot und Abraham
In diesem Schriftabschnitt haben wir das traurige Schlusskapitel im Leben Lots, das ja nicht eigentlich das Thema dieses Artikels ist. Dennoch wollen wir uns jetzt kurz damit beschäftigen, denn in der Gegenüberstellung dieser beiden Männer treten die Grundsätze, nach denen Abraham lebte, umso deutlicher hervor.
Der Irrweg Lots begann damit, dass er Zelte aufschlug «bis nach Sodom» (1. Mo 13,12). Nun aber wohnt er in einem Haus, in der Stadt selbst. Er hat es sogar zu einer Ehrenstellung gebracht: Er sitzt «im Tor Sodoms». In den Städten des Altertums pflegten die Räte des Königs «im Tor» zu sitzen (Est 3,3); hier tagte das Gericht (Hiob 31,21); da wurden die Rechtssachen beraten und entschieden (Spr 22,22.23). Durch die Erkenntnis Gottes und seiner Aussprüche besass Lot eine Weisheit, die ihn befähigte, «seinen Mund aufzutun im Tor» (Spr 24,7).
Doch war der Einfluss Lots auf die Leute der Stadt sehr gering. Er blieb dort der einzige «Gerechte»; das Zeugnis seines Lebens und seiner Worte war undeutlich und kraftlos, weil sein Herz an den Dingen der Welt hing, und es brachte keine Frucht. Auch konnte er die rasche und schreckliche Entfaltung des Bösen in Sodom in keiner Weise aufhalten. Sobald er es wagte, ihren sündigen Forderungen zu widerstehen und zu sagen: «Tut doch nichts Böses, meine Brüder!», entgegneten sie ihm: «Der eine da ist gekommen, um als Fremder hier zu weilen, und will den Richter machen? … Und sie drangen hart auf ihn ein.»
Unterdessen hält Abraham seinen Fremdlingscharakter aufrecht, wohnt in Zelten, fernab von Sodom, und lebt beim Altar Gottes in glücklicher Gemeinschaft mit Ihm, in Erwartung der «Stadt, die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.» Er hat kein Verlangen nach Sodom; die Segnungen und Verheissungen Gottes erfüllen sein Herz und genügen ihm.
Aber wie steht es hier, unter den Terebinthen Mamres, mit Abrahams Zeugnis gegenüber Sodom? Kann er von da aus jenen Menschen eine bessere Hilfe sein als Lot?
Darüber besteht kein Zweifel. Hier war es, wo Abraham den Notschrei seines Bruders vernahm, und von hier aus eilte er in den Kampf, um Lot und auch die Männer von Sodom zu befreien. Wie mächtig war da sein Zeugnis gegenüber jenen Weltkindern! Sein Dazwischentreten war eine grosse Kundgebung der Macht Gottes und der Macht seines Glaubens, wie auch seiner Bruderliebe und der selbstlosen Hingabe für andere. Und als ihm der König von Sodom nach dem Kampf die ganze Beute anbot, wie zeigte sich da, dass Abrahams Herz nicht am irdischen Besitz hing, sondern genug hatte an «Gott, dem Höchsten, der Himmel und Erde besitzt». Und schliesslich war es Abraham – und nicht Lot – der in ernster und anhaltender Fürbitte für die eventuellen Gerechten in Sodom und für die Stadt selbst eintrat.
Wir reden hier nicht dem selbstsüchtigen äusseren Sich-Fernhalten des Gläubigen von den Kindern dieser Welt das Wort, wobei er nur mit den eigenen geistlichen Bedürfnissen beschäftigt ist, sich mit der eigenen Errettung und dem eigenen Heil begnügt und sich nicht um die Verlorenen kümmert, die doch dem Gericht entgegengehen. Das wäre keine wahre Gemeinschaft mit dem Heiland-Gott, der will, «dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen». Er ermahnt uns durch den Apostel, für alle Menschen mit Flehen, Gebeten, Fürbitten und Danksagungen einzustehen (1. Tim 2,1-4). Auch der grosse Auftrag des Herrn Jesus an alle seine Jünger gilt immer noch: «Geht hin in die ganze Welt und predigt der ganzen Schöpfung das Evangelium» (Mk 16,15). Es geht darum, unser Herz von der Welt und ihren Dingen abgesondert zu halten und darüber zu wachen, dass alle unsere Quellen in Christus sind. Nur dann wird unser Zeugnis in der Welt wirkungsvoll sein, nur dann wird uns die Liebe des Christus drängen, dem Herrn zu dienen, zum Heil der Menschen um uns her. Die «Terebinthen Mamres» stehen für uns gerade da, wo unsere tägliche Aufgabe uns hinführt.
Noch eine andere Lehre können wir aus diesem Kapitel ziehen, wenn wir uns fragen: Welche Auswirkung hatte die falsche Beziehung Lots zur Welt auf seine Familie? – eine Frage, an die wir oft zu wenig denken.
Als die beiden «Männer» Lot drängten und sagten: «Wen du noch hier hast, einen Schwiegersohn und deine Söhne und deine Töchter, und wen irgend du in der Stadt hast, führe hinaus aus diesem Ort! Denn wir wollen diesen Ort verderben», da redete er mit seinen Schwiegersöhnen, um sie zu bewegen, aus der Stadt hinauszugehen. «Aber er war in den Augen seiner Schwiegersöhne wie einer, der Scherz treibt.»
Merkten sie, dass er selbst nicht bereit war, Sodom zu verlassen? Dass sein eigenes Herz «die Welt liebte» und «was in der Welt ist» (1. Joh 2,15)? Sein Leben zeugte nicht davon, dass er dem Wort Gottes glaubte, das von einem Gericht über diese Welt redete, und zeigte nicht, dass er von Furcht bewegt, an die Rettung seines Hauses dachte. Wie konnte da seine Predigt auf die Hausgenossen, die ihn am besten kannten, Eindruck machen?
Ach! Wenn sich der Gläubige nicht gewohnheitsmässig in der heiligen Gegenwart Gottes aufhält, neigt er dazu, faule Reden, albernes Geschwätz und Witzelei im Mund zu führen, die nicht zur Erbauung dienen und den Hörenden nicht Gnade darreichen (Eph 4,29; 5,4). Auch diese Dinge nehmen seinem Zeugnis, zu dem er sich gelegentlich aufrafft, die Kraft.
Schliesslich müssen die beiden Engel Lot, seine Frau und seine beiden Töchter bei der Hand ergreifen und sie aus der Stadt herausreissen, weil sie an allem hängen, was sie in Sodom besassen, und sich an das Leben gewöhnt hatten, das sie darin führten. Sie wollten dies alles nicht aus eigenem Antrieb, nicht in Gehorsam gegen Gottes Wort verlassen.
Der Einfluss Sodoms übte auch weiterhin eine verheerende Wirkung im Leben der beiden Töchter aus. Durch abscheuliche sündige Praktiken, die sie dort gelernt hatten, kamen sie zu Söhnen, zu Stammvätern von Völkern, die später zu den schlimmsten Feinden des Volkes Israel gehörten.
Im Gegensatz zu Lot lebte Abraham «in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheissung». Sie wuchsen unter dem ständigen Beispiel eines Vaters heran, der, abgesondert von der Welt und ihrem Treiben, als Fremdling auf der Erde mit seinem Gott lebte, in Erwartung der Erfüllung seiner Verheissungen, die sich bis in die Ewigkeit erstreckten. Die Folge davon war, dass sowohl Isaak als auch Jakob, trotz mancher Fehler, im Glauben auf dem Weg Abrahams vorangingen und dass auch sie die Verheissungen Gottes wertschätzen lernten. Bei Abraham wiederholte sich, was wir von Henoch lesen: «Henoch wandelte mit Gott … und zeugte Söhne und Töchter» (1. Mo 5,22). Abrahams Wandel mit Gott war für Isaak und Jakob eine ständige Predigt, die diesen zum Segen wurde.