Ermüdet

Johannes 4,6

Ermüdet

Nur einmal – in Johannes 4,6 – wird in den Evangelien die Ermüdung des Herrn Jesus ausdrücklich erwähnt: «Jesus nun, ermüdet von der Reise, setzte sich so an der Quelle nieder.»

Weil die Menschen Zwietracht zwischen Ihm und Johannes dem Täufer aufbringen wollten, machte der Herr Jesus sich auf eine beschwerliche Reise. Der Sohn Gottes verhinderte eine Unstimmigkeit, indem Er in Demut einen anderen Ort aufsuchte. Er ging nach Galiläa. Doch es gab für Ihn – den HERRN, der alles bestimmt –, ein geistliches Muss, um durch Samaria zu ziehen.

Er ist ebenso wahrhaftiger, jedoch sündloser Mensch, wie Er zugleich vollkommen Gott ist. Erschöpft und weggestossen sitzt Er am Brunnen von Sichar, aber in unerschöpflicher Liebe. Welch ein Bild von Verwerfung und Demütigung!

Gott zeigt uns im Johannes-Evangelium von Anfang an die Herrlichkeit des Sohnes Gottes und die Gnade, mit der Er erfüllt war. Doch jetzt strahlt diese Herrlichkeit der Gnade auf eine neue Weise in Ihm als dem Menschen hervor, indem wir sehen, wie Er mit der sündigen und erniedrigten Frau aus Samaria handelt.

Wir erkennen hier, dass der Herr die Leiden der Menschheit teilt: Ermüdet von seiner Reise fand Er diesen Brunnen, um ein wenig zu ruhen. Damit begnügte Er sich. Er suchte nichts anderes, als den Willen Gottes zu tun. Dieser brachte Ihn hierhin. Der Herr, ermüdet und durstig, hatte nicht einmal ein Gefäss, um seinen Durst zu löschen. Er war als Mensch abhängig und machte sich von dieser armen Frau abhängig, um ein bisschen Wasser für seinen Durst zu erhalten.

Wie wahrhaftig war Er Mensch! Er wollte in allem – ausgenommen die Sünde – seinen Brüdern gleich sein. So befreite Er sich auch nicht von der Müdigkeit, die eine lange Fussreise unweigerlich mit sich brachte. Daher kann Er volles Mitleid mit uns haben, mit jedem, der müde und erschöpft ist. – Nun hatte Er eine Pause nötig. Vielleicht war Er müder als seine Jünger, die in die Stadt gingen, um einzukaufen. Doch Er stand auch unter einer inneren Anspannung, die sie nicht kannten – abgesehen davon, dass Er oft auch in den Nächten tätig war.

Es gibt Schwachheiten, die wie Müdigkeit mit der menschlichen Natur zusammenhängen. Dies lernte unser Heiland als Mensch auch kennen. Bei Ihm gab es jedoch weder Schwachheit noch körperlichen Verfall, die mit der gefallenen Natur des Menschen zusammenhängen, wie z.B. Krankheit und Tod. Aber Er kannte Müdigkeit, Hunger und Durst, gerade wie wir. In der Wüste war Er hungrig, am Kreuz durstig, am Brunnen ermüdet. Im Sturm auf dem See schlief Er.

Nun sass Er da, zunächst ganz allein. Ein einziges Wort als Schöpfer, und die ganze Engelwelt hätte Ihm sofort zu Diensten gestanden. Aber dieses Wort hat Er nicht gesprochen. Gottes Ratschluss der Gnade für die Menschen in Sichar war ein anderer. Wenn wir bei Johannes ganz besonders die Gottheit des Herrn vorgestellt bekommen, dann wacht der Geist Gottes darüber, uns in diesem Evangelium auch die vollkommene Menschheit deutlich zu machen.

Der Heiland wusste, was Müdigkeit ist. Doch Er war nicht müde im Gutestun, sondern müde vom Gutestun. Und doch wacht der Heilige Geist auch an dieser Stelle über die Herrlichkeit der Person Christi und zeigt sie uns. Neben der Bemerkung, die seine Menschheit betont, zeigt Er uns die Allwissenheit dieser göttlichen Person: Er kannte die ganze Lebensgeschichte dieser Frau! Das Gleiche finden wir auch an anderen Stellen, z.B. als Er im Boot schlief und kurz nachher dem Sturm gebot, oder als Er am Grab des Lazarus weinte und nachher als Sohn Gottes seinen Freund ins Leben zurückrief.

Der Heiland sass hier nicht nur an der Quelle, weil Er von der Hitze und der langen Reise ermüdet war, sondern auch weil Er nach Gottes Willen genau diese Route über Sichar genommen hatte – auf der Suche nach Seelen, um sie für Gott zu gewinnen.

Diese einzige ausdrückliche Erwähnung der Müdigkeit unseres Erretters ist ein Denkmal seiner unermüdlichen Tätigkeit. Trotz seiner Müdigkeit finden wir Ihn tätig. War Er nicht erschöpft und müde, auch für dich und mich?