c) Gleichnisse über das Verhalten der Gläubigen (1)
Zehntausend Talente – hundert Denare
Dieser Abschnitt enthält ein ernstes Wort über unsere Verantwortlichkeit, an diesem Tag der Gnade einem Schuldigen Gnade zu erweisen. Hat ein Bruder gesündigt, soll uns vor allem seine Wiederherstellung am Herzen liegen. Sie zeigt sich darin, dass er auf uns hört (Mt 18,15).
Petrus kommt hier mit der Frage zum Meister: «Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, vergeben? Bis siebenmal?» Wenn Petrus die Zahl auf sieben festsetzte, so zeigte er damit, dass er nicht auf dem Boden der selbstgerechten Pharisäer stand, sondern aus den Worten Jesu schon etwas von dem Geist der Gnade erfasst hatte. Aber der Herr offenbarte in seiner Antwort, dass seine Gnade keine Grenze kennt: «Nicht bis siebenmal, sage ich dir, sondern bis siebzig mal sieben.»
Darf es eine Frage sein, wie oft ich meinen Bruder gewinnen soll? Petrus nimmt hier die eigenen Rechte als Grundlage und sucht in gewissem Mass das Seine, aber «die Liebe sucht nicht das Ihre» (1 Kor 13,5).
Um diese Frage noch eindringlicher zu beleuchten, stellt sie der Herr in einem Gleichnis in das Licht der Vergebung Gottes, die Er einem Sünder gegenüber ausübt, der sich unter die Gnade stellt.
Ein König wollte mit seinen Knechten abrechnen. Da wurde sogleich einer zu ihm gebracht, der zehntausende Talente schuldete, eine ungeheure Summe, die darauf hinweist, dass hier nicht nur Unglück, sondern auch Verfehlung im Spiel war. – So ist durch die Sünde jedes Menschen die Verschuldung gegen Gott unvorstellbar gross. Wer je in sein Licht gekommen ist, wird dies mit voller Überzeugung unterschreiben. Auf dem Weg des Glaubens verstärkt sich dieses Bewusstsein mit zunehmender Einsicht.
«Da dieser aber nichts hatte, um zu bezahlen» – wir waren nicht imstande, Gott auch nur «einen Denar» von unserer Schuld zurückzuerstatten – «befahl sein Herr, ihn und seine Frau und die Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen und so zu bezahlen». – Ewiges Gericht wäre unser Teil gewesen. Aber selbst dadurch hätten die Ansprüche Gottes nicht befriedigt werden können. Durch meine Sünden habe ich nicht nur mich selbst verschuldet, sondern auch die Menschen um mich her beeinflusst und ihnen Schaden zugefügt.
«Der Knecht nun fiel nieder, flehte ihn an und sprach: Hab Geduld mit mir, und ich will dir alles bezahlen. Der Herr jenes Knechtes aber, innerlich bewegt, liess ihn frei und erliess ihm das Darlehen» – So gross auch unsere Schuld gewesen ist, bei Gott ist Gnade, die nicht mit Zahlen gemessen werden kann. Sie wird dem zuteil, der vor Ihm sich beugt, seine Schuld anerkennt und bekennt und die ihm in Christus angebotene Vergebung im Glauben annimmt. – Vielen von uns Christen ist dabei aber die Erkenntnis des ganzen Ausmasses unserer Verschuldung gegen Gott und der völligen Verdorbenheit und Untauglichkeit der eigenen Natur oft viele Jahre hindurch noch recht mangelhaft. Aus diesem Grund kann dann geschehen, was nun im Gleichnis in so krasser Weise zutage tritt.
«Jener Knecht aber ging hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denare schuldete. Und er ergriff und würgte ihn und sprach: Bezahle, wenn du etwas schuldig bist. Sein Mitknecht nun fiel nieder, bat ihn und sprach: Hab Geduld mit mir, und ich will dir bezahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis er die Schuld bezahlt habe.»
Kaum war jener Mensch nach einer Erfahrung überströmender Gnade vom König hinausgegangen, konnte er einem seiner Mitknechte in solch erbarmungsloser Härte gegenüber treten! Für den andern hatte er keine Gnade, obwohl ihn dieser mit denselben Worten, die er selbst vor dem König ausgesprochen hatte, darum bat. Dabei war doch die Schuld des Mitknechtes vielleicht nur ein 600'000stel der ihm selbst erlassenen ungeheuren Schuld, auf die der König doch mit vollem Recht Anspruch gehabt hätte!
Hier wollen wir einen Augenblick bei uns selbst stehen bleiben und uns fragen: Habe ich es noch nie einem Bruder oder einer Schwester gegenüber an der Gnade mangeln lassen? Gewiss, ein Christ, der hierin fehlt, wird dabei nicht so brutal vorgehen. Dem Mitknecht wird er vielleicht schon sagen: «Ich vergebe dir!», in seinem Herzen jedoch die Einschränkung machen: «aber vergessen kann ich es nicht», oder: «ich vermag ihn nicht mehr zu grüssen». Wäre das wirklich Vergebung?
Oft betrachten wir in unserer Empfindlichkeit und Rechthaberei die Verfehlungen unseres Bruders unter dem Mikroskop und machen sie riesengross, während wir die eigenen Vergehungen allzu leicht bagatellisieren und entschuldigen.
Hierauf überlieferte der König den unbarmherzigen Knecht ins Gefängnis, bis er alles bezahlt habe. –
Auch innerhalb der Versammlung gilt der Grundsatz eines vergebenden Geistes, und hier erst recht. Wenn Christen, die einen viel höheren Beweggrund zum gegenseitigen Vergeben haben (Eph 4,32), nicht vergeben können, wie beweisen Sie dann, dass sie selber unter der Gnade stehen und Gott ihnen vergeben hat?