a) Gleichnisse für Sünder (6)
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn werden uns zunächst die Triebe gezeigt, die den Menschen immer weiter in den Dienst der Sünde hineintreiben, dann aber auch seine Reaktion auf das Werk der Gnade in ihm.
Das Leben des jungen Mannes beginnt im Haus seines gütigen Vaters, wo Überfluss herrscht. Aber er ist blind für alle Vorrechte, die er hier geniessen könnte. Er steht dem Vater fremd gegenüber. Die in ihm wohnende Begierde zieht ihn in die Welt hinaus, wo er der Sünde ungehemmt dienen kann. – Der Mensch ist von Anfang an verloren und in einem Zustand der Gottentfremdung. Vor den Menschen wird dies aber meist erst offenbar, wenn sich die in ihm schlummernden Kräfte des Bösen entfalten.
Sein Bruder war nicht besser als er, wenn dessen gesetzlicher Geist ihn auch äusserlich im Haus des Vaters festhielt.
Im fernen Land vergeudete der jüngere Sohn sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte und die Habe des Vaters mit Huren verprasste – ein Bild dafür, wie der sich selbst überlassene Mensch, der seine Begierden auslebt, die Gaben, womit der Schöpfer ihn ausgestattet hat, im Sündendienst verzehrt. Er wird zu einem elenden Wrack. Seine letzte Station ist der Kot, worin die Schweine sich wälzen.
Bringen die zunehmende Not und das wachsende Elend – Begleiterscheinungen des Sündenlebens – den jungen Mann denn nicht zur Einsicht und Umkehr? Nein, von sich aus wird der Mensch diesen Weg nie einschlagen. Er hängt sich vielmehr an die Bürger jenes fernen Landes. Aber «niemand gab ihm». Erbarmen und Liebe sind nur im Herzen seines Vaters zu finden.
Nun aber setzt in seinem Herzen das Werk der Gnade ein.
Der Sohn «kam zu sich selbst». Endlich gehen ihm die Augen über seinen eigenen Zustand auf. Jetzt erkennt er seine Lage: «Ich komme hier um vor Hunger.» Er weiss nun: «Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dem Vater», und: «Ich bin nicht mehr würdig, sein Sohn zu heissen.»
Auch den Vater sieht er jetzt in einem anderen Licht. Er sagt sich: seine reiche Güte gibt selbst den Tagelöhnern Überfluss an Brot; sie macht aus seinem Haus einen Ort, wo jeder glücklich sein kann.
Das Werk des Geistes Gottes führt im Herzen des Sünders also zwei Dinge herbei: Er bringt das Gewissen in Tätigkeit und zieht das Herz zu Gott. Er offenbart Ihn der Seele als den, der Licht und Liebe ist.
Diese Einsicht im Herzen des Sohnes ist so lebendig und echt, dass er sich aufmacht und zu seinem Vater geht. Solange er ihm aber noch nicht wirklich begegnet ist, kann er nicht wissen, wie gross die Gnade des Vaters ist und was er für ihn bereithält. Er hofft nur, wenigstens als Tagelöhner aufgenommen zu werden. – Aber was sagt die Schrift von Gott? «Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz aufgekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben» (1. Kor 2,9).
In der Tat, der Vater begegnet dem Sohn nach der Liebe, die er in seinem Herzen für ihn hat. Er hält ihm nicht sein Leben der Ausschweifung vor. Er fragt nicht nach Verdienst und Würdigkeit. Was er von ihm erwartet, ist nur ein aufrichtiges Schuldbekenntnis.
«Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um den Hals und küsste ihn sehr.»
Wie weiss doch unser Herr Jesus dem überragenden Reichtum der Gnade und Liebe, der im Herzen seines Gottes und Vaters gegenüber Sündern ist, die durch ihr Tun sein gerechtes Gericht herausgefordert hatten, durch diesen kurzen Satz so vollkommenen Ausdruck zu geben! Wahrlich, der Sohn Gottes ist gekommen, um uns das Wesen und das Herz Gottes in seiner ganzen Fülle zu offenbaren. Und nun sind wir ehemalige Sünder auf dem Weg der Buße und durch Glauben in den ungeahnten Reichtum der Segnungen eingetreten, die Gott, der Vater, nach Epheser 1 und anderen Stellen, in Christus Jesus für uns bereitet hat.
Schon darin, dass Er uns als Tagelöhner, als Knechte in Frieden aufgenommen hätte, wäre unverdiente Gnade gewesen. Aber in seinem eigenen Herzen hat Er uns «zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade» (Eph 1,5.6). Nur ewige Anbetung kann die Antwort auf eine solche Liebe sein.
Wenn nun der Vater im Gleichnis den Heimgekehrten mit dem zärtlichsten Ausdruck der Liebe als Sohn aufgenommen hat, so will er ihn aber nicht in dessen Lumpen in sein Haus einführen, das in allem seinem Besitzer entspricht. Auf sein Geheiss wird ihm das beste Kleid angezogen, ein Ring an seinen Finger getan und Sandalen an seine Füsse gebunden. Es soll sichtbar bleiben, dass er der echte Sohn eines solchen Vaters ist.
Unser Gott und Vater konnte uns weder in den schmutzigen Lumpen der Sünde noch im Flickwerk eigener Gerechtigkeit in sein Haus einführen. Nur das beste, völlig neue Kleid, das Er selber uns gibt, kann seiner Gerechtigkeit entsprechen. Es ist Christus selbst; in Ihm sind wir Gottes Gerechtigkeit geworden (2. Kor 5,21). Es ist das beste Kleid des Himmels, in dem wir auf ewig bei dem Vater wohnen werden. In Christus besitzen wir auch alles, was wir zu einem Gott wohlgefälligen Wandel nötig haben.
Nun ist alles göttlich geordnet. Wie der Sohn im Gleichnis, dürfen auch wir jetzt am Tisch des Vaters sitzen und ungehindert und für immer Gemeinschaft mit Ihm haben. Die Freude des Vaters erfüllt sein Haus auf ewig, und wir haben unser uneingeschränktes Teil daran. «Und sie fingen an fröhlich zu sein!»
Das Evangelium der Gnade Gottes, das aus Zöllnern und Sündern glückselige Kinder Gottes macht, war auch für die Juden da: Der Vater ging hinaus und drang in den älteren Sohn, doch auch einzutreten und sich mitzufreuen. Aber die Selbstgerechtigkeit des Menschen, die nichts als Selbstsucht und Sünde ist, stösst die Gnade von sich. Er bleibt lieber draussen und stellt sich in Gegensatz zu Gott, dem er doch zu dienen vorgibt!