3. Eifersucht und üble Nachrede
Mirjam war die Älteste der drei Geschwister. Als junges Mädchen hatte sie auf den kleinen Mose aufgepasst (2. Mo 2,4.7). Sie war eine Prophetin (2. Mo 15,20). Fürchtete sie durch die Rückkehr von Zippora aus ihrem Einflussbereich verdrängt zu werden? (vgl. 2. Mose 18,5 und 4. Mose 12,1). Wie dem auch sei, sie gewinnt Aaron für ihre Unzufriedenheit, und alle beide sprechen gegen Mose: «Hat der HERR nur mit Mose allein geredet? Hat er nicht auch mit uns geredet?» (Vers 2). Die «kuschitische Frau» diente als Vorwand, der tiefe Beweggrund aber, war es nicht die Eifersucht? Schliesslich war Mose nur der Jüngste; sein Bruder und seine Schwester wollten gern glauben, dass Gott durch ihn geredet hatte, aber auch durch sie. Sie hatten Mühe, den wachsenden Einfluss anzunehmen, den Gott seinem Diener verlieh, während sie doch den Platz der Autorität, den Er ihm anvertraut hatte, hätten anerkennen müssen.
Ist es nicht auch unter uns oft so? Aus Eifersucht und Verdruss beginnt man schlecht von diesem oder jenem Bruder zu reden, sogar von einem Diener des Herrn. Ohne so weit zu gehen wie diese zwei, findet man Gefallen an übler Nachrede, etwas tatsächlich Schlechtes weiterzusagen, mit dem Ziel, denjenigen, der dies verübt hat, in den Augen seines Gesprächspartners herabzuwürdigen. Man geht zuweilen bis zur Verleumdung, indem man Falsches erzählt oder stark übertreibt. Das angerichtete Unheil ist nicht wiedergutzumachen. Nachdem man sich vor dem Herrn gedemütigt hat, wird man sich wohl gegenüber seinem Gesprächspartner entschuldigen können (ganz sicher nicht im Beisein dessen, dem man Übles nachgesagt oder den man verleumdet hat, ausser wenn er davon wusste. Das würde ihn noch mehr schmerzen). Man wird ihn bitten, die Sache zu vergessen. Aber in der Zwischenzeit wird sich das Böse zweifellos schon ausgebreitet und sein Werk getan haben. Drei Dinge, sagt das arabische Sprichwort, können nicht zurückgehalten werden: Der Pfeil, der fliegt, das ausgesprochene Wort und die vergangene Zeit. Jakobus warnt: «Wenn jemand meint, er diene Gott, und zügelt nicht seine Zunge … dessen Gottesdienst ist nichtig» (Jak 1,26). Denken wir auch an den Eindruck, den es auf unsere Kinder macht, die zu Hause zu oft übles Nachreden und Kritik hören.
3. Mose 19,16 drückt es klar aus: «Du sollst nicht als ein Verleumder unter deinen Völkern umhergehen.» Der Apostel Petrus unterstreicht den ganzen Ernst davon: «Legt nun ab … alles üble Nachreden, und … seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch … wenn ihr wirklich geschmeckt habt, dass der Herr gütig ist» (1. Pet 2,1-3). Scheint dieses «wenn ihr wirklich» nicht zu bezweifeln, dass man die Güte des Herrn geschmeckt haben könne, wenn man sich der üblen Nachrede hingibt? Sie beginnt zuerst im Herzen, in den Beschwerden, die man gegen diesen oder jenen nährt, oder in der Wichtigkeit und Bedeutung, die man sich selbst zuschreibt. Dann weiss der Feind so gut, die günstige Gelegenheit herbeizuführen, wo das böse Wort ausgesprochen wird. Man wird damit prahlen, dass man «auf dem Laufenden sei». Zu oft redet man übel von anderen Leuten, weil einem ein Gesprächsthema fehlt. Und solche «Offenbarungen» sind wie «Leckerbissen» (Spr 26,22) für die, die sie hören! «So ist auch die Zunge ein kleines Glied», sagt Jakobus, «… ein kleines Feuer, welch einen grossen Wald zündet es an!» (Jak 3,5). In Psalm 15 wird dem, der mit seiner Zunge nicht verleumdet, eine Verheissung gemacht: er wird im Zelt des HERRN weilen. Gesegnete Gemeinschaft mit seinem Herrn für den, der über seine Lippen wacht! David flehte: «Lass die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens wohlgefällig vor dir sein!» (Ps 19,15). Die Vorsätze und der äussere Zwang sind keine genügende Hilfe: Die Zunge lässt sich nicht bändigen. Es ist das Innere, das geändert, erneuert, verwandelt werden muss. Wir müssen die schlechten Gedanken, die uns verleiten, übel von unserem Bruder zu reden oder ihn gar zu verleumden, verurteilen, wenn sie noch in uns sind.
Mose, als Gegenstand der üblen Nachrede seines Bruders und seiner Schwester, schweigt. Aber «der HERR hörte es». Er ruft die drei zum Zelt der Zusammenkunft. Dann lässt Er Aaron und Mirjam allein vor Ihn treten. Er verteidigt seinen Diener, der treu ist in seinem ganzen Haus, mit dem Er von Mund zu Mund redet und der das Bild des HERRN schaut: «Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen meinen Knecht, gegen Mose, zu reden? Und der Zorn des HERRN entbrannte gegen sie … und siehe, Mirjam war aussätzig wie Schnee; und Aaron wandte sich zu Mirjam, und siehe sie war aussätzig.» Die Prophetin, die zum Lob des HERRN gesungen hatte, sollte von nun an aus dem Lager ausgeschlossen werden und so ihr Leben fristen, bis der Tod sie von ihrer entsetzlichen Krankheit erlöste.
Welch eine ernste Züchtigung! Gott nimmt diese Dinge nicht leicht. Das Gewissen von Aaron und Mirjam regt sich. Sie tun Buße. Sie bekennen ihre Sünde, durch die sie töricht gehandelt haben. Aaron, obwohl Priester, ist nicht mehr in der Lage, für seine Schwester zu beten. Auf seine inständige Bitte öffnet Mose, zum ersten Mal in unserem Abschnitt, seinen Mund und schreit zum HERRN, ohne irgendeinen heimlichen Groll: «O Gott, bitte, heile sie doch!» Aber die Zucht muss ihren Weg gehen. Mirjam wird wiederhergestellt werden, obwohl sie sich zuerst, aus dem Lager ausgeschlossen, «sieben Tage lang schämen» muss. Das ganze Volk ist deswegen mit ihr in Mitleidenschaft gezogen: Sie brechen nicht auf, bis Mirjam wieder aufgenommen wird.
«Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, gegen meinen Knecht zu reden?» Widerhallt dieses Wort nicht auch in den Ohren unseres Gewissens? Ohne Zweifel hat jeder Diener des Herrn seine Fehler und Mängel (Jak 3,1). Aber das ist kein Grund, sie hervorzuheben, sie herauszustreichen und sich ihrer gegen ihn zu bedienen. Im Gegenteil, die Liebe deckt die Fehler der anderen zu, sie redet davon zum Herrn, damit Er eingreife und zurechtbringe. Sie spricht, wenn sie in besonderen Fällen dazu geführt wird, direkt mit dem Betreffenden. Übel von den Dienern Gottes oder von unseren Brüdern zu reden, welche immer es sein mögen, kann nur die Zucht des Herrn auf uns ziehen, indem es die Gemeinschaft mit Ihm stört, unseren Dienst «vergeblich» macht, Dürre in der Seele erzeugt und oft sehr bittere Früchte.
Sollten wir diese Sünde der üblen Nachrede, die wir so leicht begehen, nicht viel mehr zu Herzen nehmen? Auch die nachteiligen Bemerkungen, die ein anderer zu uns macht, nicht annehmen oder wie jener Bruder, vor dem man einen anderen kritisierte, antworten: «Ich gehe gleich, um mit ihm darüber zu sprechen». Der Gesprächspartner wird mich sofort bitten, in dieser Sache nichts zu unternehmen! Im Selbstgericht sollten wir die Gründe suchen, die uns zur üblen Nachrede geführt haben, sie wirklich vor Gott verurteilen und wenn nötig die Beschämung und die notwendige Berichtigung annehmen.