Die Versammlung – eine Quelle des Segens
Das Wasser des Lebens (22,1-2)
Die Braut als die Frau des Lammes ist nicht nur was die Autorität und die Herrlichkeit betrifft mit dem Lamm verbunden. Die Stadt wird als Wohnstätte Gottes auch die Quelle des Segens für die Erde im Tausendjährigen Reich sein.
«Und er zeigte mir einen Strom von Wasser des Lebens, glänzend wie Kristall, der hervorging aus dem Thron Gottes und des Lammes. In der Mitte ihrer Strasse und des Stromes, diesseits und jenseits, war der Baum des Lebens, der zwölf Früchte trägt und jeden Monat seine Frucht gibt; und die Blätter des Baumes sind zur Heilung der Nationen» (Kap. 22,1.2). Die symbolische Sprache weist Ähnlichkeiten mit der des Propheten Hesekiel auf. Die Unterschiede zeigen, dass die irdischen Dinge lediglich Abbilder der himmlischen sind. Im Buch Hesekiel wird tatsächlich ein Strom von Wasser beschrieben, der «unter der Schwelle des Hauses hervor nach Osten» ins Tote Meer fliesst und dessen Wasser gesund macht (Hes 47,1.8). «Am Fluss, an seinem Ufer, auf dieser und auf jener Seite, werden allerlei Bäume wachsen, von denen man isst, deren Blätter nicht verwelken und deren Früchte nicht ausgehen werden. Monat für Monat werden sie reife Früchte tragen, denn seine Wasser fliessen aus dem Heiligtum hervor; und ihre Früchte werden zur Speise dienen und ihre Blätter zur Heilung» (Hes 47,12).
Die irdischen Dinge sind den himmlischen nachgebildet. So weist das irdische Jerusalem auch eine quadratische Form auf, aber in Grösse und Form passt es auf die Erde. Das Allerheiligste im Tempel, die irdische Wohnung Gottes, ist gleich wie sein himmlisches Gegenbild ausgestaltet. Die Abmessungen sind aber auf dessen irdischen Charakter ausgerichtet. Aus dem Tempel, Gottes irdischer Wohnung in der irdischen Metropole, fliessen die Wasser, um Leben und Fruchtbarkeit aus dem unfruchtbaren Boden hervorzubringen und um die salzigen Wasser des Toten Meeres gesund zu machen. Aus dem Thron Gottes und des Lammes im himmlischen Jerusalem fliesst der Strom von Wasser des Lebens hervor, nicht nur zur Landbewässerung, sondern zum Segen aller Menschen.
Auf beiden Seiten des Flusses, der im irdischen Heiligtum entspringt, stehen Fruchtbäume, die jeden Monat reife Früchte tragen werden. Sie sind zur Speise und ihre Blätter dienen zur Heilung. Aber der Baum des Lebens, von dem der Überwinder essen wird, befindet sich auf beiden Seiten des Stroms von Wasser des Lebens, der aus der himmlischen Stadt fliesst. Neben seinen Früchten für den Überwinder sind die Blätter des Baumes des Lebens ebenfalls zur Heilung, aber nicht nur für die Bewohner Israels, sondern für die Nationen. Während das irdische Jerusalem besonders der Mittelpunkt des irdischen Segens für Israel sein wird, wird das himmlische Jerusalem der Mittelpunkt des Segens für die ganze Erde sein. Immer wenn es um irdische Belange geht, nimmt Israel eine Vorrangstellung ein. Doch der Kreis, der die Interessen der Versammlung betrifft, ist weiter gefasst, denn an ihrem Segen haben sowohl Juden als auch Nationen teil.
Jetzt gibt es keinen Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, d.h. keinen Baum der Verantwortung mehr. Dieser Baum, dessen Genuss den Tod brachte, wurde durch das Kreuz auf die Seite getan, denn dort wurde unserem ganzen Versagen entsprochen. Das geschah so vollkommen, dass wir nun Frieden mit Gott haben durch unseren Herrn Jesus Christus (Röm 5,1). Daher verschwindet hier der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen und nur der Baum des Lebens blüht. Jene, die im Paradies Gottes sind, werden von seinen Früchten essen. Auf der Erde aber im Tausendjährigen Reich, wo das Böse – obschon eingedämmt – immer noch existiert, werden die Blätter dieses Baums zur Heilung der Nationen dienen. Aus diesen Worten wird klar, dass die beschriebene Zeit nicht den ewigen Zustand betrifft, wo alles Böse beseitigt sein wird. Es geht um die Zeit des Tausendjährigen Reichs, in der Heilung nach wie vor nötig sein wird.
Kein Fluch mehr (22,3-4)
«Und keinerlei Fluch wird mehr sein; und der Thron Gottes und des Lammes wird in ihr sein; und seine Knechte werden ihm dienen, und sie werden sein Angesicht sehen; und sein Name wird an ihren Stirnen sein.» (V. 3-4). Unter den Völkern der Erde wird immer noch Fluch auftreten, nicht beständig, sondern nur von Zeit zu Zeit als Strafe für die Sünde. In Jesaja 65,20 heisst es: «Der Jüngling wird als Hundertjähriger sterben und der Sünder als Hundertjähriger verflucht werden.» Hier im neuen Jerusalem wird keinerlei Fluch mehr sein. Wie könnte dies auch für solche sein, die dem Bild des Sohnes Gottes gleichförmig geworden sind? Sie sind ein Volk, das Gott für sich geschaffen hat, für seinen eigenen Wohnplatz. Daher wird der Thron Gottes und des Lammes bei ihnen sein. Sie sind seine Knechte und ihre Treue Ihm gegenüber wird durch nichts mehr gestört werden. Sie dienen ausschliesslich Ihm.
«Wem dienen sie?», mag man fragen. Gott oder dem Lamm? Hier – wie oft in den Schriften des Johannes – unterscheidet er nicht. Es wird nur von einem Thron gesprochen, nur von einem, dem sie dienen, nur von einem, dessen Angesicht sie sehen, und nur von einem Namen, der an ihren Stirnen sein wird. Überall gilt dieselbe Wahrheit: Ich und der Vater sind eins. Es scheint jedoch, dass Johannes mehr an den Herrn Jesus denkt.
Seine Knechte werden als seine ausgewählten Genossen betrachtet. Sie werden sein Angesicht sehen. Dadurch, dass sein Name an ihren Stirnen sein wird, werden sie als sein Eigentum betrachtet. Sie werden dann in Vollkommenheit seine Wesenszüge tragen, die heute bei den Gläubigen oft so schwer zu erkennen sind. «Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass wir, wenn es offenbar werden wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist» (1. Joh 3,2).
Keine Nacht mehr (22,5)
«Und Nacht wird nicht mehr sein und kein Bedürfnis nach einer Lampe und dem Licht der Sonne; denn der Herr, Gott, wird über ihnen leuchten, und sie werden herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit» (V. 5). Dies stellt eine Zusammenfassung des Segens dar, den die himmlischen Gläubigen, die Versammlung im Tausendjährigen Reich, geniessen werden. Die Dunkelheit ist für immer vergangen. Gott selbst – nicht indirekt durch seine Werkzeuge, sondern in seiner eigenen Person – ist ihre gesegnete Lichtquelle. Sie leuchtet in ihrer ganzen Herrlichkeit über ihnen und macht sie fähig, sich daran zu freuen. Die Gläubigen werden mit Christus während des ganzen Tausendjährigen Reichs, ja, von Ewigkeit zu Ewigkeit herrschen.
Das ist die Versammlung, die Braut, die Frau des Lammes, das himmlische Jerusalem während der Regierung des Tausendjährigen Reichs. Die verwendeten Bilder mögen verschieden sein. Wenn es um die Zuneigungen Christi geht, werden sie durch die Erwähnung der Braut in den Vordergrund gerückt. Die Beziehungen der Versammlung zur Erde werden im Bild der Stadt vorgestellt. Ihr wunderbarer Platz in Gottes Gedanken kommt darin zum Ausdruck, dass sie seine Wohnstätte ist. Was auch immer das benutzte Bild ist, der vorherrschende Gedanke bleibt die überragende Herrlichkeit und der Segen der Versammlung, die Gott in der jetzigen Zeit herausruft und zu einem Leib bildet. Sie soll für immer in besonderer Innigkeit mit dem Sohn seiner Liebe verbunden sein. In welch einem Gegensatz stehen die hier vorgestellten moralischen Herrlichkeiten zu dem traurigen, ruinierten Zustand der Versammlung, wie wir dies jetzt in der Welt sehen! Glücklicherweise werden Gottes Pläne und seine Liebe von unserem Versagen nicht beeinflusst! Trotzdem sollte diese Tatsache uns mit Beschämung erfüllen, weil unser Versagen derart gross ist.
Warnungen und Ermunterungen
Ich komme bald (22,6-7)
Die prophetische Botschaft der Offenbarung endet eigentlich mit der Vision über das neue Jerusalem. Die auf Vers 5 folgenden Verse sind daher weniger ein Teil der Offenbarung als vielmehr Worte – vom Engel und vom Herrn Jesus ausgesprochen – um die Wahrheit und den Wert von dem, was uns enthüllt worden ist, auf unsere Herzen zu legen.
«Und er sprach zu mir: Diese Worte sind gewiss und wahrhaftig, und der Herr, der Gott der Geister der Propheten, hat seinen Engel gesandt, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss.» (V. 6).
Kein Buch entfaltet die kommenden Herrlichkeiten für die Gläubigen so einzigartig wie die Offenbarung. Kein anderes Buch wiederholt mit solchem Nachdruck die Gewissheit, dass diese Worte zuverlässig (oder treu) und wahrhaftig sind. Der alttestamentliche Name Gottes «Herr», sein Titel als Gott der Geister der Propheten, die Engel, die mit einer Botschaft gesandt werden und die Gläubigen, die in einer Beziehung als Knechte gesehen werden – all das passt zu dem prophetischen Charakter dieses Bibelbuchs. Aber es gibt einen Unterschied zwischen diesen Prophezeiungen und jenen des Alten Testaments, denen sie so stark gleichen. Im Alten Testament werden die vorausgesagten Ereignisse in der Ferne gesehen. Hier wird von den Ereignissen gesagt: «Was bald geschehen muss.» Der Grund dafür liegt darin, dass die Zeitperiode der Versammlung immer als ausserhalb dieses Geschehens betrachtet wird. Es handelt sich bei ihr um einen Einschub im göttlichen Zeitplan mit der Erde. Wie lange die Gnade ihn ausdehnt, wissen wir nicht. Er kann aber jederzeit plötzlich zu Ende sein. Gläubige Christen erwarten daher immer das Kommen des Herrn. Seine Worte an sie lauten: «Siehe, ich komme bald. Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses Buches bewahrt!» (V. 7).
Gottes Wort bewahren
Was ist mit dem Bewahren dieser Worte gemeint? Während der Zeitdauer der Versammlung liegt der grösste Teil der in diesem Bibelbuch vorhergesagten Strafgerichte in der Zukunft. Wie können diese Worte bewahrt werden? Die Worte Gottes als Schatz zu sammeln, ist immer nützlich. Doch es ist nicht in jedem Fall erforderlich, dass sie wirklich verstandesmässig begriffen werden. Die historische Entwicklung der vorhergesagten Ereignisse mögen wir nicht immer richtig erfassen. Aber die grossen Linien von Gottes gerechten Strafgerichten, die in der Entfaltung der Herrlichkeit von Christus ihren Höhepunkt finden werden, sollten wir klar erkennen, und zwar durch den dicksten Nebel der möglichen Fehldeutungen hindurch, zu denen das Buch führen kann.
Denken wir an die Geschichte der Christenheit! War die Versammlung als verantwortliches Zeugnis treu? Nein. Ein grosses Thema dieses Buches ist das Versagen der Christenheit. Dies wird in den sieben Sendschreiben hervorgehoben. Es zeigt sich auch im verdorbenen, abtrünnigen Babylon und in der grossen politischen Macht der Nationen in den letzten Tagen. Sie wird die christlichen Länder umfassen und in den schlimmsten Götzendienst und in totale Rebellion gegen Gott verfallen. Dieses vollständige Versagen der bekennenden Christenheit – ein Schwerpunkt dieses Buchs –, genau das wollten die Christen nicht sehen. Viele Missverständnisse haben dazu beigetragen, die Wahrheit zu verdunkeln.
Der Heilige Geist hat die Nationen, denen der christliche Glaube verkündigt worden ist, dadurch gewarnt, dass Er ihnen sagte: «Du aber stehst durch den Glauben.» Er sagte ihnen weiter, dass Gott, der die natürlichen Zweige (die Juden) nicht verschont hat, auch sie (die Nationen) nicht verschonen werde (Röm 11,16-21). Anstatt darauf zu achten, wurden sie hochmütig und fürchteten sich nicht. Darum, wenn Gottes Wort wahr wird, werden sie ausgeschnitten werden. Dies wird im Buch der Offenbarung aufgezeigt. Die bekennende Christenheit wiegt sich jedoch in Sicherheit. Sie denkt nicht im Traum daran, dass Strafgerichte auf sie zukommen. Indem sie ihre Augen vor der ernsten Wahrheit verschlossen hat, ist sie bereit, irgendwelche Auslegungen zu akzeptieren, solange diese nicht an ihr Gewissen appellieren. Hätte sie sich unter die Wahrheit über das Gericht gebeugt, das am Haus Gottes beginnt, wäre kein solches Abfallen eingeleitet worden. Aber die bekennende Christenheit hat «die Worte der Weissagung dieses Buches» nicht bewahrt. Die Folgen davon sind Hochmut, weltliche Ambitionen und das Aufgeben ihres wahren Charakters: Sie wartet nicht mehr auf Christus, der wiederkommen wird.
Keine Anbetung der Engel (22,8-9)
«Und ich, Johannes, bin der, der diese Dinge hörte und sah; und als ich sie hörte und sah, fiel ich nieder, um anzubeten zu den Füssen des Engels, der mir diese Dinge zeigte. Und er spricht zu mir: Sieh zu, tu es nicht. Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder, der Propheten, und derer, die die Worte dieses Buches bewahren. Bete Gott an» (V. 8.9). Wie zuvor, als Johannes das erste Mal niederfiel, um den Engel anzubeten, ist es die Sicht auf die Herrlichkeiten der Versammlung, die ihn überwältigt. Damals ging es um die Frau des Lammes, die in feine Leinwand, glänzend und rein, gekleidet war. Jetzt hat er die strahlend schöne Vision über das neue Jerusalem gesehen. Bei jeder dieser Gelegenheiten weist der Engel die Anbetung zurück, indem er sich mit Johannes, seinen Glaubensbrüdern, den Propheten, und mit denen, «die die Worte dieses Buches bewahren», gleichstellt.
Die Zeit ist nahe (22,10-11)
«Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches; denn die Zeit ist nahe. Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt» (V. 10.11). Daniel wurde angewiesen, die Worte zu verschliessen und das Buch bis zur Zeit des Endes zu versiegeln (Dan 12,4). Diese Anordnung unterscheidet sich deutlich von der hier gegebenen Anweisung, die Worte der Weissagung nicht zu versiegeln, «denn die Zeit ist nahe». Doch keine dieser Prophezeiungen ab Kapitel 4 haben sich bis jetzt erfüllt. Warum aber wird die eine als weit in der Zukunft liegend und die andere als nah bevorstehend betrachtet? Weshalb muss die eine Prophezeiung versiegelt werden, wie bei Papieren, die erst in ferner Zukunft benötigt werden, die andere hingegen nicht, wie bei Papieren, die sofort gebraucht werden?
Es genügt nicht, dies damit zu erklären, dass die Prophezeiung von Daniel rund 600 Jahre früher erfolgte. Auf heute bezogen kann man sagen: Sowohl 2600 Jahre (Prophezeiung Daniels) als auch 2000 Jahre (Voraussagen der Offenbarung) liegen in ferner Zukunft. Wenn Ereignisse, die sich in 2000 Jahren abspielen werden, als nahe gelegen bezeichnet werden, weshalb nicht Ereignisse, die 2600 Jahre entfernt liegen? Die Erklärung liegt im Charakter der aktuellen christlichen Zeitperiode (Gnadenzeit oder Zeit der Versammlung), in der keine Zeitangaben gemacht werden und keine Zeitdauer berechnet werden kann. Kein Ereignis der Gnadenzeit kann zeitlich festgelegt werden, nicht einmal die Entrückung. Wir sollen sie jederzeit erwarten. Und so wird in der Prophetie die Zeit der Versammlung einfach übergangen. Nach der Entrückung der Versammlung wird die Zeit wieder gezählt. Es folgt die kurze Periode der Drangsalszeit, in der Gott seine Regierungspläne mit der Welt wieder aufnimmt. Die Vorbereitung für die Wiederherstellung Israels und die Herrschaft von Christus setzt sich wieder fort.
Wenn die Gerichte über die Erde hereinbrechen werden, wird der moralische Zustand des Menschen unveränderlich fest sein (V. 11). Der Ungerechte wird ungerecht und der Unreine unrein bleiben. Der Gerechte wird gerecht und der Heilige heilig bleiben. Es ist klar, dass sich dies nicht auf die Gnadenzeit beziehen kann. Diese Aussage enthält eine Warnung, dass die Gerichtszeit nahe ist, denn die Gnadenzeit geht vorüber, und man kann nicht berechnen, wie lange sie noch dauern wird. Die Strafgerichte müssen daher als vor der Tür stehend betrachtet werden. Wenn sie einmal begonnen haben, wird es keinen Aufruf zur Buße mehr geben. Dann werden die Gesegneten ewig gesegnet sein und die Bösen ewig böse bleiben.
Ich komme bald (22,12-13)
Wieder wird das baldige Kommen des Herrn betont, und zwar jetzt von Ihm selbst. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Sprechende ein Engel, obschon er manchmal im Namen des Herrn geredet hat. Aber jetzt ist es Christus, der in seiner eigenen Person spricht: «Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk ist. Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende» (V. 12.13). In der Offenbarung werden die zwei Kommen des Herrn – zur Entrückung und zum Gericht über die Welt – oft mit denselben Worten beschrieben. In moralischer Hinsicht gleichen sie sich, denn beide bedeuten Gericht für die Welt und bringen Segen für die Gläubigen. Beim ersten Kommen wird der Gläubige in die Herrlichkeit entrückt. Beim zweiten Kommen wird er in Herrlichkeit offenbart werden. Die Welt bleibt bei der Entrückung zum Gericht zurück. Beim zweiten Ereignis wird die Strafe an ihr vollzogen.
Wichtig ist hier nicht der Ablauf des Geschehens, sondern die grosse Tatsache des Wiederkommens des Herrn Jesus und dass Er dann, gemäss Römer 2,6 «jedem vergelten wird nach seinen Werken». Dies ist der unumstössliche Grundsatz des gerechten Handelns Gottes. Er wird durch die Gnade in keiner Weise abgeschwächt. Es ist wahr, dass die Gnade unsere Sünden auf einen anderen gelegt hat, der unser Stellvertreter ist. Anderseits rechnet sie uns die guten Werken zu, die Gott in seiner Kraft in uns und durch uns gewirkt hat. Dadurch wird dieser Grundsatz bestätigt, statt ihm zu widersprechen.
Wenn ein redlicher Mann seine Geschäfte betreibt, empfängt er das, was ihm zusteht, und er kommt seinen Verpflichtungen nach. Die Gerechtigkeit dieses Verhaltens wird weder dadurch beeinflusst, dass ihm durch die Güte eines anderen gewisse Schulden erlassen worden sind, noch dass dadurch gewisse Verbindlichkeiten entstanden sind. Auch Gottes gerechte Vergeltung, entsprechend den Werken, ist auf keine Weise davon beeinträchtigt, dass die Sünden der Gläubigen weggetan und ihre gerechten Taten durch die Gnade Gottes bewirkt worden sind.
Diese Grundsätze sind ewig und unumstösslich wie Gott selbst. Ihnen folgt die Bezeichnung des Charakters des Herrn als der Ewige: «das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.»
Gerechtigkeit und Gnade (22,14-15)
Die Übereinstimmung von Gerechtigkeit und Gnade wird in den nächsten Versen gezeigt: «Glückselig, die ihre Kleider waschen, damit sie ein Recht haben an dem Baum des Lebens und durch die Tore in die Stadt eingehen! Draussen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut» (V. 14.15). Während die Gerechtigkeit als Gottes Grundsatz im Gericht bezeichnet worden ist, bildet die Gnade die Grundlage für den Segen der Gläubigen. Der Anspruch auf den Baum des Lebens (der im Paradies stand), wird nicht mit dem Halten der Gebote begründet oder mit irgendetwas Positivem im Menschen. Es geht um die Gerechtigkeit «des Mannes, dem der Herr Sünde nicht zurechnet», weil er seine Kleider gewaschen und sie «weiss gemacht hat in dem Blut des Lammes» (Röm 4,8; Off 7,14). Dies befähigt ihn ebenfalls, durch die Tore der Stadt einzugehen oder zur Versammlung Gottes zu gehören. Wenn er nicht auf diese Weise gewaschen ist, bleibt er in sich selbst schmutzig und muss draussen bleiben. Er wird zur Kategorie der Hunde, der Zauberer, der Hurer, der Mörder, der Götzendiener und derer, die die Lüge lieben und tun, gezählt. Für diese gibt es keinen Platz in der heiligen Stadt.
Der glänzende Morgenstern (22,16)
Nachdem die Grundsätze seiner Gerechtigkeit, die der Herr bei seinem zweiten Kommen ausüben wird, erklärt worden sind, beendet Er das Buch mit einigen wenigen gewichtigen und ernsten Worten. «Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, um euch diese Dinge zu bezeugen in den Versammlungen. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern» (V. 16). Es liegt eine besondere Schönheit in der Weise, wie der Herr am Ende dieses Buchs zu seinem geliebten Jünger spricht. Er tut es nicht in seinem offiziellen Charakter, sondern mit seinem persönlichen Namen. Als «Jesus» kannte und liebte Johannes den Herrn während seines Erdenlebens. Es ist, als ob der Herr damit ausdrücken würde: «Ich bin zwar der ewig Seiende, der höchste Richter. Doch gleichzeitig bin ich immer noch derselbe Jesus, mit dem du in Galiläa umhergezogen bist und an den du dich während des Abendessens gelehnt hast.» Er ist auch der treue und wahre Zeuge. Als solcher hat Er durch seinen Engel den kommenden Ruin und das Versagen in den Versammlungen bezeugt.
Doch Er ist immer noch die Hoffnung der irdischen und der himmlischen Gläubigen. Für die irdischen Gläubigen, deren Segen in der Erfüllung der Verheissungen an David besteht, ist Er die «Wurzel und das Geschlecht Davids». Er ist der Urheber aller Verheissungen und auch der Ursprung Davids, der königlichen Linie, auf die alles abzielt. Für die himmlischen Gläubigen, für die Versammlung ist Er die beständige Hoffnung, der Vorbote des anbrechenden Tages, «der glänzende Morgenstern».
Die Antwort der Heiligen (22,17)
Dies bewirkt eine Antwort, die, durch den Heiligen Geist veranlasst, aus dem Herzen der Braut kommt: «Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; wer will, nehme das Wasser des Lebens umsonst» (V. 17). Die wahre Haltung der Versammlung als der Braut Christi besteht im ständigen Warten auf sein Kommen. Er ist ihre Hoffnung. Die Erklärung, dass Er der glänzende Morgenstern ist, weckt das Verlangen der Braut. Und der Heilige Geist spricht durch sie und schliesst sich dem Ruf «Komm!» an.
Auch das Wort der Gnade geht immer noch aus. Es verkündet, dass Jesus der Retter ist. Wer es hört, möge das Wort aufnehmen. Dann kann er ebenfalls in den Ruf einstimmen: «Komm!» Jesus Christus, der die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft, um ihnen Ruhe zu geben, bietet den Durstigen Wasser an. Er überlässt die Verkündigung dieser Botschaft nicht nur anderen. Noch einmal ertönt seine Stimme, die sanft bittet: «Wen dürstet, der komme; wer will, nehme das Wasser des Lebens umsonst.» Wie erfrischend sind diese Worte der Gnade, dieser ernste Appell am Ende dieses Buchs der Gerichte! Sie scheinen zu sagen: «Der Tag der Vergeltung kommt schnell, aber der Tag der Gnade dauert noch an. Ewiges Leben ist mein Geschenk. Trinke aus dieser Quelle, die den Durst für immer stillen wird, bevor es zu spät ist.»
Nichts hinzufügen oder wegnehmen (22,18-19)
Die Einseitigkeit des Menschen hat ihn immer dazu geführt, Gnade und Gericht gegeneinander auszuspielen. Aber die Vielseitigkeit des Wortes Gottes gibt jeder Seite ihren eigenen Platz. Nachdem die sanften Einladungsworte ausgesprochen worden sind, ist es eindrücklich, wie Gott für dieses Buch der siebenfachen Strafgerichte einen Schutzwall gegenüber jeder Einmischung durch den menschlichen Verstand und Unglauben hochzieht. «Ich bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses Buches hört: Wenn jemand zu diesen Dingen hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen hinzufügen, die in diesem Buch geschrieben sind; und wenn jemand von den Worten des Buches dieser Weissagung wegnimmt, so wird Gott sein Teil wegnehmen von dem Baum des Lebens und aus der heiligen Stadt, wovon in diesem Buch geschrieben ist» (V. 18.19).
Was ist unter hinzufügen und wegnehmen zu verstehen? Es bedeutet nicht nur den offenen Unglauben, der die Bibel als Gottes Wort ablehnt. Sicher ist dies darin enthalten, aber es umfasst noch viel mehr. Die bekennende Christenheit hat die Bibel praktischerweise beiseite gesetzt. Nicht nur durch falsches Verständnis, was hier nicht gemeint ist, sondern aufgrund ihres Verhaltens und ihrer Hoffnung. Sie hat sich ganz auf die Erde, statt auf den Himmel ausgerichtet. Sie weigert sich, an das Gericht zu glauben, das sie selbst betrifft, und nimmt so diesen Teil aus der Bibel weg. Sie masst sich an, selbst zu universaler Herrschaft zu gelangen und schliesslich über das Böse zu triumphieren. Sie meint, selbst bis an das Ende der Zeit zu bleiben und fügt so dem Wort Gottes etwas hinzu.
Viele Kinder Gottes, die die Bibel hoch achten, sind durch diesen falschen, traditionellen Glauben in die Irre geführt worden. Sie haben daraufhin in aller Einfachheit und Aufrichtigkeit ein Auslegungssystem angenommen, das sich auf diese Ansichten abstützt. Es ist nicht nötig, darauf hinzuweisen, dass die Strafen, die denen angedroht werden, die das Wort Gottes angreifen, sich nicht auf diese Gläubigen beziehen. Die Verantwortung wird aber der ganzen bekennenden Christenheit angelastet. Die Strafe wird ebenso an ihr vollzogen werden. Babylon, die sich weigern wird, zu bereuen und sich in Sacktuch zu kleiden, wie es Ninive zur Zeit Jonas tat, spricht in ihrem Herzen: «Ich sitze als Königin, und Witwe bin ich nicht» (Kap. 18,7). Ihr werden die Plagen hinzugefügt, die in diesem Buch beschrieben sind.
Dieses Urteil gilt zunächst nur für jene, die zum Buch der Offenbarung etwas hinzufügen oder etwas davon wegnehmen werden. Aber Gott wird nicht gleichgültig zusehen, wenn andere Teile seines Wortes in ähnlicher Weise angegriffen werden. Die Tatsache, dass die wahre Bedeutung der Offenbarung in Bezug auf das Versagen und die Bestrafung der bekennenden Christenheit so verdreht würde, hat Gott veranlasst, dieses prophetische Buch mit einer besonderen Heiligkeit zu versehen. Es werden nicht nur die glückselig genannt, die es lesen, es legt auch einen besonderen Fluch auf die, die es angreifen. Dieses Prinzip gilt ganz allgemein für die ganze Bibel. Dem Wort Gottes etwas hinzuzufügen oder etwas davon wegzunehmen, hat ernste Folgen. Wer sich gegen Gott auflehnt, hat kein Anrecht auf den Baum des Lebens oder keinen Anspruch auf die heilige Stadt.
Schlussworte (22,20-21)
Und nun folgen die Schlussworte des Herrn, die zugleich Warnung und Hoffnung ausdrücken: «Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. Amen; komm, Herr Jesus!» (V. 20).
Es sind Worte der Warnung. Ist es denn nicht Zeit, dass die Christenheit von ihrem Schlaf erwachen und statt sich dem Traum von der Weltherrschaft hinzugeben, sich um den Ruin und das Versagen kümmern sollte, die ihre Teilnahmslosigkeit und Untreue ausgelöst hat?
Es sind Worte der Hoffnung. Denn was kann es für einen Gläubigen, der sich all des menschlichen Versagens bewusst ist, Schöneres geben als die Hoffnung auf das Kommen des Herrn, um sein wartendes Volk zu sich zu holen und danach seinen Thron in Gerechtigkeit auf der Erde aufzurichten? Wenn seine Stimme ertönt: «Ich komme bald», antworten die Herzen seines Volkes: «Amen, komm, Herr Jesus!» So schliesst dieses Bibelbuch. Der Schreiber fügt nur noch den Abschiedsgruss hinzu: «Die Gnade des Herrn Jesus Christus sei mit allen Heiligen!» (V. 21).