Die Offenbarung (3)

Offenbarung 2,1-11

Das, was ist (die sieben Versammlungen)

«Das, was ist» beinhaltet den Zustand der sieben Versammlungen in Asien, wie er in den folgenden Sendschreiben gezeigt wird. Doch diese Briefe geben auch einen kurzen prophetischen Überblick über die gesamte Kirchengeschichte. Im Epheser-Brief wird die Versammlung als Leib des Christus betrachtet. Dieser kann natürlich nicht gerichtet werden. In der Offenbarung jedoch wird sie als ein bekennendes System betrachtet, das Christus gegenüber verantwortlich ist. Sie wird gemäss ihrer Treue gerichtet werden. In den nun folgenden Briefen wird das Gericht zwar ausgesprochen, aber noch nicht ausgeführt.

Zwei Punkte müssen wir beachten, bevor wir uns den Einzelheiten zuwenden. Wir sehen erstens, dass das Kommen des Herrn in den drei ersten Sendschreiben nicht erwähnt wird, während es in den übrigen einen wichtigen Platz einnimmt. Zweitens wird in den drei ersten Briefen die Ermahnung zu hören vor die Verheissung an die Überwinder gestellt, während sie in den vier übrigen nachher folgt. Selbst wenn ein Mensch dies geschrieben hätte, könnte ein solcher Wechsel kaum ein unbeabsichtigter Zufall sein. Im Wort Gottes ist die Vorstellung eines Zufalls ohnehin ausgeschlossen. Darum muss es dafür eine sinnvolle Erklärung geben.

Die einfachste ist folgende: In den ersten drei Sendschreiben wird die Versammlung, obwohl sie immer wieder versagt, noch nicht als hoffnungslos schlecht betrachtet. Deshalb wird das Ganze ermahnt zu hören, «was der Geist den Versammlungen sagt». Doch in den folgenden Briefen wird die Versammlung in ihrer Gesamtheit als verdorben betrachtet, so dass nun nur noch die Überwinder, die echten Gläubigen inmitten eines verdorbenen Bekenntnisses dazu angehalten werden können, auf die Worte des Geistes zu hören.

Diese Erklärung begünstigt offensichtlich den Gedanken, dass wir in diesen Briefen einen prophetischen Abriss der Geschichte der Christenheit haben. Er beginnt mit dem Verlassen der ersten Liebe (Ephesus) und endet mit der Drohung, aus dem Mund von Christus ausgespien zu werden (Laodizea). In den drei ersten Stadien findet sich immer noch ein gemeinsames Gewissen, so dass die ganze Versammlung zum Hören ermahnt werden kann. In den vier späteren Zuständen hingegen ist jedes gemeinsame Gewissen abhandengekommen, und der Aufruf kann sich nur noch an wahre Gläubige richten. Zudem gehen die drei ersten Zeitperioden vor dem Kommen des Herrn zu Ende, weshalb es in den an sie gerichteten Botschaften auch nicht erwähnt wird. Die vier anderen, so wie es sich aus der Reihenfolge der Sendschreiben ergibt, laufen Seite an Seite bis ans Ende. Deshalb wird darin das Kommen des Herrn oder die Auswirkungen davon erwähnt, entweder als Ermutigung oder als Warnung.

Das Vorhandensein einer prophetischen Aussage durch diese Sendschreiben wird zudem durch die geheimnisvolle Anzahl an Versammlungen und die bemerkenswerte Übereinstimmung mit historischen Tatsachen unterstützt. Warum sieben Versammlungen? Die Zahl sieben wird in diesem Buch regelmässig gebraucht, um einen vollständigen Zyklus zu bezeichnen. Ist es da nicht wahrscheinlich und gnädig, dass der Herr im Bild dieser sieben Versammlungen einen Abriss der verschiedenen Zeitperioden der Christenheit während der ganzen Zeit ihrer Geschichte hier auf der Erde gibt? Wenn Er eine bestimmte Anzahl von Versammlungen angeschrieben hätte und bei jeder einfach auf ihren aktuellen Zustand eingegangen wäre, dann hätte die Wahl einer symbolischen Anzahl keine Bedeutung gehabt. Aber wenn diese Briefe neben der unmittelbaren Absicht auch noch eine prophetische Reichweite haben, dann steht die Wahl der Zahl sieben in vollkommener Harmonie mit dem symbolischen Charakter dieses Buchs.

Die Parallele zwischen dem in diesen Briefen beschriebenen Zustand der Dinge und den verschiedenen Zeitperioden der Kirchengeschichte, und zwar vom Anfang bis zum Ende, wird noch deutlicher sichtbar, wenn wir die Briefe im Detail betrachten.

Jedes Schreiben beinhaltet vier Teile:

  1. Der besondere Charakter, in dem sich Christus vorstellt.
  2. Das Gericht, das Er ankündigt, und die Worte der Ermunterung oder Warnung, die Er äussert.
  3. Die Belohnung, die Er dem Überwinder verspricht.
  4. Die Ermahnung zu hören, «was der Geist den Versammlungen sagt».

Beim letzten Punkt finden wir immer dieselben Worte, obwohl sie nicht immer in derselben Reihenfolge erscheinen. Die übrigen drei Punkte variieren in den verschiedenen Briefen und haben immer eine mehr oder weniger offensichtliche Verbindung untereinander.

Ephesus (2,1-7)

«Dem Engel der Versammlung in Ephesus schreibe: Dieses sagt der, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt» (V. 1). Die Sterne bedeuten die Engel oder geheimnisvollen Vertreter der sieben Versammlungen. Es sind jene, die sowohl für die Belehrung als auch für die Leitung verantwortlich sind; so wie die Sterne nicht nur Licht geben, sondern auch den Lauf der Zeit bestimmen. Die Autorität und das Einsetzen dieser Dienste liegen bei Christus. Der Mensch kann Regeln für die Leitung der Gemeinde oder für die Ernennung von Lehrern und Hirten (Predigern) aufstellen. Doch dies ist eine widerrechtliche, wenn auch unbeabsichtigte Aneignung der Autorität von Christus. Er hält die «Sterne in seiner Rechten», und wandelt in urteilsfähigem Gericht inmitten der sieben Versammlungen oder goldenen Leuchter.

Den Zustand der Versammlung von Ephesus fasst Er folgendermassen zusammen: «Ich kenne deine Werke und deine Arbeit und dein Ausharren und weiss, dass du Böse nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, die sich Apostel nennen und es nicht sind, und hast sie als Lügner befunden; und du hast Ausharren und hast getragen um meines Namens willen und bist nicht müde geworden» (V. 2.3). Wie gern lobt der Herr bei seinem Volk alles, was nur irgend möglich ist! Wie der Apostel die Gläubigen ermuntert: «Im Übrigen, Brüder, alles, was wahr, alles, was würdig, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was lieblich ist, alles, was wohllautet, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob gibt, dies erwägt» (Phil 4,8), so freut sich der geliebte Herr sogar als Richter, zuerst alles Gute, was sein Auge entdecken kann, anzuerkennen und zu würdigen. Hier fand sich tatsächlich viel äusserlich Gutes. Da waren nicht nur Werke, Arbeit und Ausharren, sondern auch göttliches Eifern nach Heiligkeit, göttliches Verurteilen von Falschheit und ernste Besorgtheit für den Namen des Herrn. All das drückte sich durch geduldiges und unermüdliches Ausharren aus.

Es gab jedoch einen Mangel. Den Thessalonichern schrieb Paulus: «Gedenkend eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus» (1. Thes 1,3). In Ephesus fanden sich Werke, doch es wird nicht gesagt, dass es «Werke des Glaubens» waren. Es gab Arbeit (Mühe), aber es wird nicht von der «Bemühung der Liebe» gesprochen. Es gab Ausharren, aber es wurde nicht «Ausharren der Hoffnung» genannt. Christus stand ständig vor den Augen der Thessalonicher. So waren Glaube, Hoffnung und Liebe mit Ihm beschäftigt. Etwas davon fand sich auch noch in Ephesus, doch es war am Verebben. Jemand mag eifrig in Werken sein, selbst wenn die Kraft, die sie einst bewirkt hat, grösstenteils schon versiegt ist. Eine Versammlung kann selbst dann noch grossen äusserlichen Eifer, Aktivität, gesunde Lehre und Zucht an den Tag legen, wenn der Verfall des geistlichen Lebens durch schwindende Liebe zu Christus bereits eingesetzt hat. So geschah es in der bevorzugten Versammlung in Ephesus, wo der von Paulus vorhergesagte Niedergang (Apg 20,29) bereits begonnen hatte.

Daher fährt der Herr fort und sagt: «Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast» (V. 4). Für die Welt und vielleicht auch für sie selbst schien alles in Ordnung zu sein. Man vermutete keinen Verfall. Aber Er, der «Herzen und Nieren prüft», sah die Keime des Bösen, die anderen Augen noch verborgen waren. Was bedeutet dem liebenden Bräutigam eine Braut, die sich untadelig benimmt, wenn ihre Zuneigungen erkalten? Werden korrektes Benehmen oder sorgfältige Pflichterfüllung das nach Liebe dürstende Herz befriedigen können? Kann eine Liebe wie die von Christus sich mit einer zwar aktiven, aber kalten Aufmerksamkeit für christliche Werke zufrieden geben? Kann ihr eine zwar gewissenhafte, aber fruchtlose Strenggläubigkeit genügen, während das Herz nicht von Liebe zu Ihm erfüllt ist? Liebe verlangt nach Liebe. Weder Ehrerbietung noch Fleiss können die Liebe ersetzen. Der Herr, dessen Liebe so gefühlskalt erwidert wurde, war auf diese Weise tief verletzt worden. Er warnt sie darum vor den unausweichlichen Folgen ihrer nachlassenden Zuneigungen.

«Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tu Buße und tu die ersten Werke; wenn aber nicht, so komme ich dir und werde deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken, wenn du nicht Buße tust» (V. 5). Dies mag aussehen, als sei dies eine harte Behandlung für eine solche Kränkung. Aber der Herr schaut nach vorn auf die unausweichlichen Konsequenzen. Doch, wie gross die Langmut auch sein mag, das Ende ist gewiss – es sei denn, die Herzen tun Buße. Der einzige sichere Platz für das Herz ist nahe bei Christus. Eine Versammlung, die mit Werken beschäftigt, aber in ihrer Liebe erkaltet ist, mag für eine Weile dem Verderben und dem schändlichen Bösen entrinnen, aber sie hat ihre Sicherheit verloren. Der einzige Ausweg ist Buße, eine Rückkehr zu den ersten Werken. Wenn sie nicht Buße tut, ist ihr Fall sicher, auch wenn er möglicherweise noch aufgeschoben wird. Ihr Leuchter wird weggerückt werden. Sie wird kein Träger des ihr anvertrauten Lichts mehr sein. Gott wird sie öffentlich als für Ihn untauglich verstossen.

Doch warum wird eine Rückkehr zu den «ersten Werken» derart eindringlich nahegelegt, wenn ihre Werke bereits lobenswert erwähnt wurden? Weil ein Werk in Gottes Augen nach dem Beweggrund beurteilt wird. Stellen wir uns zwei Kinder vor. Beide bringen ihrer Mutter ein Geschenk, das denselben Wert hat. Doch während das eine Kind seine Liebe zu ihr auf jede erdenkliche Art zeigt, beweist das andere durch sein ganzes Verhalten, dass seine Liebe armselig und kalt ist. Welches Geschenk wird in den Augen der Mutter den grösseren Wert haben? So ist es auch bei Christus. Das Werk mag äusserlich genau dasselbe sein. Doch es macht einen grossen Unterschied, ob es einem Herzen entspringt, das in Liebe für Ihn brennt, oder ob es aus reinem Pflichtgefühl oder toter Routine ausgeübt wird.

Wenn wir dieses Sendschreiben vom historischen Gesichtspunkt her betrachten, sind dieses Versagen und die dazu gehörende Warnung äusserst ernst. Schon zu Lebzeiten von Paulus war dieser Verfall deutlich zu sehen. «Du weisst dies, dass alle, die in Asien sind, sich von mir abgewandt haben.» «Bei meiner ersten Verantwortung stand mir niemand bei, sondern alle verliessen mich» (2. Tim 1,15; 4,16). So lauten die traurigen Feststellungen des Apostels in einem seiner letzten Briefe. Und der Verfall nach seinem Tod war, wie er die Ältesten von Ephesus vorgewarnt hatte, schnell und umfassend. Die Briefe von Johannes bestätigen, dass schon in seinen Tagen schwerwiegende Missstände, sowohl in der Praxis als auch in der Lehre, aufgetreten waren. Der erste Abwärtsschritt in der Geschichte der Versammlung war also schon gemacht worden, als die Offenbarung geschrieben wurde. Der Niedergang war immer derselbe, ob er nun die Versammlung im Allgemeinen oder einzelne örtliche Zusammenkommen betraf. Überall begann er mit dem Verlassen der ersten Liebe. Die Welt, das Fleisch und anderes drängten sich zwischen Christus und die Zuneigungen. Das Ergebnis wurde vom Richter, der die Herzen erforscht, rasch erkannt.

Die Warnung ist noch ernster. Die Versammlung wird dazu aufgerufen, sowohl Buße als auch die ersten Werke zu tun. Aber ach, wer wüsste nicht, dass dieser Aufruf auf taube Ohren gestossen ist, und dass die Kirche als bekennendes System sich immer mehr verdorben hat? Das Ende wird schliesslich genau so sein, wie es hier vorausgesagt wird. Die Versammlung wird gerichtet, ihr Leuchter weggerückt werden. Sie wird als Werkzeug, um Gottes Licht in dieser Welt auszustrahlen, unbrauchbar werden.

«Aber dieses hast du, dass du die Werke der Nikolaiten hassest, die auch ich hasse» (V. 6). Der Herr verweilt beim Wandel seines Volkes bei jeder Einzelheit, an der Er sich wirklich freuen kann. Im Schreiben an Pergamus werden die Nikolaiten als solche beschrieben, die «die Lehre Bileams festhalten, der den Balak lehrte, einen Fallstrick vor die Söhne Israels zu legen, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben» (V. 14). Dies zeigt den Charakter ihrer Taten. Als Bileam die Kinder Israel nicht verfluchen konnte, riet er Balak, sie zur Hurerei und zum Verlassen ihrer abgesonderten Stellung, die sie in der Welt einnehmen sollten, zu verführen. Genau dies ist auch die Absicht der Lehre der Nikolaiten, wie auch immer ihre äussere Form aussehen mag. Die Versammlung von Ephesus hat eher die Taten als die Lehre der Nikolaiten verurteilt; und der Herr anerkennt ihre Treue darin.

Dann folgt die allgemeine Ermahnung: «Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!» (V. 7). Es wird nicht gesagt «der Versammlung», sondern «den Versammlungen». Jeder, der ein Ohr hat, ist aufgefordert, nicht nur das zu erwägen, was der eigenen Versammlung gesagt wird, sondern auch das, was den anderen gesagt wird. Die Ermahnung ist deshalb allgemein und an alle Gläubigen gerichtet.

Darauf folgt die Verheissung: «Dem, der überwindet, dem werde ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der in dem Paradies Gottes ist» (V. 7). Der Mensch hat sein eigenes Paradies verloren und ist vom Baum des Lebens vertrieben worden, damit er nicht davon «esse und ewig lebe» (1. Mo 3,22). Doch sein Herz strebt immer danach, sich hier auf der Erde sein Paradies einzurichten, und er vergisst dabei, dass sich die Welt unter dem Gericht Gottes befindet. Diese Weltlichkeit kühlte die Liebe der Epheser zu Christus ab. Wie versucht Er, sie wieder zurückzugewinnen? Er erinnert sie an ihre himmlische Berufung. Diese Welt war nicht ihr Ruheort, weil sie verdorben ist. Doch «bleibt eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig»; und wo ist sie? Wo findet der Gläubige seine Ruhe? Wo befindet sich jetzt der Gegenstand seiner Zuneigungen? «Wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes.» Das Paradies Gottes ist der Ort, wo Christus wohnt. Die einzige wahre Ruhe, der einzige Lebensbaum für den Gläubigen ist dort. Er ruft die abschweifenden und schwindenden Zuneigungen der Versammlung zu diesem himmlischen Schauplatz zurück; dorthin, wo Jesus selbst eingegangen ist und wo sein Volk sein wahres Teil geniessen kann. Ach! Wie dürftig wurde sein Aufruf erwidert! Wie bald ging das Bewusstsein der himmlischen Berufung verloren! Die Versammlung versank in Weltlichkeit und Verdorbenheit, anstatt sich mit dem, was droben ist, zu beschäftigen.

Smyrna (2,8-11)

Wenn der Herr in Ephesus ein Schwinden der ersten Liebe findet, so sehen wir in Smyrna, wie Er Satans böse Absichten zunichtemacht, um einen Teil der früheren Frische wiederherzustellen. Wir haben hier eine Versammlung, die unter Verfolgung leidet. Wenn wir die historische Bedeutung dieses Schreibens betrachten, haben wir den Zustand der Versammlung, nachdem sie die Feindschaft der Herrschermacht der Welt auf sich gezogen hatte.

In seiner Gnade passt sich der Herr diesen Umständen an. «Und dem Engel der Versammlung in Smyrna schreibe: Dieses sagt der Erste und der Letzte, der starb und wieder lebendig wurde» (V. 8). Auch als Richter vergisst Er niemals die Bedürfnisse seines Volkes. In Drangsal und Leiden ist Er nach wie vor bei ihnen. Doch hier wird seine Fürsorge nicht so wie im Alten Testament gezeigt. Damals war Er nicht als der Überwinder des Todes bekannt. Darum verwendete Er sich für die Seinen, indem Er sie vom Tod errettete, sie aus dem Feuerofen befreite oder die Rachen der Löwen verstopfte. Satan konnte Hiob zwar versuchen, aber es war ihm eine Grenze gesetzt: «Siehe, er ist in deiner Hand; nur verschone sein Leben» (Hiob 2,6).

Hier jedoch finden wir keine Beschränkung. Sie sollten «getreu bis zum Tod» sein. Wenn es im Diesseits keine Befreiung gibt, ist das Grab beschlossene Sache. Und weshalb? Weil ein Gläubiger jetzt Christus kennt, der nicht nur vom Tod erretten kann, sondern der auch über den Tod triumphiert hat. Er ist «der Erste und der Letzte», das heisst, Gott, der alle Macht in sich vereint. Doch Er ist auch der Eine, «der starb und wieder lebendig wurde». Als Mensch ist Er für uns in den Tod gegangen, ist aber «aus den Toten auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters» (Röm 6,4). Der Gläubige ist deshalb in Sicherheit. Der Tod des Körpers ist nur ein Tor, das in die Gegenwart von Christus führt. Vom zweiten Tod, dem Feuersee, ist er bereits erlöst.

Der Herr fährt fort: «Ich kenne deine Drangsal und deine Armut (du bist aber reich) und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind es nicht, sondern eine Synagoge des Satans» (V. 9). Welch ein Gegensatz zwischen Smyrna und der Versammlung in Laodizea! Sie prahlte: «Ich bin reich und bin reich geworden und bedarf nichts», während der Herr sie für elend und jämmerlich hielt, «arm und blind und nackt» (Kap. 3,17). Wie wahr ist der göttliche Grundsatz, dass jeder, der sich selbst erhöht, erniedrigt werden wird, und wer sich selbst erniedrigt, erhöht werden wird. Wie dumm und unvernünftig ist es doch, wenn man – vor allem heute – inmitten des Verfalls und des Versagens von allem, was hier auf der Erde für den Namen von Christus verantwortlich ist, von Grösse und Wohlstand spricht.

Doch ihre Drangsal und Armut verführten sie nicht dazu, Böses zu tolerieren. Sie wiesen die falsche Behauptung von denen zurück, die Anspruch auf die Stellung von Juden erhoben, was hier aber als Synagoge des Satans bezeichnet wird. Das Judentum ist eine für diese Welt und für den Menschen nach dem Fleisch zugeschnittene Religion. Folglich stellte es den Menschen unter das Gesetz und hatte weltliche Riten und ein besonderes Priestertum. Genau das hat Satan auch im Christentum eingeführt. Von Beginn an widerstand Paulus dem jüdischen Einfluss auf die Christenheit. Dieser untergrub sowohl die eigentlichen Grundlagen des ihm anvertrauten Evangeliums als auch die himmlischen Wahrheiten, deren besonderer Diener er war. In Smyrna breitete sich diese Lehre – welche Form sie auch immer annahm – so rege aus wie überall. Doch die armen, geprüften Gläubigen blieben getreu und kämpften ernsthaft «für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben» – im Gegensatz zu dieser versuchten Zerstörung. Der Herr nimmt Kenntnis von ihrer Treue und anerkennt sie.

Dann spricht Er von dem, was vor ihnen lag, und sagt ihnen Worte der Ermutigung und des Trostes: «Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst. Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr geprüft werdet, und ihr werdet Drangsal haben zehn Tage. Sei getreu bis zum Tod, und ich werde dir die Krone des Lebens geben» (V. 10). Er verheisst ihnen nicht Befreiung, sondern durchhelfende Kraft. «In der Welt», sagt Christus zu seinen Jüngern, «habt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden» (Joh 16,33). So konnte der Apostel sagen: «Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat» (Röm 8,37). Genau so finden wir es auch hier.

Sie würden leiden. Doch sie sollten trotz ihrer Leiden ohne Furcht nach vorn schauen; denn die Macht von Christus steht über der Macht Satans. Es ist wahr, Gott erlaubte dem Teufel, sie zu prüfen – wie Er es auch bei Hiob tat. Doch es diente nur dazu, dass sie umso strahlender aus dem Schmelzofen hervortraten. Satan durfte einige von ihnen ins Gefängnis werfen. Einige wurden sogar zum Tod verurteilt. Doch seine Macht war eingeschränkt, auch was die Dauer des Bösen betraf. Es sollte «zehn Tage» dauern, auf alle Fälle eine beschränkte Zeit. Sie wurden ermahnt, «getreu bis zum Tod» zu sein, so würden sie «die Krone des Lebens» erhalten.

Wenn wir diese Versammlung als ein Bild der zweiten Zeitperiode in der Geschichte des Christentums betrachten, ist es tatsächlich so, dass die heftigen Christenverfolgungen zwischen der Regierungszeit der Kaiser Trajan und Diokletian tiefe Hingabe und Liebe zum Herrn hervorriefen. Zwar wurde weder die Reinheit der Lehre, noch die Zucht wiederhergestellt. Doch viele der schlimmsten Irrlehren, die schon früh in die Versammlung infiltriert wurden, wurden treu und entschieden zurückgewiesen. Es wurde zudem festgestellt, dass einige dieser Verfolgungen – besonders die grosse Schlussverfolgung unter Diokletian – zehn Jahre dauerten, was vielleicht mit den hier erwähnten «zehn Tagen» angedeutet wird.

Die «Krone des Lebens» wird auch im Jakobus-Brief erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit der Bewährung in der Versuchung. «Glückselig der Mann, der die Prüfung erduldet! Denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die er denen verheissen hat, die ihn lieben» (Jak 1,12). Paulus spricht von einer anderen Krone: «Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tag; nicht allein aber mir, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieben» (2. Tim 4,8). Und Petrus sagt den treuen Ältesten: «Wenn der Erzhirte offenbar geworden ist, so werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen» (1. Pet 5,4).

Die «Krone des Lebens» deutet auf den vollständigen Triumph über alle Feinde hin, die sich gegen die Gläubigen stellen. Die «Krone der Gerechtigkeit» weist auf die gerechte Zuteilung der Belohnung hin, die «der gerechte Richter» austeilen wird. Die «Krone der Herrlichkeit» spricht von der vollen Anerkennung des treu erfüllten Dienstes, der oft im Verborgenen und ohne grosse Wertschätzung vonseiten der Menschen hier in der Welt getan wurde.

Die Ermahnung, «wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt!» (V. 11), wird wieder an die ganze Versammlung gerichtet. Sie beschränkt sich nicht nur auf die Überwinder. Zu den Letzteren wird gesagt: «Wer überwindet, wird nicht beschädigt werden von dem zweiten Tod» (V. 11). Dies erreicht zwar nicht die Wärme der Anerkennung, die den Überwindern in einigen anderen Versammlungen gegeben wird. Aber jenen, die den Charakter des Überwinders tragen, ist bereits die Krone des Lebens versprochen worden. Es sind solche, die «getreu bis zum Tod» sind. Offensichtlich war eine solche Verheissung für jene angemessen, die mit dem ersten Tod bedroht wurden.