Der Märtyrertod als Segen (14,13)
«Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel sagen: Schreibe: Glückselig die Toten, die im Herrn sterben, von nun an! Ja, spricht der Geist, damit sie ruhen von ihren Arbeiten, denn ihre Werke folgen ihnen nach» (V. 13).
Diese Bibelstelle wird oft im Gedenken an heimgegangene Gläubige zitiert; niemand wird ihre allgemeine Aussage anzweifeln. Aber um das Wort Gottes richtig zu verstehen, ist Vorsicht am Platz: Nicht alle Bibelstellen sind für die christliche Zeit bestimmt. Hier deuten die Worte «von nun an» darauf hin, dass sie sich auf eine bestimmte Zeit beziehen. Es geht um mehr als eine allgemeine Aussage, dass die, die im Herrn sterben, glückselig sind.
Wenn wir Gottes Handeln in dieser zukünftigen Zeitperiode verstehen, werden wir keine Mühe haben, die besondere Bedeutung, um die es hier geht, zu erkennen. Eine dichte Wolke von moralischer und geistlicher Finsternis wird zu jener Zeit über der Erde liegen. Der Heilige Geist wird die Erde verlassen haben und Satan wird mit schrecklicher Macht und erfolgreich die Sinne der Menschen verblenden. Ihre Überheblichkeit und Rebellion gegen Gott wird ihren Höhepunkt erreichen. Im vorliegenden Kapitel wird zum einen der Segen für die offenbart, die während dieser Zeit der Finsternis die Wahrheit festhalten (V. 1-5), zum anderen aber auch das schreckliche Schicksal derer, die den zwei Arten von weltweit verbreiteter Täuschung erliegen (V. 8-12). Wir sehen noch eine weitere Gruppe. Es handelt sich um solche, die die Wahrheit festhalten, aber während dieser schrecklichen Zeit im Elend und in den Verfolgungen umkommen werden. Das sind die glückseligen Toten, von denen in Vers 13 gesprochen wird. Sie mussten sich entscheiden, entweder das Mal des Tieres anzunehmen oder den Tod zu erleiden. Sie haben den Tod gewählt. Was wird ihr Teil sein?
Dies scheint eine einfache Frage zu sein. Im Blick auf die Gnadenzeit würde sie kaum aufkommen. Die Gläubigen der Gnadenzeit sind Himmelsbürger. Wenn sie vor der Entrückung sterben, dann ist dies nur eine andere Art, um bei Christus zu sein: «ausheimisch von dem Leib und einheimisch bei dem Herrn» (2. Kor 5,8). Aber in der Zeit, von der dieser Bibelabschnitt in der Offenbarung handelt, sind die Gläubigen kein himmlisches Volk. Statt auf die Entrückung in den Himmel zu hoffen, warten sie auf die Segnungen auf der Erde. Das ist ihre eigentliche schriftgemässe Hoffnung während ihres Lebens. Obschon sie durch den Heiligen Geist neues Leben besitzen, sind sie nicht durch Ihn versiegelt. Somit haben sie weder volle Heilsgewissheit noch das Unterpfand eines Erbes, das sie mit Christus teilen. Also kommt der Tod nicht als eine Erfüllung über sie, sondern als eine Enttäuschung ihrer Hoffnungen. Der Tod führt sie nicht in ihre Verheissungen ein, sondern nimmt sie davon weg. Darum wird eine besondere Zusage vonseiten Gottes nötig, die Er ihnen hier gibt. Er sichert ihnen den Segen in anderer Form zu. Es ist wahr, dass die Früchte ihrer Mühen für die Erde verloren sind, aber sie werden diese im Himmel ernten, «denn ihre Werke folgen ihnen nach». In der Zwischenzeit gehen alle ihre Mühen und Leiden auf der Erde zu Ende.
Zwei Arten von Gericht
Wir haben nun die Segnungen der gläubigen Überlebenden und die der Märtyrer während dieser Zeitperiode gesehen. Nachdem die Menschen vor der ernsten Vergeltung, die auf Babylon und die Anhänger des Tieres fallen wird, gewarnt worden sind, wird eine weitere Klasse von Strafgerichten enthüllt, die der Welt bevorstehen. Sie lässt sich in zwei Gruppen unterteilen, die durch die Ernte der Erde und die Weinlese der Erde symbolisiert werden.
Die Ernte (14,14-16)
«Und ich sah: Und siehe, eine weisse Wolke, und auf der Wolke sass einer gleich dem Sohn des Menschen, der auf seinem Haupt eine goldene Krone und in seiner Hand eine scharfe Sichel hatte. Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel hervor und rief dem, der auf der Wolke sass, mit lauter Stimme zu: Schicke deine Sichel und ernte; denn die Stunde des Erntens ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist überreif geworden. Und der, der auf der Wolke sass, legte seine Sichel an die Erde, und die Erde wurde abgeerntet» (V. 14-16).
Eine Weissagung aus dem Propheten Joel wirft Licht auf diese und die nächste Vision. «Die Nationen sollen sich aufmachen und hinabziehen in die Talebene Josaphat; denn dort werde ich sitzen, um alle Nationen ringsum zu richten. Legt die Sichel an, denn die Ernte ist reif; kommt, stampft, denn die Kelter ist voll, die Fässer fliessen über! Denn gross ist ihre Bosheit. Getümmel, Getümmel im Tal der Entscheidung; denn nahe ist der Tag des HERRN im Tal der Entscheidung. Die Sonne und der Mond verfinstern sich, und die Sterne verhalten ihren Glanz. Und der HERR brüllt aus Zion und lässt aus Jerusalem seine Stimme erschallen, und Himmel und Erde erbeben. Und der HERR ist eine Zuflucht für sein Volk und eine Festung für die Kinder Israel. Und ihr werdet erkennen, dass ich, der HERR, euer Gott bin, der auf Zion wohnt, meinem heiligen Berg. Und Jerusalem wird heilig sein, und Fremde werden es nicht mehr durchziehen» (Joel 4,12-17).
Es ist klar, dass die in der Offenbarung beschriebenen Szenen mit der angeführten Prophezeiung übereinstimmen. Sie beschreiben die Erfüllung der darin vorausgesagten Ereignisse. Deshalb erfahren wir den Zeitpunkt, den Bezug und den Inhalt dieser Gerichte. Sie werden sich beim Erscheinen des Tages des HERRN ereignen, wenn Er die Nationen richten und Israel wiederherstellen wird. Daher sehen wir, dass Israel das Hauptthema seiner Pläne, Jerusalem das Zentrum seiner Interessen und Zion der Mittelpunkt seiner Regierung sein werden. Die Nationen, die Israel lange unterdrückt haben, werden zum Gericht versammelt. Die Macht und Herrlichkeit des HERRN zeigen sich auf der Seite seines auserwählten Volkes. Sie gehen von seiner auserwählten Stadt aus. Gott liess den Nationen ihre Zeit. Wohin hat sie geführt? Zu schrecklicher Gotteslästerung und schlimmstem Bösem unter der Regie des Tieres, das unter satanischem Einfluss handelt. Darum wird Er im Gericht eingreifen müssen – «die Ernte der Erde ist überreif geworden».
Alles steht in Verbindung mit Israel und dem Reich des Messias. Ein Engel wird aus dem Tempel kommen – es ist der Tempel im Himmel, in dem die Lade des Bundes Gottes gesehen worden ist (Kap. 11,19) –, der gebietet, dass die Gerichte beginnen. Aber es ist der Sohn des Menschen, der sie ausführt. Diesen Titel trägt Christus, wenn
- Er das Reich aus Gottes Hand empfängt (Dan 7,13.14)
- Er zur Befreiung seines Volkes einschreitet (Ps 80,18.19; Lk 21,27.28) und
- alles seinen Füssen unterworfen wird (Ps 8,5-7; Heb 2,5.6.8)
Als Sohn des Menschen sitzt Er jetzt auf einer weissen Wolke, wie Er vorausgesagt hat, dass Er zur Befreiung Israels erscheinen werde (Mt 24,30). Als der Gesalbte Gottes trägt Er eine goldene Krone und als der Ausführer des gerechten Gerichts über die Erde hält Er eine scharfe Sichel in der Hand. Durch Ihn wird «die Erde abgeerntet».
Die Weinlese (14,17-20)
«Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel hervor, der in dem Himmel ist, und auch er hatte eine scharfe Sichel. Und ein anderer Engel, der Gewalt über das Feuer hatte, kam aus dem Altar hervor, und er rief dem, der die scharfe Sichel hatte, mit lauter Stimme zu und sprach: Schicke deine scharfe Sichel und lies die Trauben des Weinstocks der Erde, denn seine Beeren sind reif geworden. Und der Engel legte seine Sichel an die Erde und las die Trauben des Weinstocks der Erde und warf sie in die grosse Kelter des Grimmes Gottes. Und die Kelter wurde ausserhalb der Stadt getreten, und Blut ging aus der Kelter hervor bis an die Gebisse der Pferde, 1’600 Stadien weit» (V. 17-20).
Es gibt zwei Arten von Strafgerichten, von denen die Propheten und unser Herr gesprochen haben. Beim einen handelt es sich um einen gerichtlichen Prozess, bei dem zwischen Bösen und Guten unterschieden wird. Beim anderen geht es um ein schreckliches Ausgiessen des Zorns über offene und erklärte Feinde. Die Nationen werden vor dem Thron der Herrlichkeit, auf dem der Sohn des Menschen sitzt, versammelt. Dann wird Er sie in zwei Gruppen zur Rechten und zur Linken unterteilen (Mt 25,31-33). Dieses Gericht gehört also zur ersteren Art. Das Gericht über die Armeen des Tieres und des falschen Propheten sowie die Gerichte über den Assyrer und über Gog entsprechen der letzteren Art. Diese beiden Arten von Strafgerichten sind in diesen zwei Visionen enthalten. Das Bild der Ernte deutet auf eine gerichtliche Untersuchung hin. Darauf folgt das Trennen von Spreu und Weizen sowie das Binden in besondere Bündel (Mt 13,30). Das Bild der Kelter weist auf den schonungslosen Sturm des göttlichen Zorns hin, der seine Feinde verschlingen wird. Der Engel, der gebietet, dass die Ernte beginne, kommt aus dem Tempel. Das ist der geeignete Ort, von dem ein heiliges, prüfendes und unterscheidendes Gericht gefordert werden kann. Der Engel in der Weinlese-Szene kommt aus dem Altar hervor, einem Ort von verzehrendem Gericht. Er hat Gewalt über das Feuer, dem Symbol von verzehrendem Zorn. Im unterscheidenden Gericht erscheint Christus als der Sohn des Menschen. In diesem Charakter wird Er die Nationen zur Gerichtsverhandlung versammeln und dann die Böcke von den Schafen scheiden. In der zweiten Szene tritt Er nur in Engelsgestalt auf, wie der Psalmist betet: «Lass sie sein wie Spreu vor dem Wind, und der Engel des HERRN treibe sie fort!» (Ps 35,5).
Der Abschnitt im Propheten Joel zeigt deutlich, dass es sich um das Gericht über die Nationen handelt. Das Ernte-Gericht wird, wie wir gesehen haben, mindestens eine Teilerfüllung in der Szene finden, die in Matthäus 25,31-46 beschrieben wird. Dort werden die Nationen vor den Gerichtsthron des Herrn Jesus Christus versammelt werden, wo sie nach ihrem Verhalten gegenüber den gläubigen Juden während der Drangsalszeit beurteilt werden. Das Weinlese-Gericht findet ausserhalb «der Stadt» statt. Da keine andere Stadt als Jerusalem so bezeichnet wird, kann sich dies nur dort ereignen, wo sich die offenen und erklärten Feinde des Herrn in ihrer Feindseligkeit gegenüber seinem auserwählten Volk versammeln werden. Dort wird die Kelter (Weinpresse) getreten und Blut fliesst in Strömen, «1’600 Stadien weit».
Welch ein lebendiges und schreckliches Bild von der Massenvernichtung der gegen Jerusalem versammelten Armeen. Die beschriebene Ausdehnung erstreckt sich über das ganze Land Israel. In beiden Fällen handelt es sich um ein Gericht über die Nationen, über die Feinde Jerusalems und des auserwählten Volkes Gottes. Dieses Gericht geht der Aufrichtung der Herrschaft des Messias voraus.