Der Brief an die Hebräer (3)

Hebräer 2,1-10

Kapitel 2

Durch den ganzen Brief hindurch lässt sich feststellen, dass auf jeden einzelnen Teil des Ge­gen­stan­des eine Ermahnung folgt oder ein an das Gewissen, an das Herz oder an die Ver­ant­wort­lich­keit des Lesers gerichteter Appell. Das finden wir auch in den ersten vier Versen unseres Kapitels.

Vers 1

Wenn Gott im Sohn zu uns geredet hat, dessen göttliche Grösse soeben vor unsere Augen gestellt wurde, welche Aufmerksamkeit sollten wir dann den Dingen schenken, die wir aus seinem Mund vernommen haben! Mit welcher Energie sollten wir ihnen anhangen! Sonst laufen wir Gefahr, «abzugleiten» oder «abzutreiben», wie ein Schiff, das im Augenblick, wo es in den Hafen einläuft, von der Strömung mitfortgerissen und vom Untergang bedroht wird.

Vers 2

«Das durch Engel geredete Wort.» Im alten Bund wurden oft himmlische Boten benützt, um göttliche Mitteilungen zu überbringen; aber hier handelt es sich besonders um das Gesetz. Es wurde durch Engel angeordnet, bestätigt Paulus (Gal 3,19). «Die ihr das Gesetz durch Anordnung von Engeln empfangen … habt», sagt Stephanus (Apg 7,53). Dieses Gesetz nun war unerbittlich gegenüber jeder Übertretung und jedem Ungehorsam, wie die ganze Geschichte Israels es beweist.

Verse 3.4

Wie viel weniger kann man nun einer gerechten Vergeltung, der Züchtigung und der Verurteilung entfliehen, wenn man die Gnade verachtet, die eine so grosse Errettung anbietet!

Die Grösse dieser Errettung zeigt sich in jeder Weise. Sie ist in sich selbst gross, denn sie erstreckt sich auf alles, was uns betrifft: auf die Übertretungen, auf die täglichen Schwierigkeiten des Weges, auf die Befreiung von unserem Leib der Niedrigkeit, auf die schliessliche Befreiung des Überrests aus Israel. Was vermag sie zu ersetzen, wenn wir sie vernachlässigen? Wie dem Gericht entfliehen?

Aber die Errettung erscheint uns besonders gross, wenn wir den betrachten, der sie uns gebracht und sie uns verkündigt hat. Es ist der Herr selbst, der grosse Apostel Gottes, der sie uns zu Lebzeiten verkündigt und sie durch seinen Tod bewirkt hat. Die Apostel, die durch seinen Mund haben predigen hören, bestätigten nach seinem Tod, nach seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt die Verkündigung der Errettung durch ihre Predigt. Aber noch mehr: Gott selbst hat mit ihnen gezeugt. Der Heilige Geist, der in ihnen war, offenbarte seine göttliche Macht durch Zeichen, durch Wunder und mancherlei Wunderwerke, also durch verschiedene Austeilungen dieses Geistes, so wie es Gott gefiel. Alles das zeigt die Grösse der durch das Evangelium bezeugten Errettung.

Es ist schön zu sehen, wie Paulus, der Schreiber, sich hier in die Mitte derer stellt, an die er sich richtet, als einer, der selbst Nutzniesser des Dienstes der Zwölf war – «uns bestätigt worden ist», sagt er. Paulus hatte keinen Anteil an jenem Zeugnis, wovon der Herr in Johannes 15,27 sprach: «Aber auch ihr zeugt, weil ihr von Anfang an bei mir seid.» Wie Petrus sich ausgedrückt hat, mussten es solche sein, die Jesus auserwählt hatte, während der Zeit, wo Er unter ihnen ein- und ausging, von der Taufe Johannes an bis zu seiner Aufnahme in den Himmel. Es mussten Zeugen seiner Auferstehung sein (Apg 1,21.22). Paulus gehörte nicht zu diesen. Sein Zeugnis war anderer Art. Er hatte Christus in der Herrlichkeit gesehen. Wenn es sich um Offenbarung des Geheimnisses der Versammlung, den Leib des Christus handelt, ist Paulus der grösste der Apostel. Er hatte von den anderen bezüglich seines besonderen Dienstes nichts empfangen; selbst die, die als Säulen angesehen wurden, haben ihm nichts hinzugefügt (Gal 2,6-9). Aber hier, wo er sich unter die gläubigen Hebräer stellt, ist er wie sie ein Jünger der Zwölf. Das ist ein schönes Beispiel der Abhängigkeit der Dienste unter sich (vgl. 2. Pet 3,15.16).

Vers 5

Der Schreiber nimmt hier sein Thema der unendlichen Erhabenheit des Sohnes gegenüber den Engeln wieder auf. Diese verschwinden angesichts seiner Herrlichkeit als Sohn des Menschen.

In Israel hatten die Engel, wie wir gesehen haben, eine besondere Verwaltung. In der gegenwärtigen Welt aber, deren Fürst Satan ist, wo Gott alles durch seine Vorsehung regiert, haben die Engel gegenüber den Erlösten einen Dienst zu erfüllen (Heb 1,14). Sie haben sogar dem Herrn als dem Menschen hier auf der Erde gedient (Mk 1,13; Mt 4,11). Aber es gibt auch einen zukünftigen Erdkreis, der nicht den Engeln unterworfen ist, sondern dem Sohn des Menschen. Die Engel werden zweifellos an den Ereignissen teilhaben, die diese Herrschaft vorbereiten (Mt 13,41; 2. Thes 1,7 usw.); wenn das Reich aber einmal aufgerichtet ist, haben sie keinen vermittelnden Dienst mehr. Dann ist alles dem Sohn des Menschen unterworfen und seinen Heiligen (1. Kor 6,2; 2. Tim 2,12).

Verse 6-9

Der Heilige Geist hat durch den Mund Davids, des königlichen Propheten, im 8. Psalm zum Voraus diese grosse Wahrheit der Unterwerfung der ganzen Schöpfung unter den Menschen in der Person Christi verkündigt.

«Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, oder des Menschen Sohn, dass du auf ihn siehst?» Das ist es, was Er im Vergleich mit dem Glanz der Werke Gottes in den Himmeln von der Kleinheit und dem gegenwärtigen Elend des Menschen sagt. Gott hat ihn «in unserem Bild, nach unserem Gleichnis» erschaffen. Er hat ihn über die Werke seiner Hände gesetzt und ihm die Herrschaft über alle Dinge anvertraut (1. Mo 1,26). Er hat ihm eine unsterbliche Seele gegeben, indem Er den Odem des Lebens in seine Nase einhauchte (1. Mo 2,7). Aber Adam, der erste Mensch, ist durch die Sünde gefallen. Er hat die Ehre, die Gott ihm gegeben hatte, beschmutzt und in den Staub gezogen. Damit hat er alles verloren und ist dem Tod und Satan unterworfen worden, er, der alles unter seinen Füssen hätte haben sollen.

Gott jedoch hat sich in seinem Erbarmen seiner erinnert und auf ihn gesehen. Er hat den zweiten Menschen eingeführt, in dem sich der ganze Ratschluss Gottes bezüglich des Menschen auf vollkommene Weise verwirklicht. Der Heilige Geist stellt Ihn uns in der Person Jesu vor; und Gott sagt gleichsam: «Für mich ist das nun der eigentliche Mensch.»

Auch darin zeigt sich der schon erwähnte Gegensatz: Die erste Weise, in der Gott geredet hat, macht dem Wort des Sohnes Platz; das Gesetz verschwindet vor der grossen Errettung; der erste Mensch wird durch den zweiten ersetzt; und die Engel verschwinden vor der Herrlichkeit des Sohnes des Menschen.

Wie wir im Weiteren sehen (Vers 9) hat Jesus, der Sohn des Menschen, der zweite Mensch, als Erretter durch den Tod gehen müssen. Er ist dadurch ein wenig unter die Engel erniedrigt worden, die den Tod nicht erleiden. Durch Glauben aber sehen wir Ihn nun da, wo Gott Ihn hinversetzt hat, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, indem Gott alle Dinge seinen Füssen unterworfen hat. Alles Geschaffene ist Ihm, nicht den Engeln, rückhaltlos unterworfen worden. Es ist wahr, dass wir es noch nicht verwirklicht sehen: Diese Zeit ist noch nicht gekommen. Aber die Sache selbst steht fest, für die herrliche Zeit seiner tausendjährigen Herrschaft, wenn sein Reich offenbart ist. Seine jetzige Erhöhung zur Rechten Gottes, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, ist Beweis dafür.

Er nimmt jenen Platz ein, nachdem Er den Tod erlitten hat, weswegen Er unter die Engel erniedrigt war. Und diesen Tod hat Er durch die Gnade Gottes für alles geschmeckt. Wir müssen wegen unserer Sünde durch den Tod gehen; Er aber hat ihn um der Gnade Gottes willen wegen unserer Sünde erduldet. Er hat den Tod geschmeckt, damit dieser für uns seine Bitterkeit verliere; Er hat für alles, was aus seinem Tod Nutzen ziehen wird, den Tod geschmeckt, für Personen und Dinge (Kol 1,20-22).

Vers 10

Der Ratschluss Gottes, durch den und für den alle Dinge sind, war der, viele Söhne zur Herrlichkeit zu bringen, zu der Herrlichkeit, in der sich der Sohn des Menschen schon jetzt befindet, und die offenbart werden wird, wenn Er wiederkommt und alle Dinge Ihm unterworfen sein werden. Sie, seine Miterben, werden in der kommenden Welt Teilhaber derselben Herrlichkeit sein (Röm 8,18.19). Wer waren die, die Gott zu dieser Sohneswürde erhoben hat? Arme, verurteilte und verlorene Sünder, die der Sünde, dem Tod und dem Teufel unterworfen waren. Es geziemte der Majestät Gottes, dass der, der ihre Sache in die Hand nahm, der ihnen den Weg des Errettung bahnte – angesichts alles dessen, was sich diesem in den Weg stellte: Sünde, Tod und Satan – vollkommen gemacht würde. Mit anderen Worten: Der Urheber ihrer Errettung sollte für dieses Amt passend gemacht werden durch die Leiden, die Er auf seinem Lauf hier auf der Erde erduldet hat, sowohl in seinem Todeskampf in Gethsemane als auch in seinem Tod auf dem Kreuz. So ist Er der Urheber unserer Errettung geworden, auf diese Weise hat Er den Sieg davongetragen, und sein Triumph ist auch unser Sieg.