Kapitel 6
Verse 9.10
Die Empfänger des Briefes hätten durch die vorangegangenen Worte erschreckt oder entmutigt werden können. Darum richtet der Schreiber, nachdem er ihnen die Gefahr aufgezeigt und sie gewarnt hat, um sie aufzuwecken und ihnen vorwärts zu helfen, sogleich Ermunterungen an sie.
Beachte den Ausdruck «Geliebte», der sich in diesem Brief nur hier findet. Dieses Wort gibt dem, was er beifügt, Gewicht: «Wir sind aber in Bezug auf euch, Geliebte, von besseren und mit der Errettung verbundenen Dingen überzeugt.» Er hatte die Gewissheit, dass sie die ihnen durch Christus gebrachte Errettung, das sie empfangen hatten, nicht aufgeben würden. Seine Überzeugung im Blick auf sie stützte sich, trotz ihrem Niedergang, auf die Beweise, die davon zeugten, dass das Leben Gottes in ihnen war: Ihre Tätigkeit im Dienst Gottes und der Heiligen, und ihre Liebe.
Als letztes diente ihnen auch die Tatsache zur Ermunterung, dass Gott in seiner Gerechtigkeit nicht vergessen wird, was sie aus Liebe zu Ihm getan hatten, denn es gibt eine Belohnung, wie dies auch an vielen anderen Stellen bezeugt wird.
Vers 11
Der Verfasser hat durch das eben entworfene Bild von der Gefahr, der die hebräischen Gläubigen ausgesetzt waren und durch die Ermunterungen, die er ihnen gegeben hat, gezeigt, wie er sehnlich wünschte, dass sie bis ans Ende mit Fleiss in dem christlichen Weg verharrten, der zur Ruhe und zur Herrlichkeit, zum Ziel der Hoffnung führt. Er wünschte, dass sie in keiner Weise wankten, sondern in ihrem Herzen bis ans Ende in voller Gewissheit dieser Hoffnung und ihrer Verwirklichung vorangingen. Ist es nicht zu wünschen, dass auch wir diese volle Gewissheit haben?
Vers 12
«Damit ihr nicht träge werdet.» Sie waren im Hören träge geworden (Heb 5,11); daher rührte ihr Zustand der Unmündigkeit und die Gefahr, sich im christlichen Lauf aufhalten zu lassen. Sie wurden also im Blick auf die herrliche Hoffnung, die vor sie gestellt war, ermahnt, nicht träge zu sein und in ihrem geistlichen Leben nicht zu ermatten durch die Schwierigkeiten, denen sie begegneten. Wie in der Gegenwart, so gab es auch in der Vergangenheit solche, die sich durch Glauben und Ausharren nach dem ausstreckten, was ihnen verheissen war, was sie erben und in Besitz nehmen sollten. «Die durch Glauben und Ausharren die Verheissungen erben», das war es, was jene kennzeichnete. Und wenn diese Hebräer hier nicht träge wären, so würden sie zu Nachahmern jener Gläubigen. Lasst auch uns die Verwirklichung der Verheissung des Herrn im Glauben ergreifen und mit Ausharren darauf warten!
Verse 13-15
Abraham ist ein leuchtendes Beispiel dieses Glaubens und Ausharrens, wodurch die Verheissung geerbt wird. Aber lasst uns beachten, dass ihm die hier erwähnte Verheissung: «Wahrlich, reichlich werde ich dich segnen, und sehr werde ich dich mehren», nach der Opferung Isaaks gegeben wurde (1. Mo 22,16-18). Diese Verheissung war es, die Gott mit einem Schwur begleitete. Als Abraham berufen wurde, sein Land und seine Verwandtschaft zu verlassen, hatte er wohl die Verheissung einer zahlreichen Nachkommenschaft empfangen, einer persönlichen Segnung und einer Segnung der Völker in ihm (1. Mo 12,2.3). Aber dort war kein Schwur damit verbunden, wie bei der hier angekündigten Verheissung, die mit der Ankündigung Christi endigte, dem Nachkommen Abrahams, von dem der im Bild gestorbene und auferstandene Isaak ein Vorbild war. «Und nachdem er (Abraham) so ausgeharrt hatte, erlangte er die Verheissung.» Diese Worte zeigen uns, dass der Glaube und das Ausharren Abrahams geübt wurden, nicht nur bezüglich der so lange hinausgeschobenen Geburt Isaaks, sondern auch nachher, durch die schrecklichste Prüfung hindurch, in der er aufgerufen war, den zu opfern, über den gesagt worden war: «In Isaak soll dir eine Nachkommenschaft genannt werden» (1. Mo 21,12). Das Ausharren Abrahams ging durch alles hindurch, und als er Isaak wie von neuem empfangen hatte, erlangte er die durch den Schwur bestätigte Verheissung.
Verse 16-20
Der 16. Vers erinnert daran, dass der Schwur unter den Menschen allem Widerspruch ein Ende macht und die Vereinbarung bestätigt. Menschen schwören bei einem Grösseren; Gott aber, der die Verheissung durch einen Schwur bestätigen wollte, hatte keinen Grösseren, um bei ihm zu schwören; Er schwor bei sich selbst (1. Mo 22,16).
«Die Erben der Verheissung» sind die Gläubigen, die wahren Kinder Abrahams. Sie erben die Segnung Abrahams, die Segnung in Christus und durch Christus, dem Nachkommen Abrahams, und dies nach dem unwandelbaren Ratschluss Gottes; denn was Gott beschlossen hat, wird Er unfehlbar auch erfüllen. Damit die Erben der Verheissung eine feierliche Garantie hätten, auf der ihr Glaube ruhen konnte, gab Er ihnen in seiner Gnade zwei Dinge, die unveränderlich waren, wie Er selbst: Einerseits die Verheissung selbst und anderseits den Schwur. Es war unmöglich, dass Gott bezüglich seiner Verheissung lügen würde, selbst wenn sie nicht von einem Schwur begleitet gewesen wäre. Aber dieser wurde hinzugefügt, um der Verheissung eine grössere Feierlichkeit zu geben und um dadurch die Gewissheit der Erklärungen Gottes noch tiefer in die Seele des Gläubigen einzuprägen. Der Glaube hat auf diese Weise eine unerschütterliche Grundlage. Und wie nötig war sie für diese wankenden Hebräer! Wie herablassend ist doch Gott gegenüber unserer Schwachheit, dass Er unserem Herzen eine volle Gewissheit bezüglich der Ausführung seiner Ratschlüsse der Gnade gegen uns geben will!
So hatten also die gläubigen Hebräer, gestützt auf die Verheissung und den Schwur Gottes einen starken Trost. Sie waren dem zum Untergang bestimmten irdischen System entflohen, um die ihnen vorgestellte Hoffnung zu ergreifen: Christus in der Herrlichkeit, der in Herrlichkeit wiederkommen wird, um sie dort einzuführen. Sie hatten als Garantie des unwandelbaren Ratschlusses Gottes seine Verheissung und den Schwur.
Aber da war auch noch eine andere Tatsache, die ihrer Hoffnung eine vollkommene Festigkeit verlieh: Christus selbst ist in das Innere des Vorhangs hineingegangen, in das himmlische Heiligtum, und Er ist dort als der Vorläufer der Seinen.
Der Ausdruck «Zuflucht» erinnert an den Totschläger in Israel, der sich in eine der Zufluchtsstädte flüchtete (4. Mose 35 und Josua 20). Aber es besteht ein auffallender Unterschied zwischen der Stellung der gläubigen Hebräer und der Stellung Israels.
Die ersteren hatten das himmlische Heiligtum als Zuflucht, wo sich Jesus als ihr Vorläufer befand, der Hohepriester der Christen, der immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden. Dort war ihre Hoffnung, im Himmel, bei Gott, auf eine unerschütterliche Grundlage gestellt. Welche Glückseligkeit und welche Sicherheit für die Seele, so mit dem Himmel verbunden zu sein, mit Christus im Himmel!
Israel, das aus Unwissenheit des Todes Christi schuldig war, wurde aus dem Land ihrer Väter verbannt, bis der Hohepriester seine gegenwärtige Stellung verlassen und sich als der königliche Priester darstellen wird, um sich auf seinen Thron zu setzen. Dann werden sie in ihr Erbteil zurückkehren.
Die Hoffnung der gläubigen Hebräer war «ein sicherer und fester Anker der Seele», weil er im Inneren des Vorhangs befestigt war, da, wo sich Christus, ihr Vorläufer, befand. Der Glaube, ähnlich einer Kette, die das Boot am Anker befestigt, geht durch den ganzen Raum, der sich zwischen dem stürmischen Meer dieser Welt und dem himmlischen und unwandelbaren Ort erstreckt, wo sich der Gegenstand unserer Hoffnung befindet.
«Der Hoherpriester geworden ist in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.» Mit diesen Worten kehrt der Schreiber zum Gegenstand des Hohepriestertums zurück, den er in Kapitel 5,11 unterbrochen hat. Durch seine Ermahnungen führt er uns nun dazu, den grossen Hohenpriester unseres Bekenntnisses, der in den Himmel gegangen ist, zu betrachten. Er richtet unsere Gedanken auf dieses herrliche und himmlische System. Seit Jesus im Heiligtum ist, ist Er Hoherpriester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. Es ist nicht mehr nur von seinem gegenwärtigen Priestertum die Rede. Diese Erklärung sichert auch die herrliche Erfüllung der zukünftigen Segnungen bezüglich des Überrests Israels und des Tausendjährigen Reiches, wenn Jesus der wahre König der Gerechtigkeit und des Friedens sein wird und der wahre Priester Gottes, des Höchsten, wovon Melchisedek das Vorbild war. Dieser Gegenstand wird im folgenden Kapitel entwickelt.