Verse 8-12
Nachdem unser Kapitel den Glauben zeigte, der sowohl die Existenz eines Schöpfer-Gottes erkennt und erfasst, wie auch die bleibenden Grundsätze der Beziehungen Gottes zu den Menschen, wird uns eine Reihe von Beispielen vorgestellt, die den Glauben als Grundsatz des Gehorsams, des Vertrauens, der Geduld und der Tatkraft hervorheben. Beachten wir, dass der Heilige Geist hier von den Zeugen nichts anderes erwähnt als nur die Handlungen des Glaubens. Er erinnert keineswegs an ihre Schwachheiten, ihre Fehler, ihren Mangel an Glauben bei anderen Gelegenheiten. Und indem Er die Beispiele des Glaubens, die sie uns geben, einreiht, erklärt er sie und legt die inneren Beweggründe bloss, worüber das Alte Testament schweigt. Er legt nicht nur die Weise dar, in der ihr Glaube instinktiv in die unsichtbaren und kommenden Dinge eindrang, sondern verknüpft damit Gegenstände, die ihnen damals in ihren eigenen Seelen noch wenig klar und verständlich sein mochten.
An erster Stelle (Verse 8 und 9) finden wir das Beispiel Abrahams, des Vaters der Gläubigen. Durch Glauben ergriff auch er die unsichtbaren und kommenden Dinge. Er gehorchte dem göttlichen Ruf, ohne dass ihm Gott eine Auskunft über die Lage und die Natur des Landes gegeben hätte, in das Er ihn sandte, um es zu besitzen: «Er zog aus, ohne zu wissen, wohin er komme.» Beachten wir, dass der Glaube immer Gehorsam, einen unbedingten Gehorsam hervorbringt, ohne Einwände der Vernunft. Im Land angelangt, das er als Erbteil empfangen sollte, teilte ihm Gott mit, dass Er dieses Land seinen Nachkommen geben werde (1. Mo 12,7). Ihm selbst gab Gott auch nicht einen Fussbreit Boden darin (Apg 7,5); sogar das Grundstück, in dem er Sara begraben wollte, musste er kaufen (1. Mose 23). Das Land war also ein «Land der Verheissung», und Abraham, der diese Verheissung ergriff, weilte darin wie in einem fremden Land und wohnte als Fremder und Pilger in Zelten, mit Isaak und Jakob, den Miterben dieser Verheissung, die Gott ihnen erneuerte (1. Mo 26,3; 28,13.14).
Vers 10
Abraham erwartete «die Stadt, die Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist». Da er auf der Erde, mit Ausnahme der Verheissung für seine Nachkommen, nichts empfangen hatte, erhob sich der Glaube Abrahams, der unerschütterlich mit Gott rechnete, zu den vorzüglicheren, zu den geistlichen, himmlischen und bleibenden Dingen, die kommen sollten. Dort werden es nicht mehr schwache Pilgerzelte sein, sondern eine Stadt, deren Grundlagen Gott selbst gelegt und für diese Männer des Glaubens bereitet hat. Er ist der Baumeister – Er hat die Pläne nach seinen Ratschlüssen entworfen; Er ist ihr Schöpfer – Er selbst hat sie aufgerichtet, damit sie unerschütterlich bestehen bleibe. Welche Belohnung des Glaubens! Welche Sicherheit! Wie übersteigt doch das, was Gott für die Seinen bereitet, alle ihre Vorstellung! Der Glaube wandelt hier auf der Erde, gestützt auf Gottes mächtige Gnade, und wartet mit Vertrauen auf das, was Er für seine Geliebten im Himmel aufgerichtet hat.
Verse 11-12
Das Beispiel Saras ist sehr auffallend. Wir wissen aus 1. Mose 18,10-15, dass sie gegenüber der Verheissung zuerst Unglauben zeigte. Nachher aber triumphierte der Glaube in ihr über die Zweifel; sie erkannte, dass die Verheissung wirklich von Gott kam, und dieser Glaube wurde in ihr, die unfruchtbar war und zu alt, um Kinder zu gebären, die Quelle der Kraft, um einen Samen zu gründen: «Sie erachtete den für treu, der die Verheissung gegeben hatte.» – So wird der Glaube an den, der treu ist, auch in uns das Geheimnis der Kraft sein, um das zu überwinden, was für den Menschen unüberwindlich ist; «denn bei Gott wird kein Ding unmöglich sein» (Lk 1,37).
Der zwölfte Vers zeigt, welche Folgen sich für sie und Abraham daraus ergaben. Aus einer unfruchtbaren Frau, die die geeignete Zeit des Alters überschritten hatte, und aus einem durch das Alter abgestorbenen Mann ging ein Geschlecht hervor, das an Zahl den Sternen des Himmels und den Sandkörnern am Ufer des Meeres vergleichbar war. Die Verheissung Gottes, die wir in 1. Mose 13,16 und 15,5 finden, und die nach der Opferung Isaaks, dem höchsten Beweis des Glaubens Abrahams, bestätigt worden ist (1. Mo 22,17), diese Verheissung hat sich erfüllt: Gott ist treu (siehe auch Röm 4,18-22).
Verse 13-16
Diese Verse beschreiben den allgemeinen Wesenszug des Glaubens Abrahams, Saras, Isaaks und Jakobs. Es war ein Glaube, der sie im Land der Verheissung zu Fremden machte, die ohne Bürgerrecht waren. Sie selbst bekannten sich zur Fremdlingschaft (1. Mo 23,4; 47,9). Auch David betrachtete sich als Fremder (1. Chr 29,15), und wir wissen, dass dies auch der Charakter des Christen ist (1. Pet 2,11).
Diese Patriarchen sind im Glauben an die verheissenen Dinge gestorben, ohne sie gesehen zu haben. «Sie begrüssten sie», wie Seefahrer, die zum ersehnten Ufer hin segeln, das sie von fern entdecken. Abraham «frohlockte, dass er meinen Tag sehen sollte», sagt der Herr (Joh 8,56). Losgelöst von den Dingen der Erde und bekennend, hier auf der Erde Fremde und Pilger zu sein, redeten und handelten diese Männer Gottes in einer Weise, die klar zeigte, dass sie Bürger eines anderen Vaterlandes waren. Sie waren nicht in dem Land heimisch, wo sie ihre Zelte aufrichteten oder von dem sie ausgezogen waren. Sie suchten – das ist es, was ihr Leben zeigte – ein besseres Vaterland, ausserhalb dieser Welt, ein himmlisches. – Sollte dies nicht auch uns kennzeichnen, die wir ein noch klareres Bewusstsein unserer himmlischen Berufung haben? (Heb 3,1; Phil 3,20).
Und da sie im Glauben an Gott lebten, das vor Augen, was Gott ihnen jenseits des Todes, ausserhalb dieser Erde bereitet hatte, ehrte sie Gott mit höchsten Ehren: Weil sie Ihm anhingen, schämt sich Gott ihrer nicht, und nennt sich sogar ihr Gott: «Ich bin der Gott Abrahams, deines Vaters», sagt Er zu Isaak, und zu Jakob: «Ich bin der HERR, der Gott Abrahams, deines Vaters, und der Gott Isaaks.» Er erinnert auch Mose daran: «So sollst du zu den Kindern Israel sagen: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt» (1. Mo 26,24; 28,13; 2. Mose 3,6.15). Und da Er ihr Gott ist, hat Er ihnen eine Stadt bereitet, wo Er mit ihnen sein wird, als ihr Gott, immer derselbe. Welche Belohnung war doch an ihren Glauben geknüpft! Aus dieser Tatsache hat Jesus den so bemerkenswerten Schluss bezüglich der Auferstehung gezogen. Diese Patriarchen, tot für das Leben in dieser Welt, leben für Gott, ihren Gott, in Erwartung der glückseligen Auferstehung, des Augenblicks, wo sich für sie die Verheissungen völlig erfüllen werden (Lk 20,37.38). Dieser Gott, der Gott Jesu Christi, ist auch unser Gott, und denken wir daran, was von denen gesagt wird, die jetzt durch den Glauben überwinden (Joh 20,17; Off 3,12).
Verse 17-19
In den Versen 17-22 wird das unbedingte Vertrauen in die Macht und Treue Gottes in der Erfüllung seiner Verheissungen hervorgehoben. Im Fall Abrahams, der seinen eingeborenen Sohn opferte, kommt dieses Vertrauen auf die bemerkenswerteste Weise zum Ausdruck. Nach 25 Jahren geduldiger Erwartung, während denen er in Kanaan als Fremder lebte, gab ihm Gott diesen so lange erwarteten Sohn, als jede Hoffnung auf eine Nachkommenschaft geschwunden schien. Isaak war die Freude seines alten Vaters; Gott sagte zu Abraham in Bezug auf Isaak: «der, den du lieb hast», und man begreift, dass alle Fasern seines Herzens mit diesem geliebten Sohne verknüpft waren. Aber vor allem war er der, auf dem die ausdrückliche Verheissung ruhte: «In Isaak soll dir eine Nachkommenschaft genannt werden» (1 Mose 21,12).
Welche Prüfung war es daher nicht nur für sein Herz, sondern besonders für seinen Glauben, als er die Weisung empfing, diesen seinen Sohn, seinen einzigen, zu opfern! Er war schon durch eine Reihe von Glaubensproben gegangen, aber diese war grösser als alle bisherigen. Wird sein Vertrauen wankend werden? Wie wird er die göttliche Verheissung mit dem göttlichen Gebot, seinen Sohn in den Tod zugeben, vereinbaren können? Sein Glaube erhob sich über alles; er kümmerte sich nicht um die Weise, in der Gott den scheinbaren Widerspruch zwischen seiner Verheissung und seinem Gebot lösen würde. Durch Glauben hatte er die feste Gewissheit, dass Gott dies alles miteinander in Übereinstimmung bringen werde, dass Er es konnte und es auch tun würde, selbst wenn Er zu diesem Zweck Isaak aus den Toten auferwecken müsste; und im Bild hat Er es auch getan.
Dies wurde sozusagen zu einem Bild der Auferstehung aus den Toten; denn vom Augenblick an, wo Abraham das Messer erhob, um seinen Sohn zu schlachten, war es nur die allmächtige Stimme Gottes, die seinen Arm aufzuhalten und Isaak dem Leben wiederzugeben vermochte. Der Glaube Abrahams ist der Glaube an Gott, der die Toten auferweckt. Er hatte gesagt: «Ich aber und der Knabe wollen bis dorthin gehen und anbeten und dann zu euch zurückkehren» (1. Mo 22,5). Er hatte also die Gewissheit, dass Gott auf irgendeine Art und Weise handeln würde. Wir haben schon bei der Geburt Isaaks gesehen, dass der Glaube Abrahams der Glaube an Gott war, «der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre» (Röm 4,17).
Vers 20
Der Glaube Isaaks, der Jakob und Esau segnete, war ein Beweis, dass für ihn die kommenden Dinge, die Gott verheissen hatte, gewiss waren, denn er besass ja nichts in Kanaan. Der Glaube ergreift die unsichtbaren Dinge, ohne eine andere Grundlage zu haben, als das Wort Gottes. Das ist sein Charakter.
Vers 21
Jakob hatte ein mit Schwierigkeiten – Züchtigungen für seine Verfehlungen – erfülltes Leben, worin mehr die Energie seines Eigenwillens als seines Glaubens sichtbar wurde. Ach, wir gleichen ihm nur zu sehr darin! Aber, am Ende seiner langen Laufbahn angelangt, durch die Gnade Gottes unterwiesen und wiederhergestellt, zeigte sich sein Glaube in einem bemerkenswert schönen Charakter. Mit einem Verständnis, das der Geist Gottes ihm gegeben hatte. segnete er jeden der Söhne Josephs, seines geliebten Sohnes, den Gott ihm wiedergegeben hatte, und gab dabei dem jüngeren im Blick auf die kommenden Zeiten den Vorrang. Er tat es als Fremder und Pilger: Er stützte sich auf den Stab, mit dem er einsam vorangegangen war und betete Gott an, der ihn gemäss seiner Verheissung bewahrt hatte (siehe 1. Mose 28,10-22; 32,10).
Er zeigte Zuneigung zum Land der Verheissung und Vertrauen in Gott bezüglich der Erfüllung der Verheissungen, indem er bat, dort begraben zu werden. Er wollte, dass seine Gebeine bei denen seiner Väter ruhten. Und schliesslich drang sein Glaube in seiner wunderbaren Weissagung über Joseph bis zu Christus vor, der, wie Joseph, von seinen «Brüdern» verworfen wurde, aber vor ihnen allen mit den erhabensten Segnungen gesegnet war (siehe 1. Mose 47,31; 48; 49,22-26).
Welch ein schönes Ende, nach einem so bewegten und, man kann es wohl sagen, oft so fleischlichen Leben. Jakob, in sich zerbrochen, wurde zu einem Gefäss, das geeignet war, die Geheimnisse Gottes aufzunehmen, die sein Glaube jetzt voll und ganz ergreifen konnte, ohne Bedingungen daran zu knüpfen (siehe 1. Mose 28,10).