Der Brief an die Hebräer (4)

Hebräer 2,11-18

Vers 11

Der, der heiligt, ist Christus. Die, die geheiligt werden, sind die Seinen, seine Erlösten, die Er absondert. Er vereinigt sie mit sich selbst, und so sind sie vor Gott alle von einem. In Psalm 16,3, wo der Geist uns im Voraus die Worte Christi hören lässt, sagt Er nicht von allen Menschen: «An ihnen ist all mein Gefallen», sondern nur von «den Heiligen», die auf der Erde sind, die Er «die Herrlichen» nennt. Im Gegensatz zu den übrigen Menschen sind sie «Geheiligte», abgesondert von den anderen Menschen.

Schon bei der Taufe des Johannes tritt dies deutlich hervor. Als der Herr kam, um sich taufen zu lassen, stellte Er sich in die Mitte des bußfertigen Überrests. In Gnade vereinigte Er sich mit ihnen. Er hat seine Wonne an denen, die sich vor Gott auf den wahren Platz stellen; für Ihn sind sie die Herrlichen der Erde. Sie sind somit «geheiligt», durch Ihn, für Ihn und mit Ihm abgesondert, «alle von einem».

Auch heute sind die Gläubigen Geheiligte. Christus war in Vollkommenheit der abgesonderte Mensch, und die Seinen sind es mit Ihm.

Diesen Begriff «geheiligt», oder die Personen, auf die er Bezug hat, wird man in diesem Brief  oft wiederfinden. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang daran, dass es eine Heiligung gibt, die der Rechtfertigung vorangeht. Gott nimmt in einem gegebenen Augenblick Menschen und sondert sie für sich ab, und es mag sein, dass dann in ihnen noch alles zu tun ist. (Siehe 1. Kor 6,11; 1. Pet 1,2). Dann folgt eine praktische Heiligung, die der Rechtfertigung folgt. Weil die Geheiligten mit Ihm «alle von einem» sind, schämt der Herr sich nicht, ihnen den Namen «Brüder» zu geben.

Vers 12

Der Schreiber des Briefes führt in diesem Zusammenhang Psalm 22, Vers 23 an: «Ich will deinen Namen meinen Brüdern kundtun; inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen.» Diese Stelle findet zunächst auf den Überrest Israels Anwendung, obwohl Jesus diese Worte nach seiner Auferstehung aussprach (vgl. Joh 20,17).

Während seiner Laufbahn inmitten Israels bezog der Herr diesen Titel «Brüder» auf die, die das Wort Gottes «hören und tun». (Siehe Mt 12,49.50; Mk 3,33-35; Lk 8,20.21). In Matthäus 25,40 gibt Er den Boten, die später allen Nationen das Evangelium des Reiches verkündigen werden, diesen Namen. Sie sind seine Brüder, aber zweifellos werden es nicht Heilige der jetzigen Haushaltung sein, Söhne im christlichen Sinne. Man muss also unterscheiden zwischen der Anwendung dieses Namens «Brüder» auf den Überrest, und der Bedeutung dieses Namens für Christen, die zum Vater in derselben Sohnesbeziehung stehen wie Christus, eine Beziehung, wovon der Heilige Geist in ihnen das Siegel und der Zeuge ist. Die Stellen, die sich – wie Psalm 22,23 – wörtlich auf den Überrest beziehen, lassen sich also geistlicherweise auch auf die Christen, die wahren Söhne des Vaters, anwenden, wie wir es in Johannes 20,17 sehen: «Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater.» Anderseits aber sind die Stellen, die sich direkt auf die Christen beziehen, wie z.B. Römer 8,29, nicht auf den Überrest anwendbar.

Bis der Überrest des Endes die kostbaren Erklärungen, die das Wort für ihn enthält, auf sich anwendet, finden diese Erklärungen schon ihre gegenwärtige und unmittelbare Anwendung auf die christlichen Gläubigen. Der Überrest aus der jüdischen Nation zur Zeit der Jünger, zusammengesetzt aus solchen, die vor seinem Tod und seiner Auferstehung an den Herrn glaubten, wurde nach dem Herabkommen des Heiligen Geistes zur christlichen «Versammlung», zu der der Herr hinzutat, die gerettet werden sollten; sie waren der Überrest Israels, den Gott verschonte (Apg 2,47). Die Gläubigen, an die sich unser Brief richtet, wurden demnach als der wahre Überrest jener Zeitepoche betrachtet.

Vers 13

Hier werden die Worte aus Jesaja 8,17.18 angeführt. Im Augenblick, wo die beiden Häuser Israel und Juda, besonders das letztere, ihre Hilfe in fleischlichen Verbindungen suchten, redete der Prophet von seinen eigenen Kindern. Aber diese Kinder waren von dem HERRN gegeben «zu Zeichen und zu Wundern in Israel.» Sie waren Zeichen, von denen das eine den kommenden Überrest darstellte (Jes 7,3) und das andere die Befreiung dieses Überrestes ankündigte. Der Prophet, und mit ihm der Überrest, erklärt, dass er auf den HERRN warte, der sein Angesicht vor dem Haus Jakobs verborgen habe, und nennt als Beweggrund seines Vertrauens die Kinder, die Gott ihm gegeben hat; und er selbst stellt sich mit ihnen dar. – Aber in unserem Vers im Hebräerbrief zeigt der Heilige Geist, dass die Worte Jesajas Christus zum Gegenstand haben, Emmanuel; der Prophet und seine Kinder waren nur Bilder. Christus als Mensch suchte Zuflucht bei Gott (Ps 16,1), und wir sehen Ihn hier sich an die Spitze des Überrests stellen, zu denen, die mit Ihm auf Gott vertrauen, und Er stellt sie Gott vor als die, die Ihm gegeben worden sind. Er verbindet sich mit ihnen: «Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat.» Er ist der Anführer ihrer Errettung; Er hat sie mit sich selbst abgesondert; Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen; und sie sind miteinander eine heilige Körperschaft von Zeugen vor Gott.

Verse 14.15

Der 14. Vers stellt ein anderes Wunder der göttlichen Gnade vor unsere Seele. Christus hatte der Erretter dieser Geheiligten, dieser Brüder, dieser Kinder, die Gott Ihm gegeben hatte, werden wollen. Sie waren von Anfang an Blutes und Fleisches teilhaftig, also der menschlichen Natur. Das war ihr gemeinsames Los, ihr vererbter Zustand. Er aber, der vorher kein Teil daran hatte, wollte an der menschlichen Natur teilnehmen, um ihr Heiland zu werden. Er, das Wort, ist Fleisch geworden (Joh 1,14). Als Mensch konnte Er nun persönlich für sie in den Tod gehen, um sie völlig zu befreien. Er ist in den Tod hinabgestiegen, in diese Festung Satans, um ihm seine Macht zunehmen.

«Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod» (Röm 5,12); indem er sündigte, hat sich also der Mensch unter die Macht des Todes gestellt. Aber er sündigte auf Anstiftung des Teufels, der sich dadurch die Macht des Todes erworben hat und ihn als Schreckensgespenst vor die Seele des Menschen stellt. Die Todesfurcht, und darüber hinaus die Furcht vor der Verdammnis, ist also eine Knechtschaft, der der Mensch unterworfen ist. Unter dem alten Bund war der Tod selbst für die Gerechten furchterregend, wie wir den Worten Hiskias (Jesaja 38) und verschiedenen Stellen in den Psalmen entnehmen können. Der Tod öffnete ihnen den Scheol, den Ort der Finsternis, wo alle Freude zu Ende war, wo man den HERRN nicht mehr lobt. Welch ein Unterschied gegenüber der Sprache des befreiten Christen, der mit Paulus sagen kann: «Das Sterben ist Gewinn … Ich habe Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser» (Phil 1,21.23).

Es ist wahr, die «Gottlosen» können durch Verhärtung so weit kommen, dass sie keine Todesfurcht mehr haben (Ps 73,4) und wie unvernünftige Wesen sterben. Aber wie schrecklich wird ihr Erwachen sein! Anderseits findet man Christen, die von dieser Todesfurcht noch nicht befreit sind. Aber wenn sie die grosse, hier verkündete Wahrheit – den völligen Sieg Christi über Satan – im Glauben erfasst hätten, wie könnten sie sich da noch fürchten? Beachte die Ausdrücke: «Damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel.» Über den, der durch den Tod Christi befreit ist, hat Satan diese Macht nicht mehr, er ist zunichtegemacht worden, seine Macht ist am Kreuz, wo Jesus gestorben ist, gebrochen worden.

Vers 16

Dieser Vers sagt ein letztes Wort über die Engel und knüpft an Vers 5 an. Die kommende Welt, die Leiden und der Tod Christi, um Söhne zur Herrlichkeit zu führen, sein Triumph über Satan – alles das bezieht sich nicht auf die Engel; Christus hat nicht ihre Sache an die Hand genommen; Er hatte nicht diese vor Augen, als Er an Fleisch und Blut teilnahm. Die treuen Engel hatten kein Heil nötig. Was Er war und was Er getan hat, betrifft den sündigen Menschen, den zu befreien Er gekommen ist. «Er nimmt sich der Nachkommen Abrahams an», das heisst der Gläubigen. Sie sind es, um die es ging; und um ihretwegen ist Er Mensch geworden.

Vers 17

Das wird uns im 17. Vers gezeigt. Christus wird uns hier als barmherziger und treuer Hoherpriester vorgestellt für die, die auch hier seine Brüder genannt werden; Er musste ihnen daher in allen Dingen gleich werden und an ihrem Zustand teilnehmen, wohlverstanden, ausgenommen die Sünde. Das Hohepriestertum Christi für die Gläubigen nimmt im Brief an die Hebräer einen grossen Platz ein. Wir sehen Ihn hier zum ersten Mal in diesem Amt erscheinen. Christus ist auf der Erde Mensch geworden, um den Hohenpriesterdienst im Himmel ausüben zu können. Zuerst hat Er hier auf der Erde alles erfüllt, was zur Sühnung der Sünden nötig war: Die Ansprüche der Gerechtigkeit, Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes mussten befriedigt werden. Unser Heiland war darin gegen uns alle barmherzig, die ohne die durch Ihn bewirkte Sühnung verloren gewesen wären; und Er war treu gegenüber Gott, um seinen Willen zu tun und Ihn zu verherrlichen (siehe Heb 10,7.9).

Vers 18

Aber indem Er über diese Erde schritt, ist Er durch Leiden und Prüfungen verschiedenster Art hindurchgegangen, denen auch wir selbst als Christen in dieser gottfeindlichen Welt ausgesetzt sind. Er hat in seinem Herzen gelitten, Er ist dem Widerspruch der Sünder begegnet, Er wurde versucht – nicht durch die Sünde, aber in seinem Charakter als gehorsamer Mensch –, Er wurde in jeder Weise bedrängt, und daher kann Er uns nun in tiefem Mitgefühl in allen diesen Übungen, Prüfungen und Versuchungen beistehen, durch die wir zu gehen haben. So zeigt Er sich uns jetzt beständig als barmherziger und treuer Hoherpriester. Wie kostbar ist es für das Herz und wie ermunternd für die Seele, Ihn im Himmel zu betrachten, wie Er sich für uns vor Gott interessiert!

Wenn der Schreiber des Briefes an die Hebräer – dies ist eine allgemeine Bemerkung – von den Opfern und dem Dienst der Priester spricht, so bezieht er sich auf das, was sich am grossen Versöhnungstag zugetragen hat, wie er uns in 3. Mose 16 beschrieben wird. Das geht aus diesen Worten hier hervor: «Um die Sünden des Volkes zu sühnen» (vgl. 3. Mose 16,17.24.33.34). An jenem alljährlichen Versöhnungstag erfüllte Aaron einen doppelten Dienst: Er opferte die Schlachtopfer und trug gleichzeitig ihr Blut durch den Vorhang ins Allerheiligste hinein, damit für die Sünden des Volkes vor Gott Sühnung geschehe.

Wir fassen zusammen: Dieses Kapitel stellt uns Christus als den dar, der den Ratschluss Gottes ausführt, viele Söhne zur Herrlichkeit bringt und zum Urheber ihrer Errettung wird. Er hat die menschliche Natur angenommen,

  1. um durch seine Leiden dem zu entsprechen, was die Heiligkeit und Majestät Gottes bezüglich des Zustandes derer forderte, die Er errettete;
  2. um zu sterben und durch seinen Tod den zunichtezumachen, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und die Heiligen auf diese Weise von der Todesfurcht zu befreien;
  3. um für sie ein Hoherpriester zu werden, der ihnen helfen kann, indem Er selbst versucht worden ist, in gleicher Weise wie sie.