Kapitel 4
Gott aus Unglauben aufgeben, sich durch den Betrug der Sünde verhärten, wie die Israeliten in der Wüste taten, hatte zur Folge, dass Gott sich über sie erzürnte und ihnen den Eingang in die Ruhe Kanaans verschloss. Dieser eingeführte Gedanke der Ruhe gibt zu den folgenden, an die hebräischen Christen gerichteten Ermahnungen Anlass.
Vers 1
Den Gläubigen war eine Verheissung hinterlassen, in die Ruhe Gottes einzugehen. Auf diese Verheissung mag das «heute» in der weiter oben angeführten Stelle aus Psalm 95 hindeuten, die einige Jahrhunderte nach dem Einzug der Israeliten in Kanaan geschrieben worden ist (siehe Heb 4,7). Da die aus Ägypten ausgezogenen Israeliten wegen ihres Unglaubens in der Wüste gefallen sind, so sollen wir, die wir vor eine ähnliche Verheissung der Ruhe gestellt worden sind, uns fürchten, «dass nicht … jemand scheine zurückgeblieben zu sein.» Sich hier auf der Erde niederlassen, um sich bequem auszuruhen, und sowohl die Leiden als auch den guten Kampf vermeiden, der mit der Pilgerschaft des Glaubens verbunden ist, erweckt wohl den Anschein, als ob die Ruhe Gottes, die am Ende des Laufes in Aussicht steht, aus den Augen verloren worden wäre.
Vers 2
«Denn auch uns ist eine gute Botschaft verkündigt worden, wie auch jenen»; sowohl uns wie auch den Israeliten ist die gute Botschaft der Ruhe verkündigt worden; für uns aber ist sie nicht zeitlich, sondern ewig. Das Wort Gottes sicherte dem Volk den Eintritt in das gute Land Kanaan. Sie vernahmen dieses Wort, aber es nützte ihnen nichts, weil sie es nicht im Glauben aufnahmen, wie wir aus 4. Mose 13 und 14 ersehen. Die Berichterstattung der Kundschafter wurde zum Prüfstein, der ihren Unglauben offenbarte; sie empörten sich und kamen in der Wüste um. Was nützen die Verheissungen Gottes in seinem Wort, wenn sie im Herzen nicht mit Glauben verbunden sind? Nichts, antwortet unser Vers. Das ist sehr ernst!
Vers 3
Hier haben wir die positive Seite der im vorangegangenen Vers ausgesprochenen Wahrheit. «Denn wir, die wir geglaubt haben (oder wir, die Gläubigen), gehen in die Ruhe ein», im Gegensatz zu denen, deren Unglaube sie von der Ruhe ausgeschlossen hat. «Wir, die wir geglaubt haben», ist das Kennzeichen derer, die in die Ruhe eingehen. Es ist wohl eine zukünftige Ruhe, aber sie gehört ihnen; sie treten durch den Glauben in sie ein; sie sind davon überzeugt. Es ist die von Gott verheissene Ruhe, die seine eigene Ruhe ist.
Vers 4
Die Werke Gottes waren von Grundlegung der Welt an erfüllt. Er ruhte nachher – die Ruhe Gottes nach der Schöpfung, am siebten Tag. Jene Ruhe lässt uns den Charakter der Ruhe erkennen, die kommen soll. Es wird eine Ruhe nach der Arbeit sein, aber es ist die Ruhe Gottes. Gott wird ruhen (oder schweigen) in seiner Liebe (Zeph 3,17). Und Er wollte – o Wunder! –, dass auch andere daran teilhaben und in diese Ruhe eingehen.
Verse 5-7
Gott ruhte am siebten Tag. Diese Ruhe war nicht nur die Folge der Vollendung seines Werkes, sondern auch die erhabene Freude des Schöpfers in den Dingen, die Er ins Dasein gerufen hatte: «Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut» (1. Mo 1,31). Der Mensch, sein verständiges Geschöpf, das Haupt der Schöpfung, war bestimmt, in diese Ruhe einzugehen und an dieser Glückseligkeit teilzuhaben. Gott hatte zu diesem Zweck den siebten Tag geheiligt.
Aber der Mensch ist nicht bei der Schöpfung in die Ruhe Gottes eingegangen, denn erstens hatte er nicht gearbeitet, und zudem hat er durch seine Sünde die Verunreinigung und die Unordnung in die Schöpfung Gottes eingeführt. Auch die Israeliten verloren durch ihren Unglauben und ihre Empörung den Eintritt in die Ruhe Kanaans, aber Gott, der in seiner Gnade seinen Ratschluss der Liebe gegenüber dem Menschen nicht aufgibt – sondern, nachdem dieser gefehlt hat, etwas Besseres einführt – «bestimmt wiederum einen gewissen Tag», wo einige, nämlich die Gläubigen, in seine Ruhe eingehen werden. Es ist jene Ruhe Gottes, die der Glaube schon jetzt festhält und die der Gläubige in der Zukunft besitzen wird, nicht eine irdische, sondern eine himmlische Ruhe.
Vers 8
Die Einführung Israels durch Josua in das verheissene Land war nicht die endgültige Ruhe; es war nur ein Bild davon. Der Schreiber des Briefes beweist es durch die angeführte Stelle, wo David, lange Zeit nach Josua, von einem anderen Tag spricht. Welcher Trost und welche Ermunterung lag für diese in ihrem Glauben erschütterten Christen in der Gewissheit, dass es für sie noch eine kommende Ruhe gab!
Beachten wir auch hier, wie alles, was sich auf die alte Ordnung der Dinge bezieht, auf die Seite gesetzt ist, um durch etwas Besseres ersetzt zu werden.
Vers 9
«Also bleibt eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig.» Tröstliche Wahrheit! Sie muss noch kommen, aber sie ist gesichert: Es «bleibt» eine Ruhe nach der Arbeit, den Kämpfen, den Mühen; das Volk Gottes wird in sie eintreten.1 Und es ist eine «Sabbatruhe», d.h. eine bleibende Ruhe: Die Feier eines ewigen Sabbats, eine ewige Ruhe, die durch nichts getrübt wird. Das tausendjährige Reich hier auf der Erde wird die wahre irdische Ruhe für das irdische Volk Israel und für die ganze Erde sein, die unter der Herrschaft Christi gesegnet sein wird. Der Himmel aber wird der Ruheort für das himmlische Volk sein. Der dann folgende ewige Zustand, wo Gott alles in allem sein wird, wird die vollkommene und endgültige Ruhe für Gott und für alle Erlösten aller Heilszeiten sein. Dann wird Gott in all dem ruhen, was sein Herz erfreut, und alle, die Ihm angehören, werden in seiner Ruhe ruhen.
Vers 10
«Denn wer in seine Ruhe eingegangen ist, der ist auch selbst zur Ruhe gelangt von seinen Werken, wie Gott von seinen eigenen.» Dieser Vers zeigt uns den Charakter der Ruhe, um die es in diesem Kapitel geht. Es ist die Ruhe, die der Arbeit folgt, wie sie auch für Gott auf die Schöpfung folgte. Die «Werke» des Gläubigen umfassen nicht nur die Mühen, die aus dem Kampf gegen das Böse in ihm und um ihn herum hervorgehen, sondern auch die, die das Wirken des Guten zum Gegenstand haben. Sie umfassen alles, was der Christ nach dem Willen Gottes hier auf der Erde zu tun hat und was die Tätigkeit seines Lebens in der Wüste ausmacht. Wir werden von unseren Kämpfen und unseren guten Werken ausruhen. Jemand hat gesagt: «Die Mühen des neuen Menschen werden aufhören.» Aber unsere eigene Ruhe ist in der Ruhe Gottes eingeschlossen.
Vers 11
«Lasst uns nun Fleiss anwenden, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle.» Das schreckliche Beispiel des Ungehorsams Israels in der Wüste und seiner Folgen wird noch einmal als Warnung vor die Augen der bekennenden Christen gestellt. Aber es liegt auch eine Ermunterung darin. Die Ruhe ist am Ende des Laufes, die Arbeiten und die Mühen jedoch sind gegenwärtig. Lasst uns daher allen Fleiss anwenden, diesen Lauf zu vollenden, ohne uns entmutigen zu lassen. Die Israeliten hatten das Wort Gottes, aber sie hatten Ihm nicht geglaubt und sind in der Wüste gefallen. Auch wir haben das Wort Gottes, das uns das Ziel zeigt und uns den Weg zur Ruhe vorzeichnet.
Vers 12
Der Schluss des Kapitels zeigt uns in der Tat die kostbaren Hilfsquellen, die wir benötigen, um mutig voranzugehen, durch alles hindurch, was uns auf dem Weg zur Ruhe begegnen mag. Diese Hilfsquellen sind
- das Wort Gottes,
- das Hohepriestertum Christi und
- der Thron der Gnade.
Das Wort Gottes ist so lebendig wie Gott selbst, der es uns gegeben hat; es ist der Ausdruck seines Willens. Es bringt Wirkungen hervor: Es ruft ins Dasein, wie es auch ins Nichts zurückkehren lässt. Es wirkt auf die Seele, und tut es mit göttlicher Kraft, was durch den Ausdruck «wirksam» angezeigt wird. Und um mit noch grösserer Eindrücklichkeit zu zeigen, bis wohin seine Wirksamkeit geht, wird uns gesagt, dass es «schärfer ist als jedes zweischneidige Schwert». Und weshalb dieses Leben, diese Energie und diese Kraft? Um das Innerste des Menschen zu erreichen, «bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes.» Es trennt durch die Kraft der Wahrheit, was in unseren Gedanken aufs Engste verbunden ist. Wenn die Seele (d.h. was von der Natur ist) ihre Gefühle mit dem vermengt, was geistlich ist, so lässt uns das Wort dies erkennen. Es zeigt uns, als Offenbarung Gottes. was von Gott und was vom Ich ist. Die Gelenke und das Mark stellen das dar, was sowohl das Lebendigste als auch das Verborgenste ist.
Was ist nun die Auswirkung dieser Durchdringung des Wortes in unserem Innern? Es beurteilt die Gedanken und Gesinnungen des Herzens. Es richtet die fleischlichen Gedanken, die Unglauben hervorrufen und uns dazu führen, die Ruhe droben zu vernachlässigen und sie hier auf der Erde zu suchen. Es trennt das im Herzen, was von Gott und was nicht von Ihm ist. Es offenbart, was für unseren Wandel ein Hindernis darstellt, die Listen und Fallstricke unseres Herzens, die dazu führen könnten, unsere Stellung des Glaubens aufzugeben. Sogar die Beweggründe werden durch das Wort beurteilt. Meine Absicht mag mir gut scheinen, aber erträgt sie die Beurteilung des Wortes? Gedanken, Wünsche, Beweggründe, alles muss durch das Wort beurteilt und kontrolliert werden, damit unser Wandel in der Wüste durch nichts aufgehalten oder verlangsamt wird, sondern zum Ziel, zur Ruhe eilt. Wie ist es daher als unser göttlicher Führer so kostbar! Es richtet selbst die Wurzel der listigen Neigungen unseres Fleisches, so dass wir unseren Weg mit Freuden und Vertrauen fortsetzen können.
Vers 13
Hier werden wir unvermittelt vom Wort Gottes zu Gott selbst hingeführt. Das ist verständlich; denn das Wort ist es, das uns vor Gott hinführt und in seine Gegenwart stellt mit allem, was es in uns aufdeckt. So wie Gottes Auge über jedem seiner Geschöpfe offen ist und sich niemand seinem Blick entziehen kann, so ist auch «alles» in uns bloss und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben. Es wäre vergeblich, irgendetwas vor Ihm zu verbergen: Gedanken, Beweggründe, Absichten – alles ist bloss vor Ihm. Unser Gewissen wird auf diese Weise unter seinen Blick selbst gestellt. Feierlich ernster Gedanke, aber sehr kostbar auch, wegen der gesegneten Wirkung auf unsere Seele! So wird alles Böse beurteilt, und wir können unseren Weg in der Gemeinschaft mit Gott fortsetzen.
- 1Von unserer irdischen Beschäftigung hier auf der Erde ruhen wir nicht am Sabbat, der ein Bild von der Ruhe Gottes in Verbindung mit der ersten Schöpfung ist, sondern am Tag des Herrn (Sonntag). Dieser steht in Verbindung mit der neuen Schöpfung, die sich auf die Auferstehung des Herrn Jesus stützt.