Der Brief an die Hebräer (23)

Hebräer 11,22-28

Vers 22

Auf dem Gipfel seiner Ehre und Macht, in einem Augenblick, wo die Familien Israels in Wohlergehen und vollkommener Ruhe in Ägypten wohnen, ergreift Joseph durch Glauben, was Gott einst bezüglich des Auszugs der Kinder Israel aus Ägypten zu Abraham gesagt hatte (1. Mo 15,13.14). Er stützt sich auf die Verheissung, die Gott Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte, dass Er ihren Nachkommen das Land Kanaan als Erbe austeilen werde. Sein Vertrauen ist völlig: «Gott wird sich euch gewiss zuwenden», sagt er (1. Mo 50,24.25), und er gibt Befehl wegen seiner Gebeine, damit auch sie in dem verheissenen Land ruhen könnten und er an der Befreiung seines Volkes teil hätte. Und Gott trug Sorge, dass dieser «durch Glauben» erteilte Befehl ausgeführt wurde (2. Mo 13,19; Josua 24,32).

In allen diesen Beispielen sehen wir den Glauben Gehorsam hervorbringen, Absonderung, Kraft, Verzicht auf das, was vom Fleisch ist und unbedingtes Vertrauen auf Gott, das sich selbst über den Tod hinaus erstreckt.

Im Folgenden (Verse 23-31) sehen wir mehr die tätige Energie des Glaubens, um trotz aller Schwierigkeiten, die sich auf dem Weg ergeben mögen, stetig voranzugehen. Er ergreift seinen Gegenstand und handelt trotz allen Widerstandes der Welt. Er nimmt keinerlei Rücksicht auf die Macht der Widersacher. Er tritt die Grösse dieser Erde unter die Füsse. Der Glaube erfasst, was er von Gott aus zu tun hat, und überlässt die Folgen Ihm.

Vers 23

Der Glaube der Eltern Moses zeigt, dass sie die Verheissungen Gottes wertschätzten; er erhob sie über die Furcht empor. Während ihres Aufenthalts in Ägypten hatten die Israeliten, trotz ihrer harten Knechtschaft, ihre Augen auf die Götzen ihres Landes gerichtet und dabei den HERRN, den Gott ihrer Väter, vergessen (Hes 20,5-8).1

Der Götzendienst war immer ihre alles beherrschende Sünde. Seufzend unter der grausamen Bedrückung, die sie knechtete, fehlte ihnen die Tröstung, die ihnen der Glaube an die göttlichen Verheissungen durch die Hoffnung auf die Befreiung gegeben hätte.

Aber Gott hatte damals, wie zu allen Zeiten, einen treuen Überrest. Es gab Söhne Israels, die den Glauben an Gott, der die Verheissungen gegeben hat, sorgfältig bewahrt und mit Gewissheit auf die Dinge harrten, auf die sie hofften. Auch Moses Eltern gehörten zu diesen. «Durch Glauben» verbargen sie ihr Kind drei Monate lang, trotz des grausamen Gebots des Königs. Sie empfingen ihr Kind als eine besondere Gabe Gottes. Seine bemerkenswerte Schönheit – «schön für Gott», sagt Stephanus (Apg 7,20) – hat für sie göttliches Gepräge. Ihr Glaube lässt sie in ihm den künftigen Befreier ihres Volkes erkennen, und sie spüren ihre Verantwortung, ihn zu beschützen, koste es, was es wolle, indem sie mit der Macht Gottes rechnen. Sie haben Vertrauen in Ihn und fürchten die Wut des Königs nicht. Ihr Glaube wurde, wie wir wissen, belohnt. Gott erhielt das Kind am Leben, durch Mittel, die nur Ihm zur Verfügung stehen: Mose, durch die Tochter Pharaos selbst aus dem Wasser gerettet, wurde im Haus des Königs durch sie aufgezogen.

Verse 24-26

Nachdem sich Mose fast vierzig Jahre lang im Haus des Pharaos aufgehalten hatte, wo er in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen worden war, erkannte er durch Glauben, dass, wenn er sich mit dem Volk Gottes einsmachen wollte, er diese hohe Stellung verlassen musste, in die ihn doch die Vorsehung Gottes gebracht hatte. Der Glaube bewirkte in seinem Herzen Zuneigungen zu diesem leidenden Volk, zu dem er gehörte, die mit den Zuneigungen Gottes übereinstimmten. Aber um diesen zu Hilfe zu kommen, musste er wählen zwischen dem Titel eines Prinzen, «eines Sohnes der Tochter Pharaos», und der Bedrückung, die auf Israel lastete, zwischen dem Genuss der Sünde und der Schmach Christi, zwischen den Schätzen Ägyptens und der Belohnung, die Gott dem Glauben gewährt (Vers 6). In Verbindung damit werden uns über Mose drei Dinge gesagt, die die Energie seines Glaubens bezeugen:

  1. Er weigerte sich, die Ehre anzunehmen, Sohn der Tochter Pharaos zu heissen, ja, er verzichtete darauf, denn nach 2. Mose 2,10 «wurde er ihr zum Sohn».
  2. Er wählte, lieber mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als für eine Zeit den Genuss der Sünde zu haben. Beachten wir hier, dass der Glaube erkennt, dass dieses Volk von Sklaven, das seinen Gott vergessen hat, dennoch sein Volk ist, und dass für Mose der Genuss alles dessen, was ihm seine Stellung am Hof des Pharaos an Ehren und materiellen Vorteilen einbrachte, «Genuss der Sünde» war. Es ist Sünde, ausserhalb des Platzes zu sein, wo Gott uns als die Seinen haben will, denn dann wären wir nicht in Gemeinschaft mit Ihm.
  3. Er «hielt für» oder «schätzte ein». Er hatte alle Dinge eingeschätzt und wusste, wie Paulus, was er von ihnen zu halten hatte (Phil 3,7-11). Er hielt die Schmach des Christus für grösseren Reichtum als die Schätze Ägyptens. Die Schmach, in der sich das Volk Gottes in Ägypten befand, war schon die Schmach Christi, denn der HERR hat sich immer mit den Seinen eins gemacht; viele Stellen bezeugen es, und der Glaube Moses hatte dies erfasst. Auch heute ist es so: Der Christ, der seinen Platz mit dem Volk Gottes einnimmt, teilt ihn mit dem verachteten Christus und hält so das Kreuz für wertvoller als den Besitz des ganzen Universums (Lk 9,23-25). Paulus hatte dies getan, wie wir dies der soeben angeführten Stelle aus dem Philipperbrief entnehmen können. Wie sollte dies zu uns reden! Die Schmach des Christus, diese Schmach, die die Welt immer auf die werfen wird, die dem Herrn treu sein wollen, ist ein Schatz, denn sie besiegelt, dass wir Ihm angehören. Und was sind die Schätze der Welt im Vergleich zu diesem Vorrecht?

Mose schaute auf die Belohnung. Sie bestand nicht im irdischen Kanaan; er hat es nicht besessen; er kannte nur die Mühen und Leiden der Wüste. Sie bestand für ihn, wie für die Patriarchen, in dem «Besseren», das sich ausserhalb dieser Welt befand. Sein Glaube erfasste das Unsichtbare, das Himmlische, das jenseits dieser Erde lag. Wurde er in seiner Erwartung getäuscht? Nein; schon auf dem Berg der Verklärung erschien Er in Herrlichkeit (Lk 9,30.31). Und wie wird ihm erst sein, wenn das Reich, wovon jene Szene nur ein Muster war, aufgerichtet sein wird! Ja, Gott ist für die, die Ihn suchen, ein Belohner! Sich auf seinem Weg mit Ihm eins zu machen, heisst alles gewinnen.

Nicht die Belohnung soll der Beweggrund sein, noch sollen wir aus Berechnung Gott wohlgefällig leben. Die Beweggründe für einen heiligen Wandel sind die heiligen Zuneigungen in einem Herzen, das durch Christus für Christus gewonnen ist, aber die zugesicherte Belohnung ist eine Ermunterung für den Glauben. Vorn Herrn Jesus selbst wird gesagt: «Der für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete» (Heb 12,2). Und Paulus frohlockt inmitten seiner Leiden für Christus: «Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, die der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tag» (2. Tim 4,8).

Vers 27

Vierzig Jahre später sandte der HERR Mose aus Midian, wo er in der Schule Gottes gewesen war, nach Ägypten, damit er der Befreier seines Volkes werde. Dort hatte er es mit Pharao und seiner Macht zu tun. Mose sollte das Volk aus Ägypten herausführen, und wir wissen, welch einen hartnäckigen Willen der Pharao dem Verlangen von Mose entgegenstellte, bis der aufgebrachte König ihm nach erneuter Weigerung sagte: «Geh weg von mir; hüte dich, sieh mein Angesicht nicht wieder! Denn an dem Tag, da du mein Angesicht siehst, wirst du sterben» (2. Mo 10,28).

Durch Glauben aber blieb Mose fest und liess sich nicht einschüchtern. Mit den Augen der Seele sah er den, der dem Fleisch unsichtbar ist, aber der mit ihm war und ihn mit seiner Macht umgab. Das ist es, was den Treuen im kritischen Augenblick zum Sieg verhilft. Paulus konnte vor dem grausamen römischen Tribunal sagen: «Alle verliessen mich … der Herr aber stand mir bei und stärkte mich» (2. Tim 4,16.17). Auch er sah den Unsichtbaren. Dieses ungeheure Vorrecht des Glaubens ist aber nicht nur für einen Paulus oder einen Mose, sondern für jeden von uns; das macht uns in allem zu «mehr als Überwindern».

Mose verliess also Ägypten an der Spitze seines Volkes, ohne sich um die Wut des Königs zu kümmern, denn er war in seinem Glauben gestärkt. Das Verlassen Ägyptens wird hier im Allgemeinen Sinn erwähnt. Die beiden folgenden Verse hingegen weisen auf zwei besondere Punkte hin, bei denen sich der Glaube von Mose zeigte.

Vers 28

Dieser trat in bemerkenswerter Weise hervor, als er das Passah und die Besprengung des Blutes feierte. Er stellte sich damit unter die Tatsache der Schuldhaftigkeit des Volkes; das ebenso wie die Ägypter dem Gericht verfallen war. Er anerkannte, dass, um verschont zu werden, das Blut eines Opfers nötig war und vor allem glaubte er, gestützt auf das Wort des HERRN, dass dieses Mittel – das Blut an den Häusern der Israeliten – das Schwert des Zerstörers abwenden werde. Dieses Blut mochte den natürlichen Augen wertlos erscheinen. Wie konnte das Blut eines Lammes gegenüber dem Gericht Gottes wirksam sein? Aber der Glaube vernünftelt nicht; er beurteilt den Wert des Mittels nicht nach menschlichen Erwägungen. Der HERR hat dieses Mittel gewählt; Er hatte gesagt: «Sehe ich das Blut, so werde ich an euch vorübergehen» (2. Mo 12,13). Das genügte dem Glauben völlig.

So ist es auch für uns, «durch Glauben». Das Blut Jesu, das für uns geopferte Passah, genügt vollkommen, um unsere Sünden wegzunehmen, um Gericht und Tod abzuwenden und allen unseren Zweifeln und unserer Angst ein Ende zu setzen. «Wenn du glaubst», sagt der Herr.

  • 1Man kann diese Tatsache des Götzendienstes Israels in Ägypten auch aus anderen Stellen schliessen (Hes 23,8.19; Josua 24,14), ferner aus der Aufrichtung des goldenen Kalbes, in Erinnerung an eine der Hauptgottheiten Ägyptens. Dass sie Gott vergessen hatten, beweist auch die Frage von Mose (2. Mo 3,13-16).