Der Brief an die Hebräer (25)

Hebräer 12,1-4

Kapitel 12

Vers 1

Hier finden wir wiederum das Wort «deshalb», das der Verfasser des Briefes so oft gebraucht. Es zeigt, dass das Folgende aus dem Vorangegangenen resultiert. Der Verfasser wird nun in Verbindung mit seinen Belehrungen praktische Ermahnungen erteilen, besonders im Blick auf den Zustand der gläubigen Hebräer und auf die Gefahren, die ihnen drohten. Er ist bemüht, ihren Eifer anzufachen und sie zu ermuntern.

Die Reihe der in Kapitel 11 erwähnten Gerechten, vergleichbar mit einer Wolke, setzt sich aus Zeugen zusammen, die durch ihr Leben den Grundsatz bestätigen, dass «der Gerechte aus Glauben leben wird.» Die Hebräer sollten in den Fussstapfen dieser Männer vorangehen.

Aber noch fehlt die Hauptperson auf dem Bild dieser Glaubenszeugen. Der Schreiber stellt nun den vor ihre und unsere Blicke, der an der Spitze aller dieser Zeugen wandelt und vor dem das Zeugnis aller anderen verblasst, so schön und kostbar es auch für Gott gewesen war. Dieser Zeuge ist Jesus Christus. Er ist der Anfänger und Vollender des Glaubens, der alle diese Gerechten kennzeichnet. Er allein hat darin das vollkommene Beispiel gegeben; Er ist darin der Anführer; Er hat die ganze Laufbahn im Glauben durchlaufen, in seiner ganzen Vollkommenheit. Er ist daher auch der Vollender des Glaubens. Die Gerechten vor Ihm waren geprüft worden, die einen auf diese, andere auf jene Weise; jeder hatte entsprechend seiner Stellung einen Teil des Weges des Glaubens durchlaufen und davon Zeugnis abgelegt. Jesus aber hat die Laufbahn von einem Ende bis zum anderen durchschritten und wurde dabei in allem erprobt, worin die menschliche Natur geprüft werden konnte. In allen diesen Proben, ob sie durch Menschen, durch Satan oder sogar durch das Verlassensein von Gott über Ihn kamen, hat Er ununterbrochen im Gehorsam, im Ausharren, im Vertrauen verharrt. Zugleich bekundete Er dabei vollkommene Energie in der Liebe, die der Glaube hervorbringt, indem Er sich aller Herrlichkeit entäusserte und das Kreuz erduldete. In Ihm ist der Glaube vollendet, vollkommen gemacht worden.

Nicht nur hierin ist zwischen seinem Beispiel und dem der Zeugen des 11. Kapitels ein grosser Unterschied; es gibt noch andere Verschiedenheiten: Jene sind gestorben und noch nicht zur Vollkommenheit gelangt, während Er, der Anführer und Vollender des Glaubens, auferweckt worden ist und sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat. Er ist also auch persönlich zur Vollkommenheit gelangt; Er ist mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt; Er hat das Ziel erreicht, nachdem Er auf seinem Weg auf der Erde Gott in unübertrefflicher Weise verherrlicht hat.

Wir werden hier also ermahnt, unsere Blicke auf Ihn zu richten, dahin, wo Er sich jetzt befindet, indem wir uns dabei an den Weg erinnern, auf dem Er gewandelt ist. Sein gegenwärtiges Sitzen zur Rechten Gottes, nicht nur als der Eine, der durch sich selbst die Reinigung von den Sünden bewirkt hat, sondern als Vollender des Glaubens, zeigt uns den herrlichen Ausgang eines solchen Weges. Es sagt uns: «Dahin also führt der Weg des Glaubens; läuft daher auch ihr mutig voran auf diesem Weg.» Dieser Ausgang wird vor uns hingestellt, um uns zu ermuntern. Damit wir den vor uns liegenden Wettlauf mit Geduld und Ausharren laufen, ohne zu ermatten, wird zu unserem Ansporn einerseits also das hinter uns liegende Beispiel aller vorangegangenen Zeugen gezeigt. Anderseits aber wird uns zum gleichen Zweck der herrliche Platz als Ziel und Leitstern vorgestellt, den der Anführer und Vollender des Glaubens erreicht hat.

Hier ist vom Wettlauf die Rede; in Vers 4 hingegen handelt es sich um den Kampf. Der Wettlauf ist nicht dasselbe wie die Laufbahn, die jeder Mensch hier auf der Erde zu erfüllen hat. Auch das Ende des Wettlaufs ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem Ende dieser Laufbahn; denn es ist leider möglich, dass man den Wettlauf mitten drin abbrechen kann. Paulus drückt in Apostelgeschichte 20,24 den Wunsch aus, den Lauf in Hingabe zu vollenden, und in 2. Tim 4,7 sagt er: «Ich habe den Lauf vollendet.» Diese Wettläufe und Wettkämpfe, die bei den Griechen in den öffentlichen Gärten stattfanden, wobei die Wettkämpfer alles daran setzten, um den Preis zu erlangen, braucht Paulus als Bild für das christliche Leben (siehe 1. Kor 9,24.25; Phil 3,14).

Zwei Dinge sind erforderlich, um den vorgezeichneten Wettlauf mit Vorteil zu bestehen: Den Läufer darf keine Bürde beschweren, und es darf ihn nichts umstricken und aufhalten. Mit einer Bürde kann man nicht mit Ausharren laufen; auch nicht, wenn uns fremde Dinge umstricken.

Bürden sind Schwierigkeiten und Sorgen aller Art, die der Weg dieses Lebens mit sich bringt, alles, was den Geist in Verlegenheit setzt oder das Herz beschwert. Sie sollen abgelegt, abgewiesen werden.

Aber da ist noch etwas anderes, vor dem man sich unbedingt hüten muss: die Sünde. Sie umstrickt uns so leicht, denn das Fleisch ist in uns, und die Gegenstände, die die Welt ihm vorstellt, wirken auf das Fleisch, wecken und erregen die Begierden des Herzens. Wenn man sich nicht davor in Acht nimmt, wird man von den Fesseln der Sünde leicht umstrickt und so im Wettlauf aufgehalten. Man muss sie entschieden und einfältig zurückweisen, so wie die Bürden. Aber wie kann dies geschehen? Indem wir auf Jesus hinschauen; denn das Herz hat dann einen göttlichen Anziehungspunkt vor sich und ist so gelöst und befreit von allem, was es beschwerte und wodurch es in seinem Lauf abgelenkt und aufgehalten wurde. In der Tat, in Christus findet sich nicht nur, was den Zuneigungen des Lebens und der neuen Natur, die wir besitzen, entspricht, sondern auch die Kraft, um das zu meiden, was nicht damit in Übereinstimmung, sondern vom Fleisch ist.

Wer so jede Bürde und die Sünde abgelegt hat, ist im Lauf unbeschwert; er kann und muss immer mit Ausdauer laufen. Er hat Ausharren nötig, um diesen Wettlauf zu bestehen, auf dem er unzähligen Schwierigkeiten begegnet und wo zahlreiche Hindernisse sind. Aber er hat das herrliche Ziel im Auge, das, je mehr er vorwärts eilt, der treuen Seele immer näher kommt und kostbarer wird.

Verse 2.3

Der zweite Vers sagt uns, dass Jesus, unser vollkommenes Vorbild, auf seinem Weg der Prüfungen eine Freude vor sich liegen hatte. Er war in Gnade auf einen solchen Weg getreten, dass Er als Mensch Ermunterung nötig hatte, und zwar durch den Hinblick auf das Ziel, das Ihm am Ende seiner Leiden und seiner Erniedrigung in Aussicht stand. Er sah, dass Ihn sein Weg bis zum Tod und zum Grab führte; aber Er wusste auch, dass Gott Ihm durch die Auferstehung den Weg des Lebens kundtun und Er so vor seinem Angesicht erscheinen würde, wo es Fülle von Freuden und Lieblichkeiten auf immerdar geben wird (Ps 16,10.11). Ohne Zweifel hatte der Herr auch die Freude vor seinen Blicken, als Frucht seiner Leiden und seines Sieges über Tod und Satan uns zu besitzen; aber hier handelt es sich um seinen persönlichen Weg als Anfänger und Vollender des Glaubens und als unser vollkommenes Vorbild auf diesem Weg.

Im Blick auf diese Freude in der Herrlichkeit Gottes hat Er also «das Kreuz erduldet», unter Missachtung «der Schande», die mit dieser Hinrichtungsstätte verbunden war. Dies bedeutet nicht, dass Er die Schmach, die seiner heiligen Person angetan wurde, nicht auch tief empfand. Er hat «den Widerspruch» der Sünder gegen sich «erduldet». Alles in dieser Welt widersprach der in seiner Person offenbarten Liebe, Würde und Heiligkeit. Seine Gnade begegnete nur dem Hass, seine Autorität der Empörung und seine Heiligkeit der Sünde. Der Hass der Menschen verfolgte Ihn bis zum Kreuz. Auf sein erhabenes Haupt wurde eine Dornenkrone gesetzt, auf Ihn, der doch als der König der Könige und der Herr der Herren die Krone der Herrlichkeit tragen soll. Er wurde wie einer der schlimmsten Übeltäter gebunden und zur Hinrichtung geführt, Er, vor dem die Engel sich niederwarfen; Er wurde zum Tod verurteilt, Er, der erhabene Richter der Lebendigen und der Toten. Man verwarf seine Worte der Gnade, man schrieb seine Werke Satan zu. Bei jedem Schritt seines Lebens fand Er nur Widerspruch und Auflehnung vonseiten des sündigen Menschen. Und alles endete mit der Schmach des Kreuzes. Aber Er hatte die Freude, in die Er nach der vollkommenen Erfüllung des Willens Gottes eintreten würde. Er hat alles das erduldet, indem Er die Schande nicht achtete, und sein Ziel ist erreicht. Er hat sich gesetzt zur Rechten des Thrones Gottes, wo Er nun mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt ist. Richten wir also unsere Blicke auf Ihn, damit wir in unserem Lauf nicht ermatten und beim Durchhalten im Kampf in unseren Seelen nicht entmutigt werden. Unser göttlicher Anführer hat vor uns gewandelt; Er hat gekämpft und gesiegt; kämpfen daher auch wir! Wenn wir «mitleiden», so werden «wir auch mitverherrlicht werden» (Röm 8,17).

Vers 4

Nun kommen wir zum Kampf gegen die Sünde. Der erste Vers redete von der Sünde, die uns so leicht umstrickt. Dort handelt es sich um das, was von innen kommt. Im vierten Vers aber geht es um den Kampf gegen die Sünde, die von aussen kommt. In diesem Sinn hat auch Christus gegen die Sünde gekämpft, als Er den Widerspruch der Sünder gegen sich erduldet hat.

«Ihr habt noch nicht, gegen die Sünde ankämpfend, bis aufs Blut widerstanden.» Die hebräischen Christen hatten grosse Leiden ertragen (siehe Kap. 10,32-34), aber sie mussten bis dahin noch nicht ihr Leben darlegen und ihr Zeugnis für die Wahrheit mit ihrem Blut besiegeln. Christus hatte es getan, wie auch verschiedene der Zeugen, von denen im 11. Kapitel die Rede ist. Warum also sich entmutigen lassen und ermatten? Wir sind die Zeugen Gottes in dieser Welt der Sünde; die Zeugen des Guten inmitten des Bösen. Alle Arten von Leiden sind mit diesem Zeugnis verbunden. Die Welt, die «im Bösen liegt», umgibt uns und bedrängt uns von allen Seiten; wenn man ihr widersteht, gibt es Leiden. Da ist Schmach, Verachtung, eine böse Gesinnung zu ertragen, man erleidet in äusseren Dingen Verluste. Aber es gilt zu widerstehen und festzuhalten, und sollte dies auch zum Tod führen. So ist Christus vorangegangen; seine Devise war: Lieber sterben als Gott nicht in allen Dingen verherrlichen! Die Hebräer hatten sich im Gegensatz zu Ihm von diesen Leiden, die mit dem Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen verbunden sind, entmutigen lassen. Ach, auch wir erschlaffen nur zu oft! Aber dann kommt uns Gott zu Hilfe. Er züchtigt uns; Er erzieht uns; Er zügelt unseren Willen, um unsere Seelen zu segnen und uns fähig zu machen, für Ihn wirklich gegen das Böse zu kämpfen.