Der Brief an die Hebräer (7)

Hebräer 4,14-16

Vers 14

Hier beginnt das grosse Thema des Hohepriestertums Christi, dieser anderen Hilfsquelle, die uns gegeben ist, um uns auf unserem Gang durch die Wüste zu helfen. Dieser Gegenstand wird auch in den folgenden Kapiteln fortgesetzt.

Im ersten Vers des dritten Kapitels werden die heiligen Brüder ermahnt, den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesus, zu betrachten. Bis dahin haben wir den «Apostel» betrachtet; jetzt aber werden wir uns mit dem «Hohenpriester» beschäftigen. Wenn einerseits das Wort Gottes das Böse in uns vorbehaltlos richtet, so ist uns anderseits das Hohepriestertum Christi als Hilfe in unseren Schwachheiten gegeben.

Wie im ersten Vers des dritten Kapitels der zu behandelnde Gegenstand mit einer Ermahnung beginnt, so ist es auch hier: «Da wir nun … so lasst uns das Bekenntnis festhalten.» Es ist beachtenswert, mit welcher Sorgfalt der Geist Gottes auf dem Ausharren und dem Festhalten am christlichen Bekenntnis beharrt. Gleichzeitig aber stellt er die wichtigsten Beweggründe vor uns hin, damit wir festhalten. Hier ist es die Tatsache, dass wir «einen grossen Hohenpriester haben, der durch die Himmel gegangen ist, Jesus, den Sohn Gottes», und alles, was sich aus dieser Tatsache ergibt.

Betrachten wir zunächst die Person, die dieses Amt des Hohenpriesters ausübt. Es ist Jesus, der hier auf der Erde Mensch gewesen und als solcher in alles eingetreten ist, was der Zustand des Menschseins auf der Erde in sich schliesst, eines Menschen aber, der vollkommen und ohne Sünde ist. Und dieser Jesus ist der Sohn Gottes; das spricht von seiner Grösse. Er ist daher nicht nur ein Hoherpriester, sondern ein grosser Hoherpriester.

Achten wir sodann auch auf den Ort, wo das Priestertum ausgeübt wird: Er ist «durch die Himmel gegangen». Einst ging Aaron am grossen Versöhnungstag, nachdem er alles ausgeführt hatte, was verordnet war, durch die verschiedenen Teile der Stiftshütte hindurch und trat schliesslich ins Allerheiligste ein, wo sich die Bundeslade befand – ein Bild des Thrones Gottes, wo der HERR seine Gegenwart offenbarte. So ist auch Christus, unser grosser Hohepriester, nachdem Er in der Opferung seiner selbst alles vollbracht hatte, über alle Himmel hinaufgestiegen und in die Gegenwart Gottes eingetreten.

Er ist nicht nur im Rang der Geister der vollendeten Gerechten und der Engel, sondern hat sich vielmehr zur Rechten der Majestät gesetzt, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Er hat einen Namen empfangen, der über jeden Namen ist und alles ist seinen Füssen unterworfen. Dort erscheint Er jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns.

Vers 15

«Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde.»

Unser Hoherpriester hat Mitleid mit unseren Schwachheiten. Seine Grösse hindert Ihn nicht daran. Wohl ist Er der Sohn Gottes, aber Er ist auch der Sohn des Menschen, und als solcher ist Er auf der Erde, wo Er gelebt hat, in allem versucht worden, in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde.

Aber achten wir darauf: Er hat Mitleid mit unseren Schwachheiten, und nicht mit unseren Sünden. Die Sünde wird durch das Wort verurteilt, und ich verurteile sie mit ihm. Er hat kein Mitleid mit der Sünde. Wenn wir gesündigt haben, so bekennen wir Gott unsere Sünde, und wir haben einen «Sachwalter» bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten. Aber Er ist «Hoherpriester», um Mitleid zu haben mit unseren Schwachheiten, unseren Unzulänglichkeiten, unseren Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Mühen, den Kämpfen und der Arbeit, die der Pfad mit sich bringt. Für das alles finden wir in Ihm ein Herz voller Mitgefühl.

Weshalb dies? Weil Er selbst «versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde». Man vermag Mitleid zu haben mit anderen, wenn sie Schmerzen empfinden, durch die man selbst hindurchgehen musste, und dies ist auch bei unserem Hohenpriester der Fall. Er ist «in allem versucht (oder geprüft) worden in gleicher Weise wie wir». Wie wir schon im zweiten Kapitel gelesen haben, hat Er an Blut und Fleisch teilgenommen; Er ist wahrhaftig Mensch geworden und hat alle Dinge, denen Er begegnete, mit dem Herzen eines Menschen empfunden. Er war ein Mann der Schmerzen. Er war in Trübsal und Angst. Ausser den sittlichen Leiden hat Er auch unsere physischen Schwachheiten empfunden: Müdigkeit, Hunger und Durst. Er hat den Widerspruch von den Sündern, die Ihm widerstanden haben, gegen sich erduldet. Er wurde von all den Listen Satans und der Menschen angefallen. Versucht vom Teufel, versucht von den Bösen, versucht durch die Jünger – nichts wurde Ihm erspart. Auf diese Weise wurde Er in allem seinen Brüdern gleichgemacht, damit Er für sie ein barmherziger und treuer Hoherpriester werden möchte. Daher vermag er mitzufühlen, und in der Tat, Er empfindet mit uns in seiner hohen Stellung in der Herrlichkeit, die Er nun einnimmt, nachdem Er durch die Himmel gegangen ist, wo Er all diesen Schwachheiten und Leiden entrückt ist.

Aber vergessen wir es nicht: Wenn der Herr wahrer Mensch geworden und durch alles, was den Zustand des Menschen ausmacht, hindurchgegangen ist, so war dies «ausgenommen die Sünde». Das will nicht nur sagen, dass Er nie gefallen ist, weder in Taten noch in Gedanken und Worten, sondern Er war auch in sich selbst durchaus ohne Sünde. Wir sind aus dem Fleisch geboren und haben die Sünde im Fleisch in uns; wir werden also von der Sünde versucht, die in uns wohnt, und wir begehen Sünden (siehe Jakobus 1,14.15). Jesus hingegen ist durch den Heiligen Geist gezeugt und folglich ohne Sünde, unberührt von Begierden, so dass jede Versuchung für Ihn nur von aussen kommen konnte. Aber die Schwachheiten, in denen wir uns befinden, hat auch Er empfunden. Daher kann Er jetzt, obwohl jedem Schmerz entrückt, aber mit der menschlichen Natur, in der Er in der Zeit seines Lebens hier auf der Erde Schmerz und Mattigkeit empfunden hat, in Liebe mitfühlen in allem, was uns hier auf der Erde auf dem Pfad des Glaubens und der Treue begegnet.

Das führt uns zum dritten Punkt: zum Thron der Gnade, der mit dem Hohepriestertum Christi verbunden ist (vgl. Vers 12).

Vers 16

«Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe.»

Für einen Sünder, der nicht gerechtfertigt ist, ist der Thron Gottes vor allem ein Thron der Heiligkeit, der Gerechtigkeit und des Gerichts. Vor diesen Thron geführt, muss er sagen: «Wehe mir!» Dann aber lässt ihn Gott das Opfer Christi erkennen und die Gnade, die da vergibt und herrscht. Nun ist der Thron Gottes für ihn ein Thron der Gnade geworden, und vor diesem Thron ist der Hohepriester Jesus, der Sohn Gottes, der alles vollbracht hat, was nötig war, damit wir vor Gott stehen können, und der Mitleid hat mit unseren Schwachheiten. Lasst uns daher unser Bekenntnis festhalten, denn Jesus ist immer da, um uns aufrecht zu halten!

Aber das Wissen um diese Dinge ist nicht alles, wir müssen auch hinzutreten. Was uns hier gesagt wird – was der Herr ist, was Er getan hat, der Ort, wo Er sich befindet, was Er dort tut, und alles, was Er in seinem Herzen hat – ist dazu angetan, uns mit Vertrauen zu erfüllen. Wie können wir inmitten der Schwachheit, der Schwierigkeiten und der Anstrengungen des Feindes festhalten? «Lasst uns nun», in diesem Gefühl unserer Bedürfnisse und unserer Ohnmacht, «mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade!» Mit Vertrauen, denn Jesus ist da; mit Vertrauen, denn es ist der Thron der Gnade, von dem wir keineswegs zurückgestossen werden; es ist das Herz Gottes selbst, das zu unseren Gunsten geöffnet ist. Lasst uns hinzutreten; vor Gott zu sein ist unser kostbares Vorrecht. Es wird uns nicht gesagt: Lasst uns vor den Hohenpriester hintreten. Wir dürfen direkt dem Thron der Gnade nahen, wo wir freien Zugang haben und wo wir alles für uns vorbereitet finden.

Wir brauchen Barmherzigkeit, wir armen und schwachen Geschöpfe, die selbst als Christen noch auf so mancherlei Weise fehlen, und wir werden diese Barmherzigkeit am Thron der Gnade empfangen. Aber in unseren Kämpfen benötigen wir auch Gnade, und auch diese finden wir dort.

Barmherzigkeit und Gnade haben wir jederzeit nötig; sie sind rechtzeitig vorhanden und durch sie wird uns rechtzeitig geholfen. Aber es gibt Zeiten, wo die Not grösser ist und die Gefahr unmittelbarer; lasst uns da mit Vertrauen zum Thron der Gnade gehen, wo die Hilfe schon bereit liegt und wo wir sie sozusagen nur ergreifen müssen!