Kapitel 6
Vers 1
Das Wort «deshalb» zeigt an, dass hier die Schlussfolgerung gezogen wird von dem, was im fünften Kapitel unmittelbar voranging. Es ist wiederum eine Ermahnung. Der Schreiber hatte den Hebräern vorgeworfen, in Bezug auf Erkenntnis und Erfahrung im Zustand von Unmündigen geblieben zu sein, wo sie doch der Zeit nach hätten Lehrer sein sollen. Nun ermahnt er sie, diesen Zustand der Unmündigkeit zu verlassen und zum «vollen Wuchs» oder zum Zustand von Erwachsenen voranzuschreiten.
«Das Wort von dem Anfang des Christus» ist das, was zur Kindheit gehörte, also zum Zustand der Juden zu der Zeit, als Christus, der in den Propheten verheissene Messias, noch nicht gekommen war. (Siehe Galater 4,1-5.) Diese Prophezeiungen betrafen wohl den Christus, aber seine darin enthaltene Offenbarung war noch nicht so deutlich: Es war «das Wort von dem Anfang des Christus» und nicht seine volle Offenbarung als der im Himmel Verherrlichte. Jene Dinge, die sich auf den Zustand der Unmündigkeit bezogen, sollten nicht weggetan werden. Sie hatten ihren Platz und ihre Wichtigkeit. Da Christus nun aber gekommen ist und als der Verherrlichte seinen Platz im Himmel eingenommen hat, sollten sie sie lassen, um die Dinge zu ergreifen, die sich auf diese Stellung des Christus bezogen und daraus hervorgingen. Diese Dinge machen das Christentum aus und sind das Erbteil, das Vorrecht derer, die im Zustand von Erwachsenen sind, von solchen, die die Herrlichkeit der Person Christi erfasst haben. Das ist «der volle Wuchs».
Verse 2.3
Diese Verse enthalten eine Aufzählung der Dinge, aus denen «das Wort von dem Anfang des Christus» besteht.
«Die Buße von toten Werken.» – Das sind Werke, die der Mensch in seiner sündigen Natur hervorbringt, als einer, der noch nicht von neuem geboren, sondern tot ist in Vergehungen und Sünden (Eph 2,1). Diese Werke tragen denselben Charakter des Todes. Sie verurteilen und sich davon abkehren ist die Buße, die der Annahme des Evangeliums vorausgehen muss. In der Tat, sowohl Johannes der Täufer als auch der Herr selbst begannen in ihrer Predigt bei diesem Punkt; die Buße ist immer der erste Schritt zum Heil.
«Der Glaube an Gott» ist das unbedingte Vertrauen in seine Fürsorge für uns, in seine Verheissungen, in seine Macht, um sie zu erfüllen, um uns aufrecht zu halten und unsere Gebete zu erhören. Zu diesem Glauben ermahnte der Herr seine Jünger (Mt 6, ab Vers 24; Mk 11,22), und auch das Beispiel der Patriarchen zeigt uns, dass sie ihn besassen.
«Die Lehre von Waschungen» findet sich im Alten Testament; sie gehörte zu den Dingen, die die Zeremonien und Verordnungen des Gesetzes kennzeichneten, (2. Mo 30,20; 40,12; 3. Mo 8,6; 13,6; 14,8.9; 15,13; 16,4.24.26.28; 17,16 usw.)
«Das Hände-Auflegen» geschah nicht nur beim Opfern (3. Mo 1,4; 4,15), sondern auch gegenüber Personen (4. Mo 8,10; 27,18.23).
Die Lehre von «der Toten-Auferstehung» und «dem ewigen Gericht» sind in den Unterweisungen des Herrn oft zu finden, und sie wurden im Allgemeinen, mit Ausnahme der Sadduzäer, von den Juden angenommen.
Alle diese Dinge, die «das Wort von dem Anfang des Christus» darstellen, waren den Gerechten des Alten Testaments, wie auch den Jüngern, die dem Herrn auf seinem Weg hier auf der Erde nachfolgten, bekannt. Sie waren an ihrem Platz von Wichtigkeit, aber es galt nun, sie zu lassen und sich nach den vorzüglicheren Dingen auszustrecken. Sie bildeten den gelegten Grund, und es war nicht nötig, darauf zurückzukommen.
Die Jünger hatten Christus nach dem Fleisch gekannt. Aber als Folge seines Todes, seiner Auferstehung und seiner Verherrlichung im Himmel ist der Heilige Geist gekommen und hat herrliche Dinge offenbart, die sich an das Vorhergehende anschlossen. Diese neue Offenbarung gibt dem Christen ein himmlisches Gepräge; er wandelt der Herrlichkeit entgegen. Er ist sich seiner Verbindung mit dem Christus droben bewusst sowie auch der Fürsorge, die ihm dieser verherrlichte Christus angedeihen lässt, dieser Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks.
«Und dies werden wir tun», das heisst, uns ausstrecken, um zur Vollkommenheit, zum vollen Wuchs zu gelangen, «sofern Gott es erlaubt», wenn Er uns die Gnade gewährt, diese ganze Wahrheit, die sich auf einen solchen Zustand bezieht, zu erfassen und zu empfangen. Aber bevor der Schreiber sie entfaltet und zeigt, worin die Vollkommenheit eines himmlischen Christentums besteht, macht er auf die schreckliche Gefahr aufmerksam, die denen droht, die das Christentum aufgeben, nachdem sie einmal bekannt hatten, es angenommen zu haben.
Verse 4.5
Diese Verse beschreiben die durch das Christentum gebrachten Vorrechte. Das göttliche Licht hatte geschienen und die Seelen durch die volle Offenbarung der Erkenntnis Gottes erleuchtet. «Die himmlische Gabe», Christus, von Gott gegeben, war vorgestellt worden, und man hatte sie schmecken können. Der Heilige Geist war gekommen, um von der Verherrlichung Christi Zeugnis zu geben und hatte seine Macht durch Bekehrung und Wunder kundgetan, wie auch durch seine Wirksamkeit im Schoss der Versammlung, so dass die, die in die Mitte der Christen eingeführt worden waren, den Einfluss verspürt hatten und so des Heiligen Geistes teilhaftig geworden waren. «Das gute Wort Gottes», das Wort der wunderbaren Gnade Gottes, war verkündigt worden, und man konnte dessen Wert und Kostbarkeit schmecken. Schliesslich geschahen auch Wunderwerke durch die Kraft des Heiligen Geistes, die die begleiteten, die geglaubt hatten: Sie waren eine Vorausnahme der wunderbaren Machtentfaltung, die im «zukünftigen Zeitalter», dem herrlichen Tausendjährigen Reich, stattfinden wird, wenn der Messias, der Sohn Gottes, über alle seine Feinde triumphieren und die volle Befreiung bringen wird, nicht nur für Israel, sondern auch für die ganze seufzende Schöpfung (Röm 8,18-22). «Die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters», die schon damals unter den Christen geschahen, waren ein Zeugnis für die noch im Himmel verborgene Macht des verherrlichten Heilands.
Das also waren die Dinge, die das Christentum kennzeichneten und unter deren Einwirkung sich auch jene befanden, die das Judentum aufgegeben hatten und in die Versammlung eingetreten waren, wo sich diese entfalteten. Aber man konnte sich inmitten dieser Vorrechte und ihres Einflusses befinden, ohne in Wirklichkeit von neuem geboren zu sein, ohne das Leben aus Gott zu besitzen, das sie allein der Seele wirksam zu machen vermag. Tatsächlich setzt nichts in dieser ganzen Aufzählung den Besitz des Lebens voraus. Wenn wir dies beachten, so verschwindet die Schwierigkeit, die dieses Wort bieten mag.
Verse 6-8
Die Menschen, die in diese neue Ordnung der Dinge, auf den Boden dieser himmlischen Vorrechte, hervorgegangen aus der Verherrlichung Christi, getreten waren und nun zum Judentum zurückkehrten, befanden sich in der schrecklichsten Lage. Sie waren abgefallen. Und es war unmöglich, solche «wieder zur Buße zu erneuern». Das Vorzüglichste, das es gab, zu verwerfen, und dies nicht etwa aus Unwissenheit, sondern in voller Erkenntnis und aus freiem Willen – welche Erneuerung konnte da noch geschehen, um eine solche Seele zur Buße zu führen? Es gab keine, denn indem sie so handelten, absichtlich und in vollem Bewusstsein der Vorrechte, die das Christentum gebracht hatte, kreuzigten sie den Sohn Gottes für sich selbst und traten auf die Seite derer, die Ihn zur Schau gestellt und geschmäht hatten – eine umso schrecklichere Sünde, als man von ihnen nicht sagen konnte: «sie wissen nicht, was sie tun».
Was blieb nun noch für sie übrig? Nichts anderes als das Gericht, und um das zu zeigen, gebraucht der Schreiber ein eindrückliches Bild. Er vergleicht sie mit einem Land, das oft Regen empfangen hat – ein Bild der Segnungen von oben (Jes 55,10.11) – und das nichts anderes hervorbringt als Dornen und Disteln, unnütze und schädliche Pflanzen. Das Land ist unbewährt, dem Fluch nahe und hat nichts zu erwarten, als das Feuer des Gerichts. Im Gegensatz dazu wird das Land, das die Segnung von oben empfängt, sie trinkt und Frucht hervorbringt, beweisen, dass Leben in ihm ist; seine Früchte sind nützlich für die, um derentwillen es bearbeitet worden ist. So empfängt auch die Seele, die das Leben besitzt, Segen von Gott und macht ihn durch Früchte kund. Die Gläubigen, an die sich der Schreiber wendet, waren solche. Daher gibt er in den folgenden Versen im Blick auf sie seiner Überzeugung Ausdruck.