Der Brief an die Hebräer (5)

Hebräer 3,1-19

Kapitel 3

Vers 1

Im ersten Vers wird aus den ersten zwei Kapiteln die Schlussfolgerung gezogen. Wir haben die unendliche Herrlichkeit der Person des Sohnes, der über den Engeln war, darin gesehen, und dann auch seine Fleischwerdung. Mensch geworden, kam Er als Apostel oder Gesandter Gottes, um mit uns zu reden. Er hat an Fleisch und Blut teilgenommen, am Zustand, in dem sich die Seinen, «die Kinder», befanden. Er litt und starb, um sie zu befreien. Dann sehen wir Ihn, den Sohn des Menschen, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, zur Rechten Gottes, wartend, bis alle Dinge in Wirklichkeit seinen Füssen unterworfen sein werden. Und schliesslich ist Er als Mensch auch ein barmherziger und treuer Hoherpriester, der, weil Er selbst gelitten hat und versucht worden ist, nun auch denen zu helfen vermag, die versucht werden.

In diesem doppelten Charakter eines Apostels und Hohenpriesters sollen wir nun Jesus betrachten, und es ist bemerkenswert, dass Er uns hier unter seinem persönlichen Namen vorgestellt wird. Er, der ihn unter den Menschen auf der Erde getragen hat, ist es, der der Apostel, der Gesandte Gottes geworden ist (Joh 20,21). Und im Himmel, wo Er sein erhabenes Priestertum ausübt, ist «Jesus» auf immer der Name, der über allen Namen ist. Wie ist daher die Ermahnung, Ihn zu «betrachten», so sehr am Platz, und wie redet dieser Name zum Herzen!

Aber Er ist der Apostel und Hohepriester unseres Bekenntnisses, das heisst des Christentums. Die Hebräer bekannten, Christen zu sein. Das ist der Boden, auf dem der Schreiber sie immer sieht. Dieses Bekenntnis war jedoch nicht bei allen echt, und das gab Anlass zu den in diesem Brief so häufigen Warnungen. Immerhin wird bei ihnen Aufrichtigkeit vorausgesetzt.

Sie sollten Jesus da betrachten, wo Er jetzt ist: Zur Rechten der Majestät in den Himmeln. Weil sie es also mit einem himmlischen Christus zu tun hatten, obwohl sie den wahren Überrest Israels darstellten, waren sie Genossen der himmlischen Berufung, im Gegensatz zur irdischen Berufung Israels. Als solche waren sie «heilig», abgesondert.

Verse 2-5

Wir finden hier einen dritten Wesenszug Christi: Er ist als Sohn über sein eigenes Haus gesetzt. Und in dieser Eigenschaft wird Er mit Mose verglichen, dessen Grösse als Diener die Hebräer aufgrund des Zeugnisses des HERRN in 4. Mose 12,7 hätten hervorheben können. Aber auch dieser Vergleich lässt einen grossen Gegensatz hervortreten: Mose war treu als Diener im ganzen Haus Gottes, im Haus Israel, dessen Befreier und Gesetzgeber er geworden war. Sein Charakter als Diener war Treue gegenüber Gott, dessen Worte er Israel überbrachte. Christus aber ist als Sohn, nicht als Diener, dem gegenüber treu, der Ihn als Apostel und Hohenpriester eingesetzt hat. Er ist treu über sein eigenes Haus – das christliche Haus.1 Mehr noch, Christus ist Gott, der Sohn – eine andere Herrlichkeit, die seine unendliche Erhabenheit über Mose zeigt. Gott ist es, der das Haus gebaut und aufgerichtet hat, mit allem, was dazu gehört und davon abhängig ist. Mose war nur ein treuer Diener in dem Haus seines Meisters, ob wohl er einen hervorragenden Platz darin einnahm; er gehörte zum Haus. Christus, als Sohn, ist über sein eigenes Haus gesetzt, das Er selbst gegründet hat. Mose ist nicht mehr unter uns, Christus aber bleibt und verwaltet sein eigenes Haus, zu dem wir gehören, und wir können auf Ihn, den allezeit treuen Verwalter, immer rechnen. Welche Gnade und welche Ermunterung!

Vers 6

«Dessen Haus wir sind», sagt der Schreiber, indem er sich zu den hebräischen Gläubigen zählt, an die er sich wendet. Es geht hier wohl um das Haus Gottes, aber mehr unter dem Gesichtspunkt der Verwaltung; es wird nicht so sehr als Behausung Gottes betrachtet. Da es sich um das Bekenntnis handelt, gehörten alle Hebräer, die sich zum Christentum bekannten, zu diesem Haus. Aber erst das Ende des Laufs machte die offenbar, die die Freimütigkeit und den Ruhm der Hoffnung standhaft festhielten. Die Bekenner ohne Leben scheiden unterwegs aus, aber die Bekenner, die das Leben besitzen, werden aufgefordert, bis zum Ende treu zu sein. Sie werden aufrecht gehalten durch die Freimütigkeit, die das Christentum gibt und die herrliche Hoffnung, die damit verknüpft ist.

Verse 7-11

«Deshalb» – auch hier wird, ähnlich wie im ersten Vers, eine Ermahnung eingeführt, die sich auf das Vorangegangene bezieht. Im ersten Vers lautete die Ermahnung: «Betrachtet ihn» und hier: «Hört auf ihn.»

«Wie der Heilige Geist spricht.» In diesem Brief finden wir, wenn eine Stelle aus dem Alten Testament angeführt wird, mehrere ähnliche Ausdrücke: «Der Heilige Geist zeigt an», «der Heilige Geist bezeugt». Auch darin haben wir ein Zeugnis für die göttliche Inspiration des Alten Testaments, wie übrigens auch in anderen Zitaten, die mit «Gott sagt» oder «Er sagt» eingeführt werden. Dies steht in völliger Harmonie sowohl mit den Eröffnungsworten unseres Briefes: «Nachdem Gott … ehemals zu den Vätern geredet hat in den Propheten» als auch mit dem Zeugnis des Herrn in den Evangelien. In diesen Zeiten des Unglaubens tun wir gut, darauf zu achten.

Der Zweck dieser Ermahnung ist der, die hebräischen Christen vor der Gefahr zu schützen, ihr Vertrauen und ihre Hoffnung aufzugeben. In diesem Bestreben führt der heilige Schreiber Worte aus dem 95. Psalm an, wo der Psalmist an den Widerstand des Volkes, an dessen Ursache und dessen Folgen erinnert: Ihr Unglaube führte zum Ausschluss von Kanaan. Dann wendet er diese Worte auf die Empfänger des Briefes an:

Vers 12

«Gebt acht, Brüder …» Der Ursprung des Unglaubens ist im Herzen. Der Feind sucht auf das böse Herz einzuwirken, um Misstrauen gegen Gott und seine Verheissungen hineinzupflanzen. Israel in der Wüste gab seinem bösen Herzen nach, obwohl es die Werke Gottes, seine Macht und seine Fürsorge erfahren hatte. Es übergab sich dem Unglauben und verlor so die Zuversicht, die Gott ihm gegeben hatte, in Kanaan einzutreten und die Ruhe darin zu finden. Es empörte sich. Das ist die natürliche Neigung des Herzens. Die Hebräer sollten sich davor hüten, damit die Verführung des Feindes sie nicht zur selben Sünde verleitete. Der Unglaube ist eine Sünde, und die Sünde ist immer ein Betrug des Herzens. Und wie feierlich ernst ist das Ergebnis des Unglaubens! Man gibt «den lebendigen Gott» auf und stürzt sich so in den Tod. Was bleibt dann übrig?

Vers 13

Jeder soll vor sich selbst und vor den Listen seines eigenes Herzens auf der Hut sein. Gleichzeitig ist es nötig, einander zu ermahnen und zu ermuntern, und zwar «jeden Tag». Jeder Christ hat diese Liebespflicht gegenüber seinen Brüdern zu erfüllen; das ist für ihn und für sie eine Kraft. Man hat mehr Energie und Mut, wenn man zusammen kämpft, als wenn man es nur als einzelner tut.

Das «jeden Tag» ist sehr am Platz, weil wir jeden Tag, bis wir am Ziel des Laufs angelangt sind, Prüfungen, Schwierigkeiten und Versuchungen begegnen. Darum wird hinzugefügt: «Solange es ‹heute› heisst». Dieses Wort wird in den Kapiteln 3 und 4 fünfmal wiederholt; dadurch wird die Wichtigkeit angedeutet, die der Heilige Geist ihm beimisst. Der gegenwärtige Augenblick allein gehört uns, über den morgigen Tag können wir nicht verfügen. Jeder Tag ist ein «Heute», bis wir am Ende unseres Laufs, in der herrlichen Ruhe angekommen sind. «Heute», lässt sich die Stimme Gottes durch sein Wort vernehmen, nicht nur um Sünder zum Heil, sondern auch um die Christen zur Wachsamkeit und zum Ausharren aufzurufen. «Heute» erinnert uns daran, dass auch ein Morgen, ein strahlender Morgen anbrechen wird, aber nicht für diese Erde. Wenn wir so auf uns achthaben und uns «heute», jeden Tag ermuntern, werden wir vor einer Verhärtung des Herzens bewahrt, wozu der Betrug der Sünde führen würde.

Vers 14

«Wir sind Genossen des Christus geworden», das ist das kostbare und herrliche Vorrecht des wahren Christen. Diese Genossen wurden schon in Kapitel 1,9 erwähnt. Sie haben teil an seinem Leben und dann auch an seiner Herrlichkeit. Sie gehen auf dem Weg, den Er gebahnt und auf dem Er gewandelt ist und werden dasselbe Ziel erreichen. Nur weil die gläubigen Hebräer mit Bekennern vermischt waren, wird hier eine Einschränkung gemacht: «wenn wir nämlich den Anfang der Zuversicht bis zum Ende standhaft festhalten.» Dieser Platz von Genossen des Christus ist der unsere, wenn wir bis zum Ende die Zuversicht festhalten, die die wirkliche Annahme des Christentums schon am Anfang gibt. Das berührt in nichts die Sicherheit des wahren Gläubigen. Wir sind jeden Augenblick von Gott abhängig, und Er ist bis zum Ende treu; aber auch wir sollen bis zum Ende treu sein.

Vers 15

Dieser Vers ist mit dem vorhergehenden verbunden, und wir finden darin einen dringenden Beweggrund, die Hoffnung, die uns von Anfang an gestützt hat, bis zum Ende nicht loszulassen: «Indem gesagt wird.» Der Brief ist von Ermahnungen und Warnungen erfüllt, denen wir eine ernste Aufmerksamkeit schenken sollen.

Verse 16-19

Diese Verse, die sich auf den Wandel und den Fall Israels in der Wüste beziehen, bilden eine Einschaltung. Sie stellen ein Beispiel vor uns hin, das uns zeigt, was aus denen werden kann, die sich zum Christentum bekennen. Das Volk hatte unter der Führung Moses Ägypten verlassen. Sie hatten alle die Stimme Gottes vernommen, hatten sich aber trotzdem gegen Ihn erhoben und Ihn erbittert. Während vierzig Jahren zürnte Er ihnen, und entsprechend dem, wegen ihrer Sünde, über sie verhängten Urteil fielen ihre Leiber in der Wüste (4. Mo 14,22.23.29.32). Sie durften nicht in die verheissene Ruhe eingehen; ihr Unglaube hinderte sie daran. Die Warnung richtet sich an die, die sich zum Christentum bekennen, sich aber entmutigen lassen und, wegen ihres Unglaubens, nicht bis zum Ende festhalten. In erster Linie galt sie den Hebräern, die sich auf den Christenweg begeben hatten, indem sie Jesus als den verheissenen Messias aufnahmen. Nun aber schienen sie durch die Schwierigkeiten des Weges, durch die Prüfungen und Verfolgungen entmutigt zu sein. Sie wurden daher ermahnt, die verheissene Hoffnung im Glauben festzuhalten und sich davor zu hüten, durch ihr Aufgeben den Genuss an der Ruhe Gottes zu verlieren. Diese Ruhe ist der Gegenstand des folgenden Kapitels.

Erinnern wir uns noch einmal daran, dass diese Ermahnungen und Warnungen, diese wiederholten «Wenn» in keiner Weise die Sicherheit des Gläubigen antasten, der sich auf Gott stützt, der niemals fehlen kann. Sie ziehen aus den gegebenen Warnungen Nutzen und wachen, um bis an das Ende des Laufes im Glauben auszuharren.

  • 1Hier ist die Kirche nicht als Leib vor uns, sondern als die Summe derer, die sich zum christlichen Glauben bekannten.