Vers 29
Nun stellte sich eine neue Schwierigkeit vor die vom Gericht befreiten Israeliten. Die Fluten des Roten Meeres, gegen das sie durch die Armee Pharaos gedrängt wurden, widerstehen ihnen, so dass sie Ägypten, das Land ihrer Knechtschaft, nicht verlassen können. Das ist ihr Tod, wenn Gott nicht einschreitet. Aber durch Glauben an das Wort des HERRN (2. Mo 14,15.16) wird für die Israeliten, die schon durch das Blut erkauft waren, der Weg des Todes ausgetrocknet. Die Ägypter, die weder das Wort Gottes noch Glauben haben und in menschlicher Kühnheit versuchen wollen, sie einzuholen, werden verschlungen. Sie besitzen nicht, wie die Israeliten, das auf den Tod eines Opfers gegründete Heil. Hier ist vor allem die Energie des Glaubens zu beachten, der bewirkte, dass das Volk ohne Zögern selbst in den Tod eintrat, um darin Befreiung zu finden. – Wir aber haben durch den Glauben Teil am Tod und an der Auferstehung in Christus.
Vers 30
Es ging jetzt darum, das Land in Besitz zu nehmen, aber Jericho mit seinen hohen Mauern und seinen starken geschlossenen Toren erhob sich vor dem Volk als ein unüberwindliches Hindernis. Wie konnten sie dieses niederreissen? Durch den Glauben an das Wort Gottes, so seltsam auch der Weg schien, den es ihnen wies. Der Sieg hing von Gott selbst ab, es galt, sich auf Ihn zu stützen, einzig und allein auf seine Macht und nicht auf menschliche Mittel. Die Mauern fielen durch die Wirksamkeit dieser unsichtbaren Macht, auf die sich Josua und die ihm folgenden Israeliten stützten.
Die Verse 28-30 bringen also drei grosse Tatsachen in Erinnerung:
- Den Glauben an die Besprengung des Blutes, um vor dem Gericht verschont zu werden;
- den Glauben, um das Rote Meer zu durchschreiten und so von Ägypten befreit zu werden;
- den Glauben für die Inbesitznahme des verheissenen Landes, trotz der vor ihnen aufgerichteten Hindernisse.
Es ist leicht ersichtlich, welche Anwendung wir von diesen drei Tatsachen auf uns machen können.
Vers 31
Auch Rahab, die Hure von Jericho, findet einen Ehrenplatz unter den Zeugen des Glaubens. Und in der Tat, ihr Glaube strahlt mit hellem Glanz hervor. Er gleicht dem Glauben Moses. Rahab hat sich mit dem Volk Israel einsgemacht, in dem sie «das Volk Gottes» erkannte, als sie von den Wundern hörte, die der HERR zu dessen Gunsten gewirkt hatte (Jos 2,8-11). Bei der Kunde vom Herannahen der Israeliten, bevor diese im Land einen einzigen Sieg erfochten hatten, im Augenblick, als die Kanaaniter, und besonders Jericho, noch in ihrer ganzen Kraft dastanden, erklärte sie sich für Israel, weil sie durch Glauben wusste, dass Gott mit ihnen war: «Ich weiss, dass der HERR euch das Land gegeben» (Jos 2,9). Sie handelte ihrem Glauben entsprechend und nahm die Kundschafter in Frieden auf. Sie empfing die Belohnung ihres Glaubens: Sie entging dem Gericht, das ihre ungläubigen Mitbürger wegraffte, fand in der Mitte des Volkes einen Platz (Jos 6,25), und wurde sogar, nachdem sie Salmon vom Stamm Juda geheiratet hatte, mit ihren Nachkommen Boas und David unter die Vorfahren des Herrn eingereiht (Ruth 4,20-22; Mt 1,5). Beachten wir, dass ihr Glaube in Gegensatz zum Unglauben ihrer Mitbürger gestellt wird, die so gut wie sie gehört hatten, was Gott für Israel getan hatte. Auch sie hätten glauben sollen und so gerettet werden können.
Verse 32-38
Der Schreiber geht bei den nun folgenden Glaubenshelden des Alten Testaments nicht mehr in die Einzelheiten ein. Er gibt nur noch einen summarischen Überblick, in dem er zuerst an die erinnert, die ihren Glauben durch grosse Taten bewiesen haben (Verse 32-35). Dann spricht er von solchen, die in grossen Prüfungen durch den Glauben gestützt worden sind (Verse 36-38). Darin sehen wir die Energie und das Ausharren des Glaubens. Wenn der Verfasser nicht mehr in die Einzelheiten eingeht, so ist es nicht nur, weil ihm die Zeit dazu fehlte, sondern auch, weil das in das verheissene Land eingeführte Volk weniger Beispiele bot, in denen sich die Grundsätze zeigen, nach denen der Glaube handelt. Gott anerkannte jedoch auch dort den Glauben der einzelnen, wo er sich fand, selbst bei denen, die nicht genannt sind. Gideon wird unter den Richtern, den Befreiern des Volkes, als erster genannt, als einer, der dem Wort des HERRN vertraute; David als erster unter den Königen und Samuel als erster unter den Propheten. Es macht uns keine Mühe, diese sittliche Ordnung zu erfassen.
Verse 35-38
«Frauen erhielten ihre Toten wieder durch Auferstehung.» Wir finden in der Geschichte Elias und Elisas zwei entsprechende Beispiele. Der Glaube dieser Männer Gottes an die Macht des HERRN führte zu diesem Ergebnis, aber Gott handelte auch aufgrund des Glaubens, der in diesen Frauen war. Der Schrei, den die Witwe von Zarpat ausstiess und die Beharrlichkeit der Sunamitin bei Elisa machen es deutlich. Beachten wir im Vorbeigehen, dass die in unserem Kapitel als Beispiele des Glaubens vorgestellten und genannten Frauen nicht erwähnt werden, um ihren Glauben in einem öffentlichen Dienst zu zeigen, sondern daheim: Sara ist in ihrem Zelt, Rahab in ihrem Haus. Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, wird nicht erwähnt, auch nicht Debora, jene andere Prophetin, in deren Schatten Barak gewandelt hat; vielmehr wird er selbst als Beispiel genannt.
Was in den Versen 35-38 berührt wird, bezieht sich ohne Zweifel auf die Epoche der schrecklichen Verfolgungen, denen die treuen Juden in den Zeiten der Makkabäer ausgesetzt waren. Wie wir wissen, gehören die Bücher der Makkabäer nicht zum Kanon der Heiligen Schrift, aber sie berichten von wahren historischen Begebenheiten. «Andere aber wurden gefoltert, da sie die Befreiung nicht annahmen, damit sie eine bessere Auferstehung erlangten.» Das ist wahrscheinlich eine Anspielung auf die sieben Brüder, die mit ihrer Mutter in qualvollster Weise getötet wurden, da sie sich weigerten, ihren Glauben zu verleugnen, indem sie eine Auferstehung erwarteten, die besser war als eine zeitliche Befreiung. Einer von ihnen sagte zum König, der sie ermordete: «Du raubst uns zwar das gegenwärtige Leben; aber der Herrscher der Welt wird uns, wenn wir für seine Gebote gestorben sind, zu einem neuen, ewigen Leben auferwecken.»
Wie schön ist das Zeugnis des 38. Verses! Es zeigt uns, wie Gott seine Zeugen inmitten einer Welt, die sich von Ihm entfernt hat, wertschätzt. In Vers 2 wurde gesagt: «Durch Glauben haben die Alten Zeugnis erlangt», und in Vers 16: «Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott genannt zu werden.» Hier nun wird bezeugt, dass diese verworfenen, verachteten und verjagten Menschen, die von einer hochmütigen, ungläubigen und von sich eingenommenen Welt als Kehricht der Erde betrachtet werden, in den Augen Gottes einen solchen Wert haben, dass Er erklärt, die Welt sei ihrer nicht wert.
Verse 39.40
Die beiden letzten Verse waren für die gläubigen Hebräer, die Empfänger des Briefes, sehr treffend. «Diese alle erlangten durch den Glauben ein Zeugnis», wird hier gesagt. Der Glaube machte sie Gott wohlgefällig und fähig, grosse Taten zu vollbringen und schwere Prüfungen zu ertragen. Aber «sie haben die Verheissung nicht empfangen». Sie alle mussten diese Welt verlassen, ohne die Erfüllung der Verheissung gesehen zu haben. Sie sind also allein durch Glauben gewandelt und haben nur durch Glauben gelebt. Ihr Beispiel sollte daher die Hebräer ermuntern, und dies umso mehr, als sie vorzüglichere Vorrechte besassen als die Alten. Aber weder die einen noch die anderen waren «vollkommen gemacht», d.h. dazu gelangt, ihr gemeinsames Teil, die himmlische Herrlichkeit, schon zu besitzen.
Der Verfasser stellt sich hier, wie an anderen Stellen des Briefes, mitten unter die gläubigen Hebräer, den Genossen der himmlischen Berufung; er erwartet mit ihnen das Bessere, das Gott «für uns» vorgesehen hat. Dieses Bessere, das wir besitzen, sind die durch Christus gebrachten himmlischen Dinge:
- Der durch sein Opfer geöffnete Zugang in die Gegenwart Gottes,
- das himmlische Bürgertum,
- unsere Vereinigung mit Christus, der als unser Vorläufer droben eingegangen ist.
Wir alle erwarten die Vollendung in Herrlichkeit; auch die Alten werden mit uns dort anlangen, wenn auch der Versammlung ein besonderes Teil gegeben ist.
Alle entschlafenen Gläubigen des Alten und Neuen Testaments gehören zu den Toten in Christus, die beim gebietenden Zuruf, bei der Stimme des Erzengels, beim Klang der Posaune Gottes auferstehen werden. Dann werden auch die lebenden Gläubigen verwandelt (1. Kor 15,51.52), und alle zusammen, anfangend vom ersten Gläubigen des Alten Testaments bis zum letzten Gläubigen der Kirche, werden in den Himmel entrückt, und so zur Vollkommenheit gelangen. Darauf wird Christus wiederkommen: «um an jenem Tag bewundert zu werden in seinen Heiligen» (2. Thes 1,10).
Im Blick auf jene Ereignisse ist es also vorzuziehen, den Ausdruck «Entrückung der Heiligen» zu gebrauchen und nicht «die Entrückung der Kirche» zu sagen; dieses könnte den Eindruck erwecken, die Gläubigen des Alten Testaments seien davon ausgeschlossen. Auch sie, die «nicht ohne uns vollkommen gemacht werden sollten», werden mit uns entrückt.
Man sollte auch nicht von zwei zweiten Kommen Christi reden. Es gibt nur eines, aber es umschliesst zwei Handlungen:
- bei der ersten werden die Heiligen Christus entgegengerückt;
- bei der zweiten kommen sie wieder mit Ihm zurück.